6.) Advent

 

 

Montag, 01. Dezember 2008

Ganz leise und schrittweise hat sich der Advent dieses Jahr bemerkbar gemacht: Vor ein paar Tagen hat die orthodoxe Kirche ihre Fastenzeit eingeläutet und diese wird auch größtenteils eingehalten. So gibt es in der Mensa jetzt keine tierischen Produkte mehr bis zum Weihnachtsfest und auch auf der Geburtstagsfeier gestern Abend hat es sich beim Essen bemerkbar gemacht - es standen viele Fischgerichte auf dem Tisch. Am Samstag brannte in der Vorabendmesse schon der Adventskranz und heute habe ich zum ersten Mal Weihnachtsmusik in dem Supermarkt gehört, in dem ich immer einkaufen gehe. Und auch die Stadt ist jetzt alles festlich geschmückt und beleuchtet. Ich hoffe, dass es für mich eine ruhige und besinnliche Zeit wird, in der ich mich auch geistlich ein wenig auf die Weihnachtsfeste vorbereiten kann.

Vor der Vorlesung nach dem Essen kam der Professor auf mich zu und drückte mir ein Heft in die Hand, in dem ein Artikel aus Münster stand und unterbreitete mir somit Neuigkeiten aus meiner Studienheimat. Ich habe den Artikel kurz überflogen und wusste dann, worum es geht. Das ist mir aber erst später bewusst geworden. Ich scheine sprachlich also doch Fortschritte zu machen. Nun möchte ich einige weitere Artikel aus der Zeitschrift lesen und habe mir sie vom Professor ausgeliehen. In dem Tschitalnij Sal steht neuerdings eine Glasvitrine, in die der Professor seinen Hut und eine kleine Tasche sorgfältig hineingestellt hat - als wären es kostbare Ausstellungsstücke. Und dann stand heute ein heikles aber höchstinteressantes Thema auf dem Lehrplan: Die Nützlichkeit bzw. Notwendigkeit der Hierarchie in der Ehe. Damit wird von der orthodoxen Kirche das familiäre Patriarchat betont und befürwortet. Ich denke, eine schwere Aufgabe für einen Priester und Professor, dies einer (fast) aus Frauen bestehenden Gruppe zu erklären. Und ich möchte hier ganz ehrlich sagen, dass ich die Befürwortung und Begründung nicht nachvollziehen kann.

Eigentlich war ich heute mit Olga zum Deutsch-Russisch-Tandem verabredet, aber sie ist leider krank geworden. So hatte ich den Nachmittag frei zum telefonieren mit meinen Eltern und meinem Bruder und konnte einen Artikel für die Zeitschrift "K-Teen" der Katholischen-Jugend-Ostfriesland schreiben, den ich nach der Veröffentlichung hier sicherlich präsentieren werde. Es ist gar nicht so einfach, die drei Monate in Russland in 1.200 Zeichen zusammenzufassen.

Und heute habe ich - wenn auch einen Tag zu spät - ein Namenstagsgeschenk von Lena bekommen - es ist ein Reiseführer über Moskau in deutscher Sprache. Über den habe ich mich sehr gefreut - aber nicht deswegen, weil er reichlich alt ist, sondern weil ich weiß, dass sie im Moment sehr wenig Geld hat und sich vielleicht nicht mehr leisten konnte. Für mich ist dies wirklich eine sehr große Geste der Freundschaft gewesen.

Den Abend habe ich mit Oleg und Pjotr verbracht - mit einer leckeren Flasche Bier und viel Spaß. Soviel zum Thema Fastenzeit. Vorher hatte ich bei den beiden an der Zimmertüre angeklopft. Pjotr war gerade dabei, mit einem Hammer auf dem Bettgestell Haselnüsse zu knacken. Dazu benutzte er einen Hammer, mit dem man normalerweise größere Sachen bearbeitet oder zerstört. Das sah alles so lustig aus, dass ich einen Lachanfall bekommen habe.

 

Meine Freunde im Wohnheim: Oleg, Dmitri und Pjotr.

 

 

Dienstag, 02. Dezember 2008

Nun dachte ich, dass ich das Thema Philosophie mehr oder minder abgeschlossen haben könnte - zumindest mit den Prüfungen. Doch weit gefehlt. Gestern Abend kam Dmitri in mein Zimmer und fragte nach, ob ich nicht einen Text für ihn auf das Wesentlichste verkürzen könnte. Das habe ich dann gemacht - und habe den ganzen Abend damit verbracht. Ich mag diese Texte nach wie vor nicht und mein Geist scheint sich in dieser Beziehung nicht vergrößert haben. Mir kommt Philosophie immer mehr danach vor, dass sie zwar vermeintliche Lösungen findet, aber das Vielfache an Fragen aufwirft. Dennoch ist es interessant, was dabei so alles herauskommen kann. Ganz fertig geworden bin ich noch nicht, den Rest will ich morgen früh erledigen. Zum Glück weiß ich heute im Voraus, dass morgen wieder eine Stunde ausfällt, so dass ich morgen keine böse Überraschung erleben werde - dies hoffe ich zumindest.

Dann habe ich gestern krampfhaft versucht, den Spediteur zu erreichen, der mein Paket ausliefern soll, auf das ich mittlerweile sehnsüchtig warte. Nach Auskunft der Spedition soll es wohl diese Woche sein. Nun sollte ich mich aber mit dem Auslieferer für Moskau in Kontakt setzen, habe aber eine Nummer, mit der ich keine Verbindung bekomme. Und auch die Verbindung zu dieser Spedition war gestern sehr schlecht. Auf einmal konnte mich die Frau nicht mehr verstehen - ich sie aber noch und dann kam gar keine Verbindung mehr zustande. Nun hoffe ich, dass mailen weiterhilft. Die Hauptsache ist, dass das Paket bald mal ankommt, denn mir fehlt mein Ostfriesentee doch sehr. Vielleicht klappt es ja diese Woche doch noch.

 

 

Mittwoch, 03. Dezember 2008

Am Morgen dieses Tages habe ich den Rest von Dmitris Aufgabe erledigt, was noch einmal eine gute Stunde in Anspruch genommen hat. Es ging dennoch schneller als am Abend, da ich nicht so müde und schon an den Text gewöhnt war. Abends gab es dann eine kleine Belohnung - ich habe mit Dmitri und Evgeni zu Abend gegessen und ein Bierchen spendiert bekommen.

Kurz bevor ich dann ins Bett gehen wollte, kam ein Mitbewohner und sagte mir, dass für mich das Paket angekommen sei und bei der Wache liegen würde. So habe ich mir noch einmal Schuhe und Jacke angezogen und bin durch den Regen zum Wachhäuschen gegangen - vergeblich, denn dort war um 23:20 Uhr schon alles verriegelt und verschlossen.

 

 

Donnerstag, 04. Dezember 2008 - Fest des Einzugs in den Tempel der Allheiligen Gottesgebärerin

 

Heute ist der Beginn des Wohlgefallens Gottes

und die Vorherverkündigung der Erlösung der Menschen;

in dem Tempel Gottes zeigt sich deutlich die Jungfrau

und verkündet im Voraus den Christus allen.

Zu ihr lasset auch uns mit lauter Stimme rufen:

Sei gegrüßt, Du Erfüllung der Heilsordnung des Schöpfers.

 

Der reinste Tempel des Erlösers,

das kostbare Brautgemach,

die Jungfrau,

die heilige Schatzkammer der Herrlichkeit Gottes,

wird heute eingeführt in das Haus des Herrn

und führt mit ein die Gnade im göttlichen Geiste,

die Engel besingen sie:

Sie selbst ist das himmlische Zelt.

 

(Troparion, 4. Ton; Kondakion, 4. Ton)

 

Nun ist heute also schon wieder ein Feiertag in der Russisch-orthodoxen Kirche, der wieder für Unterrichtsausfall gesorgt hat und den ganzen Tag umgeworfen hat. Dieses Mal bin ich zwar etwas früher dahinter gekommen, aber dennoch kam heute alles anders, als geplant.

Zunächst habe ich das Paket bei der Wache abgeholt und es kurz durchstöbert. Zu meiner großen Freude habe ich dort wieder Pumpernickel gefunden und ein kleines Namenstagsgeschenk: Marzipan. Es mag wohl sinnvoll sein, dass ich dies alles gut hier verstecke, damit es mir keiner aufisst. Als allernächstes habe ich einen anderen Pullover angezogen, da ich meine einzigen drei Pullover, die ich im Koffer mitgenommen hatte, langsam leid bin und habe mich in den "neuen alten"  Klamotten den ganzen Tag also richtig wohl gefühlt. Zum richtigen Auspacken war aber keine Zeit mehr, weil ich zum Zug wollte, damit ich pünktlich in zur Göttlichen Liturgie komme. So war ich dann kurz nach zehn dort und die Liturgie muss schon eine halbe Stunde eher angefangen haben, jedenfalls wurde gerade das Evangelium gesungen. Nach der Liturgie wollte ich eigentlich zum Essen gehen, wurde aber noch von Masha aufgehalten - die Masha, bei der ich auf dem Geburtstag war, sie wollte mir eine Bekannte vorstellen: Gisela. Sie ist eine Ostdeutsche, die spät zum Glauben gefunden hat, irgendetwas mit der Orthodoxen Kirche und der Universität zu tun hat und mehr weiß ich auch noch nicht. Wir haben uns jetzt für Montag verabredet. Zum Essen bin ich so erst eine halbe Stunde später gekommen und habe dann erst zu Hause angerufen, dass ich erst später ins Internet komme, was dann auch tatsächlich der Fall war. So habe ich dann noch recht lange mit meiner Mutter telefoniert, das Neuste erzählt und erzählt bekommen und wir haben vor allem überlegt, was wohl im Paket gewesen sein mag. Es ist bei mir nämlich stark beschädigt angekommen. Es scheint aber alles vollständig zu sein. Anschließend habe ich mit einer Freundin per Internet aus Bayern telefoniert, die mich bald besuchen kommt. So haben wir einige wichtige Sachen besprechen können. Auf ihren Besuch freue ich mich schon sehr, ich denke, dass wir gemeinsam hier ein paar aufregende Tage erleben werden können und viel Spaß miteinander haben werden. Es gibt nur einen Wehrmutstropfen an der Sache: Das wir nicht gemeinsam Silvester feiern können - insbesondere aufgrund der blöden Zeiten im Wohnheim - wir müssen ja bis spätestens 23 Uhr zurück sein und dann ist das Tor auch in jedem Fall zu. Nun fährt sie leider schon einen Tag eher weg. Anschließend wollte ich noch den Fernsehturm Ostankino suchen - weiter als bis zur Station Vkno bin ich aber nicht gekommen, da nun schon wieder die Zeit für ein Treffen mit Elena drängte. Wenigstens habe ich dort die Station einer Art Hochbahn gefunden, mit der man schnell zum Fernsehturm kommt. Diesen hätte ich beinahe übrigens nicht gefunden, da er im Nebel und Dunst völlig versteckt war. Im Gesamten hat der Tag irgendwie in viel zu viel Gefühlsduselei und Traurigkeit geendet, so dass ich früh zu Bett gegangen bin, aber nicht ohne mein Zimmer aufzuräumen und eine Packliste des Pakets zu erstellen. 

Eigentlich war dieser Tag etwas anders geplant - zumindest bis nach dem Treffen mit Dmitri gestern Abend. Ich hatte gedacht, dass ich einfach zur Liturgie und anschließend zurück ins Wohnheim fahre und mir einen gemütlichen Tag mache. Nun ist alles anders gekommen, aber es ist auch alles gut.

 

 

Freitag, 05. Dezember 2008 - Todestag Patriarch Alexej II.

Heute in den Morgenstunden ist der Patriarch von Moskau und ganz Russland Alexej II. verstorben.

Chor:

Das wohlriechende Kreuz Gottes

und die Menschen errettende Predigt geht voraus.

In der Kirche Gottes erscheint klar die Gottesgebärerin

und Christus geht allen voraus!

So singen wir laut:

Freut Euch! Der Zeuge schafft Erfüllung!

Diakon:

In glückseliger Himmelfahrt,

gib' Gott, ewige Ruhe,

dem Knecht Patriarch Alexej

und erschaff' ewiges Gedächtnis.

Chor:

Ewiges Gedächtnis! Ewiges Gedächtnis! Ewiges Gedächtnis!

Seine Seele lasse sich in Ewigkeit nieder

und sein Gedächtnis sei für immer und ewig!

 

(Litija der Panichida)

 

 Der Tag fing an für sich schon ungewöhnlich gut an - ich hatte das erste Mal seit einigen Wochen wieder einen Ostfriesentee auf dem Frühstückstisch stehen. Dieser muss heute schon fast Wunder bewirkt haben. Ich hatte mir viel für den Tag vorgenommen, allerdings in dem festen Glauben, dass ich es nicht erreichen würde. Es kam anders. Ich bin heute etwas eher mit dem Zug in die Stadt gefahren, weil ich zuvor noch Geld abheben wollte. Zuerst habe ich dann allerdings im Kursker Bahnhof Fahrpreise für eine Freundin erfragt, die mich bald besuchen kommt. Wenn ich auch noch ein paar Leute vor mir hatte und dann zusätzlich den Schalter wechseln musste, bin ich zügig zum Ziel gekommen und hatte das, was ich wollte. Anschließend habe ich es sogar noch geschafft, Geld abzuheben. Hier war ich eigentlich darauf gefasst, vor einer verschlossenen Türe der Bank zu stehen, aber selbst das war kein Hindernis. Und so bin ich pünktlich um neun Uhr in der Uni erschienen und hatte schon mehr geschafft, als ich mir überhaupt vorgestellt hatte. Nach den beiden Vorlesungen habe ich dann in der Küche gearbeitet und dort erstmals Gerüchte vom Tode des Patriarchen erfahren, die sich dann im Laufe der Stunde immer mehr erhärtet haben. Den Hauptabwasch, der zwischen 14:00 Uhr und 14:30 Uhr anfällt, habe ich fast komplett alleine gemacht: Zuerst die Teller von Essenresten befreien, dann abspülen, danach in Seifenlauge abwaschen und zum Schluss mit klarem Wasser abspülen. Zudem habe ich die Tassen abgewaschen. So bin ich heute mächtig ins Schwitzen gekommen. Die anderen Studenten hatten um 14 Uhr frei und Valentina, mit der ich sonst immer zusammenarbeite - eigentlich auch heute - war in der Zeit länger verschwunden. Anschließend habe ich dann noch einmal warm gegesssen und habe um kurz nach drei den Dienst quittiert, um zur Bank zu gehen und die Überweisung für das Wohnheim zu tätigen. Das hatte ich mir für heute auch vorgenommen und gerade so zeitlich bis zur Chorstunde hinbekommen. Auf dem Nachhauseweg habe ich noch einen Abstecher zum Hotel gemacht, in dem die Freunde übernachten werden. Hier war aber schon alles geklärt, so dass ich gar nicht hätte hinfahren müssen. Vom Hotel bis zur Elektritschka-Station Textilschschiki hatte ich nur knapp acht Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Und selbst das hat heute gut geklappt. In der Regel ist es in Moskau ja so, dass man eher weniger schafft, als wie man sich vornimmt. Heute war es dann das Gegenteil: Ich habe vielmehr geschafft, als geplant. Sogar Postkarten habe ich noch geschrieben. Die muss ich morgen noch zur Post bringen. Das ist der glückliche Teil des Tages.

Trauer und Bestürzung hat die Nachricht des Todes von Alexej II. in den Tag gebracht. Andrej war der erste, der mir das gesagt hat, er wusste aber auch noch nichts Verlässliches. Im Laufe der nächsten Stunde haben mir aber so viele davon erzählt - ich hatte als Essensreste-von-den-Tellern-Wischer bis 14 Uhr ja genug Kontaktmöglichkeiten in die Stalowaja - dass es wohl stimmen musste. Elena drückte mir dann zwei Bonbons in die Hand - ein Zeichen in der orthodoxen Kirche, dass man für einen Verstorbenen beten soll. Und in der Chorstunde gab es dann Gewissheit. Wir haben nicht das übliche Lied zum Unterrichtsbeginn gesungen, sondern mit Diakon Vater Alexej ein Fragment aus der Panichida (Totengedenken) gesungen, dass schon sehr ergreifend war. Von ihm wusste ich auch, dass eine Panichida um 17:30 Uhr in der Fakultätskirche stattfinden sollte. Da war ich nach der Chorstunde dann auch. Die Priester trug zu diesem Zeitpunkt noch ein blaues Priestergewand mit blauer Stola - ebenso der Diakon. Beide haben das Totengedenken mit sehr viel Gefühl und sehr feierlich gehalten. Dazu sang leise und wunderschön ein kleiner Chor - absolut passend zum Anlass. Auch Priester und Diakon haben leise und andächtig gesungen, so dass es eine traurige, aber wunderschöne Panichida war.

 

Patriarch Alexej II., wie er im Orthodox-kirchlichen Kalender 2009 abgebildet ist.

 

Anschließend war dann noch ein Gottesdienst, bei dem sich alle Priester und Diakone vor der Ikonstase und dem Ambo im Kirchenraum befanden. Der Rektor der Fakultät, Vater Vladimir, hielt eine Trauerrede und sagte, dass Patriarch Alexej II. ein sehr wichtiger Patriarch für die Russisch-orthodoxe Kirche gewesen ist, große Taten vollbracht hat, den Anstoß zur Gründung dieser Universität gegeben hat und hier auch manchmal zu Gast gewesen ist. Er sprach von einem ungewöhnlichen und weisen Mann und das dieser Tag als ein schwerer Tag in die Geschichte eingehen wird. Vater Vladimir musste nach ein paar Minuten seine Rede abbrechen, da Gefühle und Traurigkeit ihn übermannten. Dies zeigte sich auch während des Gottesdienstes. Dieser wurde durch einen größeren Chor begleitet und sehr viele Gemeindemitglieder sangen mit. Oft habe ich aus der Liturgie das Wort "Radulßja" herausgehört - ein Wort, das mit "Freude" in Verbindung zu bringen ist. Und die liturgische Farbe war heute auch weiß, die auch Freude symbolisiert - so dass der Tod Alexejs II. als ein Fest der Freude gefeiert wurde - die Freude darüber, dass er jetzt im Himmelreich ist. Dennoch wurde auch sehr oft das "Gospodu pomiluj" (Herr, erbarme Dich) gesungen. So habe ich heute mit der orthodoxen Kirche, der Universität und den Freunden zusammen getrauert. Es muss für sie ähnlich sein, wie der Tod Papst Johannes Pauls II. im Jahr 2005 für die katholische Kirche. Viele - das heißt eigentlich alle - kennen doch bewusst gar keinen anderen Patriarchen. Der letzte Gesang des Gottesdienstes war:

 

"Svjatij Boshe, svjatij Krepkij, svjatij Beßsmertij, pomiluj nas!"

(Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser!)

 

 

Samstag, 06. Dezember 2008

Der Tag des Hl. Nikolaus, den ich hier beinahe vergessen hätte, war ein sehr langer Tag, der wieder im Zeichen des verstorbenen Patriarchen stand. Zunächst hatte ich wie üblich die Dogmatik-Vorlesung, habe dann in der Stalowaja gegessen und war dann im Internet. Bis hierhin war noch alles normal. Anschließend habe ich im Moskauer Kursker Bahnhof Fahrkarten für meinen Besuch gekauft. Das war gar nicht so einfach, obwohl ich mich gut vorbereitet hatte und alles auf einen Zettel aufgeschrieben hatte - einen alten, aber ziemlich langen Kassenbon. Zunächst musste ich etwas über eine Stunde warten, bis ich an der Reihe war und habe der Dame dann den Zettel gegeben. Doch anstelle auf die Seite zu schauen, wo sämtliche Reiseplanungen stehen, hat sich zunächst meine Einkäufe studiert. Das Buchen der ersten Reise war überhaupt kein Problem, aber die zweite Tour war gar nicht einfach, da schon viele Plätze ausgebucht waren und so musste ich zunächst telefonieren und alles abklären, bevor ich dann buchen konnte. Und die Schlange hinter mir wurde immer unruhiger. Aber letztendlich hat dann alles geklappt und alle sind zufrieden. Zwischendurch hatte sich Lena auch gemeldet und nachgefragt, ob ich mit ihr nicht vom Patriarchen Abschied nehmen wolle. Da hatte ich auch schon etwas mit geliebäugelt, wollte aber nicht alleine dorthin und so war ich froh, dass sie sich gemeldet hat. So habe ich mich dann entschlossen, erst meinen Rucksack und Laptop ins Wohnheim zu bringen und dann gleich wieder zurück in die Stadt zu fahren. Erst bin ich noch in die Fakultätskirche gefahren und nachdem ich das Ölkreuz nach der Vetschernaja erhalten habe, bin ich zur Metro-Haltestelle Ochotnij Rjad gefahren, wo ich Lena getroffen habe. Wir sind dann zusammen zur Christus-Erlöser-Kirche gefahren, wo die Gläubigen von ihrem Patriarchen Abschied nehmen konnten. Dort sind wir halb acht angekommen und haben uns dann hinten an die Schlange angestellt, die in einem großen Bogen einmal um die Kathedrale herumging. Als dann klar war, dass wir wohl sehr lange warten müssen würden, hat Lena für mich ein Quartier in ihrer Gemeinde besorgt und ich habe mich im Wohnheim abgemeldet und Bescheid gegeben, dass ich über Nacht nicht anwesend bin. Das war gar nicht so einfach zu bewältigen: Lenas Handyakku war aufgebraucht und von mir das Guthaben auf dem Handy war recht knapp. So haben wir zwischendurch oft die Simkarten ausgetauscht, so dass wir dann von meinem Handy telefoniert haben, jedoch mit verschiedenen Karten. Ich habe nachher nicht mehr gezählt, wie oft wir mein Handy auseinandergebaut haben. Aufgrund der langen Schlange war ich sehr froh, dass ich meinen schweren Rucksack im Wohnheim zurückgelassen und mich entschieden hatte, ihn dort abzuliefern. Aber ebenso deprimiert war ich, dass ich nicht mehr vernünftig zu Abend gegessen habe und so knurrte der Magen zwischenzeitlich ganz schön. Eine Freundin und Kommilitonin Elenas wollte auch noch zum Patriarchen und sollte dann etwas zu Essen mitbringen. Dies hatte aber keinen Zweck, da die Miliz keinen vorbeigelassen hat. Zwei Frauen, die das Telefonat mit Xenias Absage, Essen mitzubringen, mitbekam, hat mir dann freundlicherweise ihre Kekstüte und zwei Butterbrote überlassen, so dass ich meinen Hunger stillen konnte. Dafür war ich unheimlich dankbar, da es schon zehn Uhr war und ich seit Mittag nur drei Kekse gegessen hatte. Während Elena und ich uns auf Deutsch unterhielten, sprach mich auf einmal eine Frau auf Deutsch an. Sie wollte gerne nach München telefonieren. Wir haben uns noch kurz unterhalten, dann ist sie aber wieder zurück an ihren Platz gegangen. Etwa eine Stunde später hat sie mir einen Becher mit heißem Kakao gebracht, den Elena und ich uns dann geteilt haben. Um etwa ein Uhr nachts sind wir dann in die Kirche gekommen und konnten uns von Patriarch Alexej II. verabschieden. Er lag dort vollständig zugedeckt - eigentlich konnte man nur seine Mitra sehen. Zu seinen Füßen lagen bzw. standen Stab, Kerzenhalter, sein violettes "Gewand" und weitere Regalien. Wir haben noch einen Platz bekommen, wo man in größerem Abstand im Gebet innehaltend stehend, ihn von der Ferne aber sehen konnte und haben dort noch eine Zeit gestanden. Das war für uns ein sehr bewegender Augenblick, als wir ihn dort haben liegen sehen. In dem Bewusstsein, dass er vor nur etwa eineinhalb Tagen noch die Göttliche Liturgie gefeiert hat und anschließend verstorben ist, beschlich mich ein eigenartiges Gefühl des Verstehens und Nichtverstehens. Während ich dort stand, war ich dankbar, dass ich mir die Zeit genommen habe und zu ihm gekommen bin. Es war die letzte Chance, ihn zu sehen. Ich hatte so gehofft, dass ich ihn einmal in der Kirche erleben darf.

Nun fuhren um diese Zeit aber keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Wir haben noch auf Xenia gewartet und die Eltern haben uns dann bis fast zur Kirche gebracht. Es war noch ein weiterer Student mit im Auto und an einer Kreuzung sauste ein Polizeiauto an uns vorbei, bremse ab und setzte zurück. Sie hatten bestimmt die kleine Xenia bei uns auf dem Schoß sitzen sehen. In dem Moment haben wir sie schnell heruntergedrückt und so ist die Miliz dann weiter gefahren. Im Gemeindehaus von Elenas Gemeinde haben wir dann noch einen Tee getrunken und haben uns dann schlafen gelegt - ich in Elenas Zimmer und sie im Zimmer von und mit Anna Nikiforovna. Halb vier war es, als ich die Augen zugedrückt habe. Die letzten Gedanken waren die Worte Vater Alexejs (aus Kolomna), der Elena gesagt hat, dass wir uns freuen sollen, dass der Patriarch gestorben ist, weil er jetzt im Himmel ist. Weinen müssen wir, weil wir den Patriarchen nicht mehr haben.

 

 

Sonntag, 07. Dezember 2008

Die Nacht war sehr schnell wieder zu Ende, weil wir zur Göttlichen Liturgie in Elenas Gemeinde gehen wollten und so hat Elena mich nach Matuschka-Manier um 7:00 Uhr geweckt: Die Tür ging auf, murmelte etwas wie "Tut mir leid, das muss jetzt sein!", das Licht ging an und die Türe flog mit einem Knall zu, so dass ich wach sein musste. Nach dem Frühstück mit Tee und Marmeladenbrot waren wir dann um 8 Uhr in der Göttlichen Liturgie, wo dieses Mal ein professionellerer Chor gesungen hat. Zuerst dachte Elena, dass wir zu spät seien, waren es aber nicht. Lediglich die Uhren im Zimmer von Anna Nikiforovna gehen falsch. Nach der Göttlichen Liturgie haben wir einen Gottesdienst für Heilige gesungen, die Moleben. Nach dem Mittagessen - es gab Matschukas Kohlsuppe und ein leckeres Gemüse - gemeinsam mit Vater Igor und Elena bin ich nach Hause gefahren und habe erst einmal meine Zähne geputzt und mich frisch gemacht und habe dort etwas mehr als eine halbe Stunde geschlafen. Zu 16 Uhr war ich wieder in der Gemeinde und wir wollen die Akafist singen, die dann aber ausgefallen ist und als Ersatz die wesentlich längere orthodoxe Vesper und Morgenliturgie gesungen wurde. Anschließend gab es noch Tee. Zurück in Pererwa habe ich noch Wasser im nahe gelegenen Supermarkt eingekauft. Zum Glück hat sich Pjotr angeboten, meinen Küchendienst zu übernehmen und dann lag ich gegen 23 Uhr im Bett. So habe ich diesen Tag eigentlich komplett in der Gemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" verbracht.

 

 

Montag, 08. Dezember 2008

Ein Tag voller Regen neigt sich dem Ende zu - eigentlich ist es heute keine Minute trocken gewesen und so ist meine Mütze, die ich mir für Regentage extra gekauft habe, heute voll zum Einsatz gekommen. Als ich in der Uni angekommen bin, hat sich Nina gleich meine Jacke geschnappt und sie über die Heizung zum Trocknen gehängt. Die Frau ist einfach klasse und total fürsorglich. Nach der Ethikvorlesung habe ich mich mit Gisela getroffen und wir haben uns in ein Café gesetzt und miteinander und übereinander gesprochen. Es ging darum, wie sie orthodox geworden ist und warum ich hier orthodoxe Theologie studiere. Daraus hat sich ein sehr interessantes Gespräch ergeben und wir haben viel gemeinsam überlegt und etwas in die Zukunft geträumt. Sie kommt aus dem östlichen Teil Deutschlands und so konnte ich mich zwei Stunden vollständig in meiner Heimatsprache unterhalten und auch mal wieder komplizierte Sätze formulieren. Aus diesem Gespräch sind eine Menge interessante Ideen und Anregungen für die Zukunft hier hervorgegangen. Ich bin mal gespannt, was sich davon umsetzen lässt.

Doch nun mal zur Frage, warum ich eigentlich hier bin. Wie kommt man von Ostfriesland nach Russland? Eigentlich fing alles im Jahr 2004 an, als meine Mutter einen Artikel im Kirchenboten gelesen hat, dass eine kleine Gruppe Jugendlicher über den Caritasverband Osnabrück zum vierten gesamtrussischen Treffen katholischer Jugendlicher nach Irkutsk fliegen wird. Da habe ich mich angemeldet und habe mich einfach auf das Abenteuer Russland eingelassen. In Russland habe ich eine Menge netter Jugendlicher kennen gelernt, ihren Glauben erfahren, von Russland erfahren und gesehen, wie sie leben und was sie denken. Und wir haben miteinander ein paar unheimlich tiefe Glaubenserfahrungen gemacht und Freundschaften geschlossen. Mit der Gruppe waren wir auch in einer recht großen Russisch-orthodoxen Kirche am Fluss Angara, wo ich eine Taufe beobachtet hat, deren Bilder sich mir irgendwie ins Gehirn gebrannt haben. Das war der erste Kontakt zu einer Russisch-orthodoxen Kirche, bei dem ich mir noch nicht viel gedacht habe. Dies wiederum war die Initialzündung für die Vorbereitung für die Tage der Begegnung des Weltjugendtreffens, das ein Jahr später in Köln stattgefunden hat. Ich habe mich aufgrund der Freundschaften sehr dafür eingesetzt, dass wir russische Gäste zu Gast bekommen, was auch der Fall war. So wohnten bei uns im Hause Vater Vladimir und Vater Mark und während dem Treffen habe ich viele Bekannte wieder getroffen und wir haben viel gemeinsam gemacht und die Erinnerungen aufleben lassen. Eine andere Bekannte habe ich ein Jahr später in der Nähe von Nürnberg wieder getroffen. Im Jahr 2005 fing auch mein Studium in Münster an - gleich mit einer Vorlesung zum Thema Taufe, in der der Professor einen Kurzfilm mit einer orthodoxen Taufe gezeigt hat, aber meinem Bombardement von Fragen nicht standgehalten hat und mich an den zuständigen Professor der katholisch-theologischen Fakultät verwiesen, den ich dann für meine Sache begeistern konnte. So habe ich im dritten Semester angefangen, die russische Sprache im Sprachenzentrum zu lernen und mich mit jeder Menge Vorlesungen und Seminare zum Thema Ostkirchen vorzubereiten. Mit jeder Vorlesung habe ich immer mehr Feuer gefangen und habe mich immer mehr für die Russisch-orthodoxe Kirche interessiert. Während der Lernstoff in anderen Vorlesungen oft nur quer durch den Kopf geschossen ist, konnte ich hier sehr viel behalten und habe eigentlich nirgendwo anders so aufmerksam gesessen. In den letzten zwei Jahren habe ich sehr viel auch neben und während dem Studium gearbeitet und versucht, mich auch finanziell vorzubereiten. Ich wusste bis kurz vor der Abreise ja nicht einmal, wo und wie günstig ich wohnen würde. In Moskau musste ich ja mit dem Schlimmsten rechnen. Und dann kam im Februar 2008 die Zusage für ein Stipendium vom Deutschen Akademischen Austauschdienst. Zwischendurch habe ich schon Kontakte über "meinen" Professor knüpfen können. Zwischendurch war ich auch hin und wieder mal in einer Göttlichen Liturgie, dem Abendflehen, der Vetschernaja oder der Panichida und habe so schon einen kleinen Einblick in die Liturgie bekommen, von der ich sehr begeistert war. Und so ging am 26. August der Flieger nach Moskau - mit mir an Bord. 

 

 

Dienstag, 09. Dezember 2008

Zur Panichida und zur Göttlichen Liturgie für den verstorbenen Patriarchen hat es heute wieder den ganzen Tag nur geregnet - es ist, als trauere auch der Himmel. Viele meiner Kommilitonen sind dort gewesen, da ich aber eine Erkältung im Anflug habe und ich diese nicht zu einer Grippe ausbauen wollte, bin ich zu Hause geblieben, denn ich hätte sicher draußen vor der Kirche stehen müssen. Elena simste mir soeben, dass es tatsächlich wohl so gewesen sei und dass die Nacht viel schöner gewesen sei, dass ich quasi nichts verpasst hätte. So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht. Ich bin dann zu Mittag in die Stalowaja gefahren und habe dann erfahren, dass alle Veranstaltungen wegen der Trauerfeierlichkeiten bis 17 Uhr ausfallen. So habe ich in Ruhe gegessen, zwei Briefe geschrieben und mich dann mit Olga getroffen und habe zunächst mit ihr und ihren Freunden Russisch gesprochen und dann mit ihr deutsch - unser Sprachtandem hat also wieder stattgefunden. Während ich die Briefe geschrieben habe, kamen zwei Mitstudenten in die Stalowaja und waren noch ganz traurig von der Trauerfeier. Sie haben mir zum Schluss ein kleines Bild des verstorbenen Alexej II. geschenkt.

Patriarch Alexej II. muss ein unheimlich weiser Mann gewesen sein, der in der Russisch-orthodoxen Kirche anfangs noch nicht beliebt, dann aber von den Gläubigen sehr verehrt wurde. Er wurde am 23. Februar 1929 in estischen Hauptstadt Tallin geboren und hieß mit weltlichem Namen Alexej Michailowitsch Ridiger (Rüderiger), er war also deutschstämmig. Sein Vater floh nach der Oktoberrevolution von St. Petersburg nach Estland und empfing 1942 die Priesterweihe, Alexej acht Jahre später und 1961 zum Mönch und zum Bischof von Tallin und Estland geweiht. Nach dem Tode Patriarch Pimen I. wurde er 1990 Patriarch von Moskau und der ganz Russland. Zu seinem Lebenswerk zählt mit Sicherheit das Wiedererstarken der Russisch-orthodoxen Kirche in Russland und ihren Aufbau nach dem Sowjetzeit. Das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche ist recht gespalten, einerseits kam es während seiner Zeit zur einer großen Annäherung, aber auch zu vielen Streitigkeiten. Letztendlich ist ein Patriarch nach 18 Jahren Amtszeit von der Welt gegangen, der unter seinem Kirchenvolk ebenso beliebt war wie der vor nunmehr drei Jahren verstorbene Papst Johannes Paul II.

 

 

Mittwoch, 10. Dezember 2008

Heute hatte ich wieder meine Erlebnisse mit der russischen Eisenbahngesellschaft. Ich bin am Morgen zunächst in Elenas Gemeinde zur Göttlichen Liturgie gefahren und wollte eigentlich einen Zug nehmen, der mich fast bis vor die Kirche zur Station Savjolovskaja bringt. In die Station Pererwa fuhr auch ein Zug ein, nur habe ich nicht mitbekommen, ob der Zug auch wirklich zu meinem Ziel fährt, bin aber erst einmal mitgefahren, weil es ja der Richtige hätte sein können. Im Zug habe ich neben einem russischen Eisenbahner gesessen und ihn auf mein Problem angesprochen. Seine Antwort war, dass keine Züge von Pererwa nach Savjolovskaja durchfahren, das wollte er mir auch dann noch nicht glauben, als ich ihm den Fahrplan unter die Nase gehalten habe. Nach etlichen Minuten schaltete sich ein anderer Mann ein und sagte, dass dies möglich ist - ich habe es ja selbst oft genug schon ausprobiert - und dann wurde mir gesagt, dass der Zug, in dem ich sitze, nur bis zum Kursker Bahnhof fährt. Ich war also einen Zug zu früh eingestiegen. So habe ich dann nur kurz auf den richtigen Zug warten müssen. Die andere Begebenheit spielte sich im Jaroslawler Bahnhof ab, wo ich versucht habe, einen Fahrplan nach Sergijew Possad zu bekommen. Es scheint jedoch keine gedruckten Fahrpläne mehr zu geben, die ich kaufen könnte. Zur Sicherheit habe ich noch einen Bahnangestellten gefragt, der auch keine Ahnung hatte und mich nur auf den großen Fahrplan in der Bahnhofshalle verwiesen hat, den ich dann zu Teilen fotografiert habe. Erst bin ich nach etwas mehr als drei Monaten Moskauaufenthalt schlauer als der Angestellte im Zug und dann ist es in einem großen Bahnhof noch nicht einmal möglich, Fahrpläne zu erhalten. Morgen will ich noch einmal versuchen, in die Hauptzentrale zu gehen und dort eine Art Kursbuch zu kaufen.

