3.) Student Brink, Andreas Clemensejewitsch²

 

 

Freitag, 29. August 2008

Die Uni hat ja noch nicht begonnen und den Wecker im Handy hatte ich vergessen auszuschalten, so dass das Handy um kurz nach acht klingelte. Letztendlich bin ich dann aber erst um 11:30 Uhr aufgestanden. Ich hatte wohl noch Schlafnachholbedarf (fiel dieses Wort nicht schon einmal anderswo?). Und eigentlich hatte ich mich mit Juri Valerjewitsch zu 14 Uhr verabredet und dort ja eigentlich alleine hinfinden wollen. Gerade als ich losfahren wollte, rief er an und sagte, dass ich eine Stunde später kommen solle. So hatte ich dann noch etwas Zeit für mich und um etwas Ordnung im Zimmer zu schaffen. Er hatte zwischendurch angerufen, dass er selbst wohl nicht im Büro wäre, aber ich dennoch kommen könne, um ins Internet zu gehen, was vom Laptop leider nicht geklappt hat, so dass ich nur Mails verschicken konnte. Irgendwann kam seine Kollegin mit meinem Studentenausweis herein, so dass ich jetzt endgültig den Status "Student" habe! Zwischendurch haben mir dann die beiden Mitarbeiter von ihm noch die Ikonenmalereiwerkstatt im Hause gezeigt. Die Entstehung einer Ikone ist sehr eindrucksvoll - so wird kurz gesagt erst eine Skizze aus einem Buch abgezeichnet und dann die einzelnen Farbschichten aufgetragen. Ein solcher Entstehungsprozess dauert recht lange, bis eine solche Ikone fertig ist - zwischen sechs Wochen und einem Jahr. Erst hier zeigt sich das Ausmaß der Arbeit, die dann in einer Ikonostase in einer orthodoxen Kirche steckt.

Anschließend wollte ich dann noch zur Fakultät, um dort eine Monatskarte für die Metro zu besorgen. Der Weg dorthin ist recht kompliziert (wegen dem Umsteigen in der Metro in der Nähe des Roten Platzes), ich wollte ihn aber alleine bewältigen. Dann hat mich aber eine Studentin aus Kirgisien mitgenommen, die auch in die Richtung wollte. Die hat mich dann bis zum Tor der Fakultät begleitet. Hier zeigte sich wieder die Hilfsbereitschaft der Menschen hier, denen offenbar kein Opfer zu gering ist. Und in der Fakultät ähnliches: Ich ging an einer jungen Mitarbeiterin des Rektorates vorbei, die mich kurz an die Seite nahm und in gutem Deutsch sagte: "Ich war zehn Monate in Deutschland, wenn Du Hilfe brauchst, kannst Du immer zu mir kommen." Mittlerweile findet sich hier in jeder Ecke irgendein Rettungsanker für mich. Und auch diejenige, die mit mir den Bogen für die Monatskarte ausgefüllt hat, hat mir ihre Hilfe angeboten.

Nachdem in der Fakultät alles erledigt war, habe ich direkt neben der Fakultät einen Lebensmittelladen entdeckt, in dem es leckeres Schwarzbrot und andere exotische Dinge gibt - zwar nicht ganz zum Nulltarif, aber immerhin!

In der Fakultät wollte ich dann eigentlich früh ins Bett gehen, war um zehn Uhr mit dem Essen fertig und wollte eigentlich nur noch den morgigen Tag vorbereiten, als es an der Tür klopfte. Und so habe ich mit einem Mitbewohner noch bis nach Mitternacht die Musik gehört, die jeder von uns gerne mag.

 

 

Samstag, 30. August 2008

Die Nacht war kurz, zumal ich schon um 5:45 aus den Federn gefallen bin, weil heute ein besonderes Treffen mit einer kleinen Osnabrücker Caritas-Gruppe anstand: Der Zug sollte zum Kasaner Bahnhof sollte um 6:22 Uhr fahren und so bin ich mit zwei weiteren zum Bahnhof gegangen. Einer ist schon recht früh ausgestiegen, jetzt kam aber die nächste Überraschung: Roman hat mich bis zum Zug begleitet, wo ich dann die Osnabrücker treffen wollte. Und ziemlich bald kam am Bahnhof die Frage: "Was heißt "Dobro poschalowatj v Mockwe!" auf deutsch? - "Herzlich willkommen in Moskau!" Und  damit hat er dann die Gruppe begrüßt. Er hat uns dann noch ein paar Stationen weitergeholfen, bevor er dann zwischendurch ausgestiegen ist.

