4.) Es ist Herbst geworden

 

 

Sonntag, 28. September 2008

5:30 Uhr klingelte der Wecker, aber eigenartigerweise bin ich sehr gut aus dem Bett gekommen. Vielleicht lag es daran, dass ich gestern so früh wie noch nie in Russland schlafen gegangen bin. Selbst der morgendliche Tagesablauf lief wie geschmiert, so dass sogar noch Zeit zum Frühstück blieb, was ich eigentlich für die Elektritschka geplant und dafür alles in Tüten und Dosen verstaut hatte. Selbst Eier habe ich am Vorabend noch schnell gekocht. Die Elektritschka war heute wieder sehr spät dran - sie hatte zwanzig Minuten Verspätung. Das hat dafür gesorgt, dass ich den Anfang der Göttlichen Liturgie nicht mitbekommen habe. Diese fand nicht - wie üblich - am Hauptaltar statt, sondern an einem Seitenaltar. Während der Liturgie habe ich dann schon die ersten beiden getroffen (und auch die einzigen, die ich bis dato kannte) - Olga und Elena. Nachdem Olgas Freunde zusammengekommen waren, ging es dann los. Bis dahin wusste ich noch nicht einmal den Namen der Stadt, den ich mir eigenartigerweise den ganzen Tag nicht merken konnte. Vom Belorusskij Boksal (also dem Weißrussischen Bahnhof - von hier verkehren die Züge nach Westen - unter anderem nach Berlin) ging es dann in Richtung Svenigorod. Im Zug haben wir dann zunächst ausgiebig gefrühstückt, da diejenigen, die zur Kommunion gegangen sind, noch nichts gegessen hatten. Da ist so einiges zusammengekommen: Einer hatte einen Kuchen mitgebracht, andere belegte Schnittchen, Süßigkeiten, Obst und noch vieles mehr. Ich war froh, dass ich auch etwas anbieten konnte: Eier, Brot, Wurst, Äpfel, kleines Kuchengebäck und - ganz wichtig - ein Messer. Das hatte nämlich keiner dabei!

In Svenigorod angekommen, sind wir zunächst zum Krankenhaus gefahren, wo wir dann eine Freundin der Gruppe besucht haben. Das war eine gute Gelegenheit, einen Spaziergang über das Krankenhausgelände zu machen, das aus einem recht großzügig angelegtem Wald besteht. Es gibt dort sogar eine kleine Quelle mit Trinkwasser, das sogar sehr gut schmeckt. Anschließend sind wir am Fluss Moskau auf schmalen und manchmal sehr rutschigen Pfaden entlang gewandert. Im Ort gab es dann zuerst in einem kleinen Supermarkt ein kleines Eis, bevor wir dann weiter zur kleinen Kirche marschiert sind. Dort erwartete uns schon fröhlicher Glockenklang, den einige Kinder im Glockenturm machten. In der Kirche war auch der Priester, der aus der Stadt kam, aus der eines der Mädchen kam, die mitgefahren ist. Er ist auf uns aufmerksam geworden, weil wir ein kurzes Gebet in der Kirche gesungen haben. Ich hätte so gerne mitgesungen, aber Text und Melodie sind mir (noch) unbekannt. Die Kirche selbst ist schon sehr alt, sie wurde zwischen 1396 und 1399 errichtet. In ihr sind noch viele alte (oder nicht restaurierte) Kunstwerke der Ikonenmalerei an den Wänden zu finden, so dass die Kirche ihren ganz eigenen Charme hat und ihr Alter durchaus würdig ausstrahlt.

 

Am Fluss Moskau.

 

Aufstieg zur Kirche in Svenigorod.

 

Anschließend sind wir zum Hl.-Ssawwo-von-Sgoroschewskij-Kloster (Савво-сгорожевский-монастырь) gelaufen, dass nicht weit von der Kirche entfernt liegt. Dort war wieder eine Bekannte der Gruppe, die uns dann eine Exkursion angeboten hat in die Winkel des Klosters, wo Besucher normalerweise nicht hinkommen. Der erste Teil ging auf den Glockenturm, von dem man eine wunderschöne Aussicht auf die "Moskauer Schweiz" hat, wie man diese Gegend hier nennt. Dort oben sind einerseits eine, wie ich finde, sehr große Glocke und ein Glockenspiel. Dabei ist es hier so, dass die Glocken nicht schwingen, sondern nur der Klöppel in der Glocke beweglich ist. Die meisten Glockenspiele werden von Hand betrieben, dass heißt, dass es mehrere Pedale mit Seilzügen gibt, die den Klöppel in Bewegung setzen, aber auch Seilzüge, die von Hand betrieben werden. Die Führung ging dann über die Klostermauer, von der man ebenfalls eine wunderschöne Sicht über die Landschaft und Klosteranlage hat. Nach der Führung sind wir dann in die Klosterkirche St. Tatjana gegangen, in der der Heilige seine letzte Ruhestätte gefunden hat dort verehrt wird. Auch hier wurden wieder ein paar Gebete gesungen und der Heilige verehrt.

Das Kloster geht auf den Heiligen Ssawwo-von-Sgoroschewskij zurück. An dieser Stelle, an der jetzt das Kloster steht, war früher einmal das Dorf namens Sgoroschew (?), aus dem der Heilige stammt.

 

Der Glockenturm des Klosters.

 

Die Klosteranlage mit der Kirche St. Tatjana.

 

Die andere Seite der Kirche.

 

Klosteranlage mit Wehrturm.

 

Türme.

 

Teile des Glockenspiels.

 

Alte Klostermauern: In dem Wehrgang.

 

Es scheint, als macht der Zahn der Zeit halt vor dem Heiligen.

 

Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land...

 

Nach dem Klosterbesuch gab es eine kurze Mahlzeit, vor und nach der wieder ein kleiner Lobpreis gesungen wurde, anschließend sind wir zu einem anderen Teil des Klosters gefahren, in dem der Abt des Klosters wohnt. Dort ist eine Art kleine Grotte in die Mauern gemacht, in der ein kleines Mosaik des Heiligen zum Gedenken ist. Auch dort haben wir wieder ein kurzes Lied gesungen.

 

Klosteranlage Teil II.

 

Dann sind wir ein Stückchen mit dem Bus gefahren bis hinter die Brücke, die über die Moskau führt und wir sind wieder auf "alten" Wegen am Fluss entlanggelaufen bis zu einer alten Feuerstelle. Dort haben wir ein wenig Holz gesammelt und ein kleines Feuer gemacht. Und nun war ich total erstaunt: Irgendwoher kamen Würstchen, eine große Paprika, Brot, Kekse, Kuchen und noch viele Kleinigkeiten mehr. Sogar ein Metallbehälter zum Wasserkochen für den Tee hatte jemand dabei. Und so gab es dann noch einen richtig gemütlichen Abend am Fluss Moskau, der für meinen Geschmack viel zu früh aufgehört hat.

In der Elektritschka habe ich bei der Rückfahrt Olga noch den Text des Liedes "Schni-schna-schnappi" herausgeschrieben und danach Begriffe raten auf Russisch gespielt, was für viel Spaß gesorgt hat. 

 

Es ist Herbst geworden in Russland. Die Bäume leuchten in bunten Farben und wenn die Sonne scheint, dann wird es auch nicht mehr sehr warm, so dass man ohne Jacke auskäme. Die Herbstblumen blühen und gerade in den letzten zwei Wochen ist es trotz zumeist sehr schönem Wetter nicht mehr richtig warm geworden. Die Pullover sind aus dem Schrank gekramt und auch die Winterjacke hängt griffbereit. Umso schöner war für mich heute der Ausflug in die Natur. Im bunten Wald und an der Moskau zu wandern war einfach nur herrlich, auch wenn die Wege an einigen Stellen sehr rutschig waren. Und vor allem endlich wieder frische Luft atmen, die es in Moskau ja eigentlich gar nicht gibt. Und all dies mit einer sehr interessanten und lieben Gruppe von jungen Menschen, die mich mitgenommen haben und mit denen ich viel Spaß hatte. Und dann die interessante Exkursion im Kloster, die ohne die Gruppe auch gar nicht möglich gewesen wäre, die gemeinsamen Gebete und Gesänge in den Kirchen und für mich als Höhepunkt das Lagerfeuer am Flusse. Hätte ich doch nur noch mein Liederbuch mitgenommen - den Anflug dieser Idee hatte ich schon im Wohnheim. Dieser Tag war für mich ein Tag richtige Erholung von der Hektik und dem Stress der Stadt Moskau, etwas Herbst erleben und viel Ruhe finden. Ich bin halt doch ein Landei und werde es auch wohl immer bleiben. So bin ich glücklich zu Hause angekommen - aber ebenso müde. Ich glaube, dieser Tag war der bisher schönste meiner Zeit hier.

 

 

Montag, 29. September 2008

Heute war Waschtag! Der gestrige Tag hat doch seine Spuren an Kleidern und Schuhen hinterlassen, da die Wege nicht sehr sauber, dafür umso mehr rutschig waren. Durch das Feuer rochen die Klamotten zudem nach Qualm und an diesem Morgen das ganze Zimmer. Da das Wetter wieder gut war, habe ich die sauberen Sachen noch vor der Uni ins Fenster und nach draußen vor das Fenster gehängt, so dass sie nachmittags überwiegend trocken waren. Dabei musste ich ein wenig improvisieren: Die Gardinenleiste dient als Wäscheleine und draußen am Fenster habe ich an beiden Seiten zwei starke Haken, an denen ich - wie schon an anderer Stelle erläutert - drei Rödelriemen zusammengesteckt habe. An dem einen Ende der "Kette" ist eine Schlaufe, auf der anderen Seite muss ich mit Draht, mit dem ein schweres Kabel festgebunden ist, das andere Ende der "Kette" verknoten. Als Wäscheklammern dienen Bügelclips, mit denen man normalerweise Aktenmappen zusammenhält. Diese habe ich in einem Bücherladen mit Papeterie-Sortiment gekauft. Eine 1,5l-Flasche habe ich mit etwas Kabelbinder, das ich an einem gekauften Messer gefunden habe, und einer Büroklammer an den Riemen befestigt, so dass ich jetzt die Leine etwas auf Abstand zur Fensterbank und Hauswand halten kann. Die Russen können gut improvisieren - aber mithalten kann ich allemal!

Mittlerweile riechen nur noch Jacke und Rucksack ein wenig - als Andenken des vergangenen Tages sozusagen. Ich denke, dass der Geruch bald aus den restlichen Sachen heraus ist.

 

Improvisation.

 

In der Uni habe ich heute allen möglichen Leuten Löcher in den Bauch gefragt, was es mit der Kreuzverehrung auf sich hat, um den Nachtrag liefern zu können, der unter dem vergangenen Samstag zu finden ist. Zunächst musste nach der Ethik-Vorlesung der Professor leiden, anschließend habe ich Olga noch einige Fragen gestellt. In der Stalowaja musste Elena dran glauben. Mittlerweile habe ich ein ganz ansehnliches Puzzle zusammen, bei dem nur noch wenige Teile fehlen.3 Morgen will ich aber noch den Liturgie-Dozenten fragen. Nach dem Einkaufen nach der Uni habe ich dann Bratkartoffeln gemacht, die ich dann wieder einmal nicht alleine gegessen habe. Es gab nur ein kleines Problem, nachdem die Zutaten alle in der Pfanne waren: Der Herd funktionierte nicht. Aber wozu gibt es die zweite Etage, deren Herd funktioniert? Als ich dann mit dem Kochen fertig war, funktionierte der Herd bei uns übrigens auch wieder. 

 

 

Dienstag, 30. September 2008

Heute bin ich extra ein bisschen eher aufgestanden, um am Tagebuch zu schreiben, weil ich die letzten Tage gar nicht mehr vernünftig dazu gekommen bin. An der Elektritschka-Station Pererwa sollte mich dann später eine fast etwas ungewöhnliche Situation ereilen: Ich habe den Zug einfahren sehen in der Ferne, allerdings nur durch die Gitterstäbe der Unterstellmöglichkeit der Station. Als er dann fast auf meiner Höhe war, habe ich groß gestaunt: Der Zug kam auf dem gegenüberliegenden Gleis angefahren, auf dem normalerweise die Züge von Moskau weg fahren. So musste ich dann schnell über die Brücke rennen, um den Zug noch zu erreichen. Und wer die Brücke und ihre Tücken kennt, weiß, dass das nicht unbedingt ungefährlich war, da sie doch so einige Stolperfallen enthält. Eine Lautsprecherdurchsage gab es nicht - wohl auch nicht für die Fahrgäste auf den anderen Stationen, da die genauso eigenartig schauten. Ich frage mich allen Ernstes nur, wie die Russen da so ruhig bleiben, denn in Deutschland hätte das Personal böse Schelte abbekommen.

In der Garderobe der Stalowaja gab es heute für mich eine große Überraschung. Nach dem Essen habe ich meine Jacke dort abgeholt, die immer etwas grantelnde alte Dame saß dort und winkte mich zu ihr: Sie drückte mir fünf kleine Kerzen in die Hand, einen kleinen Kerzenständer, einen Kugelschreiber, eine Karte über einen Park in Moskau und ein Heft über den Heiligen Tichon. Das hat sie mir geschenkt. So grantelnd und in eigenartigen Strukturen lebend sie auch immer wirkt, ich glaube, sie hat doch irgendwo versteckt ein gutes Herz. Ich habe mich jedenfalls sehr geehrt gefühlt.

Nach der Vorlesung hatte der Dozent leider keine Zeit mehr, um meine Fragen zur Kreuzverehrung zu beantworten, so dass ich das noch ein wenig aufschieben muss. Anschließend war ich noch hier und da ein wenig einkaufen, bis dann der Rilke-Abend stattfand. Zunächst wurde der Dichter Rainer Maria Rilke vorgestellt, dann wurden Gedichte vorgetragen - einerseits in Originalsprache, dann in russischer Sprache. Auch ich durfte drei Gedichte vortragen, die dann übersetzt wurden von Oleg, Andrej und Andrej. Dort war dann auch eine weitere Studentin aus Berlin, von der ich zwar schon etwas gehört hatte, sie aber noch nicht kannte. So konnte ich sie dann nach der Veranstaltung kennen lernen. Es gesellte sich schnell mein Professor für kanonisches Recht dazu, der auch ausgezeichnet deutsch spricht. Er hat uns beide eingeladen, mit ihm am Samstag nach Sergijew Possad zu fahren. Ich denke, dass das sehr spannend wird, da er zudem auch Kirchenhistoriker ist und bestimmt noch so einiges erzählen kann. Obwohl: Eigentlich ist es für mich auch etwas befremdlich oder ungewöhnlich, mit einem Professor durch die Gegend zu fahren, der mich zudem noch duzt.

Anschließend bin ich noch mit Janka und einigen russischen Studenten in der Stadt gewesen - später dann auch in der Dunkelheit. Abends entwickelt Moskau scheinbar sein eigenes anderes Flair, da viele Gebäude einfach toll beleuchtet werden. Anschließend waren wir gemeinsam im Café in der Nähe der Christus-Erlöser-Kathedrale.

 

Nacht und Kirche.

 

Das Denkmal Kaiser Peter des Großen.

 

Die Christus-Erlöser-Kathedrale.

 

Kreml: Leider haben die dort nicht alle Lichter angehabt an diesem Abend.

 

Dieser Tag war an für sich ganz schön, doch ich glaube, dass ich einen Gang zurückschalten sollte in nächster Zeit. Es kommen so oft Kommilitonen zu mir und fragen, ob wir nicht gemeinsam was machen könnten, sei es spazieren gehen, ein Museum besuchen, einen kleinen Ausflug machen, zusammen lernen usw. Während des ganzen Abends war ich schon ungewöhnlich ruhig und auch ein wenig verärgert, dass ich am nächsten Morgen schon um sieben Uhr zu einem Gottesdienst gehen sollte, wie mir zwei Studenten sagten. Das hätte für mich bedeutet, dass ich um 5:30 Uhr hätte aufstehen müssen. Das hat mir alles irgendwie auf die Stimmung geschlagen und deswegen war ich etwas wortkarg an dem Abend. Auch wenn es sehr schön war, hatte ich eigentlich doch gar keine Zeit. Das ist dann sogar Andrej aufgefallen, der im Café direkt nachgefragt hat, warum ich traurig sei. Und vor dem Café war mir dann ein wenig schummrig und übel, als wir uns verabschiedet haben. Nachdem ich dann etwas Zucker gegessen hatte, ging es dann aber recht schnell wieder. In der Elektritschka habe ich mich auch gar nicht so an dem Abend und den vielen tollen Eindrücken erfreuen können, da mir immer noch der Gottesdienst am nächsten Morgen im Magen lag. Ich habe mich dann länger im Wohnheim mit Stephan und Pjotr beraten und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich dort morgen nicht hingehen werde, sondern lieber einen Gang zurückschalte und es ruhiger angehen lasse, bevor es mich tatsächlich umhaut. Ich glaube nicht, dass es Hunger war, der dieses Gefühl ausgelöst hat, weil ich eigentlich kein Hungergefühl hatte - ich tippe tatsächlich auf Stress. Es ist einerseits die stressige Stadt und eine unmögliche Zeit- und Tagesplanung. Es kommen andererseits halt immer sehr viele Studenten zu mir, die mit mir gemeinsam was machen möchten und ich glaube, dass es einfach etwas zu viel wird. Mir fällt es aber auch schwer, denen abzusagen. Das werde ich jetzt aber wohl lernen müssen und auch machen. So froh ich auch bin, dass ich hier so gut angekommen bin, so traurig bin ich auch, dass ich gar nicht allen gerecht werden kann, die mit mir etwas gemeinsam machen oder zeigen wollen. Stephan sagte dann, dass ich halt zu bekannt oder berühmt sei. Unrecht hat er glaube ich nicht: Nur bin ich halt ein schlechter Superstar, dafür nicht aus Bohlens Talentkabinett.

Da nun heute der Rilke-Abend war, gibt es zum Herbstanfang zum Schluss des Tages noch ein kleines Gedicht von Rainer Maria Rilke.