Heute war der Festtag der Ikone der Gottesmutter "Snamenije", zu deren Ehre ein Teil der Gemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" gewidmet ist. So wurde heute auch nicht an dem Hauptaltar die Liturgie gefeiert, sondern an dem linken Nebenaltar. Es waren sogar noch recht viele Leute da, mehr als dreißig, drei Priester und natürlich Diakon Vater Igor. Letzterer hat eine kräftige und tiefe Stimme, mit der er recht feierlich singen kann. Während des Glaubensbekenntnisses und des Vater Unsers singen Chor, Diakon und Gemeinde zusammen - Vater Igor so laut, so unrhythmisch und unmelodisch, dass er den ganzen Chor durcheinander gebracht hat und beim Vater Unser einen verwunderten Blick in Richtung des Chores warf. Bei einem weiteren Gesang mit dem Chor wurde er von Vater Pawel ausgebremst und alles mit einem Kopfschütteln gewürdigt, den fast hätte er wieder den Chor zum Schweigen gebracht. Dies macht die Gemeinde so sympathisch für mich, dass hier nicht alles so perfekt ist und das es manchmal auch etwas zum Schmunzeln gibt. Während der Predigt von Vater Boris, dem Gemeinde- und Oberpriester, fing im Altarraum auf einmal jemand an mit der Bohrmaschine zu arbeiten. Die Matuschka öffnete die linke Türe zum Altarraum, schimpfte fürchterlich und ging dann kopfschüttelnd aber lächelnd zum Kirchenausgang. Mir kommt das dort alles wie eine kleine Familie vor, mit allen Fehlern und Schönheiten.

In der Stalowaja hat mir ein Kommilitone meinen Taschencomputer optimiert, so dass ich da jetzt noch besser mit arbeiten kann. Nun habe ich eine Bibel in dem Gerät, ich kann damit ins Internet, ich habe ein neueres Wörterbuch und noch ein paar andere Verbesserungen, die alles übersichtlicher machen.

 

Der Kasansker Bahnhof (links), das Hotel "Leningrad" und mittig das "Bolschewiki", wo der feine Herr teure Anzüge kaufen kann.

 

 

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Am heutigen Morgen hatte ich endlich etwas Zeit, einmal wieder etwas in meinen russischen Büchern zu lesen. Und als ich dann in der Elektritschka saß und darüber nachgedacht habe, habe ich gemerkt, dass ich ja doch mehr verstanden habe, als ich bis dahin angenommen habe. Da bin ich ganz froh drüber. Nach dem Essen in der Stalowaja und der Vorlesung "Vergleichende Theologie" bei Vater Valentin habe ich mich dann auf die Suche nach einem Elektritschka-Kursbuch gemacht, das es aber offenbar nicht gibt oder ausverkauft. Ich habe zunächst nur - ohne mir etwas dabei zu denken - einen Fahrplan der Elektritschkas vom Pavelejezker Bahnhof gekauft - und mich kurz darauf etwas geärgert, weil ich 55 Rubel für einen Haufen recht schlechter Kopien zu teuer finde. In der Metro habe ich dort aber eine Verbindung zum Flughafen Domodedovo gefunden, bei der ich nicht den Expresspreis bezahlen muss. Und so hat sich die Anschaffung schon wieder rentiert. Dennoch finde ich es eigenartig, dass hier einen Haufen Elektritschkas fahren, ohne dass ein Takt erkennbar wäre - und das es dafür keinen Gesamtfahrplan gibt.

Am Abend habe ich Nudeln mit einer Tomatensoße gekocht, die ich dann mit Stephan verspeist habe. Es ist zum Glück noch Soße übergeblieben, so dass ich auch noch was für morgen haben werde. Der Abend wird jetzt recht kurz, weil ich morgen schon früh aufstehen muss - um 5:26 wird mich das Handy wecken werden. Ich hoffe, dass ich nachher um 23 Uhr spätestens im Bett liege, damit ich morgen nicht ganz so arg müde bin. 

 

 

Freitag, 12. Dezember 2008

Und dann klingelte der Wecker heute Morgen wirklich schon um 5:26 Uhr, denn um 5:56 Uhr ging dann die Elektritschka. Die Zeit reichte zum Glück noch für eine Tasse Pfefferminztee, damit meine Halsschmerzen auch den Chorgesang überstehen. Den Rest habe ich allerdings in der Elektritschka und in der Metro gefrühstückt. Ich hatte mir gestern Abend noch Brotscheiben und Käsescheiben geschnitten und mit einer Mandarine und einem Becher Joghurt in meiner Brotkiste verstaut. So habe ich es tatsächlich stressfrei zur Elektritschka geschafft. Wobei Vitali heute morgen große Augen gemacht hat im Anblick der großen Kiste. Ich glaube, dass ich noch nie eine solch große Brotdose hatte.

Die Göttliche Liturgie war übrigens nur für den ersten Kurs und fand nicht in der Kirche, sondern in einem Haus neben der Kirche statt, wo eine Art Kapelle zu finden ist, allerdings mit einem recht großen Baptisterium in Kreuzform - mit Treppenstufen und in Kreuzform. Das war nun wieder sehr interessant zu sehen. Nun wünsche ich mir insgeheim zu sehen, wie es zum Einsatz kommt. Die Göttliche Liturgie war dann in einer ganz besonderen Atmosphäre: Diakon Vater Alexej und zwei Priester - darunter Vater Nicolai - haben gedient. Die Kirche war dann nur von Kerzen erleuchtet - gerade so vielen, wie zum Lesen der Texte benötigt wurden. So war es ein wirklich wunderschöner Morgenanfang und Tageseinstieg. Und anschließend gab es in der Stalowaja ein Frühstück, das aber nicht auf meine übliche Verzehrmenge zugeschnitten war. So war ich froh, dass ich noch vor der Liturgie etwas gegessen habe.

Um 9 Uhr war dann die Vorlesung zum Alten Testament, in der mich dann die Müdigkeit übermannt hat, ich habe mich aber im Gegensatz zu anderen Studenten recht gut geschlagen. Die Vorlesung zum Neuen Testament im Anschluss ist überraschend ausgefallen, so dass ich mir in der Tat ein paar Sorgen um Vater Alexej mache, der sonst immer eine Vertretung schickt. Die freie Zeit habe ich genutzt, um Materialen für eine Hausarbeit zusammenzukaufen, die ich mir für das nächste Jahr bis zum Sommer vorgenommen habe und die ich mir gerne in Münster an der Universität anrechnen lassen möchte. Und ich bin sogar fündig geworden und habe einen interessanten biblischen Kommentar von Kirchenvätern und anderen Autoren vom 1.-8. Jahrhundert zum Markusevangelium gefunden. Da will ich bei nächster Gelegenheit mal drin lesen.

Anschließend habe ich meinen freiwilligen Küchendienst schon eine Dreiviertelstunde eher angefangen - dieses Mal mit Möhren schälen. Meine Münsteraner Kommilitonen können sich gut vorstellen, wie das ausgesehen hat: Eigentlich habe ich jede Möhre einer ausführlichen Qualitätskontrolle unterzogen, so dass ich dann nach zwanzig Minuten, als wir zum Essen gerufen wurden, nicht mehr ganz so viel Hunger hatte. Und dann bin ich der üblichen Arbeit nachgegangen: Tassen waschen, Teller von Essensresten befreien und ich habe noch etwas im Saal die Tabletts abgewaschen und Tische abgeputzt. Als kleinen Lohn gab es dann heute für mich ein paar Gebäckstücke.

In der Chorstunde gab es dann eine Hiobsbotschaft: Morgen muss ich wieder zur gleichen Zeit aufstehen und wieder im Chor singen. Ich habe daraufhin fürchterlich vor mich hingeflucht und -geschimpft, so dass Anton ganz entsetzt geschaut hat. Ich hatte versehentlich Russisch gewählt. Aber ich weiß auch, dass ich morgen trotz des frühen Aufstehens wieder mit ganzem Herzen dabei sein werde und letztendlich dankbar bin, dass ich dabei bin. In der Chorstunde hatte unser Chor aber starke Probleme und er wollte längst nicht so, wie Vater Alexej4 es gerne gehabt hätte. Er hat ebenso wie ich entsetzlich geschimpft und geflucht. Ich denke, dass wir einfach alle zu müde waren. Zudem habe viele eine Erkältung, ich mit Halsschmerzen eingeschlossen, so dass wir manchmal nicht den richtigen Ton getroffen haben und alles viel länger als gewöhnlich gedauert hat.

Anschließend habe ich mich noch mit der Lehrerin Katja und Elena zum Deutsch sprechen in Arkadija getroffen. Heute haben wir aber nur etwas über eine Stunde miteinander gesprochen, weil ich einfach viel zu müde war und nicht mehr richtig wollte und konnte. Und dann saß mir ja auch schon der nächste Tag im Nacken, der morgen auch um 5:26 Uhr beginnen wird.

Anschließend habe ich zu Hause nur noch geduscht, mit Stephan Nudeln mit Tomatensoße und seinen Kapusta-Salat gegessen und mich dann ziemlich bald ins Bett verkrümelt. Nun hoffe, ich dass mein völlig überstrapazierter Hals morgen etwas besser ist. Heute Abend kann ich zumindest gut merken, dass ich ihn habe.

Kurz bevor ich mich ins Bett verkriechen wollte, wurde mir von zwei Studenten gesagt, dass am Samstag oder Montag eine Revision des Wohnheims auf dem Plan steht und ich doch mein Zimmer aufräumen möge, alles Lebensmittel verschwinden lassen solle. Ich war eigentlich darauf gefasst, sofort im Bett zu liegen, ich habe dann aber noch eine halbe Stunde benötigt, alles in Tüten zu verpacken und zu verstauen. Und vor allem der Elektrokamin musste weg, bevor ich ihn verboten bekomme. Nun habe ich das meiste in meinem Koffer verstaut und noch einiges in Kartons auf dem Schrank und darin verstaut. So ist es doch wieder später geworden, als ich dachte.

 

 

Samstag, 13. Dezember 2008 - Fest des Heiligen Apostels Andrej (Andreas)

 

Wie der erste Apostel und Bruder des Herrn,

bitte Andreas, den Herrn aller Welt,

Frieden dem Weltall zu schenken

und unseren Seelen große Gnade.

(Troparion)

 

14 Uhr: Und wieder klingelte der Wecker heute Morgen schon um 5:26 Uhr, und heute morgen bin ich nur schwer aus dem Bett gekommen. Und war ziemlich grantig, weil es wieder so früh war und war drum und dran, mich wieder hinzulegen und zu schlafen - vor allem auch wegen der Halsschmerzen, die ich immer noch habe. Ich habe sie wegen der vielen Chorsingerei auch bislang nicht auskurieren können. Die Zeit hat aber wieder für einen Pfefferminztee gereicht, der meinem Hals sehr gut getan hat. Und so habe ich wieder in der Elektritschka und der Metro gefrühstückt und war pünktlich zur Probe im Musikraum der Fakultät. Und um kurz vor acht waren wir dann in der Fakultätskirche und haben zunächst eine kleine Panichida für den verstorbenen Patriarchen gesungen und dann die Göttliche Liturgie. Wir haben einige Troparien für den Heiligen Apostel Andreas gefeiert und so ging mir langsam das Licht auf, das ja heute mein Namenstag in der Russisch-orthodoxen Kirche ist. Zwischendurch hat Vater Alexej mit uns geschimpft, weil wir nach s einer Meinung schlecht gesungen haben. Zum Schluss haben wir noch das Glückwunsch-Lied "Auf viele Jahre" gesungen - für zwei Priester mit dem Namen Andrej, die uns dann gesondert gesegnet haben. Nach der Liturgie sind wir dann gemeinsam in der Stalowaja essen gegangen, wo zu meiner Überraschung die Tische festlich gedeckt waren, leckere Salate auf dem Tisch standen und, da ich mal wieder etwas spät war, wurde, als ich die Türe öffnete, gerade das Tischgebet gesungen: Ein "Vater Unser" und drei "Herr, erbarme Dich." Zunächst wurde vom Dekan der theologischen Fakultät in die Runde gefragt, wer denn alles Andrej heiße und dann fragte er nach meinem Namen. Und dann wurde auch für uns drei "Auf viele Jahre" gesungen. Während dem Essen wurde ein Kurzporträt über den verstorbenen Patriarchen gezeigt und zum Schluss haben wir gemeinsam wieder die Litija der Panichida gesungen. Und wieder war ich hin und weg von dem schönen Gesang, da unser Chorleiter, Vater Alexej, sie wunderschön gesungen hat und wir mit kräftiger Stimme geantwortet haben. Und dann haben mir einige Leute gratuliert und ich habe sogar ein kleines Geschenk bekommen. Und auch der Dekan der Fakultät, Vater Nicolai, hat mir gratuliert - und mir die Frage gestellt, wann ich heiraten würde. Und nun mache ich mir gerade Sorgen, dass ich hier in einem völlig falschen Licht stehe, dabei meine ich mich doch nicht anders zu verhalten als in Münster oder als unter meinen Freunden. Ich habe vor lauter Überraschung gar nicht mehr auf seinen Gesichtsausdruck achten können. Zwischendurch hat Olga mich gefragt, ob ich meinen Namenstag noch feiern möchte, während ich für etwa eine Stunde in der Küche beim Abwasch und Abräumen der Tische geholfen habe. Während ich hier an altbewährter Stelle im Internet sitze, ist Lena gerade vorbeigekommen, hat mir eine Tafel Schokolade auf den Tisch gelegt und hat nur gesagt, dass ich ein größeres Geschenk noch heute Abend bekommen würde. Vielleicht täusche ich mich, aber ich hatte den Eindruck, dass alle zwischenzeitlich verschwunden waren. Ich habe ein leises Gefühl, dass mich heute Abend noch irgendetwas erwartet. 

23 Uhr: Es hat mich nichts mehr erwartet und es ist alles ruhig verlaufen - ich bin froh darüber, denn ich bin einfach nur noch übermüdet und ich habe fürchterliche Halsschmerzen, bin aber nicht heiser. Ich denke, dass ich zuviel gesungen habe und mich nun etwas schonen sollte. Ich bin, wie ich geplant hatte, noch in der Vesper in Elenas Gemeinde gewesen und wir haben anschließend beide noch gemeinsam gegessen und eine Tasse Tee getrunken. In Elenas Gemeinde habe ich von Anna Nikiforovna ein kleines Geschenk bekommen - ein Neues Testament, das sie liebevoll in Papier eingeschlagen hat und mit einem roten Stift "Evangelium" und ein orthodoxes Kreuz draufgemalt hat, dann ein Heft mit der Akafist der Patronen und eine Mini-Ikone mit dem Heiligen Andreas.

So ist aus dem heutigen Tag, der mit dem frühen Aufstehen so schrecklich anfing, ein schöner Tag geworden. Zumal ich auch viele E-Mails bekomme von Leuten, die meine Weihnachtspost erhalten haben und sich darüber freuen. Das ist doch eigentlich die größte Freude am Schenken - die Freude der anderen!

 

Lasst uns den erstberufenen Apostel Christi

den Prediger des Heiligen Evangeliums,

den gotterfüllten Aufklärer des russischen Landes,

den ruhmvollen Andreas,

mit Liedern lobsingen,

der auf dem Hügel des Glaubens stand

wo er das Kreuz durch seine Hand aufstellte

und uns wie seine Kirche vor Ergriffenheit

ihres Weges zu Christus dem höchsten Fortsetzer zurufen:

Freue Dich, Andreas, erster Apostel Christi.

 

 

Sonntag, 14. Dezember 2008

Als ich in der katholischen Kirche von der Kommunion in die Bank zurückkehren wollte, sah ich zufällig Elena an einem Pfeiler in der Kirche stehen, alleine und total in sich zusammengesunken, einfach nur ein Haufen Elend. Auf dem Weg zu einem Café wäre sie fast zusammengebrochen. Ihre Oma ist in der Nacht verstorben und sie hat keine Minute geschlafen und schien mit ihren Kräften völlig am Ende. Nach Kaffee, Croissants und Kuchen, O-Saft und einem Salat sah sie wieder gesunder aus. Dennoch habe ich ihr ein kleines Kraftpaket aus Bananen und Traubenzucker zusammengestellt. Dann sind wir zu ihrer Kirchengemeinde gefahren und als ich Anna Nikiforovna gefunden hatte, fing diese auch gleich an zu handeln. Dann habe ich noch solange gewartet, bis wir den Friedhof gefunden haben, auf dem die Oma beerdigt werden soll. Dieser liegt allerdings sehr weit außerhalb von Moskau und ist nur mit dem Bus zu erreichen. Den hat sie im Internet bei einer bekannten Familie gefunden, wo wir uns noch ein wenig mit Tee, Khaki und Keksen stärken konnten. Anschließend hatte ich dann das Gefühl, sie alleine lassen zu können. Nun wollte sie noch einige kleinere Sachen erledigen und dann für die Englischklausur lernen, die ihr morgen bevorsteht. Nun wird Elena wohl die ganze Beerdigung alleine organisieren werden.

Ich selbst bin anschließend zu meinem Internetplatz gefahren, wo ich dann lange mit meinen Eltern telefoniert habe und so das Neuste aus der Heimat und Familie erfahren konnte. Auch hier gibt es so einiges, was mir große Sorgen bereitet.

Ich selbst habe immer noch starke Halsschmerzen und ich hoffe, dass ich sie ohne einen Arztbesuch bekämpft bekomme. Zumindest beunruhigen mich diese Schmerzen langsam etwas, da sie im Gegensatz zu gestern anstelle besser eher schlechter geworden sind. Eigenartigerweise fühle ich mich körperlich aber nicht angeschlagen, was sonst ein Zeichen für eine Erkältung sein könnte. Nun neigt sich heute Abend ein Tag zu Ende, der noch viel Veränderung in der Zukunft mit sich bringen wird. Ich hoffe, dass die Veränderungen nicht zu negativen Auswirkungen führen werden und meine Sorgen unbegründet sind.  

 

 

Montag, 15. Dezember 2008

Den Wecker habe ich mir gestern erst gar nicht gestellt, ich war mich sicher dass ich pünktlich vor Abfahrt des Zuges zur Universität wach werden würde - und so war es auch. Als mein erster Blick auf die Uhr im Handy ging, stand dort 9:17 Uhr. Das habe ich zum Anlass genommen, aufzustehen. Nach dem Mittagessen in der Uni habe ich dann festegestellt, dass die Vorlesung wieder einmal ausfällt. Ich habe mich dann mit Olga getroffen und wir haben zusammen deutsch und russisch gesprochen - und bin dabei von ihr auch über die Heiratsgerüchte angesprochen worden. Mittlerweile weiß ich nicht mehr, ob ich das noch lustig finden sollte. Anschließend kam ein Joghurt-Transport, wo ich noch ein wenig beim Tragen geholfen habe. Dementsprechend bin ich jetzt für diese Woche mit kleinen Leckereien versorgt.

Meine Halsschmerzen sind heute wesentlich besser geworden und ich habe Hoffnung, dass sie nicht in eine Erkältung umschlagen. Die verschiedenen Mittel zeigen jetzt scheinbar doch ihre Wirkung. Das beruhigt mich sehr und ich hoffe, dass es morgen noch besser ist.

 

 

Dienstag, 16. Dezember 2008

Heute ist es nun quasi amtlich geworden - bis einschließlich der Ferien finden keine Vorlesungen mehr statt, da jetzt Prüfungsphase ist - einige Studenten haben elf Prüfungen - sowohl kleine als auch große. Ich habe mir ja vor ein paar Tagen eine Hausarbeit vorgenommen, die ich jetzt in Angriff nehmen möchte - etwas eher als gedacht. Nun werde ich auch mehr Zeit finden zum Vokabeln bzw. russisch lernen und vielleicht den ein oder anderen Ausflug machen. Damit ist heute völlig überraschend eine ganz andere Situation eingetreten, mit der ich überhaupt nicht gerechnet habe. Ich denke aber nicht, dass jetzt Langeweile eintritt. Ich habe so viele interessante Bücher hier gefunden, in denen ich gerne lesen möchte und auch sonst noch einiges vor.

Heute habe ich eine Karte bekommen, die ich eigentlich schon zu meinem Namenstag erhalten haben sollte, diejenige aber vergessen hat, sie mir zu geben. In der Karte ist unheimlich viel auf einen Punkt gebracht und ich möchte ein wenig über diese Karte nachdenken.

 

Die Vorderseite: "Unserem Bruder. Du bist der beste Superstar. Wörtlich: Ich gratuliere Dir." (Gemeint ist: "Wir gratulieren Dir. ")

 

"Du bist der Allerbeste! Ich liebe und verstehe Dich! Welch starkes Glück hatte ich, Bruder, mit Dir! In allem Gelingen, wünsche ich Dir Glück! Sei erfolgreich und sei Du selbst."

 

Diese Karte trifft den Nagel an für sich auf den voll Kopf, da sie gut das Verhältnis zu meiner Kommilitonen zu mir zeigt. Viele Dinge finden sich auf der Karte wieder, die ich in diesen ersten Monaten hier erleben durfte: Da ist zum einen der "Superstar". Es ist zwar ganz schön, wenn man bekannt ist, viele Hände schüttelt, mich fast jeder grüßt und jeder gerne mit mir sprechen möchte. Es ist aber auch umso schwerer, Zeit für mich zu finden, so dass ich mich mal zurückziehen kann. Meistens klopft dann doch wieder irgendwer an meiner Türe und ich mag dann auch nicht gerne nein sagen. Und bei der orthodoxen Damenwelt scheine ich auch ziemlich beliebt zu sein, da ich mehr Kontakte zu Studentinnen oder Lehrerinnen pflege als eigentlich alle anderen Jungs hier. Dementsprechend gehen jetzt schon seit ein paar Wochen Heiratsgerüchte um, die ich zunächst zwar auf die leichte Schulter genommen habe, seitdem mich aber Vater Nicolai darauf angesprochen hat, bin ich mir noch nicht sicher, ob diese Gerüchte nicht zu weit ins Dekanat vorgedrungen sind. Olga hat mir aber zu meiner Beruhigung gesagt, dass dort darüber gelacht wird. Würde es hier eine studentische Klatschzeitung geben, dann würde ich sicherlich ziemlich oft auf der Titelseite stehen. Zum Glück erhalte ich noch keine Liebesbriefe, Teddybären usw. Auf der Karte findet sich aber auch mein berühmt gewordener Spruch, der nach wie vor an meiner Türe hängt und grammatikalisch unkorrekt bleibt: Mnoga Stress (Viel Stress). Dieser resultiert ja aus den Sprachschwierigkeiten, wo sich einige Studenten unterer Kurse im Wohnheim drüber lustig gemacht hatten. Auf der Karte findet sich auch die erste vernünftige Schneeballschlacht wieder, die ich mit einem Haufen Mitbewohnerinnen gemacht habe: "Wir lieben Dich... aber dennoch werden wir Dich mit Schnee überschütten." Und für eine Fortsetzung dieser bin ich natürlich immer zu haben. Es fehlt eigentlich nur noch der Schnee. Und dann haben wir noch die Glückwünsche "Endloser blauer Himmel und eine Hose voller Glück!!! Gute Karte, nicht wahr? Sei ein Kämpfer!" und "Von ganzer Seele Glückwünsche zu Deinem Namenstag! Gottes Hilfe in allem." Und auch dies kann man in Russland und in Moskau in jedem Fall gut gebrauchen! Diese Karte kommt im Wesentlichen vom Chor - wie unschwer zu erkennen ist. Wenn ich mir in Zukunft diese Karte anschaue, dann werden gerade mit ihr viele schöne Erinnerungen verbunden sein. Passend dazu habe ich soeben einen Spruch in meinem Adventskalender gefunden, den ich ja geschenkt bekommen habe:

 

Das Geschenk der Lebensfreude

Genießen können -

mich an kleinen Dingen freuen:

dem Duft des Tannenzweigs,

der Wärme einer Kerze,

- dem Menschen neben mir...

Weihnachten ist die unfassbare Zusage:

Du bist nicht allein!

 

Den Nachmittag habe ich mir eigentlich anders vorgestellt, als er dann wirklich gekommen ist. Zunächst habe ich noch ein wenig mit Olga und Nina deutsch und russisch gesprochen, dann alleine mit Olga auf dem Flur. Als wir fertig waren und ich eigentlich gehen wollte, sprach mich eine Studentin an, mit der ich mich schon mal unterhalten habe und ich habe die Gelegenheit genutzt, mich nur auf russisch unterhalten zu können. Irgendwann machte Juri Valerjewitsch auf sich aufmerksam, mit dem ich mich dann ebenfalls noch ausführlich unterhalten habe und wo wir beide festgestellt haben, dass meine Russisch-Sprachkenntnisse doch besser geworden sind. Das soll aber wie gesagt noch lange nicht heißen, dass ich damit ansatzweise zufrieden wäre. Zumindest habe ich das erste Mal in einem Gespräch mit ihm nichts mehr nachfragen müssen. Während wir uns zusammen unterhalten haben, schaltete sich eine Studentin ein, die gerne mit mir etwas auf Englisch machen wollte - Valentina. Eigentlich konnte sie überhaupt kein Englisch - nicht einmal die Grundzahlen konnte sie. Ich hatte irgendwann den Eindruck, dass sie sich für mich interessiert und dies ein Versuch war, mit mir anzubandeln. Letztendlich habe ich das alles ausgehalten und hoffe, dass sie sich nicht so schnell wieder bei mir meldet. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit ein ungutes Gefühl bei der Sache.

So dachte ich, dass ich heute pünktlich zu Hause bin und noch was lesen und lernen kann, aber das hat mal wieder nicht geklappt. Den Abend habe ich dann mal wieder mit dem Beantworten von E-Mails verbracht und ziemlich viel Zeit dafür verbraucht. Nun habe ich die Hoffnung, dass es wenigstens morgen Nachmittag etwas wird.

 

 

Mittwoch, 17. Dezember 2008

Dieser Tag begann nun wieder einmal recht früh, weil ich wieder in der Göttlichen Liturgie in "meiner" Gemeinde singen wollte und anschließend noch für Lena auf eine Beerdigung eines anderen Menschen und ihrer Oma gehen. Dementsprechend früh fuhr der Zug, da die Liturgie eigentlich um acht Uhr anfängt. Vater Pawel hat sich aber wieder verspätet, so dass Vater Boris alles alleine machen musste und es dementsprechend länger gedauert hat. Gesungen habe ich zusammen mit der Matuschka, Anna Nikiforovna und einer weiteren Babuschka zuerst einen morgendlichen Gottesdienst und dann die Göttliche Liturgie. Auch während der Liturgie war Vater Pawel nicht erschienen und die Matuschka wurde immer ärgerlicher. Zum Schluss blieb noch eine gute halbe Stunde bis zur Beerdigung, die Anna Nikiforovna und ich zum frühstücken genutzt haben. Um kurz nach elf waren wir wieder in der Kirche und Vater Pawel, der die Beerdigung hatte, war immer noch nicht da. Er kam - auf die Beerdigung bezogen - eine halbe Stunde zu spät.

Schon während der Göttlichen Liturgie stand der offene Sarg mit dem Verstorbenen in der Kirche. Bis zur Brust war der Leichnam zugedeckt, auf seiner Stirn lag ein mit Ikonen bedruckter Papierstreifen, auf seiner Brust schauten unter dem Tuch weitere Ikonen hervor und andere kleine Dinge hervor, die vielleicht wichtig in seinem Leben waren. Es leuchteten drei Kerzen an seinem Sarg, der mit vielen (echten) Blumen geschmückt war. Während und nach dem Gottesdienst konnten die Angehörigen und Freunde noch einmal von ihm Abschied nehmen, das taten die meisten, indem sie den Verstorbenen auf den auf der Stirn liegenden Ikonenstreifen küssten oder sich vor ihm verbeugten. Vater Pawel hat etwas zu dem Verstorbenen und seinem Leben gesagt - ähnlich wie bei uns in Ostfriesland aus dem Leben des Toten gepredigt wird. Anschließend wurde der offene Sarg in einem Leichenwagen weggefahren; dieser war so groß, dass auch noch einige Angehörige Platz im Wagen finden konnten - mehr oder minder war dies ein Kleinbus. Einen Sargdeckel habe ich in der Kirche nicht gesehen. Nun ist für mich die Frage spannend, wie die tatsächliche Beerdigung aussieht. Bislang weiß ich nur, dass am Grab die Panichida gesungen bzw. gebetet wird.

Auf dieser Beerdigung bin ich gewesen, weil Elena mich darum gebeten hatte. Während des Gottesdienstes wurde nämlich auch für ihre Großmutter gebetet, da sie wahrscheinlich auf dem Friedhof, wo sie am gleichen Tag beerdigt wurde, eine kirchliche Beerdigung nicht möglich ist. Auf dem Weg zur Uni habe ich noch schnell Brote gekauft und wollte dann eigentlich essen gehen. Kurz vor dem Tor der Universität sah ich dann eine Menschenmenge stehen und nach ein paar Schritten stellte ich fest, dass dort jede Menge Priester und Diakone standen - wie auf der gerade erlebten Beerdigung ebenfalls in den Farben der Freude - weiß. Dort hat ebenfalls eine Beerdigung stattgefunden - ein junger Lehrer der Universität ist von einem Zug erfasst worden. Er hinterlässt seine Frau und zwei Kinder. Hier bin ich aber genau zum Schluss eingetroffen, so dass ich nur noch die Trauergemeinde gesehen habe. Anschließend bin ich mit Andrej essen gegangen und habe dann den Weg zurück zum Wohnheim angetreten.

Heute am Tag der Heiligen Barbara ist es recht kalt hier und es ist etwas Schnee gefallen - beim Wohnheim und bei der Gemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" nur ganz wenig, dafür wurde im Innenstadtbereich schon fleißig Schnee geschoben. Nun hoffe ich, dass noch mehr Schnee fällt, so dass es für eine vernünftige Schneeballschlacht ausreicht. Gestern habe ich eine Mail eines Münsteraners Professors bekommen, mit dem ich ein paar Einzelheiten einer Hausarbeit abgesprochen habe, die ich gerne hier schreiben möchte - zumindest den Versuch wagen möchte. Seine Mail endet "mit guten Weihnachtswünschen ins ferne Moskau (wo aber immerhin die Weihnacht weiß sein dürfte)". Bis gestern habe ich da noch arg dran gezweifelt, weil es bis vor ein paar Tagen noch viel zu warm für solche Gedanken war. Doch heute sieht es zum Glück etwas anders aus und die Hoffnung bleibt. Und für den Notfall gibt es ja noch eine zweite Möglichkeit - genau 13 Tage später.  Apropos Weihnachten: Bei einem Blick auf die Datumsanzeige meiner Uhr ist mir aufgefallen, dass ja heute in einer Woche Heilig Abend ist. Damit ist es nur noch etwas mehr als eine Woche hin, bis ich die ersten Freunde hier begrüßen darf - ich kann es kaum erwarten!

 

Auf dem Weg zur Universität steige ich oft an der Station "Paweljezkaja" aus der Metro. Diese möchte ich nun einmal näher vorstellen. Sie ist eigentlich eine der Stationen, die weniger schmuckvoll und prächtig sind, aber im Gegensatz zu den Stationen in den Außenbezirken noch prunkvoll ist.

 

Der unscheinbare Eingang.

 

Die Metro ist Lenin gewidmet, daher diese Gedenktafel. Gebaut wurde diese Station von 1945-1949.

 

Die Eingangshalle, die mit einer Kuppel, Mosaiken und Kupferleuchtern ausgestattet ist.

 

Das Mosaik.

 

 Rolltreppe zur "Grünen" Linie.

 

Rolltreppe hinab zur anderen Linie, der Ringlinie.

 

In der Station der Ringlinie.

 

Die Mittelhalle und die Treppe zur grünen Linie.

 

Mosaik.

 

Weißer und roter Marmor und ein Muster verzieren diese Station.

 

Marmorsäulen. Das ist eine der beiden Stationen.

 

Nun zur zweiten Station der Station, hier fährt die Grüne Linie ab.

 

Diese Station ist mehr mit Feinheiten geschmückt, die einer Betrachtung wert sind.

 

Des Bauern und Arbeiter liebstes Werkzeug - Kultsymbol zwischen den Bögen?

 

Beleuchtete und verzierte "Minikuppeln".

 

Stern, Blumen, Ähren: Deckenschmuck.

 

Bauernerzeugnisse.

 

Mit einem solchen Rand wird die Kuppel im Eingangsbereich der Rolltreppe verziert.

 

 

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Ich habe heute Morgen etwas länger geschlafen, damit ich meine Halsschmerzen und Erkältung loswerde, die sich noch immer hartnäckig hält. Anschließend war ich recht lange im Internet und habe dann erst um kurz vor drei zu Mittag gegessen. Anschließend habe ich Valentina wieder Englisch-Nachhilfe gegeben, allerdings etwas mürrisch, weil ich da nach wie vor keine Lust habe, nur ein viel zu großes und mitleidiges Herz habe. Anschließend bin ich in die Vetschernaja gegangen, die heute groß angelegt und gut besucht war, da ja morgen das Patronatsfest der Fakultätskirche ist. Anschließend habe ich mich noch kurz mit Lena getroffen. 

 

 

Freitag, 19. Dezember 2008 - Fest des Heiligen Nikolai

Mein erster Weg führte an diesem Morgen in die Göttliche Liturgie, weil heute das Patronatsfest in der Fakultätskirche anstand - es ist ein und derselbe Heilige Nikolaus, den Orthodoxe und Katholiken verehren. Nur dass er aus meiner (katholischen) Sicht ein wenig ungewöhnlich aussieht. So wird er in unserer Kirche zwar als Bischof dargestellt, aber z.B. nicht mit langem Bart und ohne Mitra - wobei eine Mitra in der orthodoxen Kirche noch einmal anders aussieht als in der Katholischen. So hat bekommt er ein ganz anderes Erscheinungsbild und ich wusste bis vor kurzem gar nicht, dass es der Nikolai - so der hiesige Name - ist, der bei uns die Geschenke bringt. Zum Glück kann ich ja mittlerweile immer besser die kirchenslawische Schrift lesen. Während der Liturgie bei der Beichte schäpperte und klirrte es plötzlich ganz laut. Ich weiß nicht viel, was passiert ist, aber angeblich soll ein Priester zusammengebrochen sein. Vom Geräuschpegel her muss er wenigstens einen Kerzenständer mitgerissen und auf eine Vase oder in eine Ikone gestürzt sein. Es klang zumindest schrecklich und die Kirche innehalten lassen. Später war dann der Sanitätsdienst da.

Noch während der Liturgie bin ich zu zwölf Uhr in die Stalowaja gegangen, um dort wie üblich freitags ein wenig zu arbeiten. Heute war es recht ruhig, da zunächst Plastikteller verwendet wurden und zudem nicht sehr viele Leute gegessen hatten. Wegen einer Trauerfeierlichkeit - eine Englischlehrerin ist verstorben - schloss die Stalowaja heute schon eine Stunde früher. Dennoch mussten die Tische gedeckt und vorbereitet werden und letztendlich habe ich dort noch bis halb fünf gearbeitet - und natürlich gegessen. Anschließend habe ich Bargeld abgehoben, da der Kurs momentan äußerst günstig steht. Liegt der Durchschnitt bei etwa 1:36, so lag der Kurs heute bei etwa 1:40, also wesentlich mehr. Vor ein paar Wochen noch am Beginn der Weltwirtschaftskrise bekam ich für einen Euro nur 34,56 Rubel. Jetzt weiß ich natürlich nicht, wie der Kurs morgen aussieht.

Anschließend habe ich noch kurz auf Mitglieder meiner Deutschgruppe gewartet, es ist aber keiner erschienen und so bin ich dann auch heimgefahren. Dort drückte mir die Administratorin auf dem Flur einen Abholschein für ein Paket oder Päckchen in die Hand. Nachdem ich Oleg gefragt habe, wo die Post ist und wir über die Wegbeschreibung eine unterschiedliche Meinung hatten, bin ich nach meiner Variante gelaufen und bin auch angekommen. Auf dem Postamt, das ganz im Stil der 70er-Jahre eingerichtet ist, wollte man mir die Sendung dann nicht ausliefern, weil mein Name nicht auf dem Abholschein steht, sondern nur der des Wohnheims und auch der soll nicht richtig sein. Ich weiß nur, dass es ein Paket sein soll, 89g wiegen soll und aus Deutschland kommen soll. Am Montag muss ich den Chef des Wohnheims um eine Abholgenehmigung und -Vollmacht bitten. Ich bin mal gespannt, was dann dabei herauskommt. Ich habe dann jedenfalls stinksauer den Rückweg angetreten - 15 Minuten Fußmarsch durch Wind und -5°C. Im Wohnheim habe ich dann durch Zufall festgestellt, dass ich vielleicht wieder Probleme mit meinem Geld haben werde, dass ich bei der Bank abgehoben habe. Ich habe einen 1000er-Schein dabei, der keinen Silberstreifen und zudem ein etwas anderes Bild hat. Ich hoffe nicht, dass ich da nun auch noch Schwierigkeiten mit bekomme.

 

Und so sieht der orthodoxe Hl. Nikolaus aus.

 

 

Samstag, 20. Dezember 2008

Meinen eigenartigen 1000-Rubel-Schein bin ich heute anstandslos losgeworden - in der katholischen Kirche beim Geschenkekauf für ein paar Freunde hier. So bin ich diese Sorge jetzt schon einmal los. Nur der Abholschein für die Post ist nach wie vor eigenartig. Der Wachmann sagte mir heute, dass für mich gestern keine Post gekommen sei. Das macht die ganze Sache noch einmal mysteriöser. Ich bin echt mal gespannt, was dahintersteckt. Am Montag wird sich das Rätsel wohl auflösen.

Der heutige Tag war an für sich nichts Besonderes - zuerst war ich im Internet und dann in der Stalowaja essen. Dort hat mir Garderobendame Feofina eine Khaki angeboten. Als ich sie in die Hand nahm, habe ich nur noch gehofft, dass sie nicht schlecht ist, so weich war sie. Sie war aber alles andere als schlecht, sondern zuckersüß und sie hat mir unheimlich gut geschmeckt! So mürrisch die Frau auch oft ist, mich scheint sie zu mögen...

Anschließend bin ich mit der Metro nach Hause gefahren. Dort habe ich ein kleines Mädchen mit dunkler Hautfarbe gesehen, das vielleicht acht oder neun Jahre alt war, in recht alte Sachen gepackt und davon war insbesondere der orange Mantel auffällig, es hielt ein kleines Kuscheltierchen liebevoll schützend im Arm und die Augen, die unter der Kapuze hervorschauten, sprachen eine traurige Sprache. Zwischendurch hat sie sich gebückt und zögerlich die Flasche mit dem Orangensaft, die schon auf dem Boden stand, als wir eingestiegen sind, genommen, genau angeschaut und dann aufgetrunken. In dem Metrowaggon stand sie alleine verschüchtert oder verängstigt in der Ecke. Irgendwie hatte ich schon während der Fahrt das Gefühl, dass sie eine kleine Hilfe mehr nötig gehabt hätte, als viele andere, die in der Metro betteln. Und nun habe ich ein schlechtes Gefühl, dass ich ihr nichts gegeben habe und sie geht mir nicht aus dem Kopf - so eindrucksvoll war die Begegnung.

Am Abend war ich wieder in der katholischen Kirche - zum vierten Advent. Nun ist also schon bald das katholische Weihnachtsfest. Es ist nunmehr nur noch eine halbe Woche. Bislang weiß ich von Lena, dass sie mitkommt in die Heilige Messe - und Juri Valerjewitsch. Zuvor habe ich noch einige Geschenke für meine engsten Freunde hier im Wohnheim und in der Fakultät gekauft, hatte dann aber keine Lust mehr, sie einzupacken.

 

 

Sonntag, 21. Dezember 2008

Als der Wecker um acht Uhr klingelte, habe ich nicht den Dreh bekommen aufzustehen und bin noch gute vierzig Minuten länger im warmen Bett liegen geblieben. Dementsprechend bin ich auch viel zu spät zur Göttlichen Liturgie angekommen - ich war erst zum Glaubensbekenntnis da. Um zwölf Uhr war ich in der Metro-Station mit Elena verabredet, die sich aber verspätet hatte. Dadurch ist es zu einer interessanten Begegnung bekommen: Auf mich kamen zwei Mädchen zu und eine fragte mich: "Wartest Du auf ein Mädchen?" Ich war in dem Moment so verdattert und sagte nur "Ja." und hatte damit auch schon einen Rosenstrauß in der Hand. "Sie wird sich sehr freuen", sagten die beiden und verschwanden ebenso schnell, wie ich wieder gekommen war. Da stand ich dann nun mit den Blumen in der Hand. Lena und ich haben dann beschlossen, sie bei den Märtyrern an der Gedenkstätte Butovo (Butawa) abzulegen, wo wir ja heute hinfahren wollten. Zu meiner Überraschung meinte sie, dass man dort auch vom Paveljetzker Bahnhof hinfahren könnte, nur eine andere Station wählen müsse. Meine Skepsis wurde nach der Ankunft dort voll bestätigt, von Birjuljevo aus kann man nämlich nicht Butovo erreichen. Dafür haben wir eine umso schönere orthodoxe Holzkirche gefunden, die von innen zwar alt, aber in ihrer Eigenart schön aussah und die mir sehr gefallen hat. Sie war eigentlich eingerahmt von Hochhäusern. Ringsum der Kirche war jedoch noch ein dichter Birkenwald, so dass dieser im Sommer wie eine kleine grüne Oase wirken muss. Auf dem Rückweg habe ich mir auf dem Markt beim Bahnhof noch warme Handschuhe gekauft, da ich sie heute das erste Mal wirklich benötigt habe - vor allem mit den Rosen in der Hand.

Auf der Rückfahrt nach Moskau haben wir beschlossen, dass ich sie der Matuschka schenke und uns natürlich vorgestellt, welche Reaktion das bei ihr hervorrufen könnte. Bei der Kirche angekommen, war sie jedoch am arbeiten, so dass wir sie nicht stören wollten. So habe ich die Blumen in die Kirche gelegt mit dem Hinweis an Anna Nikiforovna, dass sie für die Matuschka seien. Anschließend haben Elena und ich im Gemeindehaus gegessen - Matuschkas Kohlsuppe, die jedes Mal wieder anders, und doch lecker schmeckt. Wir haben noch Brot und Kartoffeln bekommen - die Kartoffeln habe ich nach der Akafist zu Bratkartoffeln verarbeitet. Ich hätte nur wissen müssen, dass Anna, die sie gekocht hat, vergessen hat genügend zu salzen. Dennoch schmeckten sie gut...

Am Abend habe ich dann allerdings noch selbst gekocht, da ich Hunger auf Nudeln und Tomatensoße hatte. Und trotz der Fastenzeit habe ich mir gegönnt, da Fleisch hereinzuschneiden. Dafür faste ich ja eifrig, was Fisch angeht, den es fast jeden Tag in der Mensa gibt. Für morgen ist noch ein großer Rest übrig geblieben. Nun wollte ich heute eigentlich vor zwölf im Bett verschwinden, aber eine Besprechung der Etage hat alles zunichte gemacht. Heute habe ich zudem gehört, dass wohl noch einige aus der Fakultät am Heiligen Abend in die katholische Kirche kommen wollen. Da bin ich mal sehr gespannt!

 

Holzkirche in Birjuljevo.

 

Weihnachtsgruß

Liebe Leser des Tagebuches, liebe Freunde, liebe Bekannte und alle, die hier mit Begeisterung lesen, die ich aber nicht kenne!

Ich wünsche allen von Herzen ein gesegnetes, friedliches und frohes Weihnachtsfest und einen fröhlichen Übergang in das neue Jahr 2009. Leider habe ich es nicht mehr ganz geschafft, allen einen persönlichen Gruß zu schreiben, weil das Kartenschreiben per Hand einfach viel zu viel Zeit in Anspruch genommen hat. Allen anderen möchte ich versuchen, in diesem Gruß gerecht zu werden. Seid Euch/Seien Sie sich sicher, dass es auch von Herzen kommt und dass ich bestimmt keinen vergessen habe. Es sind nunmehr nur noch vier Tage hin, und ich bin dann schon vier Monate hier in Russland. Es erreichen mich viele Grüße per Telefon von meinen Eltern und von meinem Bruder - hin und wieder auch in einer Mail. Gestern Abend waren es z. B. Grüße von vielen Oldersumern, der einer ehemaligen Klassenkameradin, meiner Friseurin oder des "Oldersumer Postbeamten" und vielen Mitgliedern der katholischen Kirchengemeinde. Dafür herzlichen Dank und natürlich hoffe ich, dass die Grüße auch zurückkommen. Viele fragen sich, wie ich denn bloß nach Russland gehen kann, um dort zu studieren. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Zum einen ist es die Vorbereitung und Qualifizierung auf einen zukünftigen Beruf, um überhaupt eine Chance auf dem "Markt der Theologen" zu haben, wenn ich nicht gerade Priester werden möchte. Dann ist es aber auch die Liebe zu einem Land und zu einer christlichen Kirche, die sich nach einem Besuch in Irkutsk vor vier Jahren entwickelt und durch zahlreiche interessante Vorlesungen in der theologischen Fakultät der Universität in Münster entwickelt und entfaltet hat. Das Fach "Ökumenische Theologie" dort ist für mich nie Pflicht gewesen, sondern eigentlich so etwas wie ein Hobby, in das ich manches Mal zuviel Kraft gesteckt habe. Und oft habe ich bedauert, dass ich dort keine Prüfung ablegen muss, so wie in Philosophie, Kirchengeschichte usw., ich hätte noch nicht einmal dafür lernen müssen. Um all dieses hautnah zu erleben, zu vertiefen und zu erfahren habe ich zwei Jahre in Münster die russische Sprache gelernt - mit ebensolcher Begeisterung und dennoch war es vielleicht etwas zu wenig, habe ein Stipendium über den DAAD erhalten und konnte so, nach ebenso viel Arbeit bei einigen Unternehmen in Münster, Ende August die Reise nach Moskau antreten, in die Welt, die ich theoretisch schon oft in den Vorlesungen gehört habe. An dieser Stelle soll nun gesagt sein, dass ich mich gut eingelebt habe, gut von allen aufgenommen worden bin, sehr viel lerne und entdecke und ganz kurz gesagt eine glückliche und einmalige Zeit hier erlebe. Ich finde immer mehr Anschluss an eine orthodoxe Gemeinde hier, so dass ich auch das "normale" Kirchenleben erfahren kann, das sich vom Gemeindeleben der Fakultätskirche stark unterscheidet. Dort singe ich sogar regelmäßig im Chor - meistens ist es die Akafist - ein Gottesdienst für Heilige - am Sonntagnachmittag.

Nun muss ich aufpassen, dass ich hier nicht alles wiederhole, was sich auf diesen vielen Seiten findet, die ich hier mittlerweile an jedem Abend geschrieben habe - auch wenn sich eine Kurzzusammenfassung aus meiner Sicht fast nicht machen lässt. Und in ein paar Tagen wird so oder so wieder ein Resümee kommen, dem ich nicht zu weit vorgreifen möchte.

Schließlich fragt sich jetzt sicherlich der ein oder andere, wie ich Weihnachten hier verbringen werde. Es sieht bislang so aus, dass ich Heiligen Abend um 19 Uhr in die Katholische Kirche gehen werde zur Heiligen Messe und einige meiner besten Freunde mitkommen werden. Wobei es sich schon angekündigt hat, dass noch viele andere kommen werden. Anschließend werde ich vielleicht noch was Schönes kochen für meine Freunde im Wohnheim und dabei möchte ich dem ein oder anderen ein kleines Geschenk überreichen. Und vielleicht gehe ich am Donnerstag dann wiederum um 10 Uhr in die Kirche, um dann anschließend in der Uni zu Mittag zu essen, wo das Uni-Leben ja völlig normal weitergeht - mit Prüfungen. Und am 26. bekomme ich meinen ersten Besuch, auf den ich mich schon sehr freue und mit dem ich hoffentlich ein paar schöne Tage hier erleben kann! Und 13 Tage später werde ich dann mit den orthodoxen Christen das Weihnachtsfest feiern. Ich kann mich bislang nur noch nicht entscheiden, in welche Kirche ich dann gehen werde - es stehen so viele zur Auswahl.

So - ich will mich gleich aufmachen, um einerseits in der Mensa zu essen, dann ins Internet zu gehen und letztendlich werde ich noch ein wenig mit einer Bekannten Russisch lernen.

Mit warmen Grüßen aus dem recht kühlen Moskau

Andreas Brink

 

 

Montag, 22. Dezember 2008

Der erste Gang nach dem Aufstehen und Frühstück führte mich heute zur Administratorin, um die Formalitäten mit dem Paket zu klären. Die wollte das dann klären und sagte mir nur, dass ich mich gedulden solle - es könne abends werden oder morgen oder übermorgen früh. So bin ich dann in die Stadt gefahren, um im Internet meine Post abzufragen und ich muss gestehen, je mehr Weihnachtspost ich erhalte, umso schwermütiger werde ich. Dennoch freue ich mich über jeden Brief und jede Mail, die mich erreicht und lese sie oft zweimal. Nach dem Mittagessen in der Mensa habe ich zunächst ein paar Sachen kopieren lassen in der Kopierstube der Universität. Dort musste ich erst die technische Pause abwarten und dann noch einen anderen Kopierauftrag, den die Dame dort mit aller Gemütsruhe erledigt hat. So habe ich für 15 Kopien über eine halbe Stunde warten müssen. Bevor ich mich mit Olga zum Deutsch-Russisch-Tandem getroffen habe, habe ich im benachbarten Supermarkt noch Geschenkpapier gekauft - und ein Geo-Heft, in dem ich zufällig einen Artikel über Eisenbahn entdeckt habe. Nach dem Sprachtandem bin ich schnell zur katholischen Kirche gefahren, weil ich noch ein Geschenk vergessen hatte. Vom Weißrussischen Bahnhof, der auf dem Weg liegt, bin ich dann mit der Elektritschka zurück nach Pererwa gefahren. Als ich die Karte gekauft und in den Drehkreuzen entwertet habe, ist mir aufgefallen, dass mir die Schalterdame eine völlig falsche Fahrkarte verkauft hat - nach Fili. Ich weiß nicht, wo das liegt, nur die Preisstufe ist die gleiche. Auf dem Bahnsteig ist noch ein Verkaufsschalter, wo ich die Sache versucht habe, zu klären. Die beiden Damen dort waren freundlich, konnten mir aber auch nicht helfen, da der Zug kurz darauf abfuhr. Sie sagten mir, dass im Falle einer Kontrolle den Kontrolleuren die Sache schildern solle. Da war dann aber nicht der Fall.

Auf halber Strecke sind noch drei bekannte Studentinnen zugestiegen, mit denen ich mich im Zug noch prächtig unterhalten habe und so gar nicht dazu gekommen bin, den Artikel in der Zeitschrift weiter zu lesen. Ich war sehr überrascht, denn das meiste von dem Artikel habe ich verstanden - dieses Mal sogar viel mehr als nur den Kontext. Im Wohnheim angekommen bekam ich von den Dreien noch ein paar Apfelsinen in die Kapuze gesteckt und so bin ich als "Kiepenkerl" in meinem Zimmer angekommen. Auf dem Weg dorthin habe ich mich noch angemeldet und mir wurde ein Paket eines Freundes aus Lingen in die Hand gedrückt, über das ich mich sehr gefreut habe. Nun weiß ich nur nicht, ob es das Paket ist, das den Schein betraf. Dann sagte mir der Wachmann, der ebenfalls bei unserer "Empfangsdame" saß, dass für mich noch mehr Post da wäre, die ein anderer Student mitgenommen hätte. Die habe ich dann in seinem Zimmer abgeholt: Meine Münsteraner Vermieterin hat geschrieben, ein Freund aus Emden und mein Bruder. Mit den beiden ersten Briefen habe ich nicht gerechnet und mich sehr darüber gefreut. Vor allem der Brief aus Emden war sehr umfangreich - vier Seiten handgeschrieben, eine Postkarte aus der Heimat und ein Ostfriesenlied. Das war schon eine richtige Freude heute Abend! Mit dabei war auch ein Schein der Post, dass ein Paket bei der Post lagert. Das werde ich dann morgen abholen gehen. Ich hoffe nur, dass sie mir das aushändigen.

Den Abend habe ich dann also mit Briefe lesen verbracht und ich habe jede Menge Geschenke eingepackt und mich ein wenig auf das Weihnachtsfest vorbereitet. Nun hoffe ich, dass ich mit einigen Freunden einen schönen Abend verbringen darf. 

 

 

Dienstag, 23. Dezember 2008

Wenn sich das Wetter nicht mehr radikal ändert, dann werden wir in Moskau wohl weiße Weihnacht haben! Das ist die gute Nachricht des heutigen Tages. Als ich heute morgen aufgestanden bin, da fiel schon etwas feiner Schnee und heute Abend konnte man dann von richtigem Schneefall sprechen. Als ich mich heute Abend noch schnell mit Wasser eingedeckt habe, bin ich durch den frischen Schnee gestapft - es knirschte herrlich unter den Schuhen und der Schnee glitzerte im Licht. Als ich im Wohnheim wieder angekommen bin, wurde ich von Dasha - eine neue Bekanntschaft - zu einer Schneeballschlacht herausgefordert, die wir aber abgebrochen haben, weil uns ohne Handschuhe zu kalt war und der Schnee überhaupt nicht pappte. Aber wie lange habe ich solch "trockenen" Schnee nun nicht mehr erlebt? Ich weiß es nicht. Von mir aus kann es die ganze Nacht durchschneien.

Direkt nach dem Aufstehen und Frühstück war ich bei der Post und habe das Paket meines Bruders abgeholt - dieses Mal hat alles ohne Probleme geklappt. Auch den obersten Wohnheimchef habe ich heute kurz gesehen und er sagte mir, dass ich morgen oder übermorgen das Paket, das noch aussteht, in Händen halten werde. Vielleicht schafft er es ja bis morgen noch, dann ist ja Heiligabend.

Den restlichen Tag habe ich ruhig angehen lassen, um meine Erkältung auskurieren zu können, die sich immer noch hartnäckig hält. Ich hoffe, dass ich sie bis zu meinem Besuch ausgestanden habe, bislang sieht es aber nicht so danach aus. Heute gehe ich recht früh schlafen und morgen früh werde ich mir auch keinen Wecker stellen. Heute Morgen habe ich mir, weil sich der Kopf immer mehr zusetzt, ein Medikament in der Apotheke gekauft, dass ich aus Deutschland kenne. Ich habe den Namen genannt und die Apothekenhelferin meinte, dass es das Medikament nicht geben würde. Direkt vor ihr lag aber eine Schreibtischunterlage mit eben dem Medikament, was ich suche. Als ich sie darauf hingewiesen habe, fing die gute Dame an, das Medikament zu suchen und hat mit Hilfe ihrer Kollegin so ziemlich jede Schublade der wirklich großen Apotheke durchwühlt. Das Resultat war letztendlich, dass die Packungen in einer Vitrine im Tresen zu finden waren. Ich habe dann mit einem Schmunzeln die Apotheke verlassen. Es ist eben doch wieder einmal typisch Russland.

 

 

Mittwoch, 24. Dezember 2008 - Heiligabend

Nun steht das große katholische Fest also unmittelbar vor der Türe und es müssen nur noch die letzten Vorbereitungen getroffen werden. Ich habe heute Morgen ausgeschlafen und bin erst gegen halb zehn aus den Federn gefallen. Dafür fühle ich mich heute schon ein wenig besser, aber immer noch erkältet. Draußen ist noch ein wenig Schnee gefallen, so dass wir jetzt etwa fünf Zentimeter Schnee haben - so hoch türmt es sich zumindest auf dem Geländer unseres windgeschützten Balkons der Küche. Gleich werde ich zur Universität fahren, dort essen, dann die restlichen Sachen kaufen für das Essen heute Abend und dann geht es mit vielen Freunden in die Geburtsmesse in die katholische Kirche. Und dann will ich noch mein Zimmer etwas vorbereiten für die Bescherung, die ich still und heimlich für meine Freunde geplant habe. Nun bin ich gespannt, was heute anders laufen wird, als ich plane.

Mit dem heutigen Tag fängt eine Zeit an, die von vielen Feiertagen geprägt ist: Weihnachten, Neujahr, Taufe des Herrn, Fest der Drei Heiligen Könige und natürlich auch das Fest des Hl. Stephanus, dem ersten Märtyrer. Fast gleichzeitig bin ich nun schon vier Monate in Russland - am Freitag wären es genau vier Monate. Es ist Zeit, wieder einen kleinen Blick auf die vergangene Adventszeit zu werfen. Bezüglich dieser würde ich sagen, dass es wieder eine intensive Zeit war, ohne den üblichen vorweihnachtlichen Rummel, der einen schnell vereinnahmt. Dieser hat ja schon im November aufgehört, nachdem alle Postkarten geschrieben und mit den Geschenken verschickt waren. Und in der Adventszeit hat für meine Kommilitonen auch die Prüfungszeit begonnnen, so dass ich mehr Zeit für mich hatte. So konnte da in diesem Jahr eine Zeit der tatsächlichen Vorbereitung auf das Weihnachtsfest werden: ich war oft in der Kirche - vor allem natürlich zu den orthodoxen Feiertagen, die gefeiert wurden. Dazu kam der Tod des Patriarchen, so dass ich in diesem Monat überdurchschnittlich oft in der Kirche war. Und abends habe ich es fast immer geschafft, in meinem Adventskalender zu lesen, den ich ja geschenkt bekommen habe und der mir ein wichtiger Begleiter geworden ist.

Sprachlich gesehen mache ich ebenfalls weiter kleine Fortschritte: Ich habe mir ja vorgestern ein Geo-Magazin gekauft und dort einen Artikel gelesen und so gut wie vollständig verstanden. Und auch im Gespräch mit Juri Valerjewitsch brauchte ich nicht mehr auf die englische Sprache ausweichen und selbst Nina in der Garderobe verstehe ich immer besser. Nun hoffe ich, dass das Verständnis nicht daher rührt, dass alle mit mir langsam sprechen und die Wörter kennen, die ich kenne. Und auch in der Göttlichen Liturgie verstehe ich immer, wobei dies immer noch sehr schwierig ist - dennoch geht mein Verstehen mittlerweile über "Herr, erbarme Dich", "Halleluja" usw. heraus. Es sind immer kleine Elemente, die sich hinzufügen. Nun habe ich mir ein für mich großes Projekt vorgenommen. Ich möchte gerne im nächsten Jahr eine exegetische Hausarbeit schreiben. Die Idee dazu hatte ich in einer Vorlesung unseres Neues-Testament-Professors Vater Alexej, der meinen Plänen spontan zugestimmt hat und auch von seinem Kollegen aus Münster habe ich die Zusage bekommen. Es wird sich um die Perikope (Bibelstelle) Mt 16, 13-20 handeln, also das Messiasbekenntnis des Petrus und die Antwort Jesu: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen...", zu dem es ja sehr unterschiedliche Verständnisse gibt. Nun bin ich sehr gespannt, zu welchen Ergebnissen ich kommen werde. Ich hoffe nur, dass ich sprachlich nicht scheitern werde.

Sonst bin ich nach wie vor froh, dass ich dieses Jahr in Russland erleben darf, bin aber gleichzeitig traurig, dass schon vier Monate vergangen sind. Sie kommen mir gar nicht wie vier Monate vor, sondern viel kürzer. Jeder Tag ist nach wie vor ein Erlebnis, wenn auch nicht mehr ganz so spannend wie in den ersten Tagen. Mittlerweile freue ich mich aber auch auf die Ferien, weil dann ins Wohnheim etwas Ruhe einkehren wird. So werde ich abends ruhig einschlafen können, ohne dass auf dem Flur Türen zugeknallt werden, meine Nachbarn werden dann nicht um halb zwei nachts anfangen, E-Gitarre zu spielen, die Toiletten und die Küche werden etwas sauberer sein und auch unsere Jüngsten werden nachts nicht mehr auf dem Flur herumtoben. Es ist nun nicht so, dass es mich völlig nervt, aber manchmal wünsche ich mir doch, es wäre anders. Ich denke dann oft an die Worte Vater Alexejs aus Kolomna zurück, der in einem Fünf-Bett-Zimmer im Klosterseminar geschlafen hat: "So lernt man, geduldig zu werden." Ich bin mir aber ebenso sicher, dass ich mich freue, wenn alle wieder da sind. Mit dem leeren Wohnheim habe ich indirekt den Sprung geschafft zu den Ferien. Was ich dann machen werde, weiß ich noch nicht sicher, da meine geplante Tour ins Altai-Gebirge geplatzt ist. Die Bekannte, die ich in Irkutsk kennen gelernt habe, hat zu der Zeit Prüfungsphase und wird dann nicht zu Hause sein. Vielleicht fahre ich nach St. Petersburg ins Priesterseminar oder suche mir eine andere Stadt mit einer katholischen Kirche aus, wo ich übernachten kann. In jedem Fall möchte ich ein wenig reisen, in jedem Fall aber auch die Festtage hier erleben. Ich bin nur etwas traurig, dass das mit der Altai-Tour nicht klappt. Es gibt zwar noch eine Einladung ins allertiefste Sibirien nach Jarkutsk, die ich gerne wahrnehmen möchte, aber leider nicht so viel Geld und Zeit habe. Aber das wäre schon eine feine Sache gewesen.

Dieser letzte Monat hat aber auch gezeigt, dass ich hier auch von meinen Gastgebern gut angenommen worden bin - der Höhepunkt in dieser Hinsicht war sicherlich das Fest des Heiligen Apostels Andreas, das gefeiert worden ist und das ich in er anschließenden Feier mit meinen orthodoxen Namensbrüdern Feier beim "deutschen" Namen genannt worden bin und das mir so viele Leute gratuliert haben. Ich kann dazu nur sagen, dass ich mich hier nach wie vor sehr, sehr wohl fühle - dies allerdings nicht nur in der Universität, sondern auch in "meiner" orthodoxen Gemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia", wo ich meistens zweimal in der Woche vorbeischaue, im Chor singe oder sonst eine Kleinigkeit mache. Und dort wird das Singen im Chor auch immer besser, wenn es nach wie vor auch noch anstrengend ist. Allerdings schaffe ich es immer besser, eine eigene Stimme zu entwickeln und diese zu singen. Das hängt mit viel probieren zusammen, aber solange ich von der Matuschka nicht ausgeschimpft werde, ist es ganz gut.

Letztendlich soll in aller Kürze gesagt werden, dass ich mich wohl fühle, dass ich glücklich bin und dass sich keiner Sorgen um mich machen muss.  

 

 

4Vater Alexej's gibt es hier recht viele. Unser Chorleiter ist Diakon, unser Professor für das Neue Testament ist Priester und letztendlich gibt es noch den Vater Alexej aus Kolomna, der aus Elenas Gemeinde stammt, aber in keinem Zusammenhang mit der Universität steht.

 

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