Das Treffen oder die Fahrt vom Kasaner Bahnhof zum Flughafen Sheremetyewo I war viel zu kurz - es gab nach den paar Tagen schon unheimlich viel zu erzählen. Und dann habe ich alleine und sogar recht zügig wieder den Weg zum Wohnheim gefunden.

A propos Wohnheim: Wer nun denkt, ich bin in alten Bruchbude oder etwas anderem Schrecklichen untergebracht, der irrt. Zunächst einmal das Wohnheim von außen:

 

Das Wohnheim der orthodoxen Fakultät in der Ilowaijskaja Ulitza.

 

Das Gebäude (es gibt ein Baugleiches auf der gegenüberliegenden Hofseite) waren einmal Unterkünfte einer Kaserne. Mein Zimmerfenster ist über dem vorletztem Eingang zu finden in der dritten Etage - also direkt rechts neben der versetzten Fenster-"Spalte", das zweite sichtbare Fenster direkt über dem schwarzen Eingangsbereich, dort wo auch etwas undeutlich zu sehen ein kleiner schwarzer Fleck ist).

Nun zu meinem Zimmer: 

 

Zimmer 328 - Ein Blick vom Schreibtisch zur Türe.

 

Zimmer 328 - Hereinspaziert!

 

Blick aus dem Fenster neben dem Schreibtisch

 

Wenn man also bei mir anklopft und die Türe öffnet sich, dann betritt man erst einen kleinen Vorraum, wo links ein Schrank steht, auf dem manchmal mehr draufsteht als drin ist. Geht man zwei Schritte weiter, dann findet sich auf der rechten Seite ein weiterer Schrank mit Fächern, dann kommt linker Hand das Bett und dahinter ein Nachtschränkchen und dann eigentlich schon das Fenster. Am Kopfende beginnt eigentlich schon der kleine Schreibtisch, auf dem mein Laptop seinen Platz gefunden hat. Und rechts über dem Schreibtisch in Höhe vom Bett hängt die Ostfrieslandflagge, die viele ja schon aus Münster kennen.

Wer vor dem Wohnkomplex auf der Ilovaijskaja Ulitza steht, der steht zunächst vor einer recht hohen Mauer, auf die zudem ein Metallzaun gebaut ist. Das rostrote Einfahrtstor hat ungefähr die selbe Höhe. Links daneben befindet sich eine Metalltüre, durch die derjenige ins Wohnheim gelangt, der dazu befugt ist. Dort sitzt in der Regel ein Wachmann, der die kleine Durchgehschranke überwacht und freigibt. Dann öffnet man eine zweite Türe und schon steht man linkerhand auf dem großen Hof. Wer durch die erste Türe geht, der kommt an einer Art Empfangsdame vorbei und ist sogleich im Wohnkomplex der Mädchen und Frauen gelandet. Die Jungs und Männer haben einen etwas längeren Weg vor sich, ihr Hauseingang befindet sich am anderen Ende das Gebäudes. Nachdem man durch die Türe gegangen ist, steht man schon im Treppenhaus. Die Stufen sind zwar alle recht klein, dafür aber unterschiedlich hoch und mal mit oder mal ohne Neigung (also schief und krumm). Man geht in die dritte Etage und dort finden sich rechter Hand Waschgelegenheiten und Toiletten und wenn man den Flur betritt, gelangt man rechts zur Küche und links zu meinem Zimmer mit der Nummer 328.

Der Abend endete wiederum richtig schön: Zunächst war ich in dem großen Supermarkt Aschan einkaufen und habe mir dann anschließend was zu essen gekocht. So nach und nach füllte sich die Küche wieder, bis ich dann mit einer Gruppe von fünf Mann am Tisch saß und zusammen gegessen habe. Wir haben die Mahlzeit mit einem gemeinsamen Gebet begonnen - da fast alle Theologiestudenten im Chor singen, wurde das Gebet in kirchenslawischer Sprache mit Blick in die Ikonenecke gesungen. Und wieder kam ein Thema auf den Tisch, wo ich vorsichtig sein musste: Ist Russland der Aggressor im schwelenden Kaukasus-Konflikt? Für mich eine recht schwierige Frage, zumal ich hier zwischen zwei Stühlen sitze: die europäische Berichterstattung, die Russland ganz klar als solchen ansieht und dann ich selbst in dem Land, das sich nicht in dieser Rolle sieht. Ich glaube aber, dass ich hier recht neutral und gut herausgekommen bin, so schwierig es auch mit der Sprache ist. Nach dieser recht hitzigen Debatte, in der Amerika nicht ungeschoren davonkam, wurden dann aber friedliche Töne angeschlagen: Wir haben noch gut eine Stunde am Tisch die verschiedensten russischen und deutschen Lieder gesungen und gemeinsam viel Spaß gehabt.

 

 

Sonntag, 31. August 2008 - die Semestereröffnung

Mit ein paar Leuten aus der Gruppe vom Vorabend ging es am heutigen Sonntag zur Fakultätskirche, wo dann die Göttliche Liturgie war - dieses Mal mit einem zweiten Teil dahinter, quasi als Semestereröffnung gedacht. Und die Kirche war zum Bersten gefüllt  - überwiegend mit Studenten der Fakultät. Der Dekan hat eine Ansprache gehalten und alle neuen Studenten an der Fakultät begrüßt. Nach der Kirche habe ich Ivan gefragt, ob er wüsste, wo ich eine Ikone eines bestimmten Heiligen kaufen kann. Er wollte mich dann unbedingt zu dem wohl größten Ikonengeschäft in Moskau begleiten. Auf dem Weg dorthin sind wir dann zur Sicherheit in diese und jene Kirche gegangen, in welchen es überall kleinere und größere Ikonen zu kaufen gibt, aber wir haben trotz mehrerer Stunden Suche keine gefunden. Irgendwann haben wir die Suche abgebrochen, sind in ein Café gegangen um dort zu essen und bin anschließend zurück zur Wohnung gefahren.

Hier findet sich ein Link zur Homepage der Fakultät, wo Bilder der Eröffnungsfeier zu finden sind: http://pstgu.ru/news/university/2008/08/31/12673/

 

 

Montag, 01. September 2008

Nachdem ich heute wegen Magenproblemen nur schwer aus dem Bett herausgekommen bin und noch länger brauchte, bis ich mir sicher war, dass "nichts in die Hose geht", bin ich dann zunächst in die Stadt ins Internetcafé gefahren und habe dort meine Mails abgefragt und ein wenig geschaut, was in Ostfriesland in den letzten Tagen passiert ist. Jedoch ist Internet recht teuer in Russland und zudem konnte ich dort nicht mit meinen Laptop online gehen. Nicht weit von dem Internetcafé ist die Uni, wo ich dann in der dortigen Mensa essen gegangen bin. Und hier muss man wirklich den Hut ziehen, was die für einen Preis fürs Essen bieten können: 40 Rubel - das ist umgerechnet etwas mehr als ein Euro. Dafür gab es dann Borschtsch und eine Art Reiseintopf, der gar nicht mal so schlecht schmeckte! Hier habe ich in jedem Fall eine gute Alternative gefunden, um Geld zu sparen, da mir die Lebensmittel hier in Moskau nicht unbedingt günstiger erscheinen als in Deutschland. Natürlich gibt es Dinge, die hier günstiger sind, dafür sind andere aber wieder teuerer. So weit, so gut. Anschließend habe ich angefangen, mit Juri Valerjewitsch meinen Stundenplan zu planen, der aber wiederum nicht fertig geworden ist. Auch wenn an diesem Tage das Semester angefangen hat, so steht noch nicht fest, wo und wann die Vorlesungen stattfinden werden. Ebenso fehlt mir immer noch meine Registrierung, aber Juri Valerjewitsch ist der festen Auffassung, dass ich nicht von der Miliz gestoppt werde, weil ich doch ausreichend russisch aussehen würde. Und wenn doch, dann solle die Miliz ihn anrufen. Um ganz ehrlich zu sein: (Nur) Wenn ich drüber nachdenke, wird mir etwas mulmig.

Anschließend habe ich noch einen Stempel im Rektorat der Universität abgeholt, um meine Monatskarte für die Metro beantragen zu können. Juri Valerjewitsch ist mit mir dort hingefahren, weil er zufällig selbst in die Richtung musste. Und dann hat er mich einer Professorin und ihrer Mitarbeiterin vorgestellt, die hervorragend Deutsch sprechen und (natürlich auch) unterrichten. Die beiden haben mich gleich dazu verpflichtet, ein Referat auf Deutsch zu halten.

Nun bin ich ja immer noch auf der Suche nach der bestimmten Ikone und ich habe sie bislang immer noch nicht gefunden. Es gibt in jeder orthodoxen Kirche eine Ecke in der Nähe des Ein- bzw. Ausgangs, wo man Ikonen kaufen kann, aber den bestimmten Heiligen hat wohl keiner. Es ist zum Verzweifeln. Dennoch habe ich für meinen eigenen Herrgottswinkel jetzt eine erste Ikone angeschafft - eine "neutrale" Christusikone. Jetzt muss ich nur noch schauen, dass ich das Ikonenbrett, dass es hier in jedem Zimmer gibt, in die Ecke genagelt bekomme. Die ersten Mitbewohner fragen schon, wo denn meine Ikonenecke sei oder warum ich keine hätte.

Doch während mich die Ikonensuche bald in den Wahnsinn treibt und die Schuhsohlen immer weiter abnutzen, wurde mir jetzt von einer neuen Möglichkeit erzählt, ins Internet zu gehen: In Restaurants und Cafés ist das möglich. So habe ich mich gleich in der Klimentowskaja Ulitza umgeschaut und habe auch gleich eines gefunden. Dort habe ich mir dann einen Tee bestellt und ein kleines Stück Kuchen dazu und eine ganze Weile im Internet gesurft. Nun konnte ich endlich mal wieder schauen, was es an Neuigkeiten in Ostfriesland und umzu gibt! Und ich habe meine Homepage upgedatet! Ich muss mir jetzt nur noch überlegen, wie dies günstiger gehen könnte, denn ständig etwa 300 Rubel fürs Internet auszugeben, ist mir doch zuviel. Angeblich soll das bei Mc Donalds auch funktionieren. So langsam werde ich aber immer schlauer!

Nachdem ich wieder im Wohnheim war, dauerte es nicht lange, bis Kostja auf mein Zimmer kam. Beim Thema Musik sind wir dann eigentlich den ganzen Abend geblieben, zumal wir hier fast genau den gleichen Geschmack haben. Er kennt sogar Musikgruppen, die sonst keiner kennt - wie z. B. Ennio Morricone. Da war ich dann doch sehr überrascht. 'Anschließend haben wir auf meinem Laptop noch einen Film geschaut - Once upon a time in America. Es gab noch eine kleine Flurkonferenz, wo wir Neuen etwas in die Regeln des Hauses eingeführt wurden. Anschließend wurde ich noch zum Melone essen auf ein Zimmer eingeladen. Dort saßen dann drei weitere Studenten, die alle deutsch sprechen und sich mit mir unterhalten haben. Und hier muss ich wirklich sagen - die sprechen hervorragend deutsch. Ich habe so den Eindruck, dass hier an der Fakultät eine sehr gute Deutschlehrerin bzw. Professorin unterrichtet. Und dann wurde es ein langer Melonenabend, an dem viel erzählt wurde. Es waren wohl mehrere Studenten in Berlin auf einer theologischen Konferenz der Humboldt-Universität und einer von ihnen sogar vier Monate in Deutschland zum studieren. Hier sei noch einmal eine Feststellung gemacht: Ich darf hier jeden Tag mit einer neuen Überraschung rechnen...

 

 

Dienstag, 02. September 2008

Da mein Stundenplan noch nicht fertig ist, habe ich bislang noch keine Vorlesungen und noch keinen Stundenplan. Für mich die Gelegenheit, noch etwas länger schlafen zu können. Zur Mittagszeit wollte ich dann wieder in die Stadt fahren, aber irgendwie fuhren über einen längeren Zeitraum keine Elektritschkas, so dass ich dann mit einem Mitbewohner des Flures, der zufällig auch fahren wollte, zur Metrostation in unserem Viertel gegangen bin. Die Zeit, die wir dafür haben, war allerdings kein größerer Zeitgewinn. Als ich in der Mensa der Fakultät ankam und Platz genommen hatte, dauerte es auch nicht lange, bis einige Mitstudenten um mich drum zu saßen - wiederum allesamt Deutschstudenten. Bei der Vorstellung aber gab es aber auch hier wieder eine Überraschung: "Ach - Du bist also Andreas?" Mittlerweile scheine ich hier doch schon bekannt zu sein - zumindest kennen mehr meinen Namen als ich. Obwohl - das mit dem Namen merken ist bei mir ja auch so ein Problem. Da sind jetzt so viele Namen und neue Menschen, die ich jeden Tag kennen lerne, dass ich sie mir nicht merken kann. Und Daniel - einer aus der Gruppe, hat mir wiederum gleich seine Hilfe angeboten, falls ich mal Fragen oder Probleme hätte. Dann hat er mir die Universitätskirche ein wenig von innen erklärt: Zunächst ist die Kirche dem Hl. Nikolaus geweiht. Von diesem Heