5.) Alles wird gut.

 

 

Donnerstag, 30. Oktober 2008

 

Ein Danklied sei dem Herrn für alle seine Gnade;

er waltet nah und fern, kennt alle unsre Pfade,

ganz ohne Maß ist seine Huld

und allbarmherzige Geduld.

 

O sei zu seinem Lob nicht träge meine Seele,

und wie er dich erhob, zu seinem Lob erzähle;

drum sei am Tage wie zur Nacht

sein Name von dir groß gemacht.

 

Gib dich in seine Hand mit innigem Vertrauen,

sollst nicht auf eitel Sand, auf echten Felsen bauen,

ganz geben dich in Gottes Hut

und sei gewiss, Er meint es gut.

(Gotteslob)

 

Heute habe ich etwa sieben Stunden vor Ablauf des alten Visums ein Neues erhalten! Das ist die wichtigste Botschaft des Tages! Das, was mir so viele Nerven, Telefonate und Zeit gekostet hat, ist jetzt endlich vorhanden. Jetzt kann ich endlich wieder beruhigt schlafen und mich entspannen. Ich hatte Sascha mittags schon angerufen und sie sagte mir, dass sie das Visum hätte - aber darauf habe ich noch nicht vertraut. Das wollte ich schon mit eigenen Augen sehen. Als ich es dann in der Hand hatte, habe ich es gleich allen möglichen Mitstudenten, die mir begegnet sind, erzählt. Der heutige Tag bis zum Erhalt des Visums war aber noch ganz schön von Sorgen geprägt. Was wäre, wenn ich das Visum nicht bekommen hätte? So schnell hätte ich gar nicht mehr ausreisen können. Aber jetzt ist zum Glück alles in Ordnung, Sascha will die Registrierung nächste Woche irgendwann vornehmen und dann ist alles in Ordnung. Ich bin jetzt nur sehr froh, dass dieser Stress vorbei ist und ich mich nicht illegal in Moskau aufhalten muss. Slawa Bogu (Dank sei Gott)!

Am Abend hielt mich der Wachmann an und gab mir einen Brief in die Hand. Es war exakt der Brief, den ich vor ein paar Tagen in die Post gegeben hatte - im Postamt. Es konnte mir keiner erklären, warum der Brief zurückgegangen ist.

 

 

Freitag, 31. Oktober 2008

In den letzten Tagen hat habe ich eine Mail bekommen, in der stand, dass man eigentlich nie weiß, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet. Das habe ich heute ebenfalls wieder erlebt. Hatte ich doch geplant, nach der Chorstunde zur Post und dann ins Internet zu gehen. Dann hätte ich noch Zeit zum Vokabeln lernen gehabt. Bis zu Post bin ich gekommen und habe auch die Briefe aufgegeben - unter anderem auch der fehlgeleitete Brief. Auch in der Post konnte mir keiner sagen, warum er wieder zurückgekommen ist. Zwischendurch klingelte das Handy bei mir: Es war Olga, die fragte, ob ich nicht zurück zur Uni kommen könnte, weil sie gerne mit mir deutsch sprechen wollte. Und Freitag ist ja der Tag, an dem ich gesagt hatte, dass wenn jemand zum deutsch sprechen da ist, dass wir dann deutsch sprechen. So habe ich sie dann vor der Kirche getroffen - dort standen aber noch Pjotr und Anton. So haben wir unter dem Kastanienbaum gestanden, gequatscht und herumgealbert. Irgendwann kam noch Elena dazu. Aber viel deutsch haben wir nicht gesprochen. Und so wurde es immer später und später. Der Regen kam dann auch noch dazu. So haben Pjotr und ich, nachdem Olga und Anton schon eine ganze weg waren, Elena zur Metrostation gebracht und sind dann zu meinem Internetplatz gegangen. Dort war ich erst im Internet, dann haben wir beide gemeinsam noch ein Bierchen getrunken - auf den Erhalt meines neuen Visums. So war ich dann erst recht spät wieder daheim. Also: Es zeigt sich, dass man hier kaum planen kann, denn was der nächste Moment bringt - wer weiß es schon? Dennoch: Am Dienstag ist wieder ein Fest in der orthodoxen Kirche, so dass wir kein Unterricht haben. Auf dem Flur in der Uni hat mich dann ein Mädchen angesprochen - Mascha - die mit gerne mit mir in die Tretikowskaja-Galerie möchte. Das haben wir uns für Dienstag vorgenommen. Nun bin ich mal gespannt, wie und was das wird. Ich kenne Mascha keine fünf Minuten... 

Heute habe ich in der Küche sogar recht viel arbeiten können: Dieses Mal war ich wieder im Saal eingesetzt und durfte die Tabletts und Tische abwischen, mich wieder um den Tee kümmern - also darauf aufpassen, dass genug Zucker, Zitronenstücke, heißes Wasser und eben genug Tee im Kessel ist. In Russland wird der Tee anders zubereitet und getrunken: Zunächst zieht der lose Tee in einem eigenen Gefäß, bis er stark und dunkel in der Farbe ist. Dann wird etwas davon in eine Tasse geschüttet und mit kochendem bzw. heißem Wasser verdünnt. Dazu kommt dann noch beliebig viel Zucker und von den Zitronenstückchen. Milch habe ich in einem russischen Tee bislang noch nicht gefunden, auch Teebeutel gibt es eigentlich nicht - wohl schon fertig abgepackte Teebeutel, die man kaufen kann. Getrunken wird meist schwarzer Tee.

 

Da nun Monatsende ist, möchte ich einen Blick auf meine realen Kosten im Monat werfen und kurz erläutern. Diese Aufstellung soll hier ihren Platz finden, um künftigen DAAD-Studenten einen Anhalt zu geben, wie teuer das Leben hier ist bzw. wie günstig es hier sein kann - es kann aber auch vielleicht interessant für alle anderen sein. Zunächst habe ich einige Unterteilungen vorgenommen, um eine grobe Zweckgebundenheit der Ausgaben darstellen zu können. Bei den Spalten "Brot", "Wasser", "Mensa" und "Eis" habe ich eine Unterteilung zur weiteren Kalkulation unternommen - im Hintergrund stehen die Fragen: Wie viel Brot und Wasser brauche ich monatlich, wie oft gehe ich in der Stalowaja essen und bezüglich des Eises steckt lediglich ein Kontrolle für mich dahinter, dass ich nicht zuviel Eis kaufe und esse. So kann ich davon ausgehen, dass ich täglich etwa ein Brot esse und etwa eine 3/4 2-Liter-Flasche Wasser trinke. Sonst gibt es bei mir oft den mitgebrachten Ostfriesentee oder und mische oft eine Fruchtschorle zusammen. Und in die Stalowaja gehe ich bislang täglich außer am Sonntag essen. Wobei ich am Freitag dort umsonst esse - eben weil ich dort unentgeltlich arbeite. Miete und Metro finden sich jeweils nur einmal innerhalb der Spalte, da sie fixe Kosten sind, die regelmäßig einmal im Monat auftreten. Hier sei jedoch bemerkt, dass die Monatsmiete für Moskauer Verhältnisse sehr günstig sind, was daran liegt, dass das Wohnheim in der Obhut der Russisch-Orthodoxen Kirche ist. Dieser Preis von nicht einmal dreißig Euro ist sicherlich für mich ein großer Glücksfall, weil er total unüblich in dieser großen Stadt ist. Die Fahrkarte für die Metro ist ebenfalls ein Studentenpreis. Unter der Spalte "Fahrkarte" habe ich versucht herauszufinden, wie oft ich mit der Elektritschka unterwegs bin und wie viel ich dafür ausgebe. Ich kann jeden Tag von zwei Fahrten ausgehen - samstags auch mal zwei mehr, wenn ich zur katholischen Kirche in die Vorabendmesse fahre. Dort wo sich Beträge jenseits der 40 Rubel finden, habe ich einen Ausflug in die Umgebung von Moskau gemacht. Unter der Spalte Lebensmittel kann man folgende Regelmäßigkeit bei mir feststellen: einmal in der Woche eine Packung Käse, eine Fleisch- bzw. andere Wurst, ein Glas Marmelade und ein bis zwei 2-Liter-Pakete Fruchtsaft, etwas Paprika, Tomaten, Champions, Mais, Kartoffeln usw. - Essen, das ich meist ein- bis zweimal pro Woche selbst zubereite, in der Regel dann, wenn die Stalowaja geschlossen hat. An dieser Stelle setze ich mich aber von den russischen Essgewohnheiten ab, da die Jungs hier gerne zwei oder sogar drei warme Mahlzeiten täglich zu sich nehmen. Mir reicht dagegen meist eine warme Mahlzeit aus. Morgens und abends reicht mir Brot mit dem üblichen Belag vollkommen aus. Oft genug werden die Einkäufe durch Massen von Joghurt, momentan Käse und anderen Sachen aus der Stalowaja ergänzt, die hier dann natürlich auch nicht aufgeführt werden. Unter die Spalte "Lebensmittel" fällt aber auch, wenn ich mal in einem Café etwas gegessen habe - die Preise dafür liegen ungefähr im westeuropäischen Durchschnitt.

Ich glaube, dass es mir alles in allem gelungen ist, ein für Moskau recht günstiges Leben zu führen. Dies liegt zum einen an der geringen Miete und den studentischen Vergünstigungen in Elektritschka und U-Bahn. Dadurch, dass wir Waschmittel, Spülmittel und Bettwäsche vom Wohnheim gestellt bekommen, wird das Leben hier noch einmal etwas günstiger. Alles in allem scheine ich großes Glück zu haben, so günstig in dieser Stadt leben zu können, worüber ich wirklich dankbar bin. Dadurch kann ich mir dann hin und wieder auch mal eine CD oder Bücher, die hier auch günstig sind, leisten.

Ins Internet gehe ich zumeist kostenfrei in ein Einkaufszentrum in der Nähe der Hl.-Tichon-Universität und so wie alle anderen Studenten verzichte ich meistens auch darauf, ein Getränk zu kaufen. Der Getränkestand hat ohnehin sein Geschäft aufgegeben. 

 

Oktober
Tag Brot Wasser Mensa Fahrkarte Lebensm. Miete, Metro Eis/etc. Sonstiges

Produkt

1 10,90р. 22,43р. 40,00р. 19,00р. 0,00р. 180,00р. 7,00р. 89,50р. Handcreme
2 10,90р. 22,43р. 40,00р. 19,00р. 262,38р. 1.000,00р. 7,00р. 50,00р.  
3 10,90р. 22,43р. 40,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 7,00р. 315,00р. Handy, Getränke
4 23,00р. 22,43р. 0,00р. 115,00р. 250,00р. 0,00р. 21,00р. 0,00р.  
5 0,00р. 15,90р. 0,00р. 19,00р. 311,10р. 0,00р. 50,00р. 130,00р. Eintritt/Gepäckaufbewahrung
6 0,00р. 15,90р. 40,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 0,00р. 1.360,10р. Handy, Post
7 12,80р. 12,80р. 0,00р. 19,00р. 156,36р. 0,00р. 7,00р. 0,00р.  
8 15,00р. 13,90р. 40,00р. 19,00р. 147,50р. 0,00р. 12,00р. 0,00р.  
9 10,90р. 13,90р. 0,00р. 19,00р. 256,70р. 0,00р. 0,00р. 25,00р. Mappe f. Chor
10 14,00р. 13,90р. 40,00р. 19,00р. 62,00р. 0,00р. 8,00р. 150,10р. Erkältungsduftöl
11 10,90р. 13,90р. 40,00р. 28,50р. 173,80р. 0,00р. 0,00р. 70,00р. Pepsi, Buch
12 10,90р. 0,00р. 0,00р. 151,00р. 26,00р. 0,00р. 0,00р. 100,00р. Mütze
13 10,90р. 0,00р. 40,00р. 19,00р. 417,27р. 0,00р. 0,00р. 106,00р.  
14 10,90р. 0,00р. 40,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 0,00р. 610,00р. CD's mit der Vtschernaja
15 0,00р. 0,00р. 40,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 7,00р. 0,00р.  
16 10,90р. 0,00р. 40,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 7,00р. 304,00р. Buch, Kopien
17 10,90р. 15,40р. 0,00р. 19,00р. 275,96р. 0,00р. 12,00р. 0,00р.  
18 10,90р. 15,40р. 40,00р. 19,00р. 50,00р. 0,00р. 7,00р. 90,00р. Eintritt/Postkarten
19 10,90р. 0,00р. 0,00р. 19,00р. 66,29р. 0,00р. 7,00р. 20,00р.  
20 29,90р. 0,00р. 40,00р. 28,00р. 339,50р. 0,00р. 0,00р. 214,80р. Kerzenduftteil; Kerzen; Porto
21 25,90р. 0,00р. 40,00р. 19,00р. 85,91р. 0,00р. 0,00р. 213,90р. Handy, Feuerzeug
22 0,00р. 0,00р. 40,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 17,00р. 0,00р.  
23 10,90р. 0,00р. 40,00р. 19,00р. 82,40р. 0,00р. 0,00р. 0,00р.  
24 10,90р. 0,00р. 0,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 7,00р. 65,00р. Tee
25 10,90р. 0,00р. 40,00р. 28,50р. 50,00р. 0,00р. 0,00р. 698,85р. Briefmarken, Postkarten
26 10,90р. 15,40р. 0,00р. 19,00р. 414,87р. 0,00р. 0,00р. 0,00р.  
27 16,00р. 15,40р. 40,00р. 19,00р. 81,50р. 0,00р. 0,00р. 3.823,00р. Winterschuhe, Visum
28 10,90р. 15,40р. 40,00р. 19,00р. 327,44р. 0,00р. 0,00р. 149,90р. Ordner mit Zetteln
29 10,90р. 15,40р. 40,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 7,00р. 400,00р. Visa
30 10,90р. 15,40р. 44,00р. 19,00р. 124,57р. 0,00р. 7,00р. 0,00р.  
31 16,00р. 0,00р. 0,00р. 19,00р. 0,00р. 0,00р. 0,00р. 81,90р. Post
Summe: 359,70р. 297,70р. 844,00р. 845,00р. 3.961,55р. 1.180,00р. 197,00р. 9.067,05р.  
Euro 10,18 € 8,42 € 23,88 € 23,91 € 112,09 € 33,39 € 5,57 € 256,54 €  
  16.752,00р. 473,97 €  

Letztendlich finden sich hier die Summen, von denen die letzte Spalte selbstverständlich die größte Summe für sich beansprucht - allein schon wegen der Schuhe. Hier finden sich aber auch alle anderen Ausgaben, die mehr oder minder selten oder höchst unregelmäßig vorkommen: Briefmarken, Visumgebühren, die Winterschuhe, Kleidungsgegenstände, Sachen für das Studium usw. Im ermittelten Umrechnungskurs von 35,3441 Rubel sind die Bankgebühren von derzeit vier Euro je Abhebung mit enthalten.

 

 

Samstag, 01. November 2008 - Allerheiligen und Allerseelen

Der heutige ist aus der abendlichen Perspektive gesehen doch recht ereignisreich gewesen, auch wenn er wie ein üblicher Tag ausgesehen hat. Zunächst war ich auf der Bank, um das Geld für das Wohnheim in bar auf das Konto der Bank einzubezahlen. Hier werde ich allerdings beim nächsten Mal versuchen, die Bank, bei der das Wohnheim ein Konto hat, selbst aufzusuchen, um die Gebühr einzusparen - immerhin fast ein Mittagessen pro Einzahlung. Und genau das ist zum ersten November wesentlich teurer geworden, aber immer noch günstig: Anstelle der 40 Rubel kostet es jetzt 60 Rubel. Dies ist nach wie vor nicht sonderlich viel, so dass man dennoch günstig in der Stalowaja essen gehen kann. Nun stellt sich natürlich die Frage, ob sich beim Essen irgendwas ändern wird.

Nach der Dogmatikvorlesung war ich also zunächst in der Stalowaja und dann im Internet. Vor dem Essen habe ich Elena kurz getroffen, die mir nur sagte, dass wir uns um halb vier vor der Kirche treffen würden und dass sie kein Handy dabei hätte. Dann war sie aber auch schon wieder verschwunden. Ich war jetzt in der festen Überzeugung, dass wir uns vor ihrer Kirchengemeinde treffen, was ja auch unser Ziel sein sollte. Und so stand ich dann lange dort und habe auf sie gewartet. Zwischendurch kam Vater Alexej, den Diakon aus Kolomna, den ich mit Elena besucht habe und dann fingen die Glocken an zu läuten. Nach dem Läuten bin ich dann in die Kirche gegangen, weil ich dachte, dass sie dort hilft und mich vor lauter Arbeit vergessen hatte. Irgendwann kam Elena dann - sie hatte vor der Fakultätskirche gewartet. Ein kleines Missverständnis - genau an dem Tag, wo sie ihr Handy nicht dabei hat. So konnte ich dann Vater Alexej dienen sehen und Elena einige Psalmen "sprechen" hören - was eigentlich ein Sprechgesang ist. Dann sagte mir Elena zwischendurch, dass Vater Alexej vielleicht morgen zum Priester geweiht werden könnte, die Matuschka hätte da so eine Vorahnung. Nun wollte ich wenigstens einmal an diesem Wochenende in die Heilige Messe, da heute ja Allerheiligen ist - in der orthodoxen Kirche ist heute übrigens Allerseelen. Aus diesem Grund habe ich mich dann dazu entschieden, nach der orthodoxen Vesper noch in die katholische Kirche zu fahren. Kurz bevor ich dann abgefahren bin, wusste Elena, dass Vater Alexej tatsächlich morgen zum Priester geweiht wird. Das wollten wir beide uns nicht entgehen lassen und so haben wir uns für den nächsten Tag um halb neun in der Metro-Station Sportivnaja in der Nähe des Novodevicny-Klosters, wo ich eine Woche zuvor war, verabredet.

 

Elenas Heimatgemeinde: "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia".

 

So bin ich dann im schnellstmöglichen Tempo zur katholischen Kirche gefahren, wo ich noch ein kleines Kreuz und Gebetbuch in dem kleinen Laden bei der Kirche gekauft habe - als Geschenk für Vater Alexej. Ich war dann etwas zu spät in der Heiligen Messe und habe ich zuerst gewundert, warum ich nur Messdiener und keine Priester sehe, gerade aber die Lesung gelesen wurde. Die Priester saßen alle weiter hinter dem Altar bei dem Erzbischof Pezzi, den ich dann heute zum ersten Mal in der Heiligen Messe erleben konnte. Anschließend fand noch eine Prozession durch die Kirche statt, die ich auch mitgemacht habe. So langsam kann ich auch ohne Gesangbuch die ersten Gesänge mitsingen! Während alle anderen das Lied "Großer Gott wir loben Dich" auf Russisch gesungen haben, habe ich mir allerdings die deutsche Version genehmigt.

Nach der Prozession habe ich dann das Gebetbuch und das Kreuz noch in der Sakristei segnen lassen und das erste Mal Bekanntschaft mit einem der Priester gemacht. Obwohl er aus Moskau bzw. Russland stammt, was für katholische Priester in Russland nicht üblich ist, sprach er deutsch - lange nicht so gut wie Elena oder Nina - aber immerhin. Ich habe ihn aber höflich gebeten, mit mir Russisch zu sprechen. Ich habe mich ihm zudem vorgestellt und meine E-Mail-Adresse hinterlassen, damit ich einen Termin zur Vorstellung bei Erzbischof Pezzi erhalte, zu dem mir Bischof Clemens aus Saratov geraten hat.

Im Wohnheim habe ich völlig geschafft noch ein paar Worte in die Grußkarte für Vater Alexej geschrieben und bin dann völlig geschafft ins Bett gefallen.

 

 

Sonntag, 02. November 2008 - Allerseelen (katholisch)

Wie verabredet haben Elena und ich uns in der Metro getroffen und sind dann ins Kloster gelaufen. Es dauerte auch nicht lange, bis wir herausgefunden hatten, in welcher Kirche Vater Alexej zum Priester geweiht werden würde und so haben wir uns einen Platz weit vorne gesichert, mit einem guten Blick auf den Altar. Elenas Stimmung war allerdings etwas betrübt, weil keiner aus ihrer Kirchengemeinde, aus der Vater Alexej auch stammt, zu sehen war - auch nicht seine Frau, auch wenn das so kurzfristig bekannt wurde.

Vater Alexej selbst ist 25 Jahre alt und im Mai diesen Jahres zum Diakon geweiht worden. Er selbst wäre noch gerne etwas länger Diakon geblieben, wurde nun aber heute schon geweiht. Er hat gestern Abend, wie ich ja schon geschrieben habe, die Vesper mitgefeiert und dann die ganze Nacht betend im Altarraum der Kirche verbracht, um sich auf dieses Amt vorzubereiten.

Nach dem Cherubikon und dem großen Einzug war es dann soweit. Vater Alexej wurde durch die Königstüren an den Altar geführt, drei Mal um den Altar geführt. Dann hat er sich an der rechten Seite des Altars niedergekniet, den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt. Dann wurde vom Bischof ein Weihegebet aus einem Buch gesprochen, dass über seinen Kopf gehalten wurde und anschließend von Chor und den Priestern, Diakonen und Messdienern "Akzios" gerufen - die eigentliche Weihe. Dann wurden ihm noch die priesterlichen Würden wie Stola usw. überreicht. Kurz darauf wurde dann noch ein Diakon geweiht.

Nach der Göttlichen Liturgie haben wir uns noch von ihm segnen lassen und stellte sich dann heraus, dass wenigstens seine Mutter noch mit in der Kirche war und ich konnte ihm nach einigem Warten noch mein Geschenk überreichen, worüber er sich gefreut hat.

Nach diesem spannenden Vormittag bin ich dann wieder ins Wohnheim gefahren, habe vorher noch eingekauft und mir dann Bratkartoffeln machen wollen. Eigenartigerweise ist da aber vielmehr ein Auflauf als Bratkartoffeln daraus geworden. Geschmeckt hat es aber dennoch. Das muss ich demnächst tatsächlich mal versuchen, mit Käse zu überbacken. Davon ist allerdings so viel übrig geblieben, dass ich auch noch zu Abend davon essen kann.

 

 

Montag, 03. November 2008

Das war ein Tag der Absagen! Zunächst simste mir Xenia, dass sie keine Zeit für unser Englisch-Tandem hat. Nun stelle ich mir mittlerweile die Frage, ob diese Aktion eine Zukunft haben wird. Wenn nicht, dann ist es eigentlich auch gut, weil ich mehr Zeit habe. Andererseits ist es auch nicht gut, denn an dem Tag habe ich doch recht viele neue Wörter gelernt. Dann fiel heute die Ethik-Vorlesung aus, so dass ich drei Stunden auf den Gottesdienst hätte warten müssen, zu dem ich eigentlich hin wollte, bin dann aber ins Wohnheim gefahren. Dort angekommen sagte mir dann Mascha ab - wir wollten am morgigen Tag eigentlich in die Tretikowskaja-Galerie gehen - sie muss nun aber für Klausuren lernen. So will ich mal schauen, was ich morgen machen werde. Der Gottesdienst kündigt es schon an - es morgen wieder ein Feiertag, sowohl ein staatlicher als auch ein kirchlicher. Dementsprechend leer war heute auch die Stadt: Viele Geschäfte waren geschlossen und überhaupt waren die Straßen für Moskau ungewöhnlich leer. Viele nutzen wohl den Brückentag und haben sind in ihre Datscha vor den Toren Moskaus gefahren. Auch in der Uni war heute etwas weniger los als sonst - das war zumindest mein Eindruck.

Gestern musste ich notgedrungen ein Brot kaufen, das kaum gebacken aussah. Das habe ich heute morgen im Backofen aufgebacken - mit vollem Erfolg. Als ich aus dem Waschraum wieder herauskam, da zog mir schon ein leckerer Duft in die Nase - und noch viel besser hat das Brot dann geschmeckt. Heute Abend habe ich das wiederholt - Kostja und ein weiterer Student waren mit dabei. Zunächst wurde mir die skeptische Frage gestellt, was ich da mache; als die beiden dann aber probiert haben, dauerte es nicht lange und das Brot war weg.

 

Station Ploschschad Revolutii - Platz der Revolution

In den letzten Wochen komme steige ich immer häufiger in einer der schönsten Metro-Stationen Moskaus um - zudem ist es noch die älteste. Wenn ich die Station betrete, dann herrscht dort ein dunkles und beruhigendes gelbliches Licht, dass von den Lampen, die in der Halle von der Decke hängen, ausgeht. Alles ist in grauem oder rotbraunem Marmor gehalten. Zu meiner rechten befinden sich die Gleise der U-Bahn und zu meiner linken tun sich die Durchgänge in die Haupt- oder Mittelhalle auf, die als marmorne Rundbögen gebaut sind. An den vier Ecken dieser Rundbögen sind jeweils Skulpturen angebracht - allesamt aus mittlerweile aus glanzlos gewordenem Messing - dennoch strahlen sie ihren Charme aus. Sie alle zeigen Berufe oder zeigen den Stolz der ehemaligen Sowjetunion und mit Sicherheit auch deren vergangene Stärke: den Gleisarbeiter, Fallschirmspringer, Flughafenlotsen, Polizist mit Wachhund, das Mädchen mit Gewehr, den Bergmann, Ingenieur, den Bauern und die Bäuerin, den Studenten und die Studentin, den Sportler, Vater mit Kind, die zwei Schüler mit einem Globus in der Hand und zwei Jungs mit einem Spielflugzeug unterm Arm und die Frau mit Kind. Viele diese Figuren haben einige blanke und goldene Stellen, weil die Menschen sie im Vorbeigehen kurz berühren oder anfassen. Sie gelten als Glücksbringer. Insbesondere der Hund des Polizisten hat eine goldene Schnauze. Fährt man mit der Rolltreppe hinauf zum Ausgang, dann sieht man zunächst den großen Kronleuchter, der in der Kuppelhalle hängt und dann fällt der Blick auf ein großes Bild, das auf die Marmorwand gemalt wurde - es zeigt rotes Tuch und in der Mitte Hammer und Sichel mitsamt Kommunistenstern zur Ehre des 30jährigen Bestehens der Sowjetunion. Rechts befindet sich die Nationalhymne der Sowjetunion. Es muss demjenigen, dem das sozialistische System oder die Sowjetunion naheliegt, wie eine Art Fahrt in den sozialistischen Himmel vorkommen - auf der Rolltreppe der roten Fahne und Hammer und Sichel entgegen... Betrachtet man diese Bauwerke genauer, kann man in der Tat eine Anlehnung der Bauten an eine Religion finden. Diese Bauten haben gewisse Elemente, die einem Gotteshaus durchaus ähnlich sind: Kuppelhallen, Lenin, viele Verzierungen, Bilder sozialistischer Taten, usw. Und es lässt sich in diesem Fall vielleicht sogar eine gewisse Symbolik deuten: Aus dem Dunkel, der Unterwelt hinauf in den kommunistischen Himmel.

Tritt man aus der Metrostation nach draußen und betrachtet das Äußere der Station, so meint man, man stehe vor einem gewöhnlichen Wohnhaus und keinesfalls vor einer Metrostation bzw. einem Tempel zu Ehren der Sowjetunion. 

Und hier nun einige Bilder:

 

Bescheiden und unauffällig sieht die Metrostation "Platz der Revolution" von außen aus

 

Fahrt mit der Rolltreppe in den kommunistischen Himmel?

 

Fragwürdiger Ruhm, dennoch imposant. Blick auf das Gemälde von der Rolltreppe aus

 

  

"Ruhm sei und Lobgesang, dir, freies Vaterland!
Freundschaft der Völker hast fest du gefügt."
Aber wie, steht nicht dabei...
 

So sieht es aus, wenn man die Rolltreppe hinab fährt

 

Mittelhalle

 

 Bögen mit Skulpturen - aus Marmor und Messing

 

Museum oder Metro? Metro und Museum?

 

 

Jungs mit Spielflugzeug und Schüler mit einem Globus

 

 

Vater mit Kind und ein Sportler

 

 

Student und Studentin

 

 

Bauer und Bäuerin

 

 

Ingeneuer und Bergmann

 

 

Frau mit Gewehr und Polizist mit Wachhund

 

 

Flughafenlotse und Fallschirmspringer

 

 

Gleisbauer und eine Frau mit ihrem Kind.

 

Platz der Revolution

 

 

Dienstag, 04. November 2008 - Fest der Kasaner Ikone der Gottesmutter Maria und Fest der Einheit der Völker

Wie an Feiertag in Moskau zumeist üblich, waren die Straßen heute recht leer, so dass es heute angenehm ruhig in Moskau war. Beide Feste gehören zusammen zur Geschichte Moskaus. Im Jahre 1612 wurde die Stadt von Polen belagert. Dann taten sich viele Menschen und Kämpfer zusammen (Einheit des Volkes) und vertrieben die Leute aus der Stadt. Bevor wurde die Kasaner Ikone der Gottesmutter Maria in einer Prozession um die Stadt getragen, der dieses Wunder zugeschrieben wird.

Dementsprechend war ich heute mit Pjotr in der Göttlichen Liturgie und anschließend haben wir uns noch gemeinsam in der Stalowaja mit Elena unterhalten. Nach dem Essen bin ich ins Internet gegangen und habe in Osnabrück bei einem Bekannten angerufen, der wahrscheinlich Mitte November durch Moskau reist und mir dann bestimmt ein paar Sachen aus der Heimat mitbringt. Während dem kurzen Telefonat - mein Guthaben reichte für nicht viel aus - fragte er mich, ob ich morgen auch in den Gedenkgottesdienst für die zwei verstorbenen Jesuitenpriester gehen würde. Bislang wusste ich zwar aus dem Nachrichtendienst Östliche Kirchen vom 30.10.2008 (www.kirchen-in-osteuropa) zwar, dass zwei Priester vermutlich ermordet worden seien. Diese Vermutung wurde jetzt von ihm bestätigt. Dazu fand ich heute folgenden Artikel im Internet:

 

"Zwei Jesuiten in Moskau ermordet

Otto Messmer war Provinzial der Gesellschaft Jesu in Russland

FREISING/MOSKAU, 29. Oktober 2008 (ZENIT.org).- Mit großer Bestürzung haben Geschäftsführung und Mitarbeiter des katholischen Osteuropa-Hilfswerks Renovabis heute am frühen Morgen die Nachricht vom plötzlichen Tod zweier römisch-katholischer Priester in Moskau aufgenommen.

Laut Moskauer Nachrichtenagentur RIA waren die Jesuitenpatres Otto Messmer (47), Provinzial der Gesellschaft Jesu in Russland, und der aus Kolumbien stammende Victor Betancourt-Ruiz (42) am Vorabend, Dienstag, den 28. Oktober 2008, tot in ihrer Wohnung in der Petrovka-Straße aufgefunden worden. Gemäß einer Information der Jesuiten wiesen die beiden Priester erhebliche Verletzungen auf, die von einem Angriff herrühren. Nach Angaben des Sprechers der Erzbischöflichen Kurie in Moskau, Pater Igor Kowalewski, hatten die beiden Priester zuvor nicht auf Telefonanrufe reagiert. Daraufhin hätten ihre besorgten Mitbrüder die Wohnungstür aufbrechen lassen und die toten Jesuitenpatres entdeckt, so Kowalewski in einem Telefonat mit Jörg Basten, dem zuständigen Renovabis-Länderreferenten für Russland.

Wegen des Verdachts auf ein Gewaltverbrechen sei umgehend die Kriminalpolizei eingeschaltet worden, die bis zum frühen Mittwochmorgen Spuren gesichert habe. Diese werden zur Stunde noch ausgewertet. Der Vorfall werde von russischer Seite auf höchster Ebene behandelt, heißt es. Die Administration des russischen Präsidenten Dimitri Medwedjew habe sich in die Aufklärung eingeschaltet.
Otto Messmer wurde am 14. Juli 1961 geboren und wuchs in einer kinderreichen Familie im kasachischen Karaganda auf. 1982 trat er in die Gesellschaft Jesu (SJ) ein. Nach Abschluss seiner theologisch-philosophischen Studien in Riga weihte ihn Kardinal Julian Vaivodsa 1988 zum Priester. In der heutigen kasachischen Hauptstadt Astana begann Messmer seinen seelsorglichen Dienst. Später leitete er als Rektor das Vorseminar in Novosibirsk und kümmerte sich dort um die Ausbildung der Priesteramtskandidaten. Während der letzten Jahre verantwortete der Jesuit als Ordensoberer die Geschicke der unabhängigen russischen Region der Gesellschaft Jesu in der russischen Hauptstadt.
Victor Betancourt-Ruíz lehrte als Professor am Institut für Theologie, Philosophie und Geschichte der Jesuiten in Moskau. Er wirkte erst seit einigen Jahren in Russland.
Der Präsident von „Kirche in Not“, Pater Joaquín Alliende, drückte in seinem Beileidsschreiben an den Generaloberen des Jesuitenordens, Pater Adolfo Nicolás, seinen „tiefen Schmerz“ über die Ermordung der beiden Priester aus, die beide „in einem fruchtbaren Kontakt“ mit dem Hilfswerk gestanden hätten, das ihren „großzügigen Einsatz im Dienst an den Katholiken in Moskau kennen lernen durfte“. Das Werk verstehe das Leid so vieler Menschen in Moskau und in ganz Russland und teile die Trauer der russischen katholischen Bischofskonferenz sowie „die feinfühlige Anteilnahme Seiner Heiligkeit Aleksij II., des Patriarchen von Moskau und ganz Russland“, heißt es in dem Schreiben weiter. [...]“
Patriarch Aleksij II. hat heute (29.10.) in Moskau bei seinem Treffen mit dem Vorsitzenden der französischen Bischofskonferenz, Kardinal André Vingt-Trois, der katholischen Kirche seine Anteilnahme ausgedrückt. Auch Vertreter der Muslime in Russland haben der katholischen Kirche ihre Bestürzung über den Mord und ihr Mitgefühl bekundet. In der katholischen Kathedrale von Moskau wurde heute um 18 Uhr Ortszeit ein Gedenkgottesdienst gefeiert.
Die Hintergründe der Tat liegen noch im Dunkeln. Offenbar wurden die beiden Jesuiten erschlagen. Zum Zeitpunkt ihrer Auffindung scheinen sie bereits 24 Stunden lang tot gewesen zu sein.
"

(Quelle: ZG08102902 - 29.10.2008; Permalink: http://www.zenit.org/article-16284?l=german)

 

Zu dem Thema möchte ich Folgendes bemerken: In einigen Berichterstattungen wird darauf hingewiesen, dass es in vergangener Zeit Auseinandersetzungen zwischen katholischer und Russisch-orthodoxer Kirche gegeben hat oder es sie noch gibt. Das ist nicht zu leugnen. Einige Medien stellen jedoch die Ermordung der katholischen Priester indirekt in den Zusammenhang mit der Russisch-orthodoxen Kirche oder lassen Vermutungen vor allem bei unkundigen Lesern aufkommen, die die Russisch-orthodoxe Kirche in einen schlechten Verdacht rücken lassen. Ich denke, dass den orthodoxen Glaubensbrüdern und -Schwestern dort schweres Unrecht widerfährt. Allein schon die Anteilnahme des Patriarchen Alexej sollte die Vermutung einer orthodox motivierten Tat verblassen lassen. Ich selbst bin hier an der Fakultät von allen sehr gut und freundschaftlich aufgenommen worden. Und so beten wir mit- und füreinander. Das zeigt mir einen guten christlichen Geist. Letztlich zweifele ich an der Aufklärung des Mordes durch die Behörden hier in Russland. Es gibt zwar unheimlich viel Miliz, die aber für Geld auch gerne mal die Augen zudrückt und nichts sieht.

Hier im Wohnheim wissen die wenigsten von dem Vorfall, denjenigen, denen ich es erzähle, reagieren ebenso mit einer tiefen Erschütterung und Betroffenheit. Morgen Mittag um 12 Uhr findet ein Gottesdienst zum Gedenken an die ermordeten Priester statt. Einer meiner Mitbewohner, Elena und ich werden dort wohl hingehen. Elena und ich haben aber beide die gleiche Frage: Was nützt es dem Mörder oder den Mördern? Es ist nicht verwunderlich, wenn die beiden Priester zukünftig von den Katholiken hier verehrt werden - damit hat es den Nutzen gebracht, dass die Kirche und ihr Glaube hier gestärkt werden.  

 

 

Mittwoch, 05. November 2008

Meinen Mitbewohner habe ich heute leider nicht finden können, so dass ich wohl oder übel alleine zur Kirche gefahren bin. Im Dom saß Elena schon und hat mir einen Platz freigehalten. Die Heilige Messe in der Kathedrale war umwerfend. Die Kirche war recht voll und es waren wenigstens sechs Bischöfe, etwa 70 Priester, ein Diakon und unzählige Ordensleute da. Darunter drei unierte Priester. Einen russisch-orthodoxen Priester habe ich nicht gesehen - darüber war auch meine Kommilitonin etwas enttäuscht. Am Schluss des großen Einzuges wurden die ermordeten Priester in die Kirche getragen und vor die geschmückten Altarstufen gestellt. Nach der Heiligen Messe sprach noch der Generalobere des Jesuitenordens einen Dank an alle diejenigen aus, die bei den Vorbereitungen dieser Feier geholfen haben und bedankte sich auch für die Beileidswünsche aller. Anschließend hatte die Gemeinde Gelegenheit, sich von den Priestern in Stille zu verabschieden. In der Kirche herrschte eine sehr gedrückte und betroffene Stimmung, aber wie ich meine, keine angstvolle. Mir scheint es, als richten die Moskauer Katholiken den Blick nach Vorne - im Gebet zu Gott. Der Generalobere der Jesuiten aus Deutschland sprach von einem schweren Schlag für den Orden, vor allem in Russland - wies aber darauf hin, den Glauben mit dem Tod der Patres zu festigen.

 

Abschied von den verstorbenen Priestern

 

Überrascht bin ich allerdings von der Nachrichtenversorgung hier in Russland und Moskau. Elena hat in den Zeitungen nach einem Artikel über den Tod der beiden Jesuitenpatres gesucht, aber nichts gefunden - lediglich im Internet muss ein ganz kleiner Artikel gestanden haben. Auch im Wohnheim und in der Universität hatte keine eine Ahnung davon, nicht einmal ein Priester des Dekanats, bei dem ich mich heute für das Fehlen in der Vorlesung entschuldigt habe. Nachdem ich das aber erzählt habe, hat sich die Nachricht wie ein Lauffeuer verbreitet. So war dieser Tag also von den Eindrücken dieser Trauerfeier geprägt. Es bleibt zu hoffen, dass der Fall durch die Miliz aufgeklärt wird und dass der oder die Täter gefunden werden können, aber auch, dass keine weiteren Priester, egal welcher Kirche, zu Schaden kommen.

Als ich am Montag auf dem Bahnhof stand, hat mir ein Kommilitone erzählt, dass der Winter näher komme. Er wusste, dass in einer Stadt unweit von Jaroslawl, ungefähr 200km von Moskau entfernt, der erste Schnee gefallen sei. Und tatsächlich, es ist in den letzten Tagen merklich kälter geworden und der Wind kaum aus dieser Richtung. Als ich heute mit einem anderen Kommilitonen von der Elektritschka-Station nach Hause gegangen bin und es ganz leicht anfing zu regnen, überlegte er, ob das wohl Schnee sei. Das war es aber noch nicht. Der Winter scheint also im Anmarsch zu sein.

 

 

Donnerstag, 06. November 2008

Manchmal frage ich mich morgens, was der nächste Tag wohl bringen mag, was erwähnenswert für das Tagebuch wäre. An diesem Tag in der Metro, nachdem ich mich von meinen Kommilitonen verabschiedet habe und sich unsere Wege getrennt haben. Ihre Wege führten zur Universität und mein Weg quasi ins Internet. Ich weiß ja, vor allem hier in Russland, nie, was der Tag so bringen mag und ob er irgendwo etwas Besonderes werden kann. Von meinem ehemaligen Mitbewohner aus Münster kam heute eine Mail, dass er sich wunderte, dass ich hier in diesem Tagebuch so akribisch genau schreibe. Einerseits hatte bislang jeder Tag eine kleine Besonderheit und andererseits lasse ich manchmal etwas aus - das, was ich gerne für mich behalten möchte, mich aber dennoch den ganzen Tag beschäftigt hat, wo ich drüber nachgedacht habe. Davon will ich auch heute nicht schreiben, obwohl es meine Gedanken davon ausgefüllt waren. Allen Dingen war es heute ein Tag der großen Freude und Dankbarkeit! Nachdem ich nämlich im Internet war und zur Uni lief, fiel in ganz feinen und kaum sichtbaren Kristallen der erste Schnee auf Moskau hinab. Da ist er endlich! Es war zwar nichts davon zu sehen, aber für ein paar Sekunden konnte man die kleinen Kristalle auf der Jacke schmelzen sehen!

Und in der Vorlesung "Vergleichende Theologie" habe ich heute so viel verstanden, dass ich sogar mitdiskutieren konnte. Ich will da nicht zu stolz drauf sein, weil ich ja genau weiß, dass morgen die nächste Vorlesung auf mich wartet, in der vielleicht schon alles wieder ganz anders ist. Irgendjemand sagte zu mir, dass das alles ein ganz langer Lernprozess ist, der meistens nur kleine Schritte macht und selten nur große, die sich dann im nächsten Moment wieder wie ein Rückschritt anfühlen. Ich habe mich anschließend noch kurz mit Vater Valentin unterhalten und zum Ende des Gespräches ihn fast wie automatisch um den Segen gebeten. Das ist hier an der orthodoxen Fakultät übrigens üblich, dass man einen Priester um den Segen bittet, dass gehört hier zum Universitätsleben mit dazu, falls nun jemand denken sollte, was ich denn nun wieder mache. Das hat er dann sehr bewusst, bedacht und sogar auf Englisch gemacht.

Hatte ich gerade noch geschrieben, dass der Tag durchweg gut war, so könnte ich das nach dem gemeinsamen Abendessen mit Oleg jetzt anders sehen. Es hat sich nämlich wieder irgendjemand an meiner Wurst vergriffen und ein großes Stück davon gegessen. Das ist jetzt schon das dritte Mal. So habe ich vernünftig in der Küche auf deutsch geflucht, wir haben gemeinsam gelacht und die Sache ist gegessen. Ein Teil meiner Wurst leider auch. Nun werde ich mich aus dem Verbot, keine Sachen ins Fenster zu hängen, herauswinden. Die Hausverwaltung hat von "Veschtschi" gesprochen. Veschtschi wird im allgemeinen mit "Sachen" übersetzt. Lebensmittel sind aber hier keine "Sachen", sondern viel mehr "produkti". Und da viele andere Studenten auch ihre Tüte im Fenster hängen haben, werde ich mir das jetzt auch wieder genehmigen! Und die Temperaturen machen so etwas momentan ja möglich! Kleidung und andere Sachen werden aber wohl im Zimmer bleiben müssen, da für sie das Verbot gilt. Es lohnt sich aber nicht, sich darüber zu ärgern, also lasse ich es lieber sein. Und somit bleibt dieser Tag ein glücklicher!

 

 

Freitag, 07. November 2008

Die ersten beiden Stunden sind wieder ausgefallen und ich hätte eigentlich etwas länger schlafen können. Hätte ich mich in der ersten Zeit an der Fakultät noch genervt reagiert, nehme ich es jetzt auf die leichte Schulter. So langsam werde ich wirklich ausdauernder und ruhiger. So zeigt der Aufenthalt hier eine neue Seite, die vielleicht positiv ist. Ich habe dann angefangen die Weihnachtspost zu schreiben. Das klingt nun ein bisschen eigenartig, aber sie soll ja auch pünktlich in Deutschland ankommen und ich möchte das dieses Jahr einfach mal stressfrei machen. Ich finde es nur ein bisschen eigenartig, dass ich mich so früh mit Weihnachten beschäftige.

In der Stalowaja habe ich wie üblich meinen Dienst im Saal verrichtet und heute Tische abgewischt. Das war ein recht ruhiger Dienst, zumal der Diensteinteiler mir oft noch Arbeit abgenommen hat. Anders wurde es erst, als die eingeteilte Gruppe früher als geplant schon um 14 Uhr ging. Für mich war es ein Vorteil, denn jetzt konnte ich richtig anfangen zu arbeiten: Zuerst die Essensreste von den Tellern entfernen (was sonst eine Aufgabe ist), dann wurden von einem Kommilitonen die Teller gewaschen und in ein Becken mit Seifenlauge gelegt, die habe ich dort herausgefischt, noch einmal mit einem Schwamm abgewaschen (eine weitere Aufgabe) und dann noch einmal mit klarem Wasser abgespült und in Abtropfregale gelegt (die nächste Aufgabe). Und zwischendurch habe ich meine alte Aufgabe, das Abwischen der Tische, erledigt. So konnte ich dort endlich mal richtig anfangen zu arbeiten. Sonst sind die Dienste immer recht ruhig und erholsam, aber heute ließ sich das mal halbwegs als Arbeit bezeichnen. Um es kurz zu machen - den ganzen Abwaschprozess würde ich mir kurzum auch alleine zutrauen.

In den letzten Wochen hat Vater Alexej, unser Chorleiter, verkündigt, dass wir übernächste Woche ein Konzert in der MGU (Moskauer Humanistischen Fakultät) haben. Auf meine Frage, was ich dorthin anziehen solle, war die Antwort: ein weißes Hemd, schwarzer Anzug und Krawatte. Ich weiß nicht, wie teuer das wird - sollte es mir aber weh tun, dann werde ich darauf verzichten müssen. Schließlich soll in diesem Monat noch ein Taschencomputer her, mit dem ich schneller Wörter in den Vorlesungen nachschlagen kann und gleich Querverbindungen zu anderen Wörtern habe. Das erspart mir die langwierige Suche im Wörterbuch, das ich dann zudem nicht mehr jeden Tag mitschleppen muss. Aber das Konzert ist auch sehr reizvoll für mich.

Nach der Chorstunde gab es heute endlich mal wieder ein Deutschtreffen. Dieses Mal waren Elena, Daniel und Wassilij mit dabei. Letzterer war zum ersten Mal mit dabei, kam aber schon recht gut mit. Ich hatte kein Thema vorbereitet und so haben wir uns einfach nur so unterhalten. Dieses Mal sind da fast zwei Stunden draus geworden, die wie im Fluge vergangen sind. Eigentlich wollte auch Andrej kommen, aber er hat wohl nicht mit der deutschen Pünktlichkeit gerechnet und hat uns in der Fakultät gesucht - wir hatten uns zu 17:15 Uhr verabredet und sind um 17:18 Uhr losgegangen zu der Stelle, an der ich immer ins Internet gehe. Er hat uns zwar versucht anzurufen, aber es hat keiner bemerkt, leider erst kurz vor Schluss. Dieses Mal war ich es allerdings, der häufig ins Russische zurückgefallen ist. Eigentlich habe ich heute nämlich bis auf das Deutschtreffen nur Russisch gesprochen - vor allem in der Stalowaja und dort auch wieder mit der "Garderoben-Babuschka" Nina, mit der ich mich unheimlich gerne unterhalte und die ich langsam anfange zu verstehen. Bei ihr ist es immer schwierig, da sie aufgrund ihrer zwei Zähne eine recht undeutliche Aussprache hat. Aber sie ist einfach die Freundlichkeit in Person - sie strahlt und freut sich immer, wenn man mit ihr spricht. Sie ist so ganz das Gegenteil von ihrer Kollegin, der immer grantigen Feofina. 

Und heute Abend wollte ich eigentlich noch eine Melone kaufen gehen, die aber mittlerweile leider kaum erschwinglich sind. So hat es zum Abendessen mit Oleg, Dmitri und Stephan nur Zwiebel-Spaghetti, warmes Brot, Paprika, Wurst, Käse, Pfirsichsaft und einen Wein von Oleg gegeben, der es in sich hatte. Der schmeckte zwar sehr lecker, dürfte aber auch wesentlich mehr Prozente als ein üblicher Wein haben. Zumindest stieg mir der selbstgemachte recht schnell zu Kopf, vielleicht auch, weil ich vorher lange nichts gegessen hatte.

Heute war es wieder kalt in Moskau - es hat den ganzen Tag gefroren. Auf den meisten Pfützen befand sich eine leichte Eisschicht, die im Laufe des Tages langsam immer mehr wurde. Zudem ist es recht windig - ein bisschen so, wie in Ostfriesland bei schönem Wetter und Frost. Nun bleibt abzuwarten, wie sich das Wetter weiter entwickelt und wann endlich soviel Schnee fällt, dass die Welt in ein weißes Kleid getaucht wird. 

 

 

Samstag, 08. November 2008

Meine Internetsitzung heute war sehr schön: Einerseits habe ich mit meinem Bruder Matthias ziemlich lange gequatscht und anschließend noch mit einer lieben Freundin aus meiner Heimat gechattet, letzteres ging so lange, bis der Akku meines Laptops aufgegeben hat. So habe ich wieder einiges Neues erfahren können. Anschließend war ich wieder in der Btschernaja - dieses Mal in der Fakultätskirche St. Nicolai. Sonst war heute wieder schönstes Wetter - bei Minusgraden. Die Kälte kommt mir aber längst nicht so kalt vor wie oft in Münster oder insbesondere in Ostfriesland. Die Luft ist viel trockener und so findet sich überhaupt kein Raureif auf den Dächern. Hier erkennt man den Frost daran, dass die Pfützen gefroren sind. Und nun fragen mich viele, ob ich es kalt finden würde: Bislang kann man es aber noch gut aushalten und ich will nicht klagen. 

 

 

Sonntag, 09. November 2008

Dieser Sonntag hielt wieder einige Überraschungen bereit und ich konnte dennoch meinen geplanten Tagesablauf halbwegs einhalten, manchmal versuche ich das dann doch noch. Zunächst bin ich heute in die Heilige Messe gefahren. Dort angekommen, war es sehr voll. Der Grund war folgender: Ich bin wieder, ohne es zu wissen, in eine Bischofsmesse hineingeraten, die dann auch eine halbe Stunde länger gedauert hat. Meinen Plan, nach der Liturgie nach Hause zu fahren, etwas zu essen und dann in Elenas Gemeinde zu fahren, ist trotz der Verspätung noch aufgegangen - meinen Zug habe ich noch erwischt. So bin ich dann - und das war ein neuer Versuch - mit dem Zug bis in die Nähe von Elenas Gemeinde zum "Weißrussischen Bahnhof" gefahren. Dort habe ich noch ein paar Fotos gemacht, die Metrostation gesucht und bin dann zur Kirche gefahren. Dort ist ebenfalls ein Bahnhof und habe dort durch ein Eisentor auf den Bahnsteig fotografiert. Nun muss man dazusagen, dass das Fotografieren von Zügen in Russland an für sich kein Problem ist und habe dies auch schon das ein oder andere Mal im Beisein der Miliz gemacht, ohne dass die etwas dazu gesagt hätte. Heute war es anders: Ich musste alle Eisenbahnfotos auf dem Speicherchip löschen. Dieses Mal hatte ich aber einen strategischen Vorteil: Ich war nur durch das Eisentor für die Miliz erreichbar, eine Dokumentenkontrolle wäre kaum möglich gewesen, da ich in den Menschenmassen schneller verschwunden gewesen wäre, wie die überhaupt eine Möglichkeit gehabt haben hätten in meine Nähe jenseits des Tores zu kommen. Aber ich werde morgen in jedem Fall noch einmal in der Auslandsabteilung der Universität Druck machen, dass die mir langsam meine Registrierung geben. Und sollte die Miliz mich bis dahin dennoch anhalten, wäre das Problem auf der Seite der Universität, so zumindest die Meinung vieler Freunde und Mitbewohner hier unabhängig voneinander. So ist das Leben mit der Miliz hier immer sehr spannend und aufregend.

In der Kirche angekommen, die nur einen Steinwurf von dem "Milizvorfall" entfernt ist, ging es dann richtig rund: Zunächst habe ich eine der alten Damen in dem Verkaufsstand gefragt, wo den Elena sei. Die Babuschka hatte mich aber nicht richtig verstanden und sagte mir, dass sie keine Ikone mit der Heiligen Elena hätte. Daraufhin stand die richtige Elena schon hinter mir und wir haben herzlich über das Missverständnis gelacht. Dann sind wir in das Haus des Priesters und der Matuschka gegangen und haben kurz die Akafist - ein Gottesdienst für einen Heiligen - geübt, denn ich sollte heute das erste Mal in der Gemeinde mit im Chor singen. Nach drei Minuten war die Chorprobe vorbei und keine hatte eine Ahnung - ich davon am wenigsten. Die Frau des Priesters, die Matuschka, hat uns kurz die Texte gezeigt, einen vorgesungen und dann war es schon vorbei. Und ich bekam es mit der Angst zu tun: Die Texte waren allesamt in kirchenslawisch und ohne Noten. Und zudem war ich noch nie in einer Akafist und hatte also überhaupt keine Ahnung. Dann haben wir einen Tee getrunken und heute durfte ich mit Erlaubnis der Matuschka in die Räume unter der Kirche, wo eine kleine Küche ist. Da darf nicht jeder aus der Gemeinde hin, da dies der Matuschka fast so heilig ist wie dem Priester der Altarraum. Und dann ging die Akafist los: Es kamen noch neue Texte dazu und eigentlich kannten nur die Matuschka und Elena die Melodie. Und dann wurde alles so schnell gesungen, dass ich gar nicht mitkam. So habe ich lediglich das mitgesungen, was ich aus der Vschernaja und der Göttlichen Liturgie kenne: "Halleluja", "Herr, erbarme Dich" und "Amen". Das war es dann eigentlich auch schon. Eine der Babuschkas aus dem Verkaufsstand - Anna Nikiforovna- sang auch mit und konnte nicht viel mehr wie ich, was bei der Matuschka ein Wechselbad der Gefühle hervorrief: Einmal war sie fürchterlich mit ihr am schimpfen und ein anderes mal schüttelte sie lachend den Kopf, wenn etwas schief lief. Das war dann also das erste Mal im Chor - ich übrigens als der einzige Mann und Tenor. Nach der Liturgie meinte der Priester dann zu mir, dass ich mit etwas üben im nächsten Jahr dann mal die Psalmen sprechen (also eine Art Sprechgesang) solle - auf kirchenslawisch. Da hatte ich dann den nächsten Kloß im Hals und habe nur noch um den Segen gebeten.

Dann sind Elena und ich gemeinsam in ein Kloster gefahren, in dem die Gebeine der Heiligen Matrona liegen. Sie war eine Nonne in dem Kloster - blind und gehbehindert - und hat viele Wunder vollbracht. So ist ihr die Mutter Gottes erschienen, die dann ein Ikonenmaler für sie gemalt hat. Der musste aber vorher beichten, weil die Heilige Matrona wusste, dass er noch etwas zu beichten hatte. Ebenso starb sie während der Sowjetzeit eines natürlichen Todes, obwohl sie sehr bekannt war. Auch sonst hat sie viele Wunder vollbracht und konnte trotz ihrer Blindheit alles mögliche erkennen. Heute kommen und beten sehr viele zu ihr, insbesondere wenn sie Verwandte und Bekannte suchen. Die Schlange dort war sehr lang und wir haben über eine Stunde angestanden - und das bei leichten Minusgraden. Aber es ist nicht so, dass mir dabei übermäßig kalt geworden ist.

Und letztendlich habe ich dann an diesem Abend das erste Mal seitdem ich in Russland bin ausführlich mit meiner Oma telefoniert und ihr alles mögliche aus Russland, Moskau und von meinem Studium erzählt. Und anschließend riefen dann meine Eltern noch an. So war heute ein ruhiger, aber dennoch sehr ereignisreicher und schöner Tag, auch wenn mir heute die Miliz über den Weg gelaufen ist, denen aber heute mal die Hände weitestgehend gebunden waren.

 

 

Montag, 10. November 2008

Da ich am Montag ja immer erst recht spät zur Uni muss, habe ich noch Wäsche in die Waschmaschine gestopft. Diese wollte jedoch nicht richtig funktionieren und hörte nach einer gewissen Zeit einfach auf zu arbeiten. Ich habe sehr lange selbst versucht, sie wieder ins Laufen zu bekommen, doch es hat nichts geholfen. Oleg wusste Rat. Mit einem Messer hat er einen Knopf gelöst, der fest in die Maschine eingedrückt war und dann lief die Maschine wieder. Auch in Anbetracht der knapper werdenden Zeit, da ich ja zur Universität musste und ich die Elektritschka schon ohne mich fahren sah, sagte Oleg dann nur: "Das ist Russland." Ich war aber dennoch zeitig am Bahnhof, um dann aber feststellen zu müssen, dass die Elektritschka an diesem Tag ausfällt. Ein paar Minuten später fuhr dann aber eine in den Süden, wo sich auch eine Metrostation befindet, von der man auch gut in die Stadt fahren kann. 

Eine große Sorge, die den Winter angeht, scheint sich zu beseitigen. Seit ein paar Tagen schon wird an einer Ersatztreppe hoch zur Fußgängerbrücke über den Güterbahnhof zur Station Pererwa gebaut und heute habe ich erstmals gesehen, dass tatsächlich die Stufen der alten Treppe abgerissen werden. Das wurde auch allerhöchste Zeit, denn gerade diese Treppe war wirklich gefährlich und man konnte sehr leicht umknicken bzw. irgendwo hängen bleiben und ins Fallen geraten. Die Stufen waren ausgetreten und sehr porös, teils mit kleineren Löchern, es schauten Eisenteile aus den Stufen heraus, und an den Absätzen der Stufen waren kleine Metallerhöhungen, über die man auch sehr leicht fallen konnte. Und bei Regenwetter sammelte sich das Wasser in jeder Stufe, so Schuhe und Hosenbeine dreckig waren. Das hat jetzt schon mit der Ersatztreppe ein Ende gefunden. Ich hätte konnte mir bislang nicht vorstellen, wie ich die Treppe bei Schnee hätte bewältigen sollen. Nun kann ich nur noch hoffen, dass die ganze Brücke zumindest ausgebessert wird, da es noch viel mehr gefährliche Stolperfallen gibt. Doch allein mit der ersten Treppe bin ich schon sehr glücklich.

 

 

Dienstag, 11. November 2008

Der heutige Tag hat eigentlich keine Besonderheiten vorgebracht. Die Vorlesung "Einführung in die liturgische Überlieferung" ist ausgefallen. Die nunmehr freie Zeit habe ich ausgenutzt, um eine ideale Wegstrecke zum Flughafen Vnukovo herauszufinden, da ich wahrscheinlich am Montag einen Osnabrücker Bekannten dort treffen werde, der mir ein paar Kleinigkeiten aus der Heimat mitbringen wird. Das scheint aber gar nicht so einfach zu sein: Dem Express-Bus traue ich keine Pünktlichkeit zu, weil die Straßen Moskaus oft verstopft sind. Und ob die Elektritschka direkt bis zum Flughafen fährt, ist bislang noch fraglich. So bleibt mir wahrscheinlich lediglich der teure Express-Zug zum Flughafen. Mal schauen: ich will da Olga fragen, da sie öfter die Strecke mit dem Zug fährt und sich auch sonst hier sehr gut auskennt.

Ansonsten war ich über den Kiewer Bahnhof, wo ich nachgeforscht habe, sehr überrascht. Es ist ein sehr großer Bahnhof mit einer wirklich sehr prächtig verzierten Wartehalle und großzügigen Gebäuden, einer Licht durchfluteten Bahnhofshalle und irgendwie war es in dort trotz der vielen Menschen angenehm ruhig und entspannt. Dort gibt es sehr viele Geschäfte - die für Russland üblichen kleinen Läden oder "Buden", die sich auf spezielle Artikel spezialisiert haben. In dem Flughafen gibt es sogar eine kleine Kapelle der Russisch-orthodoxen Kirche. Soviel zu den Fernverkehrsgleisen. Dort, wo die Zugänge und Fahrkartenverkaufsfenster für die Elektritschka sind, ist es schon viel lauter und unruhiger. Hier herrscht ganz die rege und hektische Betriebsamkeit, die Moskau für mich so prägend macht. Auch ist es hier wesentlich dreckiger und unübersichtlicher. Für den Expresszug zum Flughafen Vnukovo gibt es extra einen Fahrkartenverkaufsschalter, der sich in etwa zwischen dem Fernverkehr- und dem Elektritschkabahnhof befindet. Dort werde ich dann am Montag meine Fahrkarte kaufen müssen und wenn dann alles gut läuft, fährt der Zug von Gleis 1 ab. Aber ob das wirklich der Fall ist, muss ich dann schauen.

Der Abend ist mit einigen Magenbeschwerden zu Ende gegangen. Es scheint hier wohl öfter vorzukommen, dass der Magen protestiert und mich dann zu einer kleinen Ruhepause zwingt. Ich kann bisher jedoch noch nicht einschätzen, ob ich dann was Ernstes habe oder ob es am nächsten Tag wieder gut ist. Zumindest habe ich mich sehr früh schlafen gelegt, da der morgige Tag früh anfangen sollte - so hatte ich es jedenfalls geplant...

 

 

Mittwoch, 12. November 2008

...und genauso ist es auch gekommen. Der Wecker im Handy rappelte pünktlich um 5:55 Uhr. Ich wollte doch heute in der Gemeinde "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" um acht Uhr im Chor mitsingen, so ähnlich wie am Sonntag auch schon. So bin ich wieder mit dem Zug direkt bis zur Kirche gefahren und bin dann dort erst einmal minutenlang um die Station herumgeirrt, bis ich mich vernünftig orientiert hatte. Irgendwie schien mir das alles bekannt und dann auch wieder nicht. Es waren so früh am Morgen einfach zu wenig Menschen dort. Dann habe ich aber herausgefunden, wo ich bin und wollte dann auf dem schnellsten Wege zur Kirche, was aber wiederum daran gescheitert ist, dass die privaten Parkplätze und kleinen Gehwege alle noch zugesperrt waren, so dass ich mich wieder orientieren und einen anderen Weg finden musste, was dann aber recht gut geklappt hat. Zu den Verwirrungen in der Station ist es allerdings gekommen, weil mein Stadtplan von Moskau nicht genau ist: Dort sind zwei Stationen eingezeichnet, die aber ein Stück weit auseinander liegen. Und genau das tun sie nämlich nicht - sie sind genau nebeneinander und direkt bei der U-Bahnstation. Aber ich war dennoch pünktlich da, im Gegensatz zu Vater Pavel, auf der zwar gleichzeitig mit mir kam, aber dennoch fast eine halbe Stunde zu spät. So habe ich dann auch noch die Morgenliturgie mit-"intoniert" und anschließend die Vesper. Heute habe ich wieder mit Elena, der Matuschka und Anna Nikiforovna zusammengesungen. Eigentlich konnte nur Elena richtig singen, die Matuschka wusste, was gesungen wird und hat wie beim letzten Mal auf Anna Nikiforovna geschimpft, dass sie entweder gar nicht oder falsch singt. Das liegt aber daran, dass sie gar keine Noten lesen kann. Und ich hatte meine liebe Mühe, in Melodie und Text halbwegs mitzukommen und dann auch noch den Tenor zu singen. Ich hatte aber hin und wieder einen kleinen Fortschritt zu vermelden. Und wenn der Diakon oder Priester gesungen hat, dann hat sich die Matuschka laut mit uns unterhalten, so dass es die ganze Kirchengemeinde mitbekommen musste. So lerne ich hier eigentlich weniger das Singen kennen, sondern vielmehr das Leben einer einfachen Russisch-orthodoxen Kirchengemeinde. Das ist für mich schon ein großes Glück, dass ich das Gefühl habe, dass ich in deren Gemeinde willkommen bin. Nach der Liturgie haben wir noch zusammen in der Krypta Tee getrunken und ich sollte eigentlich von der Matuschkas Suppe essen. Da war aber Fisch drin und diejenigen, die mich besser kennen, wissen, dass ich da gerne einen Bogen drum zu mache. Bevor wir gegangen sind hat Anna Nikiforovna mir noch einen großen Beutel mit Keksen und Bonbons gegeben, quasi als Bezahlung für meine Chortätigkeiten...

Direkt bei der Elektritschkastation hatte ich am Sonntag einen Communicator gesehen, der preislich weit unter den anderen lag, da er Ausverkaufsware ist. Und da ich schon länger mit dem Gedanken gespielt habe, mir einen solchen zuzulegen, habe ich heute zugegriffen. Jetzt brauche ich nicht mehr so viele Bücher mitschleppen - zumindest nicht das lästige Wörterbuch - und ich bin zudem in den Vorlesungen schneller, wenn ich nach einem neuen Wort suchen muss, was oft genug vorkommt; und wenn ich es nicht richtig verstanden habe, kann ich mir noch Querverbindungen anzeigen lassen und es dann herausfinden. Ich verspreche mir da sehr viel von. Gekostet hat das Gerät mit einer SD-Card zusammen knapp 170 Euro, andere Geräte hätten über 100 Euro mehr gekostet. Und auch die anderen Studenten sagten mir, dass ich da Glück gehabt hätte. Jetzt wäre es nur noch eine tolle Sache, wenn ich den Elektritschkafahrplan dort abspeichern könnte und noch verschiedene Bibelübersetzungen zur Hand hätte. Aber auch hier bin ich mir sicher, dass ich das schaffen werde.

Nach den Vorlesungen bin ich dann das erste Mal in meinem Leben fremd gegangen. Hatte ich mir am Vortag von Alexej einen Tipp geben lassen, wo ich günstig meine Haare schneiden lassen könne und so war ich heute vielleicht das erste Mal in meinem Leben bei einem anderen Frisör - zumindest kann ich mich nicht erinnern, dass ich schon einmal anderswo gewesen wäre. Nachdem ich dem Frisör gesagt hatte und er mich verstanden hatte, wie ich es gerne hätte, fing er an, an mir herumzuschnippeln und war nach knappen 15 Minuten fertig - das war eine glatte Expressfrisur. Beklagen will ich mich auch nicht und zudem war der Preis in Ordnung - ich habe umgerechnet 2,80 Euro dafür bezahlt.

Am Abend habe ich dann noch mit Oleg und Dmitri zusammen meine neue technische Errungenschaft in Betrieb genommen, so dass ich mich morgen ohne Wörterbuch aus dem Wohnheim trauen werde. Ich bin mal sehr gespannt, wie ich in den Vorlesungen künftig damit zurechtkommen werde.  

 

 

Donnerstag, 13. November 2008

Der Tag fing gut an: Ich habe lange mit meinen Eltern lange über das Internet telefoniert und bin jetzt wieder auf dem Laufenden, was das Leben in Oldersum und meiner Familie angeht. Natürlich sind meine Eltern jetzt auch gut über mich informiert! Am allermeisten habe ich mich allerdings über eine Mail einer Freundin gefreut, mit der ich noch vor ein paar gechattet und eine Kerze in der Unikirche angezündet habe, die jetzt ihr Ziel - wenn auch nicht optimal - erreicht hat. Leider gab es dann aber auch zwei Mails, die mich sehr traurig gemacht und den ganzen lieben Tag gedanklich beschäftigt haben und für die ich gerade eben lange eine Antwort zusammenformuliert habe.

Nach den Vorlesungen war heute wieder eine Chorprobe für das Konzert angesetzt. Dieses Mal haben wir in der MGU (Moskauer Humanistische Universität) in dem Konzertsaal geübt. Als mein Chor gesungen hat, war die Chorprobe sehr schnell vorbei und unser Chorleiter Vater Alexej drehte sich zum Rektor um und bat ihn darum, dass er noch etwas Zeit zum Üben mit uns bekommt. Das ist kein gutes Zeichen für uns, zumal wir am Dienstag auftreten sollen und ich vermute jetzt schon fast, dass wir auch am Wochenende noch Chorprobe haben werden. Es gibt in der Beziehung "Konzert" aber noch eine gute Nachricht: Von einem Kommilitonen werde ich einen Anzug geliehen bekommen. So habe ich wieder eine Sorge weniger.

 

Chorprobe.

 

 

Heute ist in der Vorlesung das erste Mal mein Communicator zum Einsatz gekommen und ich denke, dass wenn ich mich an den Umgang gewöhnt habe, dass ich dann einen guten und sinnvollen Kauf getätigt habe! Ich bin mit dem Gerät jetzt in etwa so schnell wie mit meinem Wörterbuch.

Heute habe ich in der Küche des Wohnheims wieder für Verwunderung gesorgt - einschließlich bei mir selbst. Ich hatte noch Nudeln vom Vortag über, die ich zubereitet habe. Ich habe die Nudeln in die Pfanne gepackt, was von einem Mitbewohner als völlig absurd bezeichnet wurde. Ich hatte also wieder einmal jede Menge skeptische Blicke inne. Als ich dann noch Ketchup, etwas Wurst, Pfeffer und eine französische Gewürzmischung dazu gegeben habe, schüttelte jeder mit dem Kopf. Das alles habe ich dann leicht anbräunen lassen. Das war selbst für mich ein neuer Versuch, Reste zu verwerten. Dass das aber auch noch gut schmeckt, hätte ich selbst nicht gedacht. Da will ich das nächste Mal noch einmal dran feilen. Es hat sich allerdings keiner getraut, zu probieren.

 

 

Freitag, 14. November 2008

Heute Abend bin ich total geschafft und müde und will eigentlich nur noch ins Bett, der Tag war einfach nur anstrengend. Zudem scheint es einen Wetterumschwung zu geben. Die Luft ist heute Abend viel feuchter als sonst die Tage. Nach den beiden Vorlesungen habe ich wie üblich in der Stalowaja gearbeitet - nur, dass ich dieses Mal wirklich gearbeitet habe. Ich habe den Abwasch mit einer anderen Küchenhilfe fast alleine gemacht und zudem noch die gebrauchten Tabletts abgewischt und andere Kleinigkeiten gemacht. Kurzum: Es war heute richtig viel zu tun und ich durfte heute mal richtig ranklotzen. Nach der Chorprobe habe ich mich dann noch mit Wassilij auf deutsch unterhalten - eine Stunde länger als geplant. Die Überraschung des Tages kam dann aber bei meiner Rückkehr im Wohnheim: Die Hausverwaltung hielt mich an und fragte mich etwas nach meiner Registrierung bei den Behörden. Daraufhin habe ich mich beklagt, dass ich noch keine neue Registrierung hätte und dass die Auslandsabteilung der Universität für mein Empfinden schlecht und vor allem langsam arbeiten würde. Und keine zwei Minuten später hielt ich meine Registrierung in den Händen. Man weiß wirklich nicht, was einen in der nächsten Minute erwartet. Das kam dieses Mal so plötzlich und unerwartet, dass ich es immer noch nicht richtig fassen konnte. Nun - nach über 14 Tagen - bewege ich mich endlich völlig legal in Moskau und brauche keine Angst mehr vor der Miliz zu haben. Das beruhigt mich doch sehr.

Es wird langsam auch Zeit, dass das Paket meiner Eltern ankommt. Dabei geht es eigentlich noch gar nicht so sehr um die Wintersachen, sondern vielmehr um den Ostfriesentee. Denn die letzte Tasse habe ich mir heute morgen kochen können, jetzt ist außer ein paar Teebeuteln nichts mehr da. Aber das Paket soll kurz vor Moskau sein - das haben mir gestern zumindest meine Eltern erzählt. Aber wer weiß schon, was das in Moskau und Russland bedeutet...

 

 

Samstag, 15. November 2008

Eigentlich ist nur der Abend des 15. Novembers interessant, da sonst alles wie für Samstag üblich verlaufen ist: Vorlesung, Essen in der Stalowaja, Internet, nach Hause fahren und dann bin ich wieder in die katholische Kirche gefahren. Ich hatte mich dort mit einem Kommilitonen verabredet, der gerne eine Vulgata kaufen wollte. Und anschließend ist er noch mit mir in  die Heilige Messe gegangen. Er sagte mir zwischendurch zwar immer, dass er nach dem nächsten Lied gehen und draußen auf mich warten wolle, hat dann aber doch alles sehr interessant gefunden und ist dann gegangen, als ich zur Kommunion gegangen bin.

Zurück im Wohnheim habe ich Alexej getroffen und wir haben dann gemeinsam gekocht und aus einer Pfanne gegessen. Das ist unter vielen Studenten hier üblich, vor allem, wenn man gemeinsam in einem Zimmer wohnt. Diese Zimmergemeinschaften hier im Wohnheim - entweder sind es Zwei- oder Vierbettzimmer - sind meistens ganz enge Beziehungen. Die Studenten sorgen für ihren Mitbewohner, habe ihre eigenen Traditionen, teilen ihre Sachen wie den Computer, das Musikinstrument, das Hobby usw. Ich habe hier bislang noch keinen Streit erlebt oder gehört und ich glaube, dass die Zimmergenossen einander die besten Freunde sind. Das finde ich schon bemerkenswert, da die Zimmer nicht wirklich groß sind und man für meine Verhältnisse etwas zu dicht beieinander wohnt., so dass kaum noch eine Privatsphäre da ist. Daher sind hier alle auf eine große Vertrautheit angewiesen und dies scheint gut zu klappen. Ich für mich muss aber ganz ehrlich sagen, dass ich froh bin, dass ich ein Einzelzimmer habe. Manchmal habe ich doch das Bedürfnis, eine Zeit lang allein zu sein und hätte auch etwas dagegen, wenn mein Zimmergenosse sich an meinem Notebook zu schaffen machen würde, was aber für die anderen Mitbewohner völlig normal ist. Auf vielen Zimmern steht ein Computer, der zwar einem gehört, aber von dem anderen mitbenutzt wird, so zum Beispiel bei Alexej und seinem Mitbewohner. Oleg und Pjotr beispielsweise haben einen gemeinsamen Kleiderschrank und einen gemeinsamen Schrank mit Lebensmitteln, Büchern und allen möglichen anderen Sachen.

 

 

Sonntag, 16. November 2008

Heute Morgen war ich in der Göttlichen Liturgie in der Fakultätskirche, wo im Anschluss eine Glockenweihe vorgenommen wurde, zu der sich ein Teil der Gemeinde draußen vor der Kirche versammelt hat. Für mich war dies sehr spannend zu sehen, auch wenn es an für sich nichts Besonderes war - es war nur eine kleine Andacht von etwa 20 Minuten. Ungewöhnlich fand ich jedoch die Weihwassermenge, die der Oberpriester mit einem großen Pinsel auf die Glocke träufelte und war gleichzeitig glücklich, dass er uns nicht mit dem Pinsel gesegnet hat.

 

Die zu segnende Glocke.

Das Gebet vor der Glocke. Der Oberdiakon singt hier gerade eine Bittektenie und der Chor antwortete mit "Herr, erbarme Dich."

 

Anschließend haben Elena und ich die Möglichkeiten erkundet, wie ich morgen am Besten zum Flughafen Vnukovo kommen kann, damit ich dort den Bekannten treffen kann. Es bleibt also doch nur die Möglichkeit mit dem Expresszug, der leider recht teuer ist. Und in Vnukovo habe ich dann lediglich eine halbe Stunde Zeit, bis der Express wieder abfährt. Das wird morgen wohl alles ein wenig stressig werden und ich hoffe, dass es in dem planungsunsicherem Moskau klappt.

Anschließend waren wir noch ein wenig spazieren, haben uns kurz ein karitatives orthodoxes Kloster angeschaut und sind dann zu ihrer Gemeinde gefahren, wo wir erst etwas Suppe von der Matuschka gegessen haben und dann die Akafist des Heiligen Gregor gesungen haben - in der üblichen Qualtität. Nach der Akafist wurde es wieder richtig spannend - ohne zu fragen hat mich die Matuschka zu einem Dienst verdonnert - ich sollte mit einem weiteren Gemeindemitglied ein kleines liturgisches Ölgefäß reinigen, dass wirklich mitgenommen aussah. Wir mussten nur sehr vorsichtig sein, weil noch Öl in dem Gefäß war... Anschließend gab es dann die "Belohnung": Eine große Tragetasche voll mit Lebensmitteln - also Zucker, Kekse, eine Flasche Sonnenblumenöl, Tee und noch so andere Kleinigkeiten. Das Beste kam dann aber noch zum Schluss: Sie drückte mir einen Schal in die Hand und verteilte unter den anderen Hosen, Mäntel und viele andere Kleidungsstücke, die noch alle fast wie neu waren. Und ganz zum Schluss standen auf einmal in der Ecke ein paar Winterschuhe, die mir aber ein kleines Stück zu groß waren - sonst hätten sie tatsächlich gepasst. Und Widerspruch einzulegen war eigentlich gar nicht möglich, denn kaum hatte man etwas in der Hand, war sie auch schon wieder verschwunden und hörte sich das "Nein", das mir auf der Zunge lag, gar nicht erst an. Und so bin ich mit einem vollen Rucksack wieder nach Hause gefahren und brauchte nichts mehr einkaufen und habe sogar noch einiges an meine Mitbewohner verschenkt.

Und während ich jetzt gerade schreibe, ertönt aus dem Zimmer gegenüber ein Lied von Lala Anderson...

 

 

Montag, 17. November 2008

Was für ein Tag voller Freude! Zunächst habe ich heute das erste Mal mit dem Fakultätschor in einem Gottesdienst gesungen - zu einem besonderen Anlass. Auf das Gebäude der Universität, das sich auf der anderen Seite des Flusses Moskaus hinter dem Kreml befindet, wurde heute ein Kreuz angebracht, dass vorher von Erzbischof Arßenij geweiht wurde. Und zu dem Anlass habe ich dann im Chor mitgesungen. Wir waren an für sich sogar zwei Chöre - ein männlicher und ein weiblicher. Insgesamt haben bestimmt weit über 100 Studenten gesungen, was schon ganz imposant klang. Auch wenn es heute +5°C waren, so war der Wind doch ganz schön kalt und die Luft feucht - das Wetter erinnerte in jedem Fall an Ostfriesland und so war mir recht kalt, als wir draußen gestanden haben. Auch wenn ich vor lauter Fotografieren von der Predigt des Erzbischofs nicht viel mitbekommen habe, so wirkte er doch ganz anders als seine Amtskollegen, die ich bisher erleben konnte - nicht so wie ein Herrscher oder König, sondern den Menschen wesentlich näher. Und er machte einen lustigen Eindruck während der Predigt, die er mit seiner kräftigen Stimme gehalten hat. 

 

Im Vordergrund das zu weihende Kreuz und dahinter jede Menge Priester der Universität.

 

Erzbischof Arßenij predigt.

 

Nach dem Gottesdienst bin ich mit Daniel und Wassilij zur Universität gefahren, um dort in der Mensa zu essen. Wir waren froh, als wir in der Metro waren, denn dort war es doch wesentlich wärmer als draußen. Auf dem Weg zur Mensa haben wir uns allerdings zweimal verfahren. Das ist mir alleine zum Glück nur in der Anfangszeit passiert - beide Male habe ich die Moskauer auf ihren Fehler aufmerksam gemacht. Da heute keine Vorlesungen mehr stattfanden, habe ich mir nach dem Essen eine Krawatte, ein weißes Hemd und eine Anzugshose gekauft für den Chorauftritt morgen. Für ein Jackett reichte das Geld zwar noch, aber das kommt ein anderes Mal dran. Alles in allem habe ich 2600p. - also etwa 73 Euro bezahlt. Wie gut die Qualität ist, weiß ich nicht, das wird sich im Gebrauch herausstellen. Ich hoffe aber, dass ich meine Zeit im Chor damit überbrücken kann.

Anschließend bin ich dann zum Kiewsker Bahnhof gefahren, um von dort zum Flughafen Vnukovo zu fahren, da ich dort einen Bekannten aus Osnabrück getroffen habe, der mir jede Menge Sachen mitgebracht hat. Einerseits eine Schürze für meine Arbeit in der Küche, dann ein kleines Buch, in dem die Göttliche Liturgie in Russisch, Kirchenslawisch, Griechisch und Deutsch steht, dann Japanisches Heilpflanzenöl und ein anderes Kabel für den Rasierapparat. Das wusste ich ja. Die größte Freude war dann aber das Schwarzbrot, was seine Begleiterin aus dem Rucksack packte! Nun kann ich endlich mal wieder ein paar Tage vernünftiges Brot essen - da werde ich gleich morgen mit anfangen. Und dann hat er mir noch eine Frankfurter Allgemeine Zeitung in die Hand gedrückt und in der Tüte habe ich noch einen Adventskalender gefunden, über den ich mich auch sehr gefreut habe, hatte ich vor ein paar Tagen doch noch über so etwas in der Art nachgedacht. Es ist allerdings kein Kalender mit Schokolade, sondern einer mit je einem Gebet oder Sinnspruch für jeden Tag im Advent und darum bin ich ebenfalls sehr froh darüber. Im Flughafen haben wir dann noch einige Neuigkeiten ausgetauscht und dann haben sich unsere Wege auch schon wieder getrennt. Eigentlich wollte ich dann noch in die Vtschernaja gehen, war aber so spät dran, dass ich dann gleich ins Wohnheim gefahren bin. Und dort habe ich mit Oleg Tee getrunken, Kekse gegessen und er hat noch ein Quark-Mehl-Zucker-Wasser-Gericht in der Pfanne gemacht. Und von ihm bekomme ich auch eine Anzugjacke für morgen für die Liturgie.

Ein total schöner Tag der Freude! Ich bin glücklich!

 

 

Dienstag, 18. November 2008 - Patronatsfest der Orthodox-humanistischen St. Tichon-Fakultät

Der Tag begann heute Morgen schon sehr früh, nämlich um kurz nach sechs Uhr. Auch wenn mir das Aufstehen an diesem Tage sehr schwer gefallen ist, so blicke ich dankbar und froh auf diesen Tag zurück, den ich erleben durfte. Grund für das frühe Aufstehen war, dass der Chor sich schon um acht Uhr bei der Studentenkirche - der Dreifaltigkeitskirche - getroffen hat und noch einmal kurz geprobt hat - allerdings nicht zur vollen Zufriedenheit von Vater Alexej. Als ich dann in die Kirche kam, habe ich festgestellt, dass zwei Chöre singen werden - ein gemischter Chor mit geschätzten 60 Studenten und dann ein reiner Männerchor mit wenigstens 30 Studenten. Bei Letzterem habe ich mitgesungen sowie viele andere Studenten aus dem ersten Kurs. Und dann ging die Liturgie los - eigentlich so, wie bei dem Metropoliten auch: Bischof Arsenij kam, ihm wurden die liturgischen Gewänder gebracht und angezogen und dann gab es eine Händewaschung. Den größten Teil hat der gemischte und gleichzeitig erfahrenere Chor gesungen. Wir durften dann zwei Troparien auf den Heiligen Tichon singen, das Milost Mira und ein paar "Amen" und "Herr, erbarme Dich." Leider muss man dazu sagen, dass wir das Amen völlig in den Sand gesetzt haben. Aber sonst war die Göttliche Liturgie noch prächtiger als die, in der der weißrussische Metropolit bei uns war. Die Chöre waren größer, es waren dieses Mal 21 Priester anwesend, sechs Diakone und natürlich ein paar Altarniki, also Messdiener. Dieses Mal war der Oberdiakon nicht Vater Michael, sondern ein anderer. Der hatte ebenfalls eine tiefe und kräftige Stimme, wusste die aber lange nicht so gut einzusetzen wie unser Oberdiakon, sondern er rief viel mehr mit tiefer Stimme, als dass er sang. Dennoch war die Göttliche Liturgie sehr beeindruckend und schön. 

 

Der gemischte Chor.

 

Die beiden Diakone vor den Königstüren mit zwei Messdienern.

 

Nach bzw. während dem großen Einzug.

 

Blick in die Dreifaltigkeitskirche: Die Kuppel.

 

Ikonenmalerei in der Dreifaltigkeitskirche - von Studenten der Universität gefertigt.

 

Die Darstellung der Heiligen Dreifaltigkeit über den Königstüren der Ikonostase.

 

Kronleuchter vor den Königstüren.

 

Der Segen des Erzbischofs Arßenij.

 

Nach der Liturgie bin ich dann mit einigen Studenten Essen gegangen und in der Stalowaja gab es dann eine ganz angenehme Überraschung für mich: Für alle Chormitglieder war das Essen frei. Leider stand ich nicht mit auf der Liste drauf, aber einige Studenten haben dann dafür gesorgt, dass ich auch umsonst essen kann. Und dann wurde mir gesagt, dass wir uns nicht um 17 Uhr, sondern zwei Stunden eher in der MGU treffen. Das brachte natürlich wieder meinen Zeitplan völlig durcheinander. Ich hatte also wieder angefangen, meinen Tag durchzustrukturieren. Und ich hatte eigentlich noch vor, einzukaufen und in Ruhe ins Internet zu gehen. Und dazu blieben mir jetzt noch exakt 40 Minuten inklusive zehn Minuten Hin- und Rückweg bis zu dem verabredeten Treffen mit denjenigen, mit denen ich zusammen zur MGU fahren wollte. Ich habe es selbst nicht geglaubt, dass das Vorhaben klappen würde, das tat es aber. Ich habe mir schnell in dem Supermarkt meine Sachen zusammengerafft und musste dann noch - das ist recht ungewöhnlich - fast zehn Minuten an der Kasse stehen, weil so viele im Laden waren. Und dann blieben mir noch ein paar Minuten fürs Internet - für das Abfragen und Versenden der Mails hat es noch gereicht, mehr aber auch nicht. Und so war ich pünktlich um 14:15 Uhr zurück in der Uni - mich über mich selbst wundernd, dass das geklappt hat. Den Weg zu Uni habe ich dann allerdings größtenteils mit Shenia bestritten, mit der ich mich ganz nett unterhalten habe. Wir haben uns wohl immer gegrüßt, aber noch nie richtig unterhalten und so konnte ich sie dann heute kennen lernen.

In der MGU haben wir nicht nur das Singen ein wenig geprobt, sondern auch den optimalen Abgang von der Bühne, damit dies vernünftig aussieht. Auch die anderen Chöre haben noch einmal ihre Lieder gesungen, bevor es dann für uns ernst wurde. Das war kein Konzert im klassischen Sinne, sondern eine Präsentation der einzelnen Fakultäten der PGSTU (Orthodox-humanistische St. Tichon Fakultät). Dabei zeigte sich, dass die Universität weitaus größer ist, als ich vermutet hätte. Neben der theologischen Fakultät gibt es die Möglichkeit an den einzelnen Fakultäten Informatik, Sprachen, Geschichte, (Kirchen-)Musik und noch vieles mehr zu studieren. Sehr interessant finde ich die Missionsfakultät, die tatsächlich hin und wieder Ausflüge nach Sibirien oder in Kasernen oder andere Einrichtungen machen und dort die Menschen unterrichten mit dem Ziel der Taufe. Aber auch die Arbeit an alten, verfallenen Kirchen gehört dazu. Aber auch die Fakultät der Ikonenmalerei, die ich ja an einer meiner ersten Tage hier schon erwähnt habe, übt ihren besonderen Reiz aus, ebenso wie die Fakultät, die Kirchen im Innern mit Ikonen bemalt - also an Decken und Wänden. So hat diese Fakultät beispielsweise die Decken- und Wandgemälde in der Dreifaltigkeitskirche gemacht, die oben auf den Fotos zu sehen sind. Und zwischen den einzelnen Vorstellungen in Bild und Ton sang dann ein Chor. Wir waren die ersten, die singen mussten. Vor dem Auftritt hat sich allerdings gezeigt, dass wir auch die Aufstellung im Gang des Saales hätten üben sollen, denn dort herrschte absolutes Chaos. Zunächst haben wir den Wechselgesang "Sokrovennoje Tainstvo" (Geheimnisvolles Sakrament) gesungen - Download hier - und dann "Vsbrannoj Voevodij" (vage Übersetzung: "Kämpfender Heerführer". Damit ist die Gottesmutter Maria gemeint, die uns im Kampf zur Seite stehen soll) Download hier. Wenn wir so schlecht gesungen haben, wie sich die Aufnahmen anhören, dann waren wir nicht sonderlich gut. Zum Abschluss haben wir noch "Auf viele Jahre" gesungen, dass ich auch als Geburtstagslied kenne - wir haben es aber als Gebet gesungen. Da wir alle auf der Bühne stehen sollten, bin ich mitgegangen, obwohl ich die Noten nicht konnte. So habe ich nur lautlos mitgesungen.

 

Wer findet mich?

 

Hier bin ich, ziemlich weit rechts.

 

Der gemischte Chor.

 

Der Nachhauseweg wurde dann sehr lustig und spaßig! Bei der Garderobe sprach mich Mascha an, die gerne mit mir ins Wohnheim fahren wollte. Sie kannte ich schon, da ich hin und wieder gemeinsam mit ihr nach Hause fahre. So war ich dann zunächst mit ihr, einer weiteren Masha, Shenia und Katja unterwegs. In der U-Bahn gesellte sich dann Pjotr dazu und später in der Elektritschka noch ein weiterer Student. Zumindest waren wir sehr fröhlich, haben viel gelacht und viel herumgealbert. In der Station Kurskaja mussten wir uns dann schon von Shenia verabschieden, da sie nicht im Wohnheim wohnt. Aber auch wir sechs hatten gemeinsam unseren Spaß. In einer Metro-Station haben wir dann gemeinsame Fotos gemacht. Leider wussten wir alle nicht, dass die Wand hinter der Bank dick mit Kalkfarbe bestrichen war - nicht frisch - aber es reichte dennoch, dass wir uns stark abklopfen mussten, da überall auf den Jacken und Rucksäcken weiße Flecken waren.

 

...ganz gut eingelebt... (Foto: Pjotr)

 

Zurück im Wohnheim war ich froh, dass ich mich aus dem Anzug befreien konnte und wenigstens noch für etwa zwei Stunden in vernünftige Klamotten huschen konnte. Aber ich war nur noch müde, habe es noch nicht einmal mehr geschafft, im Tagebuch zu schreiben. Ich war aber auch total glücklich über diesen Tag, denn er war wirklich wieder wunderschön. Ich konnte ein paar neue Menschen kennen lernen, habe wieder im Chor singen dürfen und das erste Mal auftreten, ich hatte mit anderen gemeinsam Spaß und letztlich hat sich die Festlichkeit und Fröhlich der Göttlichen Liturgie durch den ganzen Tag gezogen. Es war wieder einer der Tage, für die ich dankbar bin und die ich in keinem Fall missen möchte - die das Studium zu einem wunderschönen Traum machen, der für mich in Erfüllung geht. 

 

 

Mittwoch, 19. November 2008

Nach zwei Tagen ohne den mittlerweile gewohnten Lernrhythmus stand heute wieder fast ein gewöhnlicher Uni-Alltag auf dem Programm. Nur die Chorstunde ist heute ausgefallen - worüber ich einerseits froh war und andererseits etwas traurig, denn einerseits hätte ich gerne gesungen. Andererseits aber hatte ich den Nachmittag Zeit, etwas im Tagebuch und meine Weihnachtspost zu schreiben. Ich war ja selbst etwas geschockt, dass ich so früh anfangen muss, aber die Post braucht ja ein paar Tage länger als üblich nach Deutschland, da die meisten Sachen ja mit der Eisenbahn unterwegs sind. Auch die ersten Geschenke habe ich schon besorgt. Aber auch von einer Freundin habe ich schon gehört, dass die Weihnachtsmaschinerie auf der Arbeit mittlerweile auf Hochtouren läuft.

Und dann ist heute Abend der erste Schnee gefallen, der liegen geblieben ist. Gestern hatte es schon ein wenig geschneit, der Schnee ist aber gleich getaut. Abends fror es dann, heute nun den ganzen Tag über und jetzt liegt der erste Schnee. Nicht viel, aber immerhin sichtbar.

Und es gab eine kleine Überraschung heute: Der Wachposten am Tor hielt heute Post für mich bereit - meine Oma hat mir geschrieben. Da habe ich mich richtig drüber gefreut und ihr gleich ein paar Zeilen zurück geschrieben. So werde ich morgen gleich einen Abstecher zur Post machen und den Brief dort abgeben! Dennoch möchte ich noch erwähnen, dass nicht nur ich überrascht war: Zwei Studentinnen, mit denen ich heute gemeinsam in einem Kurs studiert habe, waren sehr verwundert, dass ich im Chor singe und dazu auch noch auftrete. Und dann kamen natürlich die Fragen, wie ich das sprachlich mache, vor allem dann, wenn die Lieder in kirchenslawischer Schrift sind. Ich muss sagen, dass das singen einfacher als das Sprechen ist. Und die etwas andere Schrift lesen klappt mittlerweile auch ganz gut, wenn auch noch stockend.

 

 

Donnerstag, 20. November 2008

Ich muss besser mit meinem Schwarzbrot haushalten! Ich bin einfach viel zu gutmütig und gebe meinen Mitbewohnern davon viel zu gerne etwas ab und habe dann nachher selbst fast nichts mehr. Und die essen das Pumpernickel mit allergrößter Begeisterung, auch wenn dem skeptische Blicke vorausgehen. Nun mache ich es mittlerweile schon so, dass ich das Brot versuche, auf meinem Teller zu verstecken und das ganze Paket schon gar nicht mehr mit in die Küche nehme. Dort hat es erst recht keine Überlebenschancen.

Über Nacht hatte es geschneit und auch jetzt am Morgen gab es hin und wieder noch ein Schneeschauer. So ist alles in ein zartes Weiß getaucht und die Welt sieht völlig anders und viel schöner aus. Zeit also, das erste Mal die Winterschuhe anzuziehen. Auch wenn sie ein gutes Profil haben, musste ich auf dem Weg zur Elektritschka-Station ganz schön aufpassen, dass ich nicht falle. Die Wege hier sind nicht so eben und es gibt so einige kleine Stolperfallen, bei denen man leicht ins Rutschen kommt. Und an den Treppen ist es durchaus sinnvoll, sich am Geländer festzuhalten. Kurz vor meinem Ziel torkelten vor mir zwei betrunkene Männer über den Weg. Ob die beiden heil die letzten Meter geschafft haben, weiß ich nicht. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass sie noch mehrere Züge verpasst haben. So drollig das alles auch aussah, umso trauriger ist es, vor allem im Hinblick auf die Uhrzeit - es war um 11 Uhr morgens. Ich habe am Anfang meiner Zeit hier geschrieben, dass das Alkoholproblem wohl doch nicht so groß sei - zumindest wie in Irkutsk. Mittlerweile sehe ich es etwas anders. Bier wird beinahe wie Wasser getrunken und das Schnaps- bzw. Wodkaregal ist in einigen Läden beinahe größer als das übrige Sortiment. In dem kleinen Lebensmittelladen nahe der Station Pererwa stehen eigentlich immer nach Feierabend ein paar Männer vor mir an der Kasse, die sich meistens zwei Flaschen starken Alkohol besorgen. Noch imposanter ist es, wenn dieser kleine Laden mit neuem Alkohol versorgt wird. Und das kommt ziemlich oft vor. Es ist morgens nicht ungewöhnlich, wenn in der Elektritschka oder Metro neben mir jemand steht oder sitzt, der fürchterlich nach Alkohol riecht. Die leeren Bierflaschen  und -Dosen liegen zuhauf an der Straße oder in den Verkehrsmitteln - Schnapsflaschen allerdings sehe ich kaum. Ich sehe allerdings nicht oft, dass harte Getränke getrunken werden - im Gegensatz zum Bier, das öffentlich getrunken wird. Viele laufen mehr oder minder zu jeder Nacht- und Tageszeit mit einer Flasche Bier in der Hand durch die Gegend. Aber mit Schnapsflaschen sieht es anders aus - das scheint eher im Verborgenen zu geschehen. Nur das traurige Resultat tritt dann zu Tage. Und dann sehe ich oft die Frauen, die ihre betrunkenen Männer stützen und nach Hause geleiten, ihre unkoordinierten Küsse mit der Alkoholfahne ertragen und ihn beruhigen, wenn er etwas zu wild wird. Mir vergeht immer mehr die Lust am Alkohol und fühle mich im beinahe "trockenen" Wohnheim ganz gut aufgehoben. Beinahe deshalb, weil wir heute kurz Stephans Geburtstag gefeiert haben und er eine Flasche Wein spendiert hat, die aber nicht sonderlich lecker war, der Tee danach war viel besser.

Der Schnee, um noch einmal darauf zurückzukommen, hat nach dem Mittagessen zu einer kleinen Schneeballschlacht bei der Universität geführt, was natürlich sehr viel Spaß gemacht hat. Aber der Schnee fing schon an zu tauen, so dass er nicht mehr sonderlich schön für solche Spielereien war. Und am Abend war er dann so gut wie ganz verschwunden und es hat etwas geregnet.

 

 

Freitag, 21. November 2008

Es war noch immer recht glatt auf der Brücke zum Bahnhof, trotz des Tauwetters, so dass ich wieder gewaltig aufpassen musste, um nicht zu fallen. Das ist mir zum Glück auch gelungen. In der Innenstadt war vom Schnee dann gar nichts mehr zu sehen. Heute Abend allerdings fing es wieder an zu frieren und einige kleine Schneeschauer zogen über das Wohnheim hinweg. Aber viel ist noch nicht liegengeblieben. Aber vielleicht wird das über Nacht ja noch.

Heute habe ich wieder in der Stalowaja gearbeitet - als Tellerwäscher mit Valentina zusammen, wie das letzte Mal auch. Und kurz vor dem Ende meiner Arbeit kam dann ein neuer Joghurt-Transport in der Universität an, wo ich mitgeholfen habe beim Ausladen. Natürlich ist da wieder reichlich Joghurt für mich abgefallen, wobei ich den größten Teil allerdings schon wieder verschenkt habe. Die Chorstunde ist wieder ausgefallen und die Zeit bis zum Treffen mit denjenigen Studenten, die deutsch sprechen möchten, habe ich mit dem Schreiben der Weihnachtspost zugebracht. Es ist für mich schon ein wenig eigenartig, so früh an Weihnachten zu denken und Geschenke zu kaufen. Ich hoffe doch sehr, dass ich damit bis Anfang Dezember fertig werde.

Heute Abend habe ich mit Daniel und Andrej deutsch gesprochen - und auch Shenia war mit dabei. Sie versteht zwar kaum deutsch, hat sich aber redlich bemüht, ihre letzten Kenntnisse von vor fünf Jahren wieder ins Gewissen zu rufen. Und wenn man mit ihr mit viel Gestik und einfachen Wörtern gesprochen hat, dann konnte sie recht gut verstehen. Und so wurde es ein eigentlich recht lustiger Abend, der wieder einmal über zwei Stunden gedauert hat.

 

 

Samstag, 22. November 2008

Manchmal meine ich, dass meine Sprachkenntnisse doch langsam Fortschritte machen. Heute habe ich Nina Maximova viel besser als sonst verstanden, als wir wieder länger miteinander gesprochen haben. Sie freut sich ja über jeden, der sich mit ihr unterhält. Heute war noch eine weitere Babuschka mit dabei und so wurde es ein ganz nettes Gespräch über mein Studium und meine Ziele hier. Bis zum Treffen mit Lena habe ich noch eine Weihnachtskarte in der Mensa geschrieben, bin aber immer gestört worden, und bin dann nach "Arkadija" ins Internet gegangen, wo ich Elena dann später getroffen habe. Wir wollten heute ins "Novospasskij-Kloster" in die Vetschernaja gehen. Das Kloster liegt eigentlich schon fast auf meinem Weg von der Uni ins Wohnheim, wenn ich mit der Metro einen anderen Weg nehmen würde. Der Eingang zur Kirche ist noch nicht restauriert und zeigt daher den Glanz vergangener Zeiten. Es sind noch alte Wandgemälde zu sehen, die zeigen, wie prächtig der Eingang einst gewesen sein muss. Es sind aber auch noch Schusslöcher in den Wänden zu sehen und andere Hinterlassenschaften aus der Zeit, in der Kloster und Kirche für andere Dinge genutzt wurden. Die Kirche von innen hat sehr schöne Ikonenmalereien, sie zeigen die gesamte Weihnachtsgeschichte. Dies erstreckt sich an der Wand einmal um die ganze Kirche. Es dauerte nicht lange nach Beginn der Liturgie, als mein Magen anfing zu rumpeln. Keine fünf Minuten später bin ich quer durch das Kloster zur nächsten Toilette geflitzt, wo dann zu meinem großen Entsetzen kein Papier war. Ich muss wohl wieder etwas Falsches gegessen haben, das ich nicht ganz vertragen habe. Ich habe mich dann noch von Elena verabschiedet und bin dann nach Hause gefahren - ziemlich traurig, weil ich noch gerne den Gottesdienst bis zum Ende miterlebt hätte. An der Elektritschka-Station Textilschschiki fing es dann an zu schneien und in Pererwa war es dann schon weiß. Es hätte so schön sein können: Am Ende des Gottesdienstes nichts ahnend nach draußen gehend und das Kloster ist in ein wunderschönes weißes Gewand getaucht.

 

Der Glockenturm des Novospasskij-Klosters.

 

Verklärung Christi-Kathedrale.

 

Am Abend ist dann noch einiges an Schnee gefallen, doch bevor ich ins Bett gegangen bin, hatte ich den Eindruck, dass es schon wieder tauen würde, außerdem stürmte es und es schien zu regnen.

 

 

Sonntag, 23. November 2008

12:00 Uhr. Heute haben wir hier in Moskau absolutes Sauwetter - eigentlich schon ostfriesisches Wetter: Es ist wesentlich wärmer geworden draußen, es stürmt und regnet kräftig. Eigentlich ein Tag, um im Bett zu bleiben, was ich dann auch länger als geplant gemacht habe. Der Wecker hat zu acht Uhr geklingelt, weil ich eigentlich in die Heilige Messe wollte, habe mich dann aber entschieden, mich noch einmal hinzulegen. So bin ich dann um halb elf aus dem Bett gekrochen. Es ist kein Wunder bei dem Wetterumschwung - erst kalt und dann auf einmal wieder wärmer, dass ich müde und kaputt bin.

21:45 Uhr. Jetzt hat sich das Wetter wieder geändert. Als ich zur Akafist in Lenas Gemeinde gefahren bin, hat es noch gestürmt und hin und wieder geregnet. Nach der Akafist haben wir noch Tee im Gemeindehaus getrunken. Vorher war noch nichts zu sehen, nur der Wind wehte kälter. Als ich dann zum Haltepunkt Savjoloska wollte, ist schon wieder etwas Schnee gefallen. Ich finde das Wetter hier eigenartig.

Die Akafist für den Erzengel Michael haben wir heute sogar mal wesentlich besser gesungen als die letzten Male und ich habe das Gefühl, dass ich immer mehr in den Chor hineinkomme. In die Gemeinde aber ebenfalls: Anna Nikiforovna hat mich gleich im Eingang begrüßt und die andere Babuschka im Verkaufsstand rief dann: "Andruscha, Lena ist unten in der Küche!" So bin ich zu ihr in die Küche gegangen, wo ich dann Matuschkas Borschtsch gegessen habe, der vorzüglich geschmeckt hat. Irgendwann flog die Türe auf und gleichzeitig wurde der Rahmen fast vollständig von Vater Igor ausgefüllt, dem Diakon der Gemeinde. Er schaute mich verdutzt an und daraufhin habe ich ihn mit "Sdrastwujtje" gegrüßt, was er dann erwiderte. Er machte sich Tee und sagte dann zu Lena, die wie ich auf einem Stuhl saß: "Ich denke, Du hast einen Wunsch!" Lena verstand sofort und machte ihm den Platz auf dem Stuhl frei. Ich war verwundert, dass er für meinen Verstand so unhöflich zu Lena war und sie war verwundert, dass er so höflich war, denn normalerweise reicht ihm eine Handbewegung aus, um sich einen Platz zu verschaffen. Nach der Akafist wird noch das Ölkreuz durch den Priester gespendet, indem er den Gläubigen mit einem Pinsel Rosenöl ein Kreuz auf die Stirn malt. Da Lena etwas schneller war, fragte Vater Pawel schon, wo ich denn sei und als ich dann an der Reihe war, sagte er zunächst "Sdrastwuj, Andreas" und erst dann bekam ich das Ölkreuz. Und auch beim Gemeindepriester habe ich immer den Eindruck, dass er mich gerne in seiner Gemeinde sieht. Ich fühle mich auch sehr wohl in dieser Gemeinde. Wie schon angedeutet, habe ich nach der Akafist zunächst noch mit Lena alleine im Gemeindehaus Tee getrunken und etwas über den Glauben bezüglich des Todes in der Orthodoxen Kirche geredet. Es ist so, dass der Glaube herrscht, dass die Toten weiterleben und nicht einfach weg sind. Daher leben auch die Heiligen beispielsweise alle noch in einer besonderen Weise und können Wunder vollbringen. Die Verstorbenen sind auch dann noch nicht Tod, wenn sie vergessen werden, sondern leben auch dann weiter, es erinnert sich nur mehr keiner an sie. Daraus könnte eine ganz anderes Denken als wie im Westen resultieren, dass ich aber noch nicht ganz ergründet habe. Da werde ich mich aber noch einlesen oder nachfragen. Ich weiß bislang eigentlich nur, dass für die Orthodoxen Christen ein Toter nicht tot ist, sondern weiterlebt und das deswegen eigentlich gar nicht so geweint werden muss, weil er ja noch unter uns weilt. Auf meinen Einwand, das die Toten erst dann "tot" sind, wenn sich keiner mehr an sie erinnert, sagte sie nur, dass sie dann auch noch da sind. Aus diesem Grund gibt es einerseits das Totengedenken - die Panichida - und in jeder Kirche einen Tisch mit Kerzen, wo der Toten gedacht wird. In dessen Nähe steht meistens ein weiterer Tisch, auf dem Lebensmittel für den Toten abgelegt werden.

Heute Abend gab es im Wohnheim eine nicht so schöne Begegnung. Ilja hat wieder viel Alkohol getrunken und wollte mir in der Küche auch welchen andrehen. Als ich den mehrmals abgelehnt habe, wurde er schon fast aggressiv und sagte, dass ich gar kein Russe sei. In diesem Sinne hat er zum Glück recht. Auch gutes zureden half bei ihm heute Abend nichts mehr. Ivan setzte sich dann zum Essen dazu und auch er sollte mit ihm mittrinken. Er lehnte dies genauso ab, wie alle anderen auch, die nach und nach in die Küche kamen. Sie waren es dann auch, die mit dem gleichen geringen Erfolg versucht haben, ihn zu beruhigen. Ich hoffe, dass ich da morgen noch einmal mit drüber sprechen kann, wenn er weniger getrunken hat. Zumindest war das alle für uns eine nicht angenehme Situation: Für mich, weil er mich so vehement gebeten hat, zu trinken und für die anderen nicht, weil einige von ihnen jetzt sicherlich denken, dass ich ein schlechtes Bild von Russland oder von Russland als Gastgeber habe. Aber sie wissen genau so gut wie ich beziehungsweise weiß ich genau so gut wie sie, dass nicht alle so sind. In Sachen Alkohol sind es aber leider doch wieder viele Männer...

 

 

Montag, 24. November 2008

Heute Morgen wurde ich von Ivan beim Frühstück als erstes gefragt, ob es mir gut gehen würde und spielte damit auf den betrunkenen Ilja von gestern Abend an. Für mich ist die Sache mehr oder weniger abgehakt. Als ich dann zur Universität fahren wollte, stand die Hausverwaltung mit einem Wachmann vor dem Iljas Zimmer. Später habe ich ihn vor der Fakultätskirche sitzen und telefonieren sehen. Hinter ihm stand ein großer Müllsack, ein Rucksack und eine große Reisetasche. Das soll aber nicht nur an seinem Alkoholgenuss liegen, sondern er ist ohne Erlaubnis in den Mädchentrakt eingedrungen. Er ist von der Hausverwaltung aus dem Wohnheim herausgeworfen worden. Damit ist meiner Meinung nach nur die Hälfte des Problems gelöst worden. Er kann uns mit seiner Trunkenheit nicht mehr stören und für Unfrieden sorgen, dennoch denke ich, dass er jetzt mehr als sonst trinken wird.

Nachdem ich in der Post war und in der Stalowaja gegessen habe, hatte ich wieder Ethik. Zunächst waren wir nur zwei Studenten und so hat der Professor, Vater Alexej, sich noch mit uns unterhalten. Er kam wie üblich herein, reichte mir die Hand, sagte "Privjet, Andreas" und fragte dann, wie es mir gehen würde und wie mir die Uni gefallen würde. Ich habe wahrheitsgemäß gesagt, dass ich hier sehr, sehr gerne bin und studiere. So sind wir dann ins Gespräch gekommen, bis eine weitere Studentin kam und die Vorlesung dann beginnen konnte.

Nach der Vorlesung war ich kurz einkaufen und habe dann im Bolschoj-Theater nachgefragt, wie teuer Theaterkarten für die "Nussknacker" von Tschaikovskij sind. Leider sind sie doch recht teuer, so dass ich lieber auf sie verzichte. Unter 2000p. lässt sich da gar nichts machen. Anschließend war ich auf dem Markt in der Nähe des Jaroslawler Bahnhofs und der Metro-Station Komßomolßkaja und habe dort ein paar Geschenke für Weihnachten besorgt. Zu Hause habe ich mich dann wieder an die Weihnachtspost gesetzt, die ich nun fast fertig habe. Ich hoffe, dass ich sie am Donnerstag dann endlich zur Post bringen kann. Ich kann hier in Moskau nur zu einer Post gehen, wenn ich größere internationale Briefe aufgeben will oder auch nur die Dokumente dafür haben möchte. Das nimmt dann gut und gerne auch mal mehr als zwei Stunden in Anspruch und daher schaue ich immer, dass ich da nicht zu oft hin muss.

Auf dem Nachhauseweg wurde ich von einem Studenten und Mitbewohner etwas gefragt - das ging ungefähr so: "Andreas...! Ich: "Ja?!" Er: "Kann ich Dir eine private Frage stellen?" Ich habe die Augenbrauen hochgezogen und "Ja!" gesagt, mit der Frage im Kopf, was denn jetzt wohl wieder kommt. "Ich habe gehört, dass Du bald heiraten wirst." Ich war nun auf jede Frage gefasst, aber nicht darauf und musste erst einmal stutzen und habe dann in mich hineingelacht. Ich: "Wen soll ich denn heiraten?" Keine Antwort. Dann habe ich nachgehakt: "Wer hat Dir das denn erzählt?" Er: "Eine Studentin aus der Fakultät." Ich habe dann aber letztlich nicht herausbekommen, wer das war. Aber da sind wieder die lustigsten Gerüchte im Umlauf. Nun, mir soll's recht sein und mich stört es ja auch nicht. Ich bin nur gespannt, wann ich auf der Titelseite einer orthodoxen Klatschzeitung stehe.

Am Abend habe ich dann noch Deutsch-Nachhilfe für Vitali gegeben, der zunächst mit mir einige Texte übersetzt hat und dann haben wir gemeinsam eine Hausaufgabe daraus gemacht. Wir hatten in jedem Fall sehr viel Spaß und haben viel gemeinsam gelacht, so dass wir nicht sonderlich schnell gewesen sind.

 

 

Dienstag, 25. November 2008

Der Tag fing mit dem Abfragen und Versenden von E-Mails an. Das war wichtig, weil ich noch einige Adressen für die Weihnachtspost herausfinden musste und mich beraten musste in Sachen Weihnachtsgeschenke. Das ist einigen Fällen dieses Jahr nämlich gar nicht so einfach, weil die Sachen ja den langen Postweg nehmen müssen. Nun habe ich wenigstens eine Vorstellung.

Dann ist heute wieder eine Vorlesung ausgefallen. Das finde ich langsam nicht mehr sonderlich gut, weil ich einerseits immer warten muss auf die nächste Veranstaltung und zweitens möchte ich schon gerne mehr über die Kirche und ihr Wesen erfahren. Aber ständig ist irgendwer nicht da - das ist fast jede Woche der Fall. Und dann kommen die Ausfälle immer so plötzlich, so dass ich dann oft nicht weiß, was ich machen soll. In diesem Fall habe ich E-Mails beantwortet und dann später noch versendet. Ich musste ja noch Brot einkaufen. Aber es ist trotzdem nervig, vor allem wenn man Bücher mit dabei hat. 

Heute musste ich sogar eine ganze drei Stunden lang warten, da die nächste Veranstaltung um 17 Uhr stattgefunden hat. Dies war ein thematischer Abend für die Studenten, die an der Fakultät Deutsch studieren und an diesem Abend ging es um Mozarts Zauberflöte. Ich bin auch wieder eingespannt worden, dieses Mal durfte ich ein Gedicht von Hermann Hesse vortragen. Der Abend war ähnlich wie die anderen gestaltet: Zunächst wurde etwas über Mozart und seine Oper Zauberflöte erzählt und dann wurde das Ergebnis des Übersetzungswettbewerbs bekannt gegeben. Es können sich jedes Mal Studenten an einem Text zu schaffen machen und diesen ins Deutsche übersetzen. Die beiden Besten erhalten dann ein kleines Geschenk - gestern war es eine kopierte Musik-CD der Zauberflöte. Inwiefern dies freiwillig ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß aber zumindest, wie viele Studenten darüber denken würden und weiß nicht, wie das hier an dieser Fakultät oder in diesem Land ist. Anschließend habe ich das Gedicht vorgetragen und nach einer kleinen Pause wurde dann "Die Zauberflöte für Kinder" als Film gezeigt. Alles in allem war es ein sehr gelungener Abend.

Zwischendurch hat es viel geschneit und der Schnee ist sogar liegen geblieben, so dass Moskau jetzt ein weißes Gewand angezogen hat - selbst die Innenstadt. Am Wohnheim angekommen, flog mir auch schon der erste Schneeball entgegen. Das war für mich der Punkt, an dem ich mir gesagt habe, dass ich mich wehren muss. Also habe ich den Rucksack in die Ecke gestellt und dann zurückgeworfen. Daraus ist dann in eine wilde Schneeballschlacht geworden, die quer über den Hof des Wohnheims ging. Nach dem ersten Schneeball, der mich am Kopf an der Seite getroffen hat, konnte ich natürlich fast nichts mehr durch meine Brille sehen, weil sie dementsprechend voll Schnee und später voll Wasser war. So weiß ich auch nur drei oder vier Gesichter, mit denen ich mich ausgetobt habe - die meisten müssen aber Mädchen gewesen sein, denn die Jungs haben Fußball gespielt. Besonders eng wurde es für mich, als es auf einmal hieß, dass von nun an Deutschland gegen Russland spielt. Die Schneeballschlacht mag vielleicht fast eine Stunde gedauert haben. Anschließend habe ich mich geduscht und zunächst meine Jacke getrocknet, die ich mit genügend Sicherheitsabstand an meinen Elektrokamin gehängt habe. Die war nach fast einer Stunde wieder trocken. Anschließend hat mich Stephan zum Kohlrouladen essen eingeladen, die er selbst gemacht hat. Und beim Essen habe ich gemerkt, wie müde ich eigentlich bin. von dem Toben im Schnee.

Diesen Tag möchte ich letztendlich noch ganz kurz kommentieren: Es ist wunderschön, für knapp eine Stunde mal wieder Kind zu sein und ausgelassen im Schnee herumzutoben. Hatte ich am Vorabend noch geschrieben, dass Heiratsgerüchte in der Universität umherschwirren - vielleicht sollte ich doch noch dazu sagen, dass wenn einige Damen hier etwas kontaktfreudiger werden und einige mehr und mehr deutliche Absichten zeigen. So wurde mir vor einiger Zeit in der Küche ein Zettel gegeben mit E-Mail-Adresse, Telefonnummer, ... Abwarten und Tee trinken!

 

 

Mittwoch, 26. November 2008 - Fest des Hl. Johannes Chrysostomus

Am heutigen Morgen viel es mir schwer aus dem Bett zu kommen. Über Nacht habe ich Muskelkater bekommen von der Schneeballschlacht und war zudem noch ziemlich müde. So habe ich heute Morgen etwas länger gebraucht bis ich aus den Federn gekrochen bin. Zudem heute noch früher als sonst, da in der Fakultätskirche eine Göttliche Liturgie zum Fest des Hl. Johannes Chrysostomus war, die für diejenigen für Unterrichtsausfall gesorgt hat, die bis Mittag Vorlesungen hatten. Bei mir war dies nicht der Fall, so dass bis auf die Liturgie alles normal verlaufen ist. Nach der Liturgie habe ich die letzten Geschenke besorgt - allerdings in einem anderen Ikonenladen, auf den ich hingewiesen wurde. Nach den Vorlesungen bin ich noch zur Chorprobe gewesen und hier zeigte sich, dass nicht nur ich müde bin, einer ist glatt mit dem Kopf auf der Tischplatte eingeschlafen und auch der Rest wirkte sehr unkonzentriert, was unseren Chorleiter fast in Rage brachte.

Und den Abend habe ich damit verbracht, die Weihnachtspost zu beenden: Briefmarken auf die Umschläge kleben, Etiketten schreiben, Briefumschläge zukleben usw.

 

 

Donnerstag, 27. November 2008

Heute Morgen bin ich um 10 Uhr von der Elektritschka-Station Pererwa zur Post gefahren. Für den Weg dorthin - inklusive dreimal umsteigen und viel Eisglätte habe ich fast 50 Minuten dorthin gebraucht. Obwohl Wohnheim und Post beide südlich vom Stadtzentrum liegen, ist der Weg dorthin sehr zeitaufwendig. In der Post habe ich zum Glück nicht lange warten müssen und kam nach fünf Minuten Warten schon dran. Im "internationalen" Postamt, das es nur einmal in Moskau gibt, muss man zunächst eine Nummer ziehen und dann warten, bis man an der Reihe ist. Das kann auch schon mal mehr als eine halbe Stunde dauern. Am Schalter habe ich dann alle möglichen Geschenke und die dazugehörigen Etiketten und Dokumente der Postangestellten gegeben. Die hat dann alles in die richtigen Umschläge gepackt, teilweise noch ausgefüttert, zugeklebt und herumgebastelt, die Etiketten kontrolliert und teilweise korrigiert und nach über einer Stunde war dann alles fertig und bezahlt. Es sind einige Einschreiben mit dabei und es mussten Empfänger und Ort in den Computer getippt werden, dazu musste ich dann noch die Namen ins Russische übersetzen, was hin und wieder zu viel Spaß geführt hat, da sie einige Orte und Namen erst nach mehreren Versuchen aussprechen konnte. An anderer Stelle in der Post habe ich dann noch Briefmarken für einige Briefe gekauft und damit habe ich die Weihnachtspost jetzt so gut wie abgeschlossen. Nun werde ich hoffentlich wieder Zeit mehr Zeit finden, in russischen Büchern zu lesen und Vokabeln zu lernen.

Bevor ich in die Stalowaja gegangen bin, war noch genug Zeit, um ins Internet zu gehen und etwas einzukaufen. In der Stalowaja habe ich an einem Tisch gesessen, der ab 14 Uhr für Mittellose und Pensionäre reserviert ist und auf dem ein Schild mit einem entsprechendem Hinweis steht - mit Uhrzeit und allem drum und dran. Den Zettel hätten wir - also meine Tischnachbarn und ich - am liebsten verschwinden lassen und so wanderte er von Schoß zu Schoß oder verschwand hin und wieder unter dem Teller. Hin und wieder ging schon die Türe auf und eine Babuschka schaute in den Saal - in unsere Richtung. Wir hatten aber ja noch 20 Minuten Zeit und wollten diese auch gemütlich ausnützen und uns nicht unter Druck setzen lassen und haben weiter gegessen. Zehn Minuten später kam die Babuschka dann herein und stellte hinter mir ihre Sachen ab, stellte sich vor unseren Tisch, nahm den Zettel in die Hand und las ihn auffällig und legte ihn für uns gut sichtbar zurück. In dem Moment habe ich auf meine Uhr geschaut und ihr gesagt, dass wir noch acht Minuten hätten. Nun ging sie zur Kasse, holte sich einen Bon und schlurfte dann zur Essensausgabe. Daniel sagte mir am Tisch nur, dass wir uns von ihr nicht vertreiben lassen und in Ruhe weiter essen werden. Nach etwa fünf Minuten kam sie wieder - ich hatte gerade aufgegessen und habe mich kurz gestreckt - da stellte sie einen kleinen Teller Suppe neben meinen und schob ihn mir direkt vor die Nase. Ich wusste natürlich zu genau, dass das ihr Teller war, habe mich aber trotzdem bei ihr bedankt, was sie mit einem Kopfschütteln und einem leicht verschmitzten Gesicht quittiert hat. Während sie dann ihren Tee geholt hat, habe ich meinen aufgetrunken und musste dann auch schon in die Vorlesung. So ist sie dann pünktlich an ihren Tisch gekommen. Über die Babuschka haben wir uns am Tisch köstlich amüsiert. Die Babuschkas in Russland sind alte Frauen, die vielfach nur eine schmale Rente haben und auf fremde Hilfe angewiesen sind. Sie sind aber oft auch sehr giftig, wenn etwas nicht nach ihren Regeln und Vorstellungen läuft. So kann es beispielsweise sein, dass, wenn eine junge Frau ohne Kopftuch in der Kirche läuft, sie lautstark von einer Babuschka angeschrien wird - auch während der Liturgie - bis sie das Kopftuch auf- oder die Kirche verlassen hat. Manchmal können sie auch leicht handgreiflich werden und schupsen oder ähnliches, um sich ihren Respekt zu verschaffen. So hatte ich mit genau dieser Babuschka der Stalowaja schon einmal in der Fakultätskirche eine Begegnung. Sie lief an mir und Lena vorbei, schaute uns an und sagte: "Gebt mir Geld." Babuschkas in Russland sind etwas Besonderes und in jedem Fall eine unvergessliche Begegnung. Man kann aber nicht alle über einen Kamm scheren. Nina, die Garderobendame, gehört auch zur Kategorie Babuschka, ist aber eine total friedliche und liebevolle Person. Nicht nur zu mir, sondern zu allen Studenten.

Einen kleinen Teil des Heimwegs habe ich mit Lena bestritten und war in der Metrostation verwundert, dass sie immer noch mit einer üblichen Fahrkarte fährt, obwohl sie eine Studentenkarte hat. Aber momentan kann sie sich den Monatsbeitrag offenbar nicht richtig leisten und nach einigem zureden konnte ich ihr dann die Karte bezahlen. Sie tut so viel Gutes für mich und gibt sich so viel Mühe und dann muss ich mir im Gegenzug so viel Mühe geben und sie überreden, dass ich ihr den kleinen Gefallen tun kann. Das hat mich den ganzen Abend irgendwie noch beschäftigt.

Nun habe ich gestern gar nicht mehr gemerkt, dass ich ja seit gestern schon drei Monate hier in Moskau bin. Es ist für mich wirklich unglaublich, wie die Zeit vergeht. Ich möchte dies nun zum Anlass nehmen und meine Fakultät ein wenig näher beschreiben. Mittlerweile kenne ich das Leben hier recht gut und möchte einfach etwas dazu erzählen - eigentlich genau das, was ich einigen schon in Briefen und E-Mails geschrieben habe. Wenn ich morgens das Universitätsgelände durch das Eingangstor betrete, dann bekreuzige und verneige ich mich zuerst vor der Kirche und dann gehe an bunten Blumenbeeten - zumindest war es im Herbst so, an einem Haus und Brunnen vorbei zum Eingang eines Gebäudes, das ein wenig alt aussieht, öffne die schiefe Türe, die sich dann knarrend und quietschend wieder schließt und mit einem Rumms ins Schloss fällt. Im Haus muss ich ein wenig aufpassen, dass ich auf dem alten Fußboden mit seinen Dellen, Macken und Unebenheiten nicht falle und gehe die alte Treppe hoch, die in den Tschitalnij Sal (ein Vorleseraum, der so etwa die Größte eines Klassenzimmers hat) führt. Auch dort muss ich wieder achtgeben, denn die Stufen aus Stein sind an einigen Stellen entweder locker oder ausgetreten. Die Schwenktüre zum Tschitalnij Sal klemmt immer ein wenig, so dass man nicht genau weiß, ob sie abgeschlossen oder offen ist. In diesem Raum hängen Tapeten aus den 70er Jahren, der Fußboden ist ebenso alt und von dem ständigen Gebrauch schon ganz kaputt, ausgetreten und an vielen Stellen geflickt, auf der Fensterbank stehen viele Blumen und die Stühle und Tische haben auch ihre besten Zeiten hinter sich. Über der Tafel stehen ein paar Ikonen, wie in jedem Raum in der Universität. Kommt der Dozent in den Raum – meist ist es ein Priester, dann singen wir zunächst ein Gebet und dann beginnt der Unterricht. Er endet auch mit einem Gebet. Dies finde ich übrigens sehr gut, es ist doch eine theologische Fakultät. Die Fenster sind auch schon sehr alt und an ihnen war einmal eine elektrische Einbruchsicherung befestigt, die jetzt aber außer Gebrauch scheint, zumindest sind die meisten Kontakte nicht angeschlossen und die Drähte hängen vor dem Fenster herum. Betrachtet man die Fenster, so wirkt die Einbruchsicherung ziemlich skurril. 

Das Gebäude, in dem die Stalowaja untergebracht ist, zeigt dagegen ein völlig anderes Bild: Es ist sehr sauber und ordentlich ausgebaut, hier ist fast nichts krumm und schief und alles macht einen sehr gepflegten Eindruck. Unten im Keller findet sich die Garderobe, in der entweder Nina oder Feofina sitzen. Ist Letztere dort, dann muss man sich im Flur ruhig verhalten, schon dort die Jacken und Mäntel ausziehen, den Rucksack auf der Bank ablegen und dann erst die Jacke in der Garderobe auf an die Haken hängen. Feofina sitzt dann meistens in ein Buch vertieft oder hört in der Ecke mit der Steckdose Radio und auf dem Tisch stehen Kerzen, die brennen und dem Raum so eine gemütliche Atmosphäre verleihen. Bei Nina ist es ganz anders: Ich habe anfangs immer meine Sachen auf der Bank liegen lassen, wenn sie da war. Nachher musste ich sie dann immer in der Garderobe suchen, da Nina sie in ihre Aufsicht genommen und irgendwo in die Ecke gestellt hat. Wir dürfen dann in der Garderobe reden und singen und auch die Jacken können wir dort ausziehen. Dann herrscht dort immer eine fröhlichere Stimmung und Nina freut sich, dass sie so viel Leben um sich drum zu hat. Und ein kleines Schwätzchen mit Nina gehört auch auf die Tagesordnung wenn sie da ist. Sie verbreitet auch eine gemütliche Atmosphäre, aber eine viel herzlichere.

In der Stalowaja kauft man sich dann erst einen Bon und bekommt mit diesem dann sein Essen ausgehändigt. Mittlerweile weiß die Essensausgabe auch schon, welche Teller und Portionen ich mir am Liebsten zu Gemüte führe. Nachdem man das Essen auf den Tisch gestellt hat, wird zuerst das Tablett zurückgebracht und dann kann man sich Tee holen. In der Stalowaja hängt eine sehr große und schöne Marienikone mit einem Licht davor und in ihre Richtung wird dann stehend die Tischgebet verrichtet. Meistens mache ich es so, dass ich die Suppe zum Schluss esse, was schon für viele Fragen gesorgt hat: Die Lösung ist, dass die Suppe meistens noch wärmer ist als die eigentliche Hauptspeise. Und so habe ich dann zumeist zwei warme Mahlzeiten - solange ich beim Essen nicht übermäßig gestört werde und ein Teller wieder kalt wird.

Über der Stalowaja befindet sich der Konferenzsaal - der bei weitem schönste Raum der Universität, in dem eine Menge Leute Platz finden können und der sich als Mehrzweckraum sehr gut nutzen lässt. Leider ist dieser Raum aber auch oft sehr kalt, so dass ich dort eine Jacke benötige. Die Heizung will es einfach nicht schaffen, den Raum vernünftig zu beheizen. In dem Raum ist eine kleine Bühne, zwei Flügel stehen dort auf dem manchmal Studenten spielen und üben, zwei große Ikonen, es hängen schöne Vorhänge an den Fenstern und es gibt Bilder von Heiligen und Patriarchen an den Wänden.

In einem anderen Gebäude, dass sich neben der Stalowaja befindet, werden vorwiegend Sprachen unterrichtet. Hier ist alles noch sehr alt und es erscheint alles ein wenig im ursprünglichem Zustand. Dieses Haus zeigt die Zimmernot der Universität beziehungsweise der Fakultät, denn hier sind selbst kleinste Räume zu Unterrichtsräumen umfunktioniert und es herrscht manchmal eine große Enge. Betritt man den Raum gleich links hinter dem Eingang, dann befindet sich hinter der Schwenktüre ein Büro, dass gleichzeitig Durchgang zum kombinierten Arbeits- und Unterrichtsraum der Ludmilla Simonovna ist. Und für diese Raumnot gibt es noch ganz viele andere Beispiele in der Fakultät. Das Dilemma ist eigentlich, dass wenn ein Gebäude oder ein Raum renoviert wird, dass dieser dann hinten und vorne fehlt, so dass es schon fast unmöglich ist, in vernünftiger Art und Weise zu renovieren - lediglich improvisieren scheint möglich. Und so sieht es an vielen Ecken und Kanten der Universität auch aus. Ich finde aber, dass alles sein Flair verlieren würde, wenn alles ordentlich und gerade aussehen würde. Ich glaube, dass die Universität auch ihr Familiäres einbüßen würde.

Im Hauptgebäude in der Haupthalle trifft man manchmal auf die Fakultätskatze die über die Bücherauslage unseres Buchverkäufers läuft, von dem ich den Eindruck habe, dass er schon mehr Bücher gelesen als verkauft hat, auf der Fensterbank oder dem Glasregal sitzt. Und vor der Eingangstüre dösen oft die beiden Wachhunde in der Sonne. Und manchmal sind auch ihre Freunde von nebenan zu Besuch, so dass hier dann drei oder vier Hunde friedlich schlafen. Alles in allem klingt das für deutsche Verhältnisse etwas ungewöhnlich, aber für mich hat diese Universität eine besondere Atmosphäre, die verlorengehen würde, wenn alles gerade, aufgeräumt und perfekt wäre - wie gerade schon gesagt. Um es kurz zu sagen – mir gefällt es hier sehr gut. Eigentlich ist die Uni sogar der Platz in Moskau, der mir am besten gefällt: Hier ist eine andere Welt: Kein Stress, keine Hektik, alle sind freundlich und grüßen einander, in irgendeinem Zimmer klimpert immer ein Klavier, viele lassen sich von einem der vielen Priester segnen - ganz unbefangen und ohne den Hintergedanken an eine gute Zensur oder um einen guten Eindruck zu machen.

 

Novokusnezkaja uliza, Haus 23b

 

Fakultätskirche und das Eingangstor, durch das ich jeden Uni-Tag gehe.

 

St. Nicolai im winterlichen Kleid.

 

Hier werden Sprachen unterrichtet.

 

Der "Heilige Brunnen" und der Eingang in das Gebäude, das den Tschitalnij-Sal beherbergt.

 

Der Tschitalnij-Sal. Hinter der weißen Türe befindet sich ein Büro - der einzige Zugang ist eben dieser Raum.

 

Tschitalnij-Sal - Blick auf Klavier und Garderobe.

 

Eingang in die Bäckerei und einen Unterrichtsraum.

 

Blick auf die Fakultätskirche vom Innenhof.

 

Kreuz vor der Kirche.

 

Flur zum Musiksaal.

 

  Improvisation und alles auf Funktion eingerichtet.

 

Ein Schläfchen in der Nachmittagssonne vor der Eingangstüre...

 

Und ein paar Meter weiter sitzt die Fakultätskatze auf dem Glasregal.

 

Und letztlich noch die Dreifaltigkeitskirche - die auch zur Universität gehört und als Studentenkirche bezeichnet wird.

 

 

Freitag, 28. November 2008 - Beginn der Fastenzeit

Nach der ersten Vorlesung habe ich heute wieder die beiden Osnabrücker Bekannten getroffen, die in der Nähe der Universität am Paveljetskij Voksal (Bahnhof) angekommen sind und die ich dann zum Kiewsker Bahnhof gebracht habe und dann von dort mit dem Express zum Flughafen Vnukovo gefahren sind. So hatte ich heute die Gelegenheit, das Neueste zu erfahren und zu erfragen und neue Ideen zu sammeln. So wurden mir tolle Vorschläge für ein Gemeindepraktikum in der Diözese St. Clemens im südlichen Russland gemacht, unter denen es schwer wird zu entscheiden - wenn ich im Juni nicht dann doch schnell nach Hause fliegen möchte. So hatte ich heute die Gelegenheit, für knapp eine Stunde mit lieben Menschen aus der Heimat zu sprechen - für mich etwas ganz Besonderes. Nach dem Dienst in der Stalowaja und der Chorstunde war dann wieder das Deutsch-Treffen. Heute waren viele neue Gesichter aus anderen Fakultäten dabei, die gut Deutsch können und so war es heute ein sehr interessantes Treffen, bei dem ich wieder viel Neues erfahren habe. So möchte ich ab übernächstem Montag eine zusätzliche Dogmatik-Vorlesung hören, von der ich mir mehr verspreche als die, die ich jetzt besuche. Und dann bin ich dahinter gekommen, dass heute die orthodoxe Fastenzeit vor Weihnachten beginnt. Ich glaube, dass ich mich in dieser Zeit auf meinen katholischen Glauben besinne und mir hin und wieder ein schönes Wurstbrot genehmige. In der Stalowaja gibt es von an nun also bis Weihnachten kein Fleisch mehr. Aber das werde ich im Wohnheim auszugleichen wissen. 

Jetzt gerade habe ich eine Einladung von Masha zu ihrem Geburtstag bekommen. Diese Masha war heute bei dem Deutsch-Treffen mit dabei. Nun weiß ich gar nicht mehr genau, wer das war, denn die einzige Masha, die ich kenne, kann doch gar kein Deutsch. Und dann habe ich auch noch am Sonntag eine Verabredung mit Elena - wir wollen gemeinsam mit Anna Nikiforovna Abendessen kochen und da habe mich schon so drauf gefreut. Und beides absagen mag ich auch nicht. Nun will ich versuchen, irgendwie alles auf die Reihe zu bekommen, so dass ich keinen enttäuschen muss. Es darf mir aber auch nicht wieder zu viel werden.

 

 

Samstag, 29. November 2008

Heute war an für sich kein besonderer Tag: Zunächst die Dogmatik-Vorlesung, dann Essen in der Stalowaja, dann war ich im Internet und habe dort Oleg und Pjotr getroffen, bin dann ins Wohnheim gefahren und habe dort erst eine Runde geschlafen, anschließend mit zwei Mitbewohnern aus einer Pfanne zu Abend gegessen und danach bin ich in die katholische Kirche zur Heiligen Messe gefahren. Dort war ich ganz erstaunt, dass die erste Adventskerze brennt, aber morgen ist in der Tat der erste Advent. Es sah etwas eigenartig aus: Der Priester mit grüner Stola und dann das violette Tuch und die brennende Kerze. Am Abend habe ich mit Oleg und Pjotr zusammen gesessen und noch ein Bierchen getrunken, das herrlich geschmeckt hat. Und nun bin ich wieder müde und gehe früh schlafen.

 

 

Sonntag, 30. November 2008

Während der Göttlichen Liturgie in der Fakultätskirche Nicolai von Kusnjetzk klingelte das Handy - Lena hatte eine SMS geschrieben, dass sie eingekauft hätte, aber nicht wusste, was Zucchini ist. Und dann konnte ich ihr nicht antworten, weil das Handy-Guthaben wieder aufgebraucht war. Aber im Lebensmittelgeschäft direkt neben der Kirche konnte ich mein Handy aufladen und ihr sofort antworten. Hier in Moskau ist es in nahezu jedem Geschäft möglich, das Guthaben aufzustocken und das Geld ist vor allem in Sekundenschnelle auf dem Mobiltelefon. Während der Liturgie ist mir dann eingefallen, dass ich noch einen Obstsalat machen könnte und habe anschließend die notwendigen Sachen dazu gekauft. Als ich dann bei Lena in der Gemeinde ankam, wo wir gemeinsam kochen wollten, mussten wir erst noch ein wenig warten, weil noch die Sonntagsschule die Küche besetzte. So bin ich mit Lena in die Bibliothek gegangen, wo sie gerade selber lernte und mit einem Enkel der Matuschka - Ljoscha - Hausaufgaben machte. Und dieser ließ sich von allem ablenken, was im Raum passierte, so dass Lena fast die Geduld verloren hätte. Elena hat mich gefragt, ob ich ihm bei den Hausaufgaben helfen könnte. Es war unglaublich, wie schnell der Ljoscha mit den Hausaufgaben fertig war, vor allem, wo als ich ihm noch einen Übungszettel angefangen habe zu schreiben. Nachdem die Sonntagsschule die Küche verlassen hatten, konnten wir gemeinsam anfangen zu kochen. Die Idee war, eine Kartoffel-Gemüsepfanne zu machen und so haben wir beide fleißig Gemüse und Kartoffel geschält, wobei Lena öfter in die Küche unter der Kirche gehen musste, um eine Pfanne, Messer, Teller uns Salz zu holen. Und dann schaute auf einmal die Matuschka durch die Türe und sagte nur "Ich habe verstanden!" und ging beleidigt weg. Lena ging ihr dann hinterher und versuchte mit ihr zu reden. Sie erzählte mir nachher, dass sie zu ihr gesagt hat: "Andreas versorgt Eure Kinder, nicht Du!" Zunächst war Lena etwas beleidigt, aber es dauerte nicht lange und wir haben herzlich darüber gelacht. Die Matuschka war sauer, weil Anna Nikiforovna vergessen hatte, der Matuschka zu sagen, dass ich gerne für beide kochen wollte. Die Idee der letzten Woche war ja, gemeinsam zu essen, wenn wir so oder so zusammen sitzen. Und die Matuschka dachte jetzt, dass den beiden das Essen nicht schmecken würde und dass sie mich angeheuert hätten - und dazu auch noch ein Mann, der kocht. So mussten wir die Akafist - übrigens auf die Heiligen Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia - ohne die Matuschka singen, aber wir hatten Verstärkung: Die Tochter der Matuschka, ein weiteres Mädchen und Ljoscha. Letzteren konnte man eigentlich gar nicht hören, dafür haben die Frauen sehr gut gesungen - auch ohne die Matuschka. Und nach der Akafist hieß es, dass die Matuschka nicht mehr beleidigt oder böse sei. So haben wir ihr dann die Hälfte des Essen ins Haus gebracht, das sie unter Schimpfen - "Von armen Studenten nehme ich nichts zu essen!" dann doch angenommen hat. Dafür hat sie mir unter Geschimpfe eine große Tüte Lebensmittel in die Hand gedrückt, bei der ich die liebe Not hatte, dass die Griffe nicht reißen würden. Zunächst wusste ich allerdings nicht, ob sie mich rauswerfen wollte oder im Haus behalten wollte. Zurück im Gemeindehaus habe ich das Essen warm gemacht und dann haben wir gegessen: Anna Nikiforovna, Vitali - ein anderer Enkel der Matuschka, Lena und ich. Und dann hieß es plötzlich von Anna Nikiforovna: "Du kommst in den Himmel, die Matuschka hat mit Dir geschimpft." Daraufhin Lena: "Mit wem die Matuschka schimpft, den liebt sie. Sie mag Dich." Und dann musste ich auch schon zu der Geburtstagsfeier von Masha in die Nähe der Fakultät. Dann kam die Verabschiedung von Lena - streng, aber liebevoll beobachtet von Anna Nikiforovna. Sie hat Lena in ihrer Nähe behalten und sie dann hinter ihren Rücken befohlen und selbst solange gewartet, bis sie sicher war, dass wir nicht allein sein konnten. Im Falle eines Heiratsantrages scheint es so, dass man(n) nicht nur die Mutter fragen muss, sondern auch die Matuschka der orthodoxen Kirchengemeinde der Heiligen Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia. Darüber habe ich selbst in der Metro noch lange schmunzeln müssen.

Vor der Türe des Hauses, in dem die Geburtstagsfeier stattfinden sollte, habe ich noch einen anderen, aber fremden Gast getroffen, so dass ich ohne weiteres durch die Türe gekommen bin. Dann haben wir den Fahrstuhl gerufen und nach kurzem Warten kam der dann auch - es passte aber nur ein Mensch herein, so groß war der. Dementsprechend musste ich Treppen laufen. Und dann kam ich in eine Gesellschaft und Wohnung, mit der ich in keiner Art und Weise gerechnet habe. Zunächst konnten sehr viele dort deutsch und dann war die Wohnung überraschend groß und nobel ausgestattet. Ich war dort scheinbar in einer Familie, die sicherlich recht wohlhabend sind. Ich war aber froh, dass einige andere Jungs da waren, die nicht so schick wie die Frauen und der Hausherr gekleidet waren, so viel ich nicht schlecht auf. Und dann haben wir an einer großen Tafel Platz genommen, ich neben der Mutter des Hauses, und folglich gab es in der Tat sehr leckere und feine Speisen: Edle Salate, Kaviar, teuren Wein und so weiter. Und dann habe ich mir von einem Salat nachgenommen und ich wurde gefragt, ob mir der Fischsalat gut schmecken würde. Der Salat schmeckte für mich zwar neu, aber nicht nach Fisch. Und bevor ich dann gehen musste - ich musste ja an die Wohnheimzeit von 23 Uhr denken - gab es dann noch Tee und Kuchen. Ich war vor dem Betreten des Hauses ja darauf eingestellt, dass es eine Art Studentenparty wird mit etwas Wein, Cola, Saft und einer Kleinigkeit zu essen. Aber an so etwas Nobles hatte ich im Traum nicht dran gedacht. An diesem Abend habe ich allerdings das erste Mal in Moskau mit Messer und Gabel gegessen.

Im Kursker Bahnhof habe ich Xenia und eine Freundin getroffen und in der Elektritschka haben wir dann meine kirchlichen Lebensmittel aufgeteilt: Die beiden haben zwei Pakete Nudeln bekommen, eine Flasche Bratenöl, vier Fischkonserven, je eine Packung Tee, Fisch und Buchweizen. Für mich ist sind dann Mandarinen, zwei Flaschen Öl, Plätzchen, zwei Pakete Nudeln und ein Paket Reis übrig geblieben. Und so war ich dann an diesem Abend eines der letzten Schäfchen Vater Philips, das ins Wohnheim getrottet ist.

 

 

Nun ist schon wieder ein Monat vergangen - der dritte ist es nun schon. Ich kann gar nicht sagen, wie schnell die Zeit hier vergeht, sie vergeht hier wie im Fluge. Und dabei habe ich jede Menge schöne Erlebnisse, auch wenn in diesem Monat kein größerer Ausflug stattgefunden hat - die Fahrt zum Flughafen Vnukovo will ich hier bewusst ausklammern. Der Alltag hat mehr und mehr Einzug gehalten, es ist aber bislang noch überhaupt kein Anflug von Langeweile entstanden. Insbesondere in der vielen Weihnachtspost, die ich geschrieben habe, habe ich von meiner Zeit hier in den verschiedensten Kontexten erzählt. Doch eines stand immer im Mittelpunkt: Die Dankbarkeit und Freude, dass ich hier eine so gute Zeit erleben darf, dass alles wie ein wunderschöner Traum ist, der für mich in Erfüllung geht und aus dem ich hoffe, nicht zu erwachen.

Wenn ich in diesem Monat einen Wehmutstropfen suchen müsste, dann würde mir nach wie vor nicht viel einfallen. Und selbst diese würden überdeckt werden von den ganzen tollen Erlebnissen, Begegnungen und Eindrücken, die ich bislang gemacht habe. Da ist zum einen die Sprache, die zwar Fortschritte macht - für meine Vorstellungen sind sie aber zu langsam. Ich habe mir jetzt einen kleinen Ordner zugelegt, in dem ich in jeder Vorlesung neue Vokabeln herein schreibe, die ich für wichtig halte und die ich nach den Vorlesungen sortiert habe. So schaue ich mir diese vor jeder Vorlesung an und verinnerliche sie mir noch einmal. Dies hat viele Vorteile: Zum einen kann ich schnell etwas nachschlagen und zum zweiten kann ich auch in der Elektritschka schnell noch einmal in den Ordner schauen. Ich verstehe nach wie vor langsam mehr in den Vorlesungen und auch die Gespräche werden fließender. Viele Wörter schleichen sich auch ohne sie zu lernen in den Kopf - diese sind mir nach wie vor die liebsten. Dennoch erfordert es nach wie vor, sehr viel Konzentration, wenn ich verstehen will. Fühle ich mich zum Beispiel bei einem Wetterumschwung müde und abgeschlagen, dann muss ich mich um ein vielfaches mehr anstrengen. Sehr gute Dienste leistet der Taschencomputer, den ich mir zugelegt habe. Dort ist mittlerweile ein Sprachprogramm installiert, so dass das schwere Wörterbuch zu Hause bleiben kann. In den Vorlesungen hat dies den Vorteil, dass wesentlich schneller Wörter finden kann. Und wenn ich ein Wort falsch geschrieben oder gehört habe, dann zeigt mir das Programm noch einige andere Varianten an, die ich gemeint haben könnte. Dies macht mir das Leben in der Universität sehr viel leichter - den Rucksack übrigens auch. So teuer das Ding auch war und so sehr es auch das Monatsbudget überzogen hat: Es war eine äußerst sinnvolle Anschaffung, die ich nicht missen möchte und hoffe, dass sie mir noch gute Dienste leistet. Der andere Wehrmutstropfen ist Elena, die mir immer mehr ans Herz wächst. Eine Beziehung mit ihr bringt zunächst kaum Probleme, aber wenn ich einen Blick in die Zukunft werfe, dann habe ich arge Sorgenfalten auf der Stirn. Während die Universität mir theoretische Dinge lehrt, zeigt sie mir, was orthodoxer Glauben in der Praxis ist. Wir machen sehr viel zusammen, reden gemeinsam oft sehr vertraut über den Glauben und entdecken dabei unendlich viele Gemeinsamkeiten der Kirchen und eigentlich nur wenige, recht belanglose Dinge, die trennen. Aber gerade, wie sie ihr christliches Leben lebt, ist einfach nur überwältigend. Von ihr kann ich unheimlich gut lernen, wie man christliches Leben im Alltag auf selbstverständliche und natürliche Weise umsetzen kann. Sie ist ja noch recht jung, lebt aber bewundernswert bewusst ihr Leben. Und so entdecke ich allein dadurch, dass ich viel mit ihr zusammen bin, den christlichen Glauben neu und vor allem, wie man ihn leben kann. Dadurch, dass wir oft zusammen in ihre Gemeinde gehen und ich dort im Chor mitsingen darf, mich mit einigen Leuten unterhalte, einfach das Gemeindeleben miterlebe, bin ich dankbar, dass ich die russisch-orthodoxe Kirche auch im Leben kennen lernen darf. Durch Lena habe ich beispielsweise gelernt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sie zur Kommunion gehen kann. Dies erfordert tatsächlich eine längere Vorbereitungszeit, so dass die meisten nicht an jedem Sonntag kommunizieren. Dies soll aber an anderer Stelle Thema werden. Eigentlich erlebe ich genau das, was Lena mir vor ein paar Wochen in einer Mail geschrieben hat:

"Wenn wir mit unserer Matuschka singen, gibt es ueberhaupt keine Schoenheit, weil dieFrauen alt sind und ihre Stimmen klingen gar nicht schoen, aber da hoerst du den wirklichen Glaube, den sie so viel Jahre haben, die sie so oft schuetzen gezwungen waren, der Gottesdienst ist da wircklich stark und du vergisst schon ueber die Schoenheit und siehst die Schoenheit von ihren Seelen und Schoenheit des Gottesdienstes und verstehst ganz sicher und zweifelst nicht mehr, dass genau so alles sein muss. Ich hoffe ganz stark und bete, damit du es fuehlen wirst, weil beschreiben kann man so was nicht. Stell dich vor, unsere Matuschka lebte in der Sowjetzeit und war GLAEUBIG! Sie wollten die Lehrer aus der Schule wegschmeissen, aber sie blieb glaeubig, sie wohnte im unbeschreiblichen Armut und blieb glaeubig, sie konnte nicht studieren und blieb glaeubig, sie musste arbeiten fuer die ganze Familie in der Nacht und am Tag, weil die Priester wurden nich bezahlt und blieb glaeubig, jetzt wohnt sie im Haus, wo uebels kalt ist aber du hast die Kirche gesehen... Jetzt stell dich vor, welche Seele sie hat... Ich habe ein Glueck, dass ich mit so einer Frau zusammen singen kann und fuer mich ist wircklich grosse Ehre, dass ich unseren Priester kenne und von ihm getauft bin...

Jetzt will ich, dass du es kennen lernen kannst, weil du orthodoxe Religion lernst. Das finde ich sehr wichtig. Wenn solche MENSCHEN noch leben, muss man sie kennen lernen und was von ihnen kennen lernen.“

 

Eigentlich ist es genau dass, was ich gerade in der Gemeinde Hl. Märtyrerinnen "Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" erfahren kann. Ich möchte hier bewusst nicht von studieren sprechen, weil es weitaus mehr als studieren ist. Und je mehr ich dort bin, sehe ich eine Prägung dieser Gemeinde und der Russisch-orthodoxen Kirche.

Die Ausflüge haben im November stark abgenommen und eigentlich habe ich nur mit Lena viel gemacht. Dennoch fragen mich nach wie vor häufig oft sogar mir fremde Studenten, ob ich nicht mit ihnen etwas gemeinsam machen möchte. Vor ein paar Tagen habe ich mich zum Beispiel mit Masha und Shenia verabredet, in die Tretjikovskaja-Galerie zu gehen - einem Kunstmuseum. Oft, wenn ich in der Küche arbeite, ist es so, dass Studentinnen nach meiner Handy-Nummer fragen oder mir ihre geben. Mit Masha und Shenia habe ich in den letzten Wochen seit meinem ersten Chorauftritt immer mehr zu tun. Im Wohnheim sitze ich nach wie vor abends gerne mit Stephan, Oleg, Dmitri und Pjotr zusammen. Aber auch in der Küche ist immer jemand, mit dem ich mich gut unterhalten kann. So bin ich nicht alleine und fühle mich auch nicht so. Ich möchte nur gerne mal wieder einen Ausflug in eine andere Stadt machen, damit ich wieder einmal etwas Abstand zu dem Stress und Lärm in Moskau gewinnen kann. Es ist nach wie vor ein großer Unterschied zu meinem 2.200-Seelen-Dorf Oldersum und der 15.000.000 Metropole Moskau. Wobei hier dazugesagt werden muss, dass die offizielle Einwohnerzahl von Moskau irgendwo bei 11.000.000 Menschen angesetzt ist, hier wird aber zumeist von wesentlich mehr gesprochen, die in irgendeiner anderen (inoffiziellen) Form hier leben. Ich hoffe, dass ich am nächsten Wochenende mit Elena nach Butovo fahren kann und so etwas Abstand gewinnen kann. Moskau ist für mich einfach zu stressig und zu groß. Irgendwie kann ich hier nicht richtig Luft holen, manchmal beengt mich diese Stadt. Der schönste Platz ist für mich immer noch die Universität. Dort es es ruhig und beschaulich. Dort fühle ich mich wirklich wohl.

Letztlich kann ich sagen, dass mir es hier nach wie vor gut geht und ich eigentlich traurig bin, dass die Zeit so schnell vergeht - andererseits aber auch dankbar bin, dass sie so schnell vergeht, denn sonst hätte ich ja Langeweile. Und so sind es jetzt nur noch sieben Monate, die mir verbleiben. Wenn es so weiter geht, wird es eine ganz, ganz tolle Zeit werden.

 

 

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