 

Herbst


Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

 

(Rainer Maria Rilke)

 

 

Mittwoch, 01. Oktober 2008

Um acht Uhr bin ich wach geworden und wie sich später herausstellte, brauchte ich kein schlechtes Gewissen zu haben, dass ich nicht im Gottesdienst war. Es hat sich keiner beschwert. Auch wenn ich mich heute wieder fit gefühlt habe, so habe ich es langsam angehen lassen. Nach den Vorlesungen habe ich mir Melissentee aus den Anlagen der Fakultät gemopst, den ich jetzt gerade gemächlich trinke. Melisse soll ja gut gegen Stress sein. Schmecken tut der Tee jedenfalls! Zwischenzeitlich war ich auch im Internet, dieses Mal an einer anderen Stelle, die ein Kommilitone kannte. Leider konnte ich die Homepage nicht aktualisieren, weil die Verbindung total schlecht war und außer dem Abfragen von E-Mail eigentlich in der Stunde nichts funktioniert hat.

Was aber seit heute langsam anfängt zu funktionieren, ist die Heizung. Heute waren erstmals die Rohre lauwarm. Nun bin ich mal gespannt, was weiter daraus wird. Passend dazu war es heute wieder recht frisch und am Nachmittag hat es geregnet. Im Wohnheim habe ich dann ein wenig die Fehler in der Homepage korrigiert. Ich glaube aber nicht, dass ich alle gefunden habe. Was mir heute noch aufgefallen ist: Ab heute bin ich ja schon im 7. Semester. (Wie die Zeit doch vergeht...) 

Was die Gesundheit angeht, so denke ich, dass sich keiner Sorgen machen muss. Heute Abend bin ich recht müde, fühle mich aber entspannt.

 

 

Donnerstag, 02. Oktober 2008

Am Sonntag hatte ich mit Olga besprochen, dass wir uns einmal in der Woche treffen wollen, um jeweils eine gewisse Zeit deutsch und dann russisch zu sprechen, um die Sprachkenntnisse zu vertiefen. Und so haben wir uns heute das erste Mal getroffen. Dabei hat jeder den anderen korrigiert, wenn Fehler gemacht wurden und so habe ich auch ein wenig die Grammatik vertiefen können und ein paar neue Wörter gelernt.

Während dem Mittagessen hatte ich noch mit Oleg gesprochen und ausgemacht, dass wir abends gemeinsam kochen und zu Abend essen werden. So war es dann auch. Jeder hat wieder etwas dazugesteuert und gemeinsam haben wir dann noch einen schönen Abend gehabt. Zuerst war nur noch Evgenij mit dabei, später kam noch Stephan dazu und als wir eigentlich schon fertig waren noch Dmitri. Er hat dann noch Rest gegessen. Alles in allem war es ein gewöhnlicher Tag. Auch heute habe ich versucht, weiter nachzufragen, was es mit dem Gottesdienst im Kloster auf sich hatte, aber selbst Vater Valentin konnte nicht viel dazu sagen. Da sind vielleicht alte Traditionen des Klosters mit im Spiel, die mit eingebracht worden sind.

 

 

Freitag, 03. Oktober 2008

Heute war ich wieder im Internet, konnte aber wiederum nicht viel machen, weil irgendwie die Internetverbindung hakt und nicht so richtig will. Nach der Chorstunde war es dann endlich so weit: Ich habe mich mit einigen Studenten getroffen, um deutsch zu sprechen. Es waren recht wenig da, aber dafür war die Runde sehr schön: Erst habe ich Heinz Erhardt vorgestellt und anschließend haben wir das Lied "Hohe Tannen weisen die Sterne" gesungen, wo dann letztendlich eine Chorversion draus geworden ist. Ganz zum Schluss kam dann Janka mit zwei weiteren Studentinnen dazu, aber leider herrschte schon Aufbruchstimmung. Diese Treffen sollen jetzt regelmäßig stattfinden, aber ohne dass jemand eine Verpflichtung dabei eingeht: Wer kommt, kommt - wer nicht, der nicht. Die Treffen sollen dazu dienen, die deutsche Sprache zu verbessern. Nach dem Treffen bin ich noch kurz mit Janka und Andrej in einem Café gewesen, wo wir uns noch nett unterhalten und ein paar Fotos geschaut haben. Und mit Müh und Not habe ich dann noch die Elektritschka bekommen, die auch in Pererwa hält, sonst hätte ich wieder von der Station Depo aus laufen müssen, was zusätzliche 20 Minuten gekostet hätte.

 

 

Samstag, 04. Oktober 2008

Die Elektritschka war wie am Donnerstag heute schon wieder pünktlich! Ich aber auch, so hat die Zeit noch ausgereicht, um eine Fahrkarte zu kaufen und ich musste nicht wie ein paar Tage zuvor ausnahmsweise schwarz fahren. Zunächst stand für mich die Dogmatik-Vorlesung auf dem Plan, die um kurz vor zwölf endete und dann habe ich mich mit einer kleinen Gruppe getroffen und wir sind gemeinsam nach Sergijew Possad gefahren. Das Treffen in der Metro-Station Komßomolskaja war etwas schwierig, da ich an einer anderen Stelle gewartet habe als der Rest der Gruppe. Die Station wird von drei Metro-Linien berührt und hat daher drei Stationen, die aber alle den gleichen Namen haben. Und so haben wir uns zunächst nicht gleich gefunden.

Am Bahnhof haben wir dann ganz knapp einen Zug verpasst, ein Phänomen, dass sich noch den ganzen Tag durchziehen sollte. Im Zug habe ich zunächst etwas zu Mittag gegessen. Erst haben wir ein wenig auf dem Flohmarkt vor dem Kloster geschaut und sind dann ins Kloster hineingegangen und haben es uns in Ruhe angeschaut. Dabei konnte der Dozent der Uni sehr viel Interessantes und Neues erzählen. So ist die Schutzmauer um das Kloster eine Kopie der Mauer von Kitai Gorod in Moskau, die heute nicht mehr erhalten ist. Und woher der Name Kitai Gorod - also China-Stadt - kommt, wusste er auch nicht. Nur hat sie nichts mit dem Kommunismus zu tun oder ist ein Viertel, wo Chinesen lebten.

Zunächst waren wir noch in der orthodoxen Vesper in der akademischen Kirche, weil der aus Studenten bestehende Chor dort normalerweise sehr gut singt. An diesem Tage nur leider nicht... Zum Schluss waren wir noch in der Kathedrale Mariä Himmelfahrt, wo wir den Rest des abendlichen Gottesdienstes gehört haben. Hier sang der Chor gut. Es war auch ein Bischof anwesend, wie sich nachher herausgestellt hatte. Und eben darüber haben der Dozent, Andrej und ich uns auf dem Weg zum Bahnhof unterhalten: Ob das nun ein Bischof war oder nicht: Er hatte einen Bischofsstab, besondere liturgische Gewänder und stand der Liturgie vor. Ich hätte den Bischof jetzt daran erkannt, dass er ein Kreuz auf seinem Schleier trägt, was aber nicht der Fall war. Und so haben wir lange hin- und herdiskutiert. Letztendlich sind wir an dem Punkt gelandet, ob ein orthodoxer Bischof immer ein Bistum hat. Die Antwort lautet: Hat er, da er auch immer den Namen einer Stadt oder einer Region im Namen trägt. Es gibt also keine Titularbischöfe. Unser Dozent ließ aber offen, ob es tatsächlich so streng gehandhabt wird.

Dann sind wir noch in ein Café eine Kleinigkeit essen gegangen. Für mich gab es Hot Dogs und ein paar Hamburger. Doch unter Hot Dog und Hamburger versteht man hier etwas völlig anderes: Der Hamburger ist eigentlich nur eine Frikadelle, die zwischen die Hälften einer Teigtasche versteckt ist, darüber Ketchupsoße und etwas Dill. Und eine Gurkenscheibe ist auch dabei. Der Hot Dog besteht aus den gleichen Zutaten, nur dass anstatt der Frikadelle ein Würstchen darein gequetscht wird. Der Dozent hat uns dann noch eine Flasche Wein ausgegeben, den wir dann aus Plastikbechern getrunken haben. Das Café war recht "altertümlich" eingerichtet: Ein paar Stühle und Tische, Tapeten und Gardinen im Stil der 70er und eine Verkaufstheke. Und das war es dann eigentlich auch schon. Dann sind wir noch zu der Eisbude am Bahnhof gegangen, die gerade zumachte und haben der Verkäuferin noch ein Eis abschwatzen können. Deswegen haben wir dann auch gleich wieder den Zug verpasst.

Im Zug kurz vor der Endstation hieß es dann Abschied nehmen von Janka und dann ganz schnell zur Station Kalandschovskaja hechten, dort eine Fahrkarte kaufen und um dann wieder eine Elektritschka zu verpassen. Den Zug habe ich noch am Bahnsteig stehen sehen, ihn aber leider nicht mehr mitbekommen. Alles in allem fehlten ganze 10 Sekunden. So musste ich dann über 40 Minuten warten und war kurz vor Torschluss im Wohnheim.

Dann habe ich noch versucht Elena zu erreichen, mit der ich morgen einen Ausflug machen will, habe sie aber bislang nicht erreichen können.

 

 

Sonntag, 05. Oktober 2008

Noch im Bett liegend habe ich heute morgen Elena versucht zu erreichen, aber es hat nicht geklappt, auch die vielfachen späteren Versuche nicht, so dass der Ausflug, der für heute geplant war, ausgefallen ist. Das Wetter war gut und als ich heute morgen am Computer saß, war die Sonne so warm, dass ich tatsächlich die Vorhänge zugezogen habe. Bestes Wetter also, um wieder Wäsche zu waschen, die dann prima am Fenster getrocknet ist. Gegen Mittag bin ich gemütlich in die Stadt gefahren und war kurz im Internet. Elena hatte zwischenzeitlich angerufen und wir haben uns verabredet, in den Kreml zu gehen. Leider macht der schon recht zeitig zu, so dass nur noch etwas Zeit für einen Museumsbesuch blieb. Es dauerte etwas, bis wir uns zum Eintrittskartenverkaufsschalter durchgefragt hatten. Dann sind wir wieder zurück zum Einlass gegangen, wo mir dann gesagt wurde, dass ich den Rucksack doch an der Garderobe abgeben solle. Dann sind wir also wieder zurückgelaufen, haben die Garderobe gesucht und hatten dann noch etwa eine Stunde, um in ein Museum im Kreml zu gehen. Dort wurden Kleidungsstücke von Zaren und hohen geistlichen Würdenträgern der orthodoxen Kirche ausgestellt, die in ihrer Pracht nahezu unvorstellbar für denjenigen sind, der sich nicht gesehen hat. Viel Perlenstickerei, teurer Stoff und alle nur denkbaren Verzierungen. Auch die Kutschen, die dort ausgestellt werden, sind von unglaublichem Prunk. An ihnen gibt es nahezu keine Stelle, die nicht in irgendeiner Form verziert ist. Und einige dieser Kutschen waren Geschenke an die ein oder andere Zarin, die viel Einfluss hatte oder eine gute Partie war. Es werden dort auch einige Waffen und Verteidigungsgeräte ausgestellt, ebenfalls alle von unglaublicher Zier. Ich glaube nicht, dass ich irgendwo anders schon einmal so etwas gesehen habe. Zum Glück bin ich nicht so reich, dann brauch ich auch keine Angst haben, dass es mir jemand wegnimmt...

Anschließend, nach dem Einkaufen, bin ich dann wieder nach Hause gefahren und habe Bratkartoffel gemacht. Nun habe ich auch den Grund herausgefunden, warum es bei mir im Zimmer immer so eigenartig roch: Es faulte eine Kartoffel in der Tüte. Seitdem sie verschwunden ist, ist die Luft wieder weitaus besser geworden. Einige der anderen Kartoffeln sind heute in der Bratpfanne mit viel Zwiebeln, Knoblauch, zwei Frikadellen und Champignons gelandet. Diese habe ich aber (wie eigentlich) immer nicht alleine verdrückt: Zuerst war Stephan mit in der Küche, der zuerst nur probieren wollte, da er schon gegessen hatte. Dafür hat er aber recht lange probiert. Ebenso Oleg, der eigentlich auch nichts essen wollte, dann aber doch Gemüse und Brot geholt und gemeinsam mit uns gegessen hat. Das Tischtennis spielen ist anschließend ausgefallen, weil wir keinen Schlüssel für den Keller gefunden haben.

 

 

Montag, 06. Oktober 2008

Heute habe ich selbst für einen gewaltigen Schreck gesorgt! Ich meinte, meine Jacke in den Rucksack gepackt zu haben, dies aber gar nicht getan. Und so habe ich dann an einer Metro-Station meinen Pass herausholen wollen, weil ich ihn für die nächste Aktion gebraucht hätte und bin ganz schön stutzig geworden. Ich habe die ganze Zeit überlegt, wo ich denn wohl die Jacke vergessen haben könnte, weil ich mir doch sicher war, sie mitgenommen zu haben. Und ohne Personalausweis in Russland ist auch nicht sonderlich angenehm, weil an jeder Ecke die Miliz lauert. Nun ja, es dauerte nicht lange und Oleg und Dmitri kamen und wir haben eine neue Sim-Card für mein Handy bei einem anderen Anbieter gekauft. Daher bin ich in ca. ein- bis zwei Wochen unter einer anderen Nummer zu erreichen, ich werde jetzt nur noch das Guthaben bei dem anderen Anbieter aufbrauchen. Der Grund ist ein ganz einfacher: Der Anbieter MTC ist wesentlich teurer als mein neuer Anbieter Megafon. Jetzt kostet eine Minute nach Deutschland anstelle der alten fünfzig Rubel nur noch drei Rubel und auch innerhalb Russlands und Moskaus ist das telefonieren jetzt für mich günstiger. Wer diese Telefonnummer benötigt, der schreibe mir bitte eine Mail!

Anschließend habe ich mich noch mit Stephan getroffen und wir sind in einem großen Buchladen gewesen und waren anschließend noch ein wenig spazieren. Wieder im Wohnheim angekommen, habe ich die Türe aufgemacht und ich sah einen dunklen Schatten auf meinem Bett liegen! Mir fiel ein Stein von meinem Herzen - die Jacke mit dem Personalausweis lag dort.

Am Abend habe ich noch mit Oleg, Dmitri, Stephan und Pjotr zusammen gesessen und eine große Melone verdrückt. Dabei haben wir wieder viel Spaß gehabt und viel gelacht, zumal wir alle ungefähr auf einer Wellenlänge sind.

 

 

Dienstag, 07. Oktober 2008

Von vielen wurde schon prophezeit, wie der Oktober in Moskau üblicherweise aussieht: Viel Regen. Den hatten wir heute auch. Ich bin heute morgen einzig trocken einkaufen gewesen, bei allen anderen Gelegenheiten, bei denen ich draußen war, hat es geregnet. Dabei hat es wieder einen recht radikalen Wetterumschwung gegeben: Gestern war es noch recht warm und heute ist es wesentlich kälter. Ich hoffe nur, dass ich nicht jeden Tag im Oktober über und um die vielen Pfützen auf Moskaus Straßen springen muss. Wo jetzt die Heizung hier funktioniert, ist es im Zimmer tagsüber sehr warm - nachts zu meinem Leidwesen aber auch. Ich komme unter der Decke nachts ganz schön ins Schwitzen. Da muss ich mir auch noch eine Lösung einfallen lassen. Abends habe ich für fünf Leute zwei Varianten an Bratkartoffeln gemacht - in zwei Pfannen. Die wurden mit Begeisterung aufgegessen. Als Koch scheine ich mich hier in jedem Fall zu profilieren! Ansonsten war heute Alltag.

 

 

Mittwoch, 08. Oktober 2008

Ich bin genervt! Ein Tag, der völlig anders lief, als geplant. Zunächst ist die erste Vorlesung ausgefallen, so dass ich viel zu früh in der Uni war. Das hatte zwar den Vorteil, dass ich in Ruhe in der Stalowaja essen konnte, aber dann auch viel freie Zeit hatte. Kurz vor der nächsten Vorlesung wurde mir dann gesagt, dass heute Abend noch ein Gottesdienst für die Studenten sei und das Teile meines Chores singen würden. So hatte ich nach der Vorlesung wieder über eine Stunde Zeit, in der ich an für sich nichts machen konnte, weil ich auch nichts zum Lernen dabei hatte. Der Gottesdienst dauerte dann fast vier Stunden bis kurz vor neun und dann ist unser Chorleiter noch auf die Idee gekommen, eine Chorstunde für diejenigen zu machen, die neu dabei sind. Um diese Zeit! Nach fast einer dreiviertel Stunde war dann aber auch schon wieder Schluss und ich bin mit einem Kommilitonen zum Bahnhof gerannt. Dann fuhr der Zug nur bis eine Haltestelle vor unserer Station Pererwa, so dass wir noch viel Fußweg vor uns hatten. Auch auf Anfrage hat uns der Lokführer nicht mitgenommen. Und dann auch noch eine Diskussion auf dem Bahnhof, ob wir in der Kälte auf den nächsten Zug warten... Nun - wenigstens war der Gottesdienst sehr schön und entspannend. Er war eigentlich für uns Studenten gedacht als "Einstimmung" auf das Fest des Heiligen Tichon am morgigen Tag, aber dann waren nur sehr wenige Studenten da - das fand ich sehr schade. Nun werde ich heute Abend wohl mit dem Gefühl ins Bett, heute nichts auf die Beine gestellt und sinnvolles geleistet zu haben: Kaum Vokabeln gelernt, kaum Unterricht gehabt - und mehr fällt mir auch schon nicht mehr ein. Dabei hatte ich eigentlich vorgehabt, am Nachmittag und Abend noch so viel zu machen. Aber daraus ist nun nichts geworden. Anstatt dessen habe ich viel herumgesessen und nichts gemacht bzw. machen können. Und leider ist keiner da, der das richtige Vokabular beherrscht, so dass man mal gemeinsam fluchen und schimpfen kann ohne dass man schräg angeguckt wird. 

Nun hoffe ich, dass der morgige Tag, der auch einige Pause beinhalten wird, mehr bringen wird. Morgen heißt es früh aufstehen und pünktlich zur Kirche fahren, weil morgen der Patriarch von Weißrussland bei uns in der Fakultätskirche ist. Da hoffe ich, dass ich morgen einen guten Platz habe und viel sehen kann.

 

 

Donnerstag, 09. Oktober 2008 - Hl. Tichon

Mein Frust hat sich abgebaut und ich denke, ich muss einfach aufhören, meine Tage zu planen und durchzustrukturieren. Das geht hier nämlich grundsätzlich schief. Und ich möchte zu gerne gelassener sein, wenn wieder einmal alles anders kommt. Wie geht das nur?

Nun aber zu eigentlichen Tag, an dem in der Russisch-Orthodoxen Kirche das Fest des Hl. Tichon gefeiert wird. Er ist der Namenspatron der Universität (Orthodox-humanistische Heiliger-Tichon-Universität). Dazu war heute der Patriarch der Weißrussisch-Orthodoxen Kirche Philaret angekündigt, der gleichzeitig Metropolit der Russisch-Orthodoxen Kirche ist. Dazu nun eine Erklärung, die gar nicht so einfach ist: Zunächst ist die Weißrussisch-Orthodoxe Kirche Exarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche, ihr also unterstellt. Kirchenoberhaupt der Weißrussisch-Orthodoxen Kirche ist Philaret, der aber dem Moskauer Patriarchat (also der Russisch-Orthodoxen Kirche und damit Patriarch Alexej II) unterstellt ist. Die Weißrussisch-Orthodoxe Kirche geht auf das Jahr 1595 zurück, als sich Teile der Orthodoxen Kirche dem Papst unterstellten und damit die Orthodoxie spalteten. Im 19. Jahrhundert gab es vielfach Bestrebungen, die mit Rom unierten Christen in die Orthodoxe Kirche zurück zu holen. Dies führte wiederum zu einer Kirchenspaltung: Der eine Teil blieb katholisch und der andere Teil wurde wieder orthodox. Während der Sowjetzeit wurde die Union politisch (also unter Zwang) aufgehoben. Daraus wurde nach Perestroika und Glasnost die Weißrussisch-Orthodoxe Kirche gegründet (Nun hoffe ich, dass das hier alles richtig ist, es ist lediglich aus dem Gedächtnis geschrieben).

Als ich um kurz nach acht am Morgen in die Kirche kam, herrschte dort schon geschäftiges Treiben: Einige Handwerker der Fakultät werkelten noch in der frisch renovierten Kirche herum, es wurden liturgische Gegenstände durch die Gegend getragen, Teppich ausgerollt. Um neun Uhr war es dann soweit: Aus dem Altarraum kamen um die zwanzig Priester und fünf Diakone- die meisten aus der Fakultät - und stellten sich am Eingang in Position: Einige hielten die Bischofs-Insignien in der Hand, wie zum Beispiel Kreuz und Mitra. Allen war eine gewissen Nervosität anzumerken. Und auch ich habe mich etwas vorbereitet: Ich habe sehr viele Studenten gefragt, ob ich wohl fotografieren dürfe und habe meine Kamera so eingestellt, dass sie weder blitzt noch Töne von sich gibt (leider sind die Fotos durch die Kameraeinstellung nicht sonderlich gelungen). Eigentlich wird es ja nicht gerne gesehen, wenn man in der Kirche fotografiert oder filmt. Man konnte förmlich die Spannung spüren. Und dann war er da, er betrat die Kirche und segnete die Priester. Zunächst ging er zur Ikone des Hl. Tichon und verehrte sie, anschließend die Ikonen rechts und links der Königstüren.

 

Metropolit Philaret.

 

Dann ging er zu seinem Platz in der Kirche, einem kleinen Podest inmitten in der Kirche und wurde von den Altardienern eingekleidet. Nachdem ihm alles überreicht worden war - zuletzt kam die Mitra - segnete er mit Kerzen in der Hand die Gemeinde.

 

Der bischöfliche Segen.

 

Einen weiteren Segen habe ich als Video über meine Digitalkamera aufgenommen. Dazu nun der ein oder andere Kommentar: Diese Aufnahme habe ich vor oder nach dem Evangelium aufgenommen (wenn ich mich richtig erinnere) und es singen sowohl Chor als auch die Priester und Diakone gemeinsam. In dem Moment, wo es inmitten des Segens auf einmal schwarz wird, verneige ich mich selbst. Das ist also ein ganz kleiner Teil der bisher prächtigsten und mit am eindrucksvollsten Göttlichen Liturgie, die ich bisher miterleben durfte. Daher nun also für Euch/Sie ein ganz kleiner Ausschnitt davon, der aber gar nicht die Schönheit und Pracht der Liturgie wiederzuspiegeln vermag. Er ist nach dem kleinen Einzug und vor dem Evangelium aufgenommen worden. [SEGEN]

Und nachdem der Bischof fertig eingekleidet war, wurde die Göttliche Liturgie des Heiligen Johannes Chrysostomus gefeiert. Dabei sangen Teile des Chors, zu dem ich immer singen gehe und dieses Mal sangen sie wirklich sehr, sehr gut. Es waren kaum Fehler zu hören. Ich selbst habe nicht mitgesungen - hätte aber können - wollte mir aber genauer die Göttliche Liturgie mit dem Metropoliten anschauen und einige Einzelheiten einprägen. Über die Göttliche Liturgie weil ich irgendwann, wenn ich viel Zeit finde, mal etwas mehr schreiben.

 

Segen.

 

Weil ich auch sonst nur sehr wenig oder gar nicht in Kirchen fotografieren werde: Hier ein Blick auf die Ikonostase: In der Mitte sind die Königstüren, rechts und links daneben die Diakontüren (die rechte ist ein wenig geöffnet). Hinter den Königstüren kann man ein großes Christusmosaik im Altarraum erkennen. Links die Marienikone und rechts die Christusikone. Knapp über dem Kronleuchter ist die Heilige Dreifaltigkeit abgebildet, auf deren Namen die Kirche geweiht ist. Auf den Türen sind jeweils Erzengel-Ikonen.

 

Am gleichen Tag begann eine Konferenz an der Fakultät, zu der viele verschiedene Professoren aus dem Ausland gekommen sind - Deutsche, Franzosen, Italiener, Tschechen, Polen, Bulgaren, Israeliten und noch viele mehr. Dazu gibt es viele verschiedene Vorträge in allen möglichen Bereichen, die bis zum Samstag dauern. Heute habe ich mir die ersten drei Vorträge angehört, bin dann aber nach Hause gefahren, weil ich leider nicht mehr aufnahmefähig war und weil sich bei mir gerade die nächste Erkältung ankündigt - der radikale Wetterumschwung macht es möglich: War vor zwei Tagen noch T-Shirt-Wetter, so könnten wir hier letzte Nacht knapp am Frost vorbeigeschrammt sein. Solche Radikalumschwünge scheint es hier recht oft zu geben - genauso oft bin ich dann auch ein oder zwei Tage kaum zu gebrauchen.

Nun noch ein paar Sätze zu dem Namenspatron der Universität, dem Hl. Tichon: Er wurde 1865 in Toropez geboren, studierte Theologie in St. Petersburg und legte 1892 das Mönchsgelübde ab - eine Voraussetzung in der orthodoxen Kirche, um Bischof werden zu können. 1897 wurde er als solcher von Lublin geweiht, 1898 wurde er Erzbischof der Aleuten und Alaska und war damit der Hirte aller orthodoxen Christen auf dem nordamerikanischen Kontinent. 1917 wurde er zum ersten Patriarchen seit Peter dem Großen gewählt. Seine Reformen konnte er aufgrund innerkirchlicher Konflikte und den politischen Geschehen in Russland nicht durchsetzen. Diese führten auch dazu, dass er 1922 verhaftet wurde, weil er keine liturgischen Gegenstände zur Linderung einer Hungersnot - so der Vorwurf - zur Verfügung stellen wollte. Anschließend wurde er im Donskoi-Kloster festgehalten und durch eine Kirchenversammlung, die starke politische Interessen vertrat, abgesetzt. 1923 kam er wieder frei und 1925 starb er - eventuell wurde er vergiftet. 1991, nach der politischen Wende, wurde er heilig gesprochen. Seit 1991 existiert übrigens die Fakultät.

 

Der Heilige Tichon (Fotografie von einer Postkarte).

 

Kurz vor dem Ende der Liturgie wurde das Tichon-Troparion gesungen:

 

In schweren Zeiten von Gott erwählt,

hat er in vollendeter Heiligkeit und Liebe Gott gepriesen,

zeigte in Demut, Einfachheit und Sanftmut Gottes Kraft und Größe,

hat seine Seele für die Kirche und seine Gläubigen gegeben.

Bekennt den Heiligen Patriarchen Tichon:

Bitte zu Christus Gott,

der Du wie Christus gekreuzigt wurde

und errette die russischen Lande und Deine Gemeinde.

 

 

Freitag, 10. Oktober 2008

Nachdem ich heute morgen wieder die Konferenz besucht hatte, die heute auf französisch und russisch war, habe ich nach dem Mittagessen lange übers Internet mit meiner Familie telefoniert und so das Neueste aus dem Gelobten Land erfahren (damit ist natürlich meine Heimat Ostfriesland gemeint). Offenbar ist das Wetter dort wesentlich besser als hier in Russland. Nach dem Temperaturwechsel um etwa 15°C innerhalb von zwei Tagen habe ich nun wieder eine Erkältung, die ich hoffentlich schnell auskurieren kann und bin wieder total müde und abgeschlagen. Anschließend war wieder Chorstunde, in der ich sogar ein dickes Lob vom Chorleiter Vater Alexej erhalten habe und noch einmal vorsingen musste, damit der restliche zweite Tenor weiß, wie es geht! Es ging darum, leise aber energisch zu singen. Ich bin da selbst skeptisch, denn viele meiner Kommilitonen sagen ja auch, dass ich gut russisch spreche. Ich finde, dass Vater Alexej mich zu früh gelobt hat, denn später wurde es noch richtig schwer für mich. Aber trotzdem - das Lob fand ich gut. Nach der Chorstunde war wieder das Treffen mit denjenigen, die gerne mit mir deutsch sprechen. Heute hatte Olga etwas zum Wort "Fallen" vorbereitet - ein sehr interessanter Text, wie ich finde. Es ging um Wortgattungen, die eben dieses Wort beinhalten: Zufall, Verfall, Fall, Bandscheibenvorfall, fallen, zerfallen, usw. Wie variantenreich die deutsche Sprache hier ist, ist schon erstaunlich. Anschließend war ich noch mit Oleg und Andrej in der Apotheke, wo wir einen Ersatz für starkes Pfefferminzöl gesucht haben. Wir sind fündig geworden, aber was das Zeug in der Praxis taugt, wird sich gleich zeigen, wenn ich zu Bett gehe.

Vor dem Schlafen gehen hatte ich noch Dienst in der Küche, die ich mit einem weiteren Mitbewohner auf Hochglanz gebracht habe. Selbst in den beiden Kühlschränken haben wir etwas gewienert. Bettwäsche hat es heute auch gegeben, die ich sogar ohne weitere Umstände trotz des eigenartigen Systems bezogen habe.

 

 

Samstag, 11. Oktober 2008

Die Besonderheit des heutigen Tages lag eigentlich nur in dem Fußballländerspiel Deutschland gegen Russland, dass ich hier gerne schauen wollte. Das wurde jedoch zu einem großen Problem, da hier kaum einer einen Fernseher besitzt. Zunächst habe ich alle möglichen Mitbewohner gefragt, die aber auch alle ohne auskommen. Die Wache wollte kein Fußball schauen und hat sich Pjotr eine Flasche mit einem Gesundheitstrunk geschnappt, die er kostenlos aus der Stalowaja mitgenommen hat und wir sind beide zur Hausverwaltung gegangen. Der haben wir zuerst die Flasche in die Hand gedrückt und dann gefragt, ob wir Fußball schauen könnten. Wir durften. Zunächst saßen nur Pjotr und ich da und zum Ende der ersten Halbzeit saßen im Raum wenigstens acht Mitbewohner, aber auf dem Flur standen noch mehrere. Und so haben wir gemeinsam das Spiel gesehen. Und letztendlich hat Deutschland - so finde ich - mit Glück gewonnen und die Russen mit Pech verloren. In der letzten Halbzeit kam mir Russland doch etwas besser vor als sein Gegner. Interessant finde ich, wie der russische Reporter die deutschen Namen ausspricht: So wurde aus Lukas Podolski in Russland "Padolski" - ich wusste doch erst gar nicht von wem der da spricht. Und dann wollten die Russen wissen, was die Namen Lahm und Adler übersetzt heißen - letztlich aber auch den Namen des Spielers Schweinsteiger...

 

Metro-Station "Komßomolskaja" (Teil II)

Da die Station "Komßomolskaja" aus zwei Stationen besteht, möchte ich an dieser Stelle in einem zweiten Teil diese Station vorstellen:

 

Flugzeuge. Fliesenmalerei in Komßomolskaja.

 

Säulenhalle Komßomolskaja.

 

Das Ende der Säule.

 

Unendliche Rolltreppe.

 

Fliesen.

 

Jakobsmuschel, Getreideähre, Sowjetstern und eine halbe Handgranate?

 

Übergang zur anderen Station Komßomolskaja.

 

Kronleuchter in der Eingangshalle.

 

Fresken in der Eingangshalle.

 

Lampe in der Eingangshalle.

 

 

Sonntag, 12. Oktober 2008

Heute sollte ich wieder früh aus den Federn fallen, weil heute erneut ein Ausflug auf dem Programm stand. Ich hatte mich mit Elena und Sergej verabredet, nach Kolomna zu fahren, einer Stadt etwa 80 km südöstlich von Moskau liegend. Dort wollten wir einen Freund treffen. Der Blick aus dem Fenster verhieß nichts Gutes: Es regnete und beim Durchlüften des Zimmers kam kalte und feuchte Luft herein. Eigentlich ein Wetter, um im Bett zu bleiben und das als Wecker dienende klingelnde Handy zu verfluchen, auszuschalten und zu ignorieren. Eigentlich hatte ich, wie an dem Svenigorodtag auch, das Frühstück nicht eingeplant, aber es war dennoch Zeit dafür da - selbst für eine große Tasse Pfefferminztee. Normalerweise ist es bei mir ja der gute Ostfriesentee, der morgens auf dem Tisch steht, aber erkältungsbedingt musste heute ein anderer Tee herhalten. Und heute habe ich es tatsächlich geschafft, auf die Minute genau am Treffpunkt zu sein - das ist mir hier noch nicht einmal passiert. Eine Metro später kam Elena auch an und so mussten wir nur noch Sergej suchen, der zwar schon da war, aber nicht wusste, wo wir zu finden waren. Nach dem Fahrkartenkauf mussten wir eine Zeit lang auf den Zug warten. Spannend war dabei, dass die Züge die Gleise ständig wechseln, so dass man nur kurz vor knapp auf den Bahnsteig kommt, was hin und wieder zu bösen Überraschungen führen kann. Bei uns ist es aber gut gegangen, wir haben den Zug erwischt. Die Elektritschka war recht voll, so dass es kaum möglich war, gemütlich und in Ruhe zusammen zu frühstücken.

In Kolomna angekommen, mussten wir einen Trampelpfad in Bahnnähe zum Kloster nehmen, wo wir dann nach einem recht kurzen Fußweg ankamen und Vater Alexej uns die Türe zum Kloster öffnete. Zunächst hat er uns die Hauptkirche gezeigt und vieles dazu erzählt. So stammt das Kloster auch aus der Zeit des Sergej von Radonesch, wurde aber von Gregorij Golutwin gegründet (so heißt der Ort dort eigentlich auch, in dem sich das Kloster befindet). Danach haben wir in dem Speisesaal Blini, also russische Pfannekuchen, gegessen und Tee getrunken. In dem Kloster ist ein Seminar und hier wohnen folglich auch die Schüler des Klosters. In eines der Zimmer konnte ich einen Blick werfen: Sie sind recht karg eingerichtet und in dem Zimmer leben fünf Studenten zusammen. Für die Studenten steht eine Tischtennisplatte zur Verfügung und ein moderner Computerraum. Die Studenten müssen wie meine orthodoxen Kommilitonen in Moskau auch ehrenamtliche Arbeiten durchführen wie zum Beispiel der Verkauf von Büchern, Ikonen und Kerzen; Arbeiten in den Gartenanlagen, Säubern der Kirche und der liturgischen Gegenstände und so weiter. In dem Kloster sind drei Kirchen, eine befindet sich im Gebäude des Seminars unter dem großen Glockenturm, die anderen stehen alleine. Eine besondere Atmosphäre erhält das Kloster durch die alte und sehr baufällige Mauer aus rotem Ziegel und den spitzen Türmen, aber auch die gepflegten Gartenanlagen und der großzügig angelegte Rasen machen das Kloster zu einem Kleinod. Es ist nicht weit vom Fluss Oka und Moskau auf einer kleinen Anhöhe gelegen. Es gibt noch eine kleine Erzählung aus dem zweiten Weltkrieg aus dem Kloster: Deutsche Truppen hatten das Kloster erobert und schon einige Teile zerstört. Eigentlich hatten sie den Befehl, dass das Kloster völlig zerstört wird. Der Befehlshaber der Truppe hat dann aber die Zerstörung gestoppt, weil er glaubte, dass es noch mehr Verluste in seiner Truppe geben würde, wenn er das Kloster dem Erdboden gleichmachen würde.

 

Einer der Türme, die zur Wehrmauer des Staro-Golutwin-Klosters gehören.

 

Die beiden anderen Kirchen im Kloster.

 

Im Computerraum hat Vater Alexej uns dann viele Bilder aus dem Leben im Kloster gezeigt, so dass wir einen guten Einblick in das Leben dort bekommen haben: Von den Arbeitseinsätzen, vom gemeinsamen Fußballspiel, von dem Besuch von Metropoliten und dem Patriarchen Alexej II, von der Jerusalemreise der Studenten, von der Renovierung der Kirchen und des Klosters und vom Winter in Kolomna.

Anschließend haben wir einen langen Spaziergang durch die Stadt gemacht und sind zu den Resten des Kremls gegangen. Hier sei gesagt, dass der Begriff Kreml in Russland nicht allein auf Moskau bezogen ist - in Moskau steht der wohl bekannteste Kreml Russlands. Jede alte Stadt hatte früher oder hat heute noch eine Stadtbefestigung, von der aus die Stadt regiert wurde. Diese ist ähnlich wie eine Festung mit Wehrmauern und Türmen, Kirchen, auf einer Anhöhe bzw. an einem Fluss gelegen angelegt. Auf dem Weg dorthin habe ich an einigen Stellen noch einmal den Herbst mit dem goldenen Laub genießen können. Auf dem Weg dorthin sind wir auch an einer Kirche vorbeigekommen, die ein typisches sowjetisches Schicksal erlitten hat: Sie ist heute noch ein Museum und äußerlich leider nicht in dem besten Zustand. Es zeigt sich dennoch ein starker Aufschwung der orthodoxen Kirche in Russland - ganz viele Kirchengebäude insbesondere in Kolomna werden derzeit aufwendig restauriert oder befinden sich kurz davor. Allein hier sind wir an mehr als vier Kirchen vorbeigekommen, in und an denen momentan gewerkelt wird. Und viele Kirchen sehen so aus, als wären sie eben frisch herausgeputzt worden.

In dem alten Kreml der Stadt ist heute ein Frauenkloster, in das wir auch einen kleinen Blick geworfen haben. Hier ist auch eine kleine Quelle mit Heiligem Wasser, dass aus einem Kreuz in eine Becken fließt. Darum zu wurde eine kleine, aber wunderschöne Holzhütte bzw. -Kapelle errichtet. Allein im alten Kreml, der an für sich gar nicht so groß ist, stehen wenigstens sechs Kirchen! Von dort hat man auch eine sehr schöne Aussicht auf die ganze Umgebung und auf den Fluss Moskau - wäre das Wetter schön gewesen und hätte es nicht ständig ein Schauer gegeben. Vom alten Kreml stehen heute nur noch einige Mauerreste und ein Ein- bzw. Ausgangstor. Diese zeugen noch heute von der einstigen Stärke und Bedeutung des Kremls.

Beim Gang durch die Stadt habe ich das erste Mal richtig gemerkt, dass wir doch in einer Stadt sind, die weiter außerhalb von Moskau liegt: Hier ist es viel ländlicher, die Häuser sind wesentlich kleiner, oft aus Holz, viele baufällig, mit den schönen Fensterverzierungen, die ich so liebe, alles etwas krumm und schief, verwilderte Gärten - Idylle pur.

 

Allee.

 

Holzhäuschen in der Nähe des Zentrums der Stadt.

 

Golden liegt der Herbst zur Füßen der Kirchenmauer.

 

Blumengarten.

 

Holzhaus mit kleinem Giebel.

 

Wie schön mag diese Kirche wohl nach der Renovierung aussehen?

 

Herbst in Kolomna.

 

"Ich passe auf den BMW auf!"

 

Wehrturm der alten Kremlmauer.

 

Kirchen im alten Kreml.

 

Herbstliche Marienikone.

 

Als ich am Abend zurück im Wohnheim war, habe ich mir Essen gemacht mit Gemüse, dass ich vom Markt gleich bei der Station Textilschschiki gekauft habe. Ich wusste bislang gar nicht, dass es dort einen Markt gibt - das werde ich bestimmt noch öfter ausnutzen, wenn ich keinen Nerv mehr habe, noch groß einkaufen zu fahren. Es lohnt sich also, auch mal einen Blick vor die Metro- und Elektritschka-Stationen zu werfen. Zum Essen hat sich spontan noch Stephan dazugesellt, so dass für den morgigen Tag nicht mehr viel übrig geblieben ist. In der Elektritschka haben wir übrigens auch noch das Mittagessen nachgeholt. Bei solchen Ausflügen habe ich jetzt immer ein Messer, ein Brot, etwas Wurst, Obst und zwei oder drei Eier mit dabei. Es macht einfach viel Spaß, den Zug gemeinsam vollzukrümeln. 

Mir hat dieser Ausflug heute wieder einmal gezeigt, dass es für mich ganz gut ist, wenn ich hin und wieder mal außerhalb von Moskau sein kann. Ich komme immer sehr müde, aber dafür völlig entspannt zurück; ich habe den Eindruck, dass sie mir wirklich gut tun, da ich dann aus der Menschenmasse Moskau für ein paar Stunden entfliehen kann. Die ist nämlich immer noch ganz schön anstrengend für mich. Am besten ist es, glaube ich, wenn ich den Stadtstress mit Ruhe und Gelassenheit angehe.

 

 

Montag, 13. Oktober 2008

Am Morgen habe ich mich mit Xenia getroffen, die ich vor ein paar Tagen kurz kennen gelernt habe zum Englisch-Russisch-Tandem. In diesem Fall bedeutet das, dass sie rudimentäre Englischkenntnisse hat, diese aber gerne verbessern will. Für mich ist dies eine neue Herausforderung: Ich muss mit drei Sprachen jonglieren: Englisch, Deutsch und letztlich Russisch. Wenn sie mir etwas auf russisch sagt, dann wird dies im Kopf erst ins Deutsche übersetzt, und dann weiter ins Englische. Dass das recht schnell geht, hatte ich selbst nicht erwartet. Auf dem Weg zur Uni haben wir dann so allgemeine Sachen gelernt wie "Ich gehe die Treppe hoch. Ich laufe über die Brücke. Dort sind vier Hunde." In der Elektritschka haben wir die Sachen dann alle zu Papier gebracht und haben dann damit in der Uni weitergemacht. Mir selber bringt dies auch viel: Ich hatte in den letzten Wochen etwas den Eindruck, dass ich mein Englisch vergesse und kann es so wieder aufbessern und lerne gleichzeitig neue russische Wörter dabei. Zwischen Englisch-Russisch-Tandem und Mittagessen war ich noch kurz im Internet und habe mich über die neuesten Geschehnisse in Ostfriesland und der Welt erkundigt.

Die Ethik-Vorlesung nach dem Mittagessen am Montag hat immer einen besonderen Charakter: In der Regel sitzen dort vier bis fünf Kommilitoninnen. Heute hatte er ein Buch über den Humanismus mitgebracht, in dem viele Bilder zu sehen waren. Kurz nach Anfang der Vorlesung haben wir uns dann alle direkt um sein Pult gesetzt und er hat uns die Bilder gezeigt. Ich habe dann im Rücken der Mädchen auf einem Tisch gesessen. Mich hat diese Vorlesung stark an die Antike erinnert: Da sitzt ein bärtiger Gelehrter mit einem langen Gewandt mit seinen Schülern zusammen, die ihm gebannt lauschen. Vielleicht hat Platon mit seinen Schülern so zusammen gesessen? In der Vorlesung gibt es eine weitere Regel: Schaut der Dozent oft auf die Uhr, dann kann man getrost davon ausgehen, dass die Vorlesung sehr früh vorbei ist - meistens so um drei Uhr. So war es auch heute - um halb drei wusste ich schon, dass es heute nicht besonders lange dauern wird. Die Begründung war dann: "Heute Abend ist noch Gottesdienst." Aha - aber erst zwei Stunden später.

So hatte ich dann noch Zeit bis zum Treffen mit Elena. Sie hat mir angeboten, dass ich mit zu ihr in die Gemeinde zum dortigen Gottesdienst fahre, der eine Stunde früher anfangen sollte. Also bin ich noch schnell einkaufen gegangen und war um punkt halb vier wieder zurück. So sind wir gemeinsam in ihre Gemeinde gefahren, wo die drei Gottesdienste Vtschernaja (die katholische Vesper), Utrenja (Morgengebet) und Pjerwij Tschass (Erste Stunde) gehalten wurden. Elena hatte nicht zuviel versprochen: Ihre Pfarrgemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" (andere Variante: "Hl. Märtyrerinnen Glaube, Hoffnung, Liebe und Mutter Weisheit") ist von innen wunderschön und in jedem Fall ein Ausflug wert. An diesem Tag habe ich ein wenig das Gemeindeleben dort kennen gelernt und es war eigentlich das erste Mal, dass ich eine richtige Pfarrgemeinde hier kennen gelernt habe. Dann sind wir noch in einem recht günstigen Café essen gegangen, wo wir dann noch recht ausführlich über unseren gemeinsamen christlichen Glauben gesprochen haben und wie wir damit in unserer Umwelt umgehen. Es tut übrigens dem eigenen Glauben unheimlich gut und stärkt ihn, wenn man davon mal erzählen kann und von anderen erfährt, wie es ihnen geht, wie sie ihn leben und welche Probleme sie damit haben oder hatten. Aber nicht die Probleme überwiegen, sondern die Geborgenheit und Zuversichtlichkeit die aus dem Glauben hervorgehen und die wiederum glücklich und immer wieder Mut machen. Doch ich habe ja selbst oft den Eindruck, dass das Erzählen vom Glauben und von Gott eine Sache ist, die noch wesentlich intimer ist als Sexualität und sich deshalb so wenig Gelegenheiten ergeben, da mal drüber zu plauschen. Ich habe den Eindruck, dass die Schwelle der Vertrautheit unter den Studenten der Fakultät hier schneller überwunden ist. 

 

 

Dienstag, 14. Oktober 2008 - Fest Maria Schutz und Fürbitte

Aufgrund des heutigen Feiertages sind alle Uni-Veranstaltungen ausgefallen. Allein aufgrund der vielen Feiertage in der orthodoxen Kirche muss ein Student sie schon fast lieb gewinnen. So war ich heute in der Göttlichen Liturgie, in der Ludmilla Simonovna, die Deutschprofessorin der Fakultät, mich ansprach, ob ich nicht bei dem nächsten "Gedichteabend", der Goethe gewidmet sein wird, ein paar Gedichte vorlesen möchte. Ich habe natürlich zugesagt. So darf ich ein wenig aus "Faust" lesen und den Erlkönig vortragen. Ich werde es mir allerdings nicht nehmen lassen, im Anschluss die Kurzfassung des Erlkönigs von Heinz Erhardt vorzutragen.

Nach dem Gottesdienst habe ich mich mit neuem Bargeld versorgt. Es lohnt sich allerdings, vorher ein wenig die Preise der verschiedenen Banken zu vergleichen und zu schauen, wie viel Geld ich mit einem Mal abheben kann. Heute gab es beispielsweise Differenzen zwischen den Banken in einer Spanne von 35,95p. und 36,45p. für einen Euro. Und letztendlich muss man dann noch ein wenig auf die Geldmenge schauen, die man gerade benötigt: Bei meiner Bank muss ich eine Gebühr von derzeit vier Euro (ab November 2008 fünf Euro) pro Abhebung bezahlen. Und so kann man sich ausrechnen oder überschlagen, wie es am günstigsten kommt. Allerdings habe ich heute einen recht schlechten Kurs erwischt - beim letzten Mal lag ich bei fast 38p. für einen Euro.

Das Essen in der Stalowaja ist mal wieder kalt geworden, weil ich zwei Studentinnen kennen gelernt habe, die mich beim Essen angesprochen haben. Nun ja - dann erzählt man zuerst, woher man kommt und dann kommen die Fragen schon automatisch: Wie heißt Du? Warum studierst Du als Katholik orthodoxe Theologie? Wie oft warst Du schon in Russland? Wo wohnst Du in Deutschland? Wo studierst Du? Willst Du nach dem Studium Priester werden? Gibt es viele Katholiken in Deutschland? Wie gefällt es Dir hier? Wie alt bist Du? In welchem Kurs bist Du? Wo wohnst Du? Willst Du (nicht) orthodox werden? Was ist anders hier? Und schon ist das Essen kalt...

Den Nachmittag habe ich damit verbracht, ein paar Mails zu schreiben und ein paar Vokabeln zu lernen. Am Abend hat Oleg mich zum Abendessen eingeladen - er hat gekocht. Leider hat er Salz an den Kartoffeln vergessen, so dass das Essen heute etwas ungewöhnlich geschmeckt hat. Meinen Obstsalat, den es als Nachtisch gab, hat Dmitri vergebens gegen Oleg verteidigt. Er scheint den beiden geschmeckt zu haben. Gerade kam Stephan noch kurz in mein Zimmer. Er wollte gerne mit mir am Wochenende nach St. Petersburg fahren. Das habe ich dann höflich abgelehnt, weil mir das dann doch etwas zu knapp ist. Und es bleiben doch auch noch so viele Tage in Russland übrig - auch im nächsten Jahr...

Der Tag heute war sehr entspannend, da heute überhaupt kein Stress herrschte. Ich habe heute alles langsam angehen lassen und mich etwas entspannt. War auch mal sehr schön - könnte ich direkt mal öfter machen.

 

 

Mittwoch, 15. Oktober 2008

Bevor ich heute in die Uni gegangen bin, war ich erst noch kurz im Internet, um dort Mails zu verschicken und nachzuschauen, wer mir alles geschrieben hat. Leider hat mir die Technik teilweise einen Strich durch die Rechnung gemacht, so dass ich E-Mails zwar empfangen konnte, aber nicht versenden. Wieso das so war, weiß ich noch nicht genau. Nach der Uni war ich dann noch einmal im Netz und da hat es einwandfrei funktioniert. Heute gab es in der Fakultät wieder Joghurt umsonst und in großen Mengen, so dass einige Studenten in den nächsten Tagen wohl zu einem Großteil aus Birnenjoghurt bestehen werden. Ich habe mir anderthalb Verkaufseinheiten mitgenommen - andere Studenten haben in Plastiktüten und Kartons weitaus mehr mit nach Hause genommen. So gibt es jetzt in nächster Zeit kaum abwechslungsreichen Nachtisch, der aber ganz lecker ist - noch!

Nach der Chorstunde war ich wie gesagt noch kurz im Internet und wollte dann um viertel nach sechs mit der Metro zum Kursker Bahnhof fahren. Vor der Metro-Station "Novokusnjetzkaja" stand eine lange Schlange und vor der nahegelegenen Station "Tretjakovskaja" ebenfalls. Ich habe mit ungefähr 15-20 Minuten Wartezeit gerechnet, bis ich erst einmal durch die Fahrkartenkontrolle durch bin und dann noch einmal ungefähr dieselbe Zeit, um bis zum Kursker Bahnhof zu kommen. Daher habe ich mich nach einem Blick auf die Karte dafür entschieden, zum Bahnhof zu laufen - auch mit dem Gedanken, dass sich in dem Gedränge in der U-Bahn der Joghurt über meine Unterlagen im Rucksack ergießen könnte. Und dann habe ich zum ersten Mal richtiges Verkehrschaos in Moskau erlebt: Es war gerade Feierabendverkehr und die Autos fanden auf der Straße kaum noch Platz füreinander. Sprang die Ampel an einer Kreuzung auf Rot um, hat das denjenigen, die Grün hatten überhaupt nichts gebracht, weil die ganze Kreuzung noch völlig mit anderen Autos zugestopft war. An einer Kreuzung kamen dann zwei Limousinen mit Blaulicht angefahren, die dann aber auch recht schnell in dem Chaos stecken blieben. Interessant war dann die Miliz (Polizei): Sie schaltete Blaulicht ein und zwei Wagen versuchten mitten auf der Kreuzung zu drehen, um die beiden wichtigen Autos zu eskortieren. Das nun das Chaos perfekt war, kann sich jeder selbst denken. Interessanterweise hupen dann sogar noch einige Autofahrer, obwohl sie sehen, dass alles zugestopft ist und dass dies überhaupt nichts bringen kann. An anderer Stelle reparierte dann ein Mann seelenruhig sein Auto, das mitten auf der Straße liegengeblieben war. Ich weiß nicht, wie viele Autos, Straßenbahnen, Busse, Krankenwagen, Polizeiwagen usw. ich überholt habe, jedenfalls habe ich etwas mehr als eine halbe Stunde zum Kursker Bahnhof gebraucht. So war ich auf zwei Beinen wesentlich schneller, als mancher Autofahrer mit mehr als 200 PS unter der Motorhaube. Für den langen Spaziergang habe ich mir dann noch ein kleines 7-Rubel-Eis an der Station Pererwa gegönnt.

Den Abend konnte ich dann noch mit Vokabeln lernen verbringen.

 

 

Donnerstag, 16. Oktober 2008

Da mein Visum für Russland bald abläuft, sollte ich in dieser Woche in das Auslandsamt der Universität kommen. Dort bin ich heute also hingefahren, weil ich heute morgen noch etwas Zeit hatte. Ich hatte mich dort nicht angemeldet, weil es sowieso zu zwei Möglichkeiten gibt: Entweder es ist jemand da oder es ist keiner da. Dort angekommen musste ich erkennen, dass es noch eine weitere Möglichkeit gibt: Das ganze Büro ist in den tiefsten Süden der Stadt umgezogen. Ich habe dann Alexandra - Juri Valerjewitschs Mitarbeiterin, angerufen, mit der ich mich dann zu Montag verabredet habe. Irgendwie war ich da aber wieder etwas missgestimmt, weil ich mir das anders vorgestellt habe - ich habe doch kaum Zeit, auch noch in den Süden der Stadt zu juckeln und dann, weil die Metro nicht wo weit fährt, auch noch mit dem Bus weiter zum Büro zu fahren. Das konnte ja eine Ewigkeit dauern und einen ganzen Vormittag in Anspruch nehmen. Außerdem habe ich wieder den Eindruck, dass die Zeit für die Visaerstellung nicht ausreichen könnte. Ich möchte ja auch nicht zwischendurch mal nach Hause fliegen, um dann nach ein paar Tagen oder Wochen wieder hierherzukommen. Das kann ich doch gar nicht bezahlen.

Nachdem ich im Internet und Brot einkaufen war, habe ich dann noch schnell in der Uni gegessen und bin dann in die Vorlesung gegangen. Auf dem Tisch lag noch ein Buch eines Studenten mit einem interessanten Titel, das ich mir dann im "Orthodoxen Wort", einer theologischen Buchhandlung in der Nähe der Fakultät, kaufen wollte. Dort habe ich dann zufällig Alexandra getroffen. Wir wollten dann noch die Ausweispapiere kopieren, das hat aber auch nicht mehr geklappt. Also treffen wir uns jetzt doch wieder um 12 Uhr in der Fakultät und zum Glück nicht im Süden der Stadt. Dann blieb nur noch eine halbe Tandemstunde mit Olga, da auch sie nur wenig Zeit hatte.

Im Wohnheim wieder angekommen, wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass ich einen Brief abholen solle. Es ist der erste Brief der mich hier erreich hat. Also: Nun kann ich sagen, dass der Postversand tatsächlich mit der Post klappt! Und der Brief hat von Lingen nach Moskau nur neun Tage gebraucht! Darin enthalten waren einige Zeitungsartikel, so dass ich jetzt über das katholische Leben im Emsland sehr gut informiert bin. Noch überraschender war allerdings, dass gleich der erste Zeitungsartikel den ich in der Hand hielt, von einer befreundeten Kommilitonin aus Münster geschrieben wurde! Der hat natürlich gleich einen Ehrenplatz bekommen! Auf einem anderen Zeitungsausschnitt lachte mich dann ein anderer Kommilitone an. So gab es an diesem Abend mehr als eine interessante Überraschung!

Gerade kam noch die Hausverwaltung bei mir ins Zimmer: Zunächst klopfte es, dann kam sie nach meinem "Herein" vorsichtig und unauffällig ins Zimmer tapsend näher, versuchte einen langen Hals zu machen und aus dem Fenster zu schauen. Das gelang ihr aber schlecht, weil im Zimmer das Licht an war und draußen Dunkelheit herrscht. Dann fragte sie, ob ich nicht auch Sachen draußen an den Haken hängen hätte. Das musste ich wahrheitsgemäß verneinen. Sie versuchte immer noch einen Blick aus meinem Fenster zu erhaschen, was natürlich immer noch nicht gelang. So zwängte sie sich in ihrem quietsch-rosa Abendgewand zwischen Bett und meinem Stuhl her, öffnete das Fenster, lehnte sich weit hinaus und schaute links und rechts. Verwundert dreinblickend schaute sie mich an sagte dann, dass keine Sachen mehr in die Fenster gehängt werden sollen. Ihre Verwunderung konnte ich mir sehr gut erklären: Meine trockenen Sachen hatte ich nämlich kurz vorher hereingeholt und schon weggepackt - unwissentlich. Ich konnte mir das Lachen nur schwer verkneifen - umso ärgerlicher ist jetzt das neue Verbot. Mit dem schnellen Trocknen der Klamotten im Wind ist es jetzt wohl erst einmal vorbei. Jetzt muss ich schauen, was ich mir für neue Ideen ausdenken kann. Es gibt hier nämlich noch eine stabile Gardinenstange, eine Heizung, zwei Stühle, an denen man die Rödelriemen vor die Heizung hängen kann usw. Ich hänge meine Sachen nicht gerne in den Trockenraum, weil dort jeder seine nassen Klamotten einfach an die trockenen hängt dort sowieso ein großes Chaos herrscht. Die einen holen ihre trockenen Sachen nicht ab, die anderen hängen die nassen Sachen einfach über die trockenen und lüften tut dort auch keiner richtig, so dass die Feuchtigkeit mal entweichen könnte. Aber glücklicherweise habe ich ja einiges Talent im organisieren und improvisieren.

Ich war übrigens froh, dass ein Pullover den Elektrokamin verdeckt hat, da ich sonst Gefahr gelaufen wäre, dass ich ihn nicht hätte benutzen dürfen. Dmitri darf es nämlich auch nicht. Jetzt läuft zwar die Heizung, aber wer weiß schon, wie lange und wann sie im nächsten Jahr ausgeschaltet wird?

Ach ja - und dann war da heute noch der Mitbewohner, der mir auch ein kleines Schnäppchen schlagen und mich austesten wollte. Er hatte irgendein Zeug, das wie fein geraspelter Weißkohl aussah, und hat mir davon zu essen angeboten - hat es auch gleich für mich auf etwas Brot gepackt. Ich hatte da irgendeine Vorahnung und habe erst am Glas gerochen, dass zwar lecker, aber sehr scharf roch. Dementsprechend habe ich dann vorsichtig gegessen, weil ich wusste, dass Russen nicht gerne viel scharfes Gewürz ans Essen packen. Vor allem Dmitri kam mir in den Sinn, der mir gesagt hat, dass Russen da sehr empfindlich seien. Zugegeben: Es war schon recht scharf, aber weitaus weniger als ich erwartet hatte. Der Mitbewohner hat sich dann auch etwas - aber weniger als meine Portion - in den Mund gesteckt und darauf herumgekaut. Er wurde knallrot im Gesicht, hat sich geschüttelt und - ein Fehler - Wasser getrunken. Als ich ihn da so habe leiden sehen, wusste ich, dass der Schuss bei ihm gewaltig nach hinten losgegangen ist. Erst die Hausverwaltung, dann er - so gesehen, war es ein lustiger Abend!

 

 

Freitag, 17. Oktober 2008

Kurz nachdem ich am heutigen Morgen das Uni-Gelände betreten habe, sagten mir zwei andere Studenten, dass die erste Vorlesung ausfällt. Und an diesem Morgen ist mir das Aufstehen schwer gefallen - ich hätte am liebsten noch eine Stunde länger geschlafen. Die Zeit habe ich dann genutzt, um einen Brief zu schreiben und einkaufen zu gehen.

Da jeder Student der Fakultät hier verpflichtet ist, ehrenamtliche Arbeit zu leisten, habe ich mich jetzt auch dazu gemeldet, obwohl ich es eigentlich nicht muss. Ich möchte hier aber nicht als zu besonders gelten und so erscheinen, als hätte ich zu viele Freiheiten und Rechte, denn das würde nur ein schlechtes Bild auf mich werfen und ein schlechtes Licht auf mich werfen - so nach dem Motto: "Der Deutsche da braucht nicht arbeiten." Ich habe mir dazu die Stalowaja ausgesucht und eine gute Wahl getroffen. Die erste Aufgabe war, zu Mittag zu essen. Der erste richtige Einsatz war dann das Abwaschen des Herdes - vorwiegend an Stellen, wo nicht jeden Tag gewischt wird. Mit vielen Verrenkungen habe ich da auch über eine Stunde für gebraucht. Dann hat eine der Köchinnen mir etwas zu Essen dorthin gestellt, dass sie gerade fertig gekocht hatte. Als ich danach einen Topf abgewaschen hatte, stand schon wieder ein Teller mit Borschtsch zum Verzehr bereit. Da in der Essensausgabe nur einer war, sollte ich dann dort mithelfen. An dieser Stelle habe ich gemerkt, dass ich hier unheimlich viel russisch gelernt habe und sich bei mir eingeprägt hat. Zwischendurch habe ich dann beim Abwasch geholfen, Tee getrunken, Teller von Essensresten gereinigt, Kohlgemüse und Salat gegessen und mich mit den Leuten der Küche unterhalten. Mir hat das dort sehr gefallen: Nicht viel Stress, viel Unterhaltung und zwischendurch immer etwas zu essen. Vielleicht könnte man auch "und zwischendurch was zu arbeiten" sagen, denn ich habe, glaube ich, mehr gegessen als gearbeitet.

Um 15:30 Uhr begann die Chorstunde, die mir nach wie vor sehr viel Spaß macht. Ich selbst habe den Eindruck, dass ich dort meine musikalischen Kenntnisse und mein Singen stark verbessern kann und dass mir dies sehr viel bringt. Elena hat nach der Göttlichen Liturgie mit dem weißrussischen Patriarchen zu mir gesagt, dass wir anspruchsvolle Lieder singen. In einem kurzen Gespräch mit Vater Alexej, also dem Chorleiter, sagte er, dass er es gut finde, dass ich bei ihm mit im Chor singe und den Mut dazu hätte. Er meinte auch, dass ich gut singen würde. Mein Anspruch ist da zwar etwas höher, aber so ein Lob tut sehr gut!

Um 18 Uhr wollte ich mich eigentlich wieder mit einigen Freunden und Studenten treffen, um deutsch zu sprechen. Nun - irgendwann kam Olga und dann lange keiner mehr. Erst um halb acht kamen dann noch Oleg, Andrej und Dmitri und um kurz vor acht haben wir die Runde dann aufgelöst. Es ist sehr schwierig, alle unter einen Hut zu bekommen und einen Termin zu finden. Hier müssen wir noch eine Lösung finden. Auf alle Fälle müssen wir gemeinsam anfangen - alles andere hat keinen Zweck, weil zu viel Unruhe entsteht, wenn jeder einzeln dazu kommt.

Der Heimweg mit Oleg und Dmitri war dann wieder etwas Besonderes, wo ich mich aber nicht öfter drauf einlasse. Als wir im Bahnhof ankamen, sagte ich beiläufig, dass ich noch eine Fahrkarte lösen müsste. Dmitri schaute mich groß an und meinte: "Wozu?" Ich: "Wir müssen durch die Durchgangssperren." Oleg: "Wir kennen einen anderen Weg." Ich: "Und wenn ein Kontrolleur kommt?" Dmitri: "Die kommen nicht, und sonst kann man im Zug eine Fahrkarte kaufen, dass kostet nicht viel mehr." Oleg: "Mach Dir keine Sorgen!" Gut - ich weiß, dass selten mal ein Kontrolleur durch den Zug kommt, habe auch keine Lust auf eine unliebsame Begegnung mit denen. So sind wir dann über einen Fernverkehrsbahnsteig und einen Bahnbedienstetenweg zum Zug gekommen, der auch gleich abfuhr, so dass wir im ersten Waggon im Eingangsbereich standen. An der Station Textilschschiki kamen noch zwei Frauen pustend hereingeflogen, kurz bevor sich die Türen schlossen. Kontrolleurinnen. Oleg fragte die Kontrolleure mit allergrößter Freundlichkeit, wann sie anfangen würden zu arbeiten. Die mussten noch Luft holen und sagten, dass sie erst nach ein paar Stationen losgehen wollten. Oleg unterhielt sich weiter mit denen. Dann sagte er irgendwann zu uns, dass alles klar sei, wir könnten weiterfahren. Ich bin bislang nur selten ohne Ticket gefahren, aber das war bei weitem das allerdreisteste Schwarzfahren, dass ich bislang gesehen habe. Schwarzfahren im Beisein von Kontrolleuren. Nun gut - es ist gut gegangen, aber den Nervenkitzel vertrage ich nicht jeden Tag. 

Den Abend haben wir drei dann mit einem gemeinsamen Abendessen und einer Flasche Bier beendet.

 

 

Samstag, 18. Oktober 2008

Am Vorabend hatte ich mich mit Stephan verabredet - wir wollten gemeinsam ins Museum gehen. Am Morgen stellte sich heraus, dass auch Pjotr mitgehen wollte. Mit Pjotr habe ich mich nach der Dogmatikvorlesung in der Stalowaja verabredet. Und dann begann ein sehr spannender Nachmittag: Allein auf dem Weg zur Metro hatten wir schon viel Spaß. Irgendwie kamen wir auf das Thema "Freundin" zu sprechen und ich habe Pjotr gefragt, ob er eine Freundin hätte. Er verneinte dies. Das war dann für mich Anlass genug, für Pjotr eine Freundin zu suchen. Das habe ich dann auch fast den ganzen Nachmittag gemacht - wer mich näher kennt, kann sich in etwa vorstellen, wie das aussieht. In der U-Bahn habe ich nichts Passendes gefunden - dafür war die Fahrt auch wohl nicht lang genug. Stephan fand die Idee auch gut, eine Freundin zu suchen. Das war und ist gar nicht so einfach, für ihn etwas Passendes zu finden: Entweder ist sie nicht schön genug, zu dick, zu dünn, zu alt, zu jung, zu sehr angemalt und was weiß ich nicht noch alles. Im Museum war dann eine recht junge Aufsicht, die schon zu uns rüberlächelte und Pjotr hat zumindest nicht gesagt, dass er abgeneigt ist. Als ich dann zu ihr gehen wollte, hat er mich aber wieder zurückgepfiffen. Und das Spiel habe ich fast den ganzen Nachmittag und Abend mit ihm getrieben. So haben wir drei gemeinsam viel Spaß gehabt.

Im Museum, dass den Sieg über den Faschismus zum Thema hatte, war mir dann aber längst nicht immer zum Lachen zumute. Die Geschichtsschreibung geschieht hier aus einem völlig anderen Blickwinkel als in Deutschland: Während ich die deutsche Geschichtsschreibung über den Nationalsozialismus und zweiten Weltkrieg eher als demütig, schuldbewusst aber dennoch sachlich und korrekt bezeichnen möchte, ist dieses Museum, der Vorplatz und selbst die Metrostation auch nach nunmehr über 60 Jahren Kriegsende und 25 Jahre nach dem Untergang der UDSSR ein Triumphtempel des Siegs des Kommunismus über den Nationalsozialismus oder der UDSSR über das Deutsche Reich. Das erste, was der Besucher im Museum zu sehen bekommt, ist der brennende Reichstag, auf dessen ausgebrannter Kuppel die rote Fahne weht. Über dem Modell weht eine Divisionsflagge mit der Aufschrift "Tod den deutschen Eindringlingen". Das ganze Museum gleicht eigentlich einem gewaltigen Kriegsdenkmal - an jeder Ecke finden sich Skulpturen, Tafeln, Denkmäler usw., vor denen Rosen oder Blumen abgelegt sind. In einigen Räumen sind Kriegsszenen dargestellt, allerdings immer so, dass es so aussieht, als sei die ehemalige UDSSR in der Überzahl und nahezu unverwundbar. Ganz selten sind russische Panzer oder anderes Kriegsgerät zu sehen, dass zerstört oder defekt ist.

 

Das Museum und der Vorplatz.

 

Der brennende Reichstag. Darüber die Flagge mit der Aufschrift "Tod den deutschen Eindringlingen".

 

An anderer Stelle wird Kriegsgerät, Waffen, Uniformen, Soldatenausrüstungsgegenstände usw. aus dem Zweiten Weltkrieg gezeigt. Dies ist alles schon etwas neutraler und subjektiver gestaltet und hat mir wirklich sehr gut gefallen, da die Ausstellung einen schönen Einblick in das Kriegsgeschehen vermittelt. Aber die Filme, die an jeder Ecke gezeigt werden, sind fast ausschließlich Propagandafilme der UDSSR und ein Lobpreis auf die Helden des Krieges. Russische Kriegsverletzte oder gar Gefangene werden nicht gezeigt. In der Halle des Ruhmes oder der "Gloria-Halle" befindet sich eine sehr große Statue eines russischen Soldaten und über ihm eine Kuppel, in deren Spitze der Sowjetstern leuchtet. An den Wänden stehen unzählige Namen unter Fresken von wichtigen Städten des Krieges. Ob dies nun Tote oder Volkshelden sind, kann ich nicht sagen. Diese Halle gilt mit Sicherheit als Heiligtum und Höhepunkt des Museumsrundganges.

Alles in allem bin ich sehr verwundert und nachdenklich, wie Russland heute (noch) mit dem Thema Sieg über den Faschismus und den zweiten Weltkrieg allgemein umgeht. Zunächst scheint die Tradition der Sowjetzeit übernommen worden zu sein und mehr als 60 Jahre nach Kriegsende wird an vielen Stellen in Moskau und an unzähligen anderen Orten dem gedacht. Dabei wird überhaupt keine Demut gezeigt, sondern ganz klar, dass Russland bzw. die UDSSR Sieger des Krieges sind und Deutschland der Verlierer. Vielleicht ist dieses Museum und das Gelände drum zu die Spitze des Prunks, die dem Sieg gedenkt. Etwas noch Pompöseres lässt sich fast nicht mehr vorstellen.

Andererseits frage ich mich hier sehr oft, wie die Russen und die Politik heute zu der kommunistischen Zeit stehen. An vielen Stellen in Moskau findet man Gedenkstätten oder Prachtbauten der Zeit, die dieses System nahezu verherrlichen: Die Metro-Stationen im Zentrum sind fast durchweg Prunkbauten, die insbesondere Lenin und den Arbeiter- und Bauernstaat lobpreisen, auf vielen Lokomotiven findet man heute noch den roten Stern, viele Straßen, Bahnstationen usw. tragen noch heute sozialistische Namen - wie zum Beispiel die Straße des Enthusiasmus oder die Elektritschka-Station Sserp i Molot (zu deutsch Sichel und Hammer). Diesbezüglich habe ich ja in zwei Teilen die Metro-Station "Komßomolskaja" vorgestellt. Andererseits: Wenn man jetzt die U-Bahn-Stationen neutraler gestalten würde, dann hätte Moskau auch etwas von seinem Flair und seiner Zeitgeschichte verloren. Dennoch will ich beizeiten mal in Erfahrung bringen, wie die Einstellung der Russen zum Sozialismus ist und wie sie dem heutigen Deutschland oder den Deutschen gegenüberstehen.

Bevor ich mit Pjotr in die orthodoxe Vesper gefahren bin, haben wir noch einige Fotos in der Toilette des Museums gemacht. Dort hängen einige Spiegel, die interessante Bilder ergaben. Allein die Toilette sind schon fast die 40p. wert.

 

Spiegelei.

 

Kirche direkt neben dem Platz.

 

 

Sonntag, 19. Oktober 2008

Der heutige Tag war eigentlich nichts Besonderes. Am Morgen war ich in der Heiligen Messe - zusammen mit Elena. Sie wollte sich gerne mal eine katholische Messe anschauen und war sogar recht angetan davon. Anschließend haben wir noch einen kleinen Rundgang durch die Kirche gemacht und ich ihr so einiges erzählt. Besonders verwundert war sie, dass eine Nonne den Altar für die nächste Messe richtete. Das ist in der orthodoxen Kirche ja nicht möglich bzw. nur ganz wenigen Frauen erlaubt. Und auch von der Vielzahl der Gottesdienste war sie überrascht - am Sonntag sind es im Dom zu Moskau ja sieben oder acht an der Zahl. In der orthodoxen Kirche sind maximal zwei möglich - und eine davon muss zwangsläufig an einem Nebenaltar gehalten werden. Anschließend war ich im Internet und habe mich darüber geärgert, dass ich keine E-Mails mit Thunderbird mehr versenden, wohl aber empfangen kann. Daher kann es nach wie vor sein, dass ich erst recht spät reagiere oder, wenn es gar zu arg wird, gar nicht. Hier muss ich noch eine Lösung finden, oder vielmehr einen Ansatz, der zur Lösung führt. Noch tappe ich echt im Dunkeln.

 

 

Montag, 20. Oktober 2008

Der heutige Tag bestand mal wieder zu großen Teilen aus Warten. Damit ich ein neues Visum erhalten kann, hatte ich heute Sascha, einer Mitarbeiterin Juri Valerjewitsch's, meinen Pass mitgegeben. Wir wollten uns eigentlich um 15:30 Uhr wieder treffen, damit ich den Pass zurückbekomme, aber sie ist dann erst um 19:30 Uhr gekommen. Ich habe dort geschlagene vier Stunden gewartet. Hin und wieder hatte ich einen Anflug von Wut, bin aber gelassen geblieben. Das hat mich übrigens selbst gewundert. Ich hätte diese vier Stunden halt gerne anders ausgefüllt und was Sinnvolles gemacht. Nun - zeitweise habe ich Vokabeln gelernt und zwischendurch bin ich einkaufen gegangen. Nun hoffe ich, dass mit dem Visum alles klappen wird. Es sind nur noch zehn Tage Zeit. Sascha würde jetzt sagen, dass wir ja noch zehn Tage Zeit haben - mehr als genug.

Am Samstag, das hatte ich ganz vergessen zu erzählen, wurde ich von der Kassiererin gerufen, die mir kurz erzählt hat, dass sie in Münster war. Dazu hat sie mir drei Fragen gestellt: "Wo hast Du studiert?" Dann: "Was studierst Du?" Und dann: "Willst Du nicht orthodox werden?" Ich bin ja schon von einigen darauf angesprochen worden, dass ich ja besser konvertieren, also zur orthodoxen Kirche wechseln solle, aber innerhalb von drei Minuten und drei Fragen hat sich das noch keiner getraut. Sollte nun Unruhe herrschen, dass ich konvertieren könnte, weil mir die orthodoxe Kirche so gut gefällt oder weil ich so oft gefragt werde,  dann möchte ich jeden beruhigen: Ich bleibe Katholik. Oder vielleicht kann man es auch anders beschreiben: Ich konvertiere nicht, denke aber hin und wieder kathodox. Unter "kathodox" verstehe ich mich als Katholik, der aber auch viel für die orthodoxe Kirche empfindet. Nun zurück zur Kassiererin: Wir haben dann heute Fotos von Münster geschaut - ihrem und meinem Münster. Sie war gar nicht im westfälischen Münster, sondern in irgendeinem anderen - ich vermute irgendwo in Österreich - zumindest war dort ein Bild vom Wiener Prater mit dabei. Aber herausgefunden habe ich es nicht, wo sie war.

Der Tag heute geht recht sorgenvoll zu Ende. Wenn ich in Richtung des Visums schaue, dann sehe ich mich schon im Flieger nach Hause sitzen. Von mir aus könnten die ruhig etwas schneller arbeiten und nicht alles auf die letzte Minute erledigen. Und die vierstündige Wartezeit hat das Vertrauen ins Ausländeramt der Universität nicht unbedingt gesteigert. Schauen wir, was kommt. Langsam werde ich in dieser Beziehung etwas unruhig und möchte das am liebsten selbst regeln. Dass das aber kaum möglich ist, bleiben mir die Hände gebunden. Was sagen wir nun in Ostfriesland: "Abwarten und Tee trinken!"

 

 

Dienstag, 21. Oktober 2008

Heute war ich zu 12 Uhr mit Sascha verabredet, die dann allerdings meinen Pass nicht brauchte. Sie braucht ihn erst am Donnerstag, und dann schon um 9:30 Uhr- sie will dann zur Miliz gehen. Dafür war ich heute lange im Internet und habe mein E-Mailprogramm reparieren können. Das ist der große Erfolg des Tages. Zwischendurch war ich noch einkaufen, wo sich die Kassiererin vehement beschwert hat, dass ich meinen Einkauf mit einem 1000-Rubel-Schein bezahlt habe. Wenn es nun doch nicht anders geht, dann muss sie ihn halt nehmen. Das tat sie dann auch mit dem typischen Moskauer Knurren und Murren.

In der Stalowaja habe ich wie üblich zu Mittag gegessen und dann festgestellt, dass wieder einmal eine Vorlesung ausfällt. So konnte ich die Zeit dann wieder für andere Sachen nutzen und habe jetzt - das ist neu auf dieser Homepage - eine Textdatei des Tagebuches verfasst, so dass sich das Tagebuch auch ohne Bilder ausdrucken lässt. Dann ist es nicht mehr ganz so lang, aber auch lange nicht mehr so interessant.

Zwischendurch war ich noch bei Nina in der Garderobe, die wieder ihre Bitte geäußert habe, die ich aber immer noch nicht verstanden habe. So habe ich mir Elena dazugeholt, die übersetzt hat. Nun kam erst einmal ein großes Missverständnis zu Tage: Nina dachte, dass ich Amerikaner sei und das, obwohl ich ihr schon viel von Deutschland erzählt hatte. Sie möchte gerne Medikamente aus Amerika für ihren Fuß haben, die ihr vor zehn Jahren sehr geholfen haben. Mal schauen, was ich machen kann, es gibt da nämlich zwei Münsteraner Kommilitonen, die dort studieren.

Der Goethe-Abend war sehr interessant gemacht und stand im völligen Gegensatz zum Rilke-Abend. Dieses Mal fand der Abend in der Stalowaja statt, es standen Süßigkeiten und Getränke auf dem Tisch, es gab eine Teepause und zum Schluss wurde das Lied "Heidenröslein" ("Sah ein Knab' ein Röslein stehn") gesungen. Es wurden wieder viele bekannte Gedichte  vorgetragen und ich durfte einen Teil aus "Faust" vortragen. Alles in allem war es eine runde und gut organisierte Sache. Ich kann mir nur kaum vorstellen, warum sich recht viele Studenten während dieser Zeit ausgiebig unterhalten oder andere Sachen gemacht haben. Ganz zum Schluss nach dem Aufräumen hat mir die Küche noch einen Blini mit Quark in die Hand gedrückt.

Den Heimweg habe ich wieder mit Oleg, Dmitri und Evgeni bestritten. Es kam wieder die Frage nach der Fahrkarte auf. Dieses Mal habe ich mir unter dem Gespött der drei eine Fahrkarte gekauft - auch wenn das völlig gegen die studentische Tradition verstoßen soll. Aber nun, einer muss denen ja vormachen, wie es geht - und die Hauptsache ist, dass trotz des Spotts alle viel Spaß dabei hatten. Ich stehe halt dazu und lasse mich da nicht beirren.

Zum Abschluss des Tages nun noch ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe:

 

Über allen Gipfeln

Über allen Gipfeln
Ist Ruh'
In allen Wipfeln
Spürest Du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde
Warte nur, balde
Ruhest Du auch.

 

 

Mittwoch, 22. Oktober 2008

Während dem letzten Drittel der Vorlesung "Orthodoxes Kirchenrecht", die jeweils ein dritter Männer- und Frauenkurs gemeinsam haben, hörten wir plötzlich schnelle und energische Schritte von Damenschuhen auf der Treppe in den Keller. Die Türe flog auf, es stob eine Studentin herein und sagte leise und unverständlich "Prostitje", die Türe flog mit einen dumpfen Knall zu und schon stand sie neben einem Kommilitonen und machte eine hektische Handbewegung nach dem Motto "kusch-kusch", damit er ihr den Weg zu dem freien Platz neben ihm frei machte. Haben wir uns erst alle nur angeschaut, mussten wir spätestens hier alle grinsen oder lachen. Sie ließ sich auf ihren Platz plumpsen und fing dann emsig an zu schreiben. Nach nicht einmal einer Minute beendete Professor Kyrill Alexandrowitsch Maximowitsch die Vorlesung vorzeitig. Beim Aufstehen zum Gebet musste ich mich so zusammenreißen, dass ich nicht loslache und mit mir alle, die in meiner Nähe saßen, dass ich nicht mitsingen konnte. Am 22. September ist sie mir übrigens schon einmal aufgefallen. Was ist das bloß für eine Kratzbürste...?

Während der Heimfahrt in der Elektritschka wurde ich von einer Studentin gebeten, einen Liedtext vom Deutschen ins Russische zu übersetzen, was gar nicht so einfach war, da das ein heute nicht mehr gebräuchliches Deutsch war. Anschließend habe ich mit ihr noch kirchenslawisch lesen geübt. Sie war übrigens sehr überrascht, dass ich das halbwegs lesen konnte, dass hatte sie mir nicht zugetraut.

Und dann kam heute bei mir ein kleines Stück vom 500. Leeraner Gallimarkt bei mir an - herzlichen Dank für die Postkarte! Ich habe mich sehr darüber gefreut. Wenn ich auch nicht mit dabei sein konnte, so habe ich dann doch etwas davon mitbekommen!

Ansonsten war heute ein schöner und nicht allzu stressiger Herbsttag. Die Sonne hat geschienen und es war in der Sonne sogar noch recht warm. Abends habe ich es sogar noch geschafft, Vokabeln zu lernen. Es war also ein Tag, der mir gut gefallen hat, ohne dass er etwas Besonderes war.

 

 

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Auch heute hat es mit dem Visum wieder nicht geklappt. Der vereinbarte Termin mit Sascha um 9:30 Uhr heute Morgen ist wieder geplatzt, so dass ich noch hätte länger schlafen können. Wir wollten uns dann um 13 Uhr treffen, wobei sie dann wieder eine halbe Stunde später kam. Ich hatte ihr vorher aber noch eine Nachricht aufs Handy geschrieben, wo ich in der kommenden Zeit in der Uni zu finden bin. So hat sie mich dann in der Stalowaja aufgestöbert, wo ich ihr dann den Pass gegeben habe. Zu 15:30 Uhr waren wir dann wieder verabredet, sie meinte, sie wäre dann von der Miliz wieder zurück. Nach der Vorlesung bin ich dann zu ihr gegangen und sie war tatsächlich da. Doch als sie mich mit den Worten "Russland ist nicht Deutschland..." empfing, war mir schon alles klar. Für morgen ist der nächste Versuch geplant. Ich habe ihr gesagt, dass sie mich in der Stalowaja finden kann, wo ich zwischen 12 und 15:30 Uhr arbeiten werde. Ich bin mal sehr gespannt, was der Tag morgen bringt, habe aber offen gesagt, wenig Hoffnung. Ärgerlich ist nur, dass ich ständig meine Zeit mit Warten verplempere und kaum was Gescheites gemacht bekomme. Zum Vokabeln lernen habe ich dann auch meist nicht die Ruhe, weil ich mich innerlich doch aufrege und hoffe, dass das alles irgendwann mal klappt. Obwohl ich meine, wesentlich ruhiger zu sein, denn viel ändern kann ich ja ohnehin nicht. Was ich nur wissen möchte: Ob die anderen ihr einfach die Pässe in die Hand gedrückt haben und ohne durch Moskau laufen? Das kann ich mir fast nicht vorstellen - denn jeder rät mir nicht ohne aus dem Haus zu gehen.

Der Abend brachte dann die nächste böse Überraschung. In der letzten Zeit gab es noch Probleme mit einem bekannten Telekommunikationsanbieter, aus dessen Verträgen herauszukommen nicht sonderlich einfach ist. Entweder scheitert man daran, dass man keine eindeutigen Antworten auf schriftlichem Wege erhält oder daran, dass man ständig jemanden anderes in der Leitung hat, der dann wiederum keine Ahnung von dem Problem hat. Ich hatte also jeweils einen Handy- und Festnetzvertrag bei diesem Anbieter mit grauen Punkten und dem rosa T im Logo mit zwei Jahren Laufzeit. Auf mein Gesuch hin, den Vertrag für meine Moskauer Zeit auszusetzen und den Vertrag um diese Zeit zu verlängern, ging das Unternehmen nicht ein. Beim Handy ist es jetzt so gelaufen, dass der Vertrag gegen eine Gebühr von knapp 20 Euro für sechs Monate außer Kraft getreten ist - um diese Zeit verlängert sich der Vertrag. Für die restlichen vier Monate muss ich jedoch die Grundgebühr bezahlen und könnte mich erst nach drei Monaten für wiederum 20 Euro befreien lassen - dies lohnt sich jedoch nicht mehr für einen Monat. Beim Festnetzanschluss kam irgendwann ein Brief, den ich so verstanden habe, dass mein Anliegen ausgeführt wird mit der Anfrage, wie man mich als Kunden zurückgewinnen könnte und dem Hinweis, dass man mich noch anrufen wolle. Dies ist dann nicht geschehen und ich bin davon ausgegangen, dass alles in Ordnung ist. Ich meine auch gelesen zu haben, dass der Anschluss zum 28. August 2008 abgeschaltet werden sollte. Dies war offenbar aber alles nicht der Fall und es wurden weiterhin die Monatsbeiträge abgezogen. Die Leidtragende war nun meine Mutter, die das alles regeln musste und zudem mit meiner Ordnung Schwierigkeiten hatte (bislang hatte ich selbst keine Probleme damit und weiß auch, wo alles abgeheftet ist - vielleicht habe ich für mein Empfinden zu wenig Unordnung, um den Anreiz zum Aufräumen zu haben). Das Resultat lautet jetzt: Ich muss einen Betrag von knapp 200 Euro an diesen Anbieter zahlen, damit ich eher aus dem Vertrag herauskomme. Von einer Regelung ähnlich wie beim Handy ist hier nie die Rede gewesen. Auch wenn ich die Nachricht des Unternehmens falsch verstanden oder gelesen haben könnte, kann ich nur zur Vorsicht bei diesem Anbieter raten, da er nicht in der Lage ist, konkrete Antworten zu verfassen und flexibel auf Kundenanliegen zu reagieren. Des Weiteren habe ich den Eindruck, dass mit dem gesetzlich geschützten "Guten Glauben" des Kunden (sofern es ihn noch gibt) fahrlässig umgegangen wird.

In der Stalowaja gab es heute wieder Joghurt en masse, so dass ich auch in den nächsten Tagen wieder genug davon zu essen bekommen werde. Dieses Mal ist es ein Erdbeer-Hagebutten-Getränk und jede Menge Brombeer-Joghurt. Wobei ich aber dazusagen muss, dass ein Teil gar nicht in meinem Zimmer angekommen ist, sondern in den Händen von Bettlern auf dem Weg von der Uni zum Bahnhof gelandet ist. Da bin ich übrigens nicht der einzige, der so handelt: Später am Kursker Bahnhof habe ich eine Frau gesehen, bei der das Erdbeer-Hagebutten-Getränk aus der Tasche schaute. Da hatte gleichzeitig jemand mit mir diese Idee.

Als ich meine E-Mails abgefragt habe, habe ich eine Bestätigung über einen Besuch einer Freundin im Dezember bekommen. Das war dann die große Freude des Tages. Am liebsten würde ich jetzt schon zum Flughafen Domodedovo fahren und auf sie warten. Das wird bestimmt ein schönes Treffen werden. Da sie um Weihnachten kommt, ist das ein ganz besonderes Geschenk für mich! Nun hecke ich im Geiste schon Pläne aus, was man so gemeinsam machen könnte - und das ist ganz schön viel!

Während der Fahrt mit der Elektritschka heute bin ich aus dem Staunen mal wieder nicht herausgekommen: Der Triebfahrzeugführer hat sich doch glatt an einer Station um mehrere Wagenlängen verbremst und ist voll über sein Ziel hinausgebrettert! Und zu allem Überfluss fuhr er dann, nachdem die Leute ein- und ausgestiegen sind, auch noch ein kleines Stückchen rückwärts weiter, bevor er bemerkte, dass er vergessen hatte den Fahrtrichtungsschalter umzulegen. Ich mag gar nicht die Frage nach der Sicherungstechnik bei der RZD stellen...

Am Abend - welch ein Sprung von der Elektritschka-Geschichte - kam dann irgendwann Stephan in mein Zimmer und fragte mich, was mit mir los sei. Ich käme ihm so anders vor. Er fragte, ob es mir hier nicht gefallen würde. Da musste ich tatsächlich zugeben: In den letzten beiden Wochen habe ich mich vermehrt zurückgezogen um etwas mehr Ruhe und Ausgleich zu finden. Außerdem bin ich etwas frustriert darüber, dass ich die Sprache nicht so spreche, wie ich es gerne hätte und mir mehr Zeit wünschte, um Vokabeln zu lernen. Doch dazu im Monatsrückblick mehr, den ich in ein paar Tagen schreiben möchte. Aber andererseits ist da auch die Sorge um das Visum, die mich seit ungefähr zwei Wochen nicht los lässt. Aber davon mal abgesehen: Was hat der Mensch ein Feingefühl! Der kennt mich nach zwei Monaten fast besser als ich mich selbst.

 

 

Freitag, 24. Oktober 2008

So langsam werde ich wütend auf das Auslandsamt der Universität. Sascha ist heute nicht in der Stalowaja erschienen, wie abgemacht. Deshalb habe ich sie auf ihrem Handy angerufen. Das erste Mal war ein Freizeichen und beim zweiten Mal war das Handy ausgeschaltet. Das erweckt fast den Eindruck, als ob die nicht mehr mit mir sprechen wollte. Also ist schon wieder ein Treffen geplatzt. Das Leid habe ich dann Juri Valerjewitsch geklagt, der mich versuchte zu beruhigen und meinte, alles wird gut. Aber wie, hat er mir auch nicht verraten. Aber auch er konnte Sascha nicht erreichen. Ein paar Stunden später rief dann der andere Mitarbeiter des Auslandsamtes an und sagte mir, dass das nächste Treffen am Montag um zehn Uhr in der Uni ist. Ich selbst weiß nicht, wie ich denen gegenübertreten soll: Da stehen russische und deutsche Mentalität gegenüber - die eine beruht auf Akkuratheit und Pünktlichkeit und die andere funktioniert etwas salopp gesagt nach dem Motto "Komm ich heute nicht, komm ich (vielleicht) morgen (irgendwann). Kann ich da als deutscher Gast Druck ausüben? Bislang sage ich denen immer, dass ich besorgt bin, dass das alles zu spät ist und ich nach Hause fliegen muss, will ich mich nicht illegal im Land aufhalten. Was mache ich, wenn ich am Montag das Visum immer noch nicht habe? Irgendwann sehe ich mich schon gezwungen, meinen Stipendiengeber, den DAAD zu informieren. Montag ist da bald zu spät. Mittwoch spätestens müsste ich den Flug buchen, wenn am Donnerstag das Visum abläuft. Dieser Stress, diese Warterei und diese Ungewissheit machen mich langsam echt fertig. Ich habe schon gar keinen Hunger mehr und in den Vorlesungen kann ich mich auch nicht mehr konzentrieren. Ich muss echt aufpassen, dass mich das nicht krank macht. Vater Valentin konnte meine Sorgen verstehen, als er mich heute fragte, wie es mir geht und ich ihm mit "schlecht" geantwortet habe. Doch seine Antwort lautete auch nur "Don't worry, Andreas..." Er wollte sich aber noch mit Juri Sudov in Verbindung setzen.

Ansonsten hatte ich wieder viel Spaß bei der freitäglichen Arbeit in der Stalowaja. Heute war ich dafür zuständig, dass genug Brot, Tee, Teewasser, Zitronen und Zucker vorhanden sind. Zwischendurch habe ich da geholfen, wo ich Arbeit gesehen habe. Dieses Mal hatte ich zwar nicht so viel zu tun, habe aber nicht so viel gegessen wie beim letzten Mal. Die Geschichte mit dem Visum verdirbt mir einfach den Appetit. Als Lohn gab es - wie soll es auch anders sein - Joghurt. Auch heute ist davon wieder ein Teil in der Tasche eines Bedürftigen verschwunden. Zum Glück ist heute mein Deutsch-Sprech-Treffen ausgefallen. Da hätte ich kaum noch Konzentration und Nerven für gehabt.

 

 

Samstag, 25. Oktober 2008

Auch der Tag heute stand in der Sorge um das Visum. Trotz aller beruhigenden Worte, die mich erreichen, fühle ich mich sehr hilflos und weiß nicht, was ich tun soll. Auch wenn mir nahezu jeder zum warten rät, gibt mir das wenig Sicherheit. Heute morgen auf dem Weg zur Uni ist mir dann jemand eingefallen, mit dem ich schon gemeinsam in Russland war. Wenn er diese Zeilen liest, würde er mir - so kann ich es mir zumindest gut vorstellen - sagen: "Andreas, Du bist in Russland" und dabei verständnisvoll lächeln, wohl wissentlich, dass alles ein gutes Ende nehmen wird. Pjotr formulierte es in etwa so: Das Satteln der Pferde dauert hier eine Ewigkeit, der Ritt folgt mit einer Höllengeschwindigkeit, die alles aufzuholen versucht.

Ansonsten war heute ein ruhiger Herbsttag. Nach der Uni und dem Essen in der Stalowaja war ich im Internet. Mein E-Mail-Programm scheint wieder zu funktionieren und nun hoffe ich, dass es das am Montag auch wieder tut. Ich möchte nur mal wissen, wo der Fehler lag - am Vorabend hatte ich zwar wieder daran herumgebastelt, aber soviel verändert, dass ich nichts Genaues weiß. Ist ja auch recht egal, die Hauptsache ist, dass es wieder läuft.

Die Fahrt nach Hause lief ein wenig anders als geplant: Der Zug hielt nicht an meiner Station. Das hatte ich zwar noch rechtzeitig mitbekommen, mich dann aber entschlossen, übers Ziel hinauszuschießen und von der Station Zarizino wieder nach Pererwa zurückzufahren. Dabei habe ich gesehen, dass es in der Nähe der Station Zarizino ein Schloss gibt - wohl eine Residenz des Zaren. Da scheint in interessantes Ausflugsziel ganz in der Nähe zu liegen. Das werde ich bei Gelegenheit mal näher erkunden!

Am Nachmittag habe ich mich etwas ausgeruht, da ich unruhig geschlafen habe in der letzten Nacht und bin dann in die Heilige Messe gefahren. Und damit war der Tag dann auch schon fast vorbei. Als ich wieder im Wohnheim war, hatte ich urplötzlich Lust auf etwas Deftiges: Nudeln sind genug da, nur bei der Soße musste ich improvisieren. So habe ich eine Tüte mit Cremesuppenpulver zu einer Nudelsoße umgemurkst. Ich war selbst erstaunt, dass es zwar etwas salzig, aber dennoch lecker war.

 

 

Sonntag, 26. Oktober 2008

In der letzten Nacht hat es zum ersten Mal etwas gefroren und dementsprechend kalt war es auch. Der Frost kam passend zur Zeitumstellung - jetzt wird es langsam Winter. Im Gegensatz zu Ostfriesland war hier aber heute allerschönstes, wenn auch kaltes Wetter, so dass ich heute eine Winterjacke hätte anziehen sollen. Nach der Göttlichen Liturgie in der Fakultätskirche habe ich mich mit Elena getroffen und wir sind zunächst ins Novodevicny-Frauenkloster in der Moskau gefahren, dass im 16. und 17. Jahrhundert erbaut worden ist. Es ist auch ein sehr schönes Kloster mit einem Friedhof, auf dem bekannte Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe gefunden haben - gesehen habe ich aber nur den alten. Auf dem neuen soll der ehemalige Präsident Boris Jelzin beerdigt worden sein. In dem Kloster hatte man das Gefühl, dass Elena die einzige Russin war - es war förmlich überlagert von Touristen. Von der Schönheit steht das Kloster dem in Sergijew Possad fast nichts nach. Wobei es vor nicht allzu langer Zeit aufwendig renoviert worden ist und immer noch wird.

 

Das Hauptportal, das auch eine Kirche beherbergt. Es stammt aus den Jahren 1687-88.

 

Die Smolenski-Kathedrale in der Mitte des Klosters (1524-1525).

 

Die Kuppeln - im Hintergrund der Glockenturm des Klosters - erbaut von 1689-90.

 

Der Glockenturm in ganzer Pracht.

 

Eine kleine Kapelle.

 

Die Wehrmauer des Klosters aus dem 16. und 17 Jahrhundert.

 

Nach dem Besuch sind wir dann in Elenas Pfarrgemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" gefahren, wo es dann zunächst Tee und Blinis gab und für mich als Gast zusätzlich eine ganze Plastiktüte voll mit Äpfeln. Während Elena irgendwo im Keller der Kirche herumgewerkelt hat, habe ich in der Kirche auf sie gewartet. Als sie aus dem Keller wieder hochkam, hatte sie eine Katze auf dem Arm - Kater Barßik, wie ich später erfahren sollte. Als Elena wieder in den Keller musste, blieb Barßik in der Kirche und wollte eigentlich in den Annas Verkaufsecke. Die vertrieb ihn aber wieder von dort. So habe ich mich zu ihm heruntergehockt und ihn etwas gestreichelt. Es dauerte nicht lange, da ist er zu mir auf den Arm gekrabbelt und schnurrte, als ich ihn streichelte. Elena erzählte mir, dass Barßik gerne nachts unter dem Altar der Kirche schläft - somit gehört er zur Gemeinde dazu und ist ein sehr gläubiger, orthodoxer Kater.

Im Gemeindehaus haben wir dann gemeinsam quasi zu Mittag gegessen und Tee getrunken. Anschließend sind wir wieder zusammen in die Kirche gegangen und haben gemeinsam mit Anna eine Antiphon geübt. Nun kannte ich aber schon die Melodie des zweiten Tenor und sollte dann den Bariton singen, was gar nicht so einfach war, denn ich bin immer wieder in den zweiten Tenor gefallen.

Anschließend gab es im Keller unter der Kirche - das ist eigentlich das Heiligtum der Matuschka, also der Frau des Priesters. Da die aber momentan in Jerusalem weilt, konnte ich mit Elena ohne weiteres dorthin und so haben wir dort Tee getrunken. Anschließend bin ich dann auf dem Heimweg noch einkaufen gewesen.

Bei einem unserer vielen Gespräche am Nachmittag sind wir auf Priester und Heiraten gekommen. Sie erzählte mir, dass es bei Priestern üblich ist, dass sie Knall auf Fall heiraten und ihre Frau noch gar nicht lange kennen. Mit einem halben Jahr ist ein Priester schon gut dabei - manche kennen ihre Frau am Hochzeitstag nur drei Monate oder noch weniger. Dabei gibt es eine Art Treff für Mädchen, die gerne Matuschka werden wollen. Und aus diesem Pool suchen sich die künftigen orthodoxen Priester dann eine passende Matuschka heraus und heiraten diese dann. Ich muss ganz ehrlich gestehen: Diese Praxis ist mir sehr befremdlich und habe sehr große Augen gemacht und muss wohl dementsprechend entsetzt aus der Wäsche geschaut haben, als sie mir das erzählt hat. Ich hätte doch gedacht, dass das etwas romantischer zugeht und nicht ganz so zweckorientiert. Zwei ihrer Freundinnen sind dort auch schon gewesen, aber leider "leer ausgegangen". 

 

 

Montag, 27. Oktober 2008

Heute habe ich wieder recht viel Geld ausgegeben, wie ich meine aber an sinnvoller Stelle: Heute habe ich mir Winterschuhe gekauft. Sie sehen gut aus und scheinen auch eine gute Qualität zu haben. Sie sind schön warm, knöchelhoch und mit Fell ausgefüttert. Und für deutsche Verhältnisse finde ich sie auch nicht übertrieben teuer: Ich habe 3200p. dafür ausgegeben, also etwa 93 Euro. Nun fehlt nur noch das Paket aus der Heimat, das ich eigentlich auch in diesen Tagen erwarte und dann kann der Winter kommen.

Am Morgen habe ich wieder einmal auf die Mitarbeiter der Auslandsabteilung der Universität gewartet - dieses Mal nur eine Stunde. Sie standen wieder im Stau. Welche Vorteile hat es da, wenn man mit der Elektritschka und der Metro fahren kann. Dort gibt es nämlich keinen Stau - bislang zumindest nicht. Den Pass habe ich jetzt abgegeben und nachdem Alexej mir gesagt hat, dass die Miliz bei Problemen bei ihm anrufen soll, bin ich dann ohne Pass ins Wohnheim gefahren. So werde ich jetzt erst einmal unnötige Wegstrecken vermeiden, bevor ich doch noch aufgegriffen werde. Zumindest gab es heute einen Fortschritt: Ich habe heute morgen ein Formular für die Miliz ausgefüllt. Alles weitere wird wohl die Zeit bringen. Zumindest bin ich in dieser Sache heute wesentlich ruhiger als die Tage zuvor. Ich hoffe nur, dass das Visum dann bis Ende Juni gültig ist.

Die Ethik-Vorlesung gehört zu den Veranstaltungen in meinem Stundenplan, zu der ich sehr gerne gehe, auch wenn sie derzeit sehr schwer für mich zu verstehen ist. Es geht momentan um Konstrukte, wie Körper, Geist und Seele zusammenhängen könnten - ein Thema, bei dem ich auch in Münster schon meine Probleme hatte. Zumindest sind geht es dort total persönlich zu. Kommt der Professor herein, dann werde ich von ihm mit Handschlag und meinem russischen Namen - also Andrej - begrüßt. Und nach dem Gebet sagte er dann: "Oh, Andrej hat ja auch mitgesungen." Er konnte mich recht leicht heraushören, weil ich neben ihm ja die einzige männliche Stimme bin. Und auch in der Stunde wird oft mal gelacht und es geht recht locker und persönlich, schon fast gemütlich zu. Und meine Mitstudentinnen sind ihm gegenüber auch nicht auf den Mund gefallen und können auch mal kontern. Alles in allem eine sehr schöne Vorlesung in gemütlicher Atmosphäre.

Heute ist der nächste Teil vom Gallimarkt bei mir angekommen - die Postkarte von meinen Eltern. Nun habe ich hier zwei verschiedene und schöne Karten von dem Großereignis stehen. Wenn ich auch das große Volksfest und dazu noch das 500. Jubiläum nicht miterleben durfte, so habe ich jetzt zwei schöne Karten auf meinem Schreibtisch stehen, deren erste ich in den letzten Tagen schon öfters in der Hand gehalten habe. Dafür also noch einmal vielen Dank!

 

 

Dienstag, 28. Oktober 2008

Zu Mittag habe ich heute mit Sasha und Alexej zusammen gesessen, die mir dann erzählten, dass das Visa wohl genehmigt sei. Aber noch halte ich es nicht in den Händen. Ich hoffe, dass ich es morgen dann in Empfang nehmen kann. Am Nachmittag war ich in einem Hotel in der Nähe meines Wohnheimes und habe es mir anschauen wollen. Es machte so einen recht guten Eindruck und ich denke, dass ich es meinen zukünftigen Gästen wohl weiterempfehlen kann (www.uzhotel.ru). Der Vorteil ist die Nähe zu meiner Unterkunft, so dass man sich gut in der Metro-Station oder Elektritschka-Station Textilschchiki treffen kann, ohne dass man sich gleich aus den Augen verliert oder groß verfährt. Mit Olga war ich heute auf der Post, die auch Registrierungen vornehmen kann. Es ist allerdings nur möglich, die Registrierung durchzuführen mit demjenigen, der einen beherbergt. Der muss wiederum Eigentümer der Wohnung sein und darüber einen Nachweis vorlegen. Das macht eine Privatunterkunft wieder ungemein schwieriger.

Ansonsten lässt sich über den Tag nicht viel berichten. Ich muss nur bald wieder Geld abheben - nur leider ist der Kurs derzeit sehr schlecht für mich. Bei den meisten Banken liegt er unter 35 Rubel für einen Euro. Mal schauen, wie lange ich noch warten kann. Die Bankenkrise macht sich also bemerkbar - vor ein paar Wochen bekam ich noch über 37 Rubel für einen Euro. Aber lange kann ich nicht mehr warten, denn das Wohnheim will auch bezahlt werden!

 

 

Mittwoch, 29. Oktober 2008

In der Stalowaja stapelte sich heute jede Menge Streichkäse, den wir mitnehmen konnten. So bin ich heute wieder mit einem Paket mit 16 Bechern unter dem Arm im Wohnheim angekommen. Die ersten sechs habe ich schon verschenkt, so dass mir selbst noch zehn bleiben. Als ich gemerkt habe, wie gut der Käse schmeckt, habe ich beschlossen, dass ich den Rest behalten werde. Das Paket ist auch noch brauchbar, zumal ich damit irgendwann Post verschicken könnte.

Das Visum habe ich heute noch nicht erhalten - nun schauen wir, was der morgige Tag bringt. Es soll aber laut der Auslandsabteilung alles im absolut grünen Bereich sein. So ist morgen dann mein letzter Tag mit dem alten Visa in Moskau. Sollte ich Schwierigkeiten mit der Miliz haben, dann könnte ich Sascha, Alexej oder Juri Valerjewitsch anrufen und die würden alles weitere klären.

Heute Abend habe ich eine E-Mail an einen Dozenten auf Russisch geschrieben, den ich von einem Mitbewohner habe korrigieren lassen. Wären da nicht einige Müdigkeitsfehler drin gewesen, die ich hätte entdecken müssen, wäre der Text sogar recht gut gewesen. Ich habe den Eindruck, dass ich mich wenigstens grammatikalisch mausere. Nun muss ich nur noch die Antwort verstehen.

 

 

Mittlerweile hat sich ganz still und heimlich der zweite Monat vollendet und ich bin in den dritten Monat hier in Moskau gerutscht. Für mich ist es Zeit, wieder etwas zurückzuschauen und den Monat und meine Zeit an der orthodoxen Universität zu betrachten. Wenn ich den letzten Monat betrachte und überlege was ihn geprägt hat, dann hängt dies mit Stress und Zeit zusammen. Der Oktober war geprägt von sehr vielen Ausflügen - einmal nach Kolomna, nach Sergijew Possad und die Fahrt nach Swenigorod, die auch in die Zeit nach dem ersten Resümee fällt. Dann gab es hier und dort viele Treffen mit Freunden, der ein oder andere Museumsbesuch, die regelmäßigen Treffen mit denjenigen, die deutsch sprechen und dann zusätzlich die beiden Tandems Englisch-Russisch und Deutsch-Russisch. Abends treffen wir uns ja auch noch unregelmäßig zum Essen oder zum Unterhalten auf dem Zimmer. Zum einen waren diese Treffen und gemeinsamen Ausflüge ohne Ausnahme alle sehr schön und ich möchte keinen davon missen, ich habe aber auch gemerkt, dass ich viel ruhiger werden und einen Gang zurückschalten muss. Ebenso musste ich lernen, dass ich hier in Moskau nicht so akkurat planen kann, wie es in der Heimat der Fall ist. Irgendwo scheitert man dann doch wieder und es ist tatsächlich einfacher, ein Stück die russische Mentalität anzunehmen und die Dinge so zu nehmen, wie sie sind mit dem festen Glauben daran, dass am Ende dann doch alles gut wird. Insbesondere die Zeit des Wartens auf das Visum gehört dort hineingerechnet. Mit dem Stress in der Metro und der Elektritschka komme ich mittlerweile schon viel besser klar, auch wenn ich mich nach wie vor manchmal zur Ruhe zwingen muss, insbesondere dann, wenn ich mal wieder knapp dran bin. Ich in diesem zweiten Monat auch gelernt, nein zu sagen. Gestern Abend war beispielsweise ein Konzert einer Fakultät der Universität, zu dem ich auch mit etwas Nachdruck eingeladen worden bin. Ich habe von vornherein gesagt, dass ich komme, wenn ich Zeit hätte. Ich bin dann dort nicht gewesen, weil ich mit Elena und Anna Lieder in der Kirche gesungen und Tee getrunken habe und einen wirklich schönen und entspannten Nachmittag hatte. Anschließend wäre noch eine Party gewesen, wo es den ein oder anderen Schluck gegeben hätte. Ich wurde dann gefragt, wo ich gewesen sei und habe dann eben das zur Antwort gegeben, was ich gemacht habe. Und so ähnlich habe ich es auch schon mit anderen gemacht. Wenn ich allerdings gemachte und feste Termine absagen muss, weil etwas dazwischen gekommen ist, wie zum Beispiel in Sachen Visum, dann finde ich das nach wie vor nicht sehr gut, weil meine Zuverlässigkeit darunter leidet und andere auf mich vergebens warten. Ich habe das Gefühl, dass ich auf einem guten Weg bin, wieder mehr Zeit für mich zu finden und mit weniger Stress zu leben - auch wenn die ganze Sache mit dem Visum und der Auslandsabteilung der Universität den Spieß wieder völlig umdreht. Dies ist im Gegensatz zum anderen aber kein hausgemachter Stress. Ich habe darüber hinaus immer den Eindruck, dass es gut für mich ist, wenn ich hin und wieder raus aus Moskau komme und einen kleinen Ausflug mache. Ich bin bislang von allen Ausflügen entspannt und ruhig wieder nach Moskau zurück gekommen. Diese Zeit außerhalb der vielen Menschen, des Stresses, des Lärms, der schlechten Luft und den vielen Häusern ist Erholung für mich und tut mir richtig gut - auch wenn ich dafür mal früh aufstehen muss.

Im Leben in der Universität und im Wohnheim scheine ich jetzt einen festen Platz gefunden zu haben und fühle mich nach wie vor sehr wohl und gut aufgehoben, auch wenn die Hausverwaltung die ein oder andere eigenartige Regel aufgesetzt hat. Aber für den Preis von etwa 28 Euro Monatsmiete will ich mich nicht beschweren. Es haben sich jetzt Gewohnheit eingeschlichen, die den Tagen hier Routine und mir Sicherheit geben. So kenne ich mich langsam in Moskau besser aus, ich finde das, was ich finden will oder frage mich durch, bis ich mein Ziel erreicht habe. Was das Einkaufen angeht, so finde ich immer mehr heraus, wo ich was kaufen muss, damit ich nicht zu viel Geld ausgebe. Und im Zweifelsfall kann ich immer noch jemanden fragen, der mir dann mit Rat und Tat zur Seite steht. Es wird mittlerweile auch immer schwieriger, zu jedem Tag etwas in dieses Tagebuch zu schreiben, wenn sich nicht alles wiederholen soll. Den festen Platz in der Universität geben mir vor allem meine neuen Freunde und Bekannten, die ich hier sehr schätze. Im Wohnheim sind dies nach wie vor Oleg, Pjotr, Dmitri, Evgeni und Stephan, mit denen ich sehr gerne zusammensitze und mit denen ich auch mal ein Problem besprechen kann oder die einen Rat wissen, wenn mir mal wieder alles zuviel geworden ist. Besonders schön sind auch die Abende, wenn wir gemeinsam zu Abend essen und gemeinsam kochen oder etwas anderes gemeinsam machen. Stephan spielt für mich noch eine besondere Rolle, da er mich auch so lange auszuquetschen versteht, bis er weiß, warum ich ihm anders als sonst vorkomme. Er scheint ein besonderes Feingefühl dafür zu haben. Und mit ihm und zumeist Pjotr wird dann eine Lösung gesucht und die ganze Sache besprochen. Einmal kam Stephan und fragte, welche neuen Wörter ich denn gelernt hätte. Da es nicht so viele waren, haben wir gemeinsam überlegt, wie und wann ich neue Wörter lernen könnte. Mit den anderen im Wohnheim komme ich ohne Ausnahme gut klar und wir haben gemeinsam oft viel Spaß miteinander. Wobei jedes Verhältnis da anders ist - es gibt auch den ein oder anderen hier, der sehr reserviert oder ruhig ist. Im Schnitt haben sich Freundschaften mit Leuten aus höheren Kursen gebildet, da diese mehr mein Alter sind. Man muss halt dazusagen, dass viele Studenten erst 17 Jahre alt sind und frisch von der Schule und von zu Hause kommen. In der Uni vergeht kaum ein Moment, an dem nicht irgendjemand an mir vorbeiläuft und - sei es nur im Vorübergehen - die Hand gibt. Und oft bleibe ich dann wieder irgendwo zu einem kurzen Plausch hängen - die übrigens immer mehr in russischer Sprache stattfinden, weil ich mich immer öfter beschwere, dass ich doch russisch sprechen möchte. Obwohl, ich kann schon verstehen, dass die ihre Fremdsprachenkenntnisse an mir ausprobieren wollen. Sitze ich zu Mittag in der Stalowaja, dann wird oft das Essen kalt, weil ich mich entweder zu Freunden oder Bekannten dazusetze oder in dem Fall, dass ich früh bin, sitze ich eigentlich nie lange alleine. Und dann wird halt erzählt oder ich werde über meine Heimat, die Universität in Münster oder zu "privaten" Dingen ausgefragt. Mittlerweile scheinen auch einige Studentinnen hier etwas aufzutauen und erscheinen mir nicht mehr ganz so schüchtern - vor allem die, mit denen ich öfters zu tun habe. In der Uni sind es besonders Andrej, Olga, Daniel, Anton und ein paar andere, mit denen ich viel zu tun habe. Andrej unterstütze ich derzeit, dass er ab dem Sommer nächsten Jahres in Berlin studieren kann und bereite mit ihm ein wenig dieses Projekt vor und gebe ihm Unterstützung. Manchmal denke ich bei ihm nur, dass er ein wenig zügiger an die Sache drangehen sollte, vor allem, wenn ich meine Vorbereitungszeit der Bewerbung im Blick habe. Olga dagegen ist meine Sprachpartnerin, mit der ich mich einmal in der Woche zum deutsch und russisch sprechen treffe. Sie ist mir unlängst eine große Hilfe geworden, vor allem wenn es um knifflige Sprachprobleme geht. Leider waren unsere letzten Treffen immer etwas verspannt, weil wir beide sehr müde waren und deshalb keine großen Ideen hatten und wenig vorbereitet waren. Aber gerade sie versteht es, mich zu korrigieren. Manchmal kann sie sogar einen strengen Eindruck machen, das habe ich ihr zu Anfang gar nicht so zugetraut. Aber sie hat auch ein feines Gespür dafür, wenn ich Hilfe benötige: Ich habe sie über das Registrieren meiner zukünftigen Gäste ausgefragt und sie hat sich gleich bereiterklärt, mit mir zur Post zu gehen und dort nachzufragen. Auch sonst hat sie oft sehr gute Ideen. Und dann gibt es im Chor noch jemanden, dessen Namen ich zwar nicht kenne, der mich aber sehr unterstützt. Er hat eine kräftige Stimme und kann sehr gut neue Stücke singen. Und wir üben dann manchmal leise etwas alleine, wenn Vater Alexej gerade mit einer anderen Stimme übt. Das hilft mir sehr. Und letztendlich ist da noch Elena. Einerseits spricht Elena hervorragendes Deutsch und mit ihr mache ich sehr, sehr viel gemeinsam. Ich habe den Eindruck, dass wir völlig auf einer Wellenlänge sind und viele gleiche Ansichten und Gedanken haben. Sie ist es auch, von der ich sehr viel vom orthodoxen und russischen Leben mitbekomme. Sie ist eigentlich diejenige, die mir das Wesen Russlands und Moskaus zeigt - eigentlich genau das, was ich an der Fakultät nicht lernen kann. Oft sprechen wir über unsere Probleme, unsere Kirchengemeinde und unseren Glauben. Dabei haben wir sehr viele Gemeinsamkeiten. Sie zeigt mir ihre Kirchengemeinde, auf die sie ganz stolz ist und von der ich den Eindruck habe, dass sie ihre Familie oder wenigstens ihre zweite Familie ist. Dort verbringt sie sehr viel Zeit und fühlt sich sichtlich zu Hause. An ihr beeindruckt mich sehr, wie sehr sie im Glauben steht und wie tief sie darin verwurzelt ist. Für mich ist sie eine ganz, ganz wichtige Person geworden und ich hoffe, dass ich mit ihr noch viel gemeinsame Zeit verbringen darf - dies ist für mich übrigens auch sehr entspannend und beruhigend. Manchmal denke ich, dass es schade ist, dass sie erst 17 ist und wundere mich dann aber wieder, wie erwachsen sie doch ist und wie fest sie im Leben steht - und da spielt ihr Glaube mit Sicherheit eine ganz große Rolle. Alle diese Menschen machen mir meine Zeit in Moskau zu einer bislang wunderschönen Zeit, so dass ich sehr glücklich und dankbar bin, dass es sie gibt: Dank sei Gott! 

Während ich mich hier an einer Zusammenfassung des letzten Monats versuche, läuft im Computer die Göttliche Liturgie. Ich habe diese CD jetzt schon lange nicht mehr gehört, erkenne aber neuerdings einige Texte wieder, die mit einer anderen Melodie im Chor singen oder die ich in der orthodoxen Kirche gehört habe. Und zudem habe ich eine Vorstellung, zu welchem Zeitpunkt ein Lied gesungen wird bzw. was gerade am Altar geschehen würde. Und ich kann auch einiges davon verstehen, was gesungen wird. Im Chor singe ich nach wie vor mit großer Begeisterung, was auch viele andere Studenten mitsamt Vater Alexej merken. Immer wenn eine Pause ist, dann versuche ich das eben gelernte zu wiederholen. Wie schon gesagt, steht mir da sehr oft ein anderer Student zu Seite. Und oft sitze ich dann am Mittwoch oder Freitagabend in der Elektritschka und im Wohnheim und versuche das zu wiederholen, wo ich noch Schwierigkeiten habe. Auf den Mittwoch und Freitag freue ich mich immer sehr - eben wegen der Chorstunden. Ebenso bin ich immer sehr froh, wenn ich gemeinsam mit anderen singen kann. In den Vorlesungen verstehe ich langsam immer mehr, ich muss mich aber immer sehr dabei anstrengen. Insbesondere in den Vorlesungen Altes Testament, Ethik, Kirchenrecht verstehe ich recht viel. In anderen Vorlesungen habe ich Probleme, wenn unter den Studenten Unruhe herrscht oder der Dozent undeutlich bzw. leise spricht. Ich habe den Eindruck, dass ich in dem Sprachlernprozess Fortschritte mache, diese aber größer sein könnten, wenn ich mehr Ruhe und Zeit zum Vokabeln lernen finden würde. Gerade das gelang mir in den letzten Tagen vor dem Stress mit dem Visum wieder mehr, worüber ich sehr froh bin. Wenn ich mich mit meinen Kommilitonen und Mitbewohnern unterhalte, dann verstehe ich sie oft recht gut und kann dann auch antworten. Wenn ich selbst aber denke, dass ich mich konzentrieren muss weil etwas wichtig ist, dann verstehe ich wiederum oft überhaupt nichts. Scheinbar verkrampfe ich dann irgendwo, so dass ich dann sehr oft nachfragen muss oder rein gar nichts mehr verstehe. Ich versuche aber, möglichst oft russisch zu sprechen und dies auch mit wechselnden Gesprächspartnern. Das ist einerseits gut zur Kontaktpflege, andererseits höre ich dann aber auch mal die Sprache und Wortwahl von anderen Studenten. Da hilft mir auch die Arbeit in der Küche der Stalowaja, da die Leute dort ein ganz anderes Vokabular verwenden als beispielsweise der die Vorlesung haltende Dozent. Gerne unterhalte ich mich auch mit Alexander, der ja hier die Gartenanlagen pflegt. Und wenn ich nicht weiß, ob ich grammatikalisch korrekt gesprochen habe, dann lasse ich mich korrigieren. Wenn ich meine Sprachkenntnisse jetzt zusammenfassen würde, dann würde ich sagen, dass ich mehr praxisorientierte Vokabeln lernen muss und da mehr Struktur und Regelmäßigkeit hereinbekommen muss. Vor ein paar Tagen habe ich ein Buch gekauft, dass eine Einleitung in die orthodoxe Kirche und den christlichen bzw. christlich-orthodoxen Glauben darstellt. Es ist geschrieben für die Schule und für den Gebrauch in der Familie. Und gerade wenn ich in dem Buch lese, verstehe ich sehr viel. Mittlerweile gelingt es mir immer besser, meine Freunde und Bekannten auszubremsen, wenn sie mir zuviel englisch oder deutsch sprechen und die meisten halten sich auch daran. Ich selbst antworte zumeist in russisch, auch wenn jemand mit mir eine andere Sprache spricht. Und manchmal spreche ich alles durcheinander, dann habe ich meist einen langen Tag hinter mir.

Eigentlich vermisse ich auch nach zwei Monaten nichts, was dramatisch wäre. Natürlich denke ich sehr oft an meine Freunde, Bekannten und Eltern in Deutschland und male mir aus, was sie gerade so machen. Zu einigen halte ich ja recht regen Kontakt, worüber ich sehr froh bin. So bin ich immer gut informiert und kann mir gut vorstellen, was momentan Gesprächsthema ist. Manchmal bin ich sogar besser durch andere informiert, als denjenigen, den ich nach etwas frage. Und ich freue mich immer über eine Mail oder eine kleine Nachricht aus der Heimat, die meist recht ausführlich beantwortet wird. In den Zeiten, in denen ich erkältet bin, wünsche ich mir allerdings das gute Pfefferminz-Heilpflanzenöl, dass ich hier noch nicht gefunden habe. Es gibt zwar eine Art Ersatz, der mir jedoch zu chemisch und zu wenig wirksam ist - auch nicht mit Teelicht. Und ich vermisse vielleicht mal wieder eine schöne Heilige Messe, in der anständig gebetet und gesungen wird, so dass ich auch vernünftig mitsingen kann. In der Moskauer Gemeinde gefällt es mir nicht so gut, weil kaum einer mitsingt und betet. Es geht in dieser Beziehung sowieso eigentlich nichts über meine Heimatgemeinde - St. Mariä Himmelfahrt in Oldersum. Oft gehe ich lieber in die orthodoxe Liturgie, weil dort die Atmosphäre stimmt. Aber sonst mangelt es mir hier an nichts - auch nach etwas längerem Überlegen fällt mir nichts ein. Mittlerweile kann ich auch sagen, dass ich mit etwas Sparsamkeit und Bescheidenheit in Moskau etwa 500 Euro im Monat zum Leben benötige, sogar inklusive der Winterschuhe. Da kann ich in jedem Fall mit zufrieden sein und hoffe, dass ich weiter so haushalten kann. Im letzten Monat habe ich über die Kälte in meinem Zimmer geklagt. Mittlerweile läuft hier Tag und Nacht die Heizung, die sich auch nicht regulieren lässt. Mit ihr habe ich mir folgenden Umgang zueigen gemacht: Nachts habe ich das Fenster meist einen Spalt geöffnet, so dass es nicht ganz so warm wird. Auch tagsüber ist es oft etwas geöffnet. Und ein- bis zweimal am Tag wird einmal stoßgelüftet. Besonders gut kann man die Heizung bei leicht geöffnetem Fenster zum Trocknen von Socken, Unterhosen usw. benutzen. Leider darf ich meine Sachen ja nicht mehr an die Haken nach draußen hängen. Dennoch habe ich die Klammern nicht umsonst gekauft: Man kann die Socken, Unterhosen und alles andere wunderbar an die Heizung hängen. Und dadurch, dass das Fenster immer ein wenig geöffnet ist, habe ich noch nicht einmal eine hohe Luftfeuchtigkeit im Zimmer.

So kann ich letztlich von mir behaupten, dass ich im Oktober zwar hin und wieder etwas grummelig gewesen bin - vor allem wegen der Unzufriedenheit in den mangelnden Sprachfortschritten und dem Stress, von dem ich ja schon mehrfach geschrieben habe. Es überwiegt aber nicht der Stress und der Gram, sondern bei weitem die Freude und Dankbarkeit darüber, dass ich hier studieren kann und darf. Es ist so, als gehe gerade ein Traum für mich in Erfüllung, auf den ich drei Jahre in Studium und entgeltlicher Arbeit hingearbeitet habe.

Nun habe ich zum Abschluss des Monats ein Lied aus dem Soldatengesangbuch, dass mir seit einigen Tagen nicht aus dem Kopf geht. Es hat so viele Elemente, die auf meine jetzige Situation passen: Freude, Dankbarkeit, Weg, Weite, Hoffnung, Weggefährten, teilen Brot:

 

Kommt und singt ein Lied der Freude, ihr habt Grund zur Dankbarkeit.

Gottes Weg führt in die Weite aus der Hoffnungslosigkeit.

Ohne Gott heilt ihr vergebens,

was euch Leib und Seele kränkt.

Kommt mit uns zum Quell des Lebens,

der für immer Heilung schenkt.

 

Alle ihr seid eingeladen, alle, ohne Unterschied,

weil der Herrgott nicht auf Staaten, Rang und Rasse sieht.

Darum legt die Zäune nieder!

Keiner soll der Größte sein.

Sagt es weiter - immer wieder:

Groß ist nur der Herr allein.

 

Freiheit hat uns Gott gegeben, füreinander da zu sein.

Alle, die der Sorge leben, will zur Freude er befrein.

Keinen hat er abgeschrieben,

denn sein Opfer macht uns frei:

macht uns frei, die Welt zu lieben,

dass in ihr die Freiheit sei.

 

Frieden soll die Welt bewahren durch die Kraft, die Christus schenkt.

Wer sie annimmt, wird erfahren, dass ein guter Geist sie lenkt.

Unsre Augen sehn dann wieder, was dem Weggefährten droht.

Schwestern werden wir und Brüder,

teilen Brot und heilen Not.

 

Kommt mit uns zum Quell des Lebens, der für immer Heilung schenkt.

Ohne Gott heilt ihr vergebens, was euch Leib und Seele kränkt.

Gottes Weg führt in die Weite.

Gott sei mit euch allezeit!

Kommt und singt das Lied der Freude,

ihr habt Grund zur Dankbarkeit.

 

(Gustav Bosse Verlag / Kath. Soldatengesangbuch 2000)

 

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3Das Tagebuch habe ich zeitversetzt, aber immer aus der Abend-Perspektive des Tages geschrieben. Daher hier diese kleinen Zeitsprünge und Verwirrungen. Die Beschreibung der Kreuzverehrung ist aber noch nicht vollständig.

 

 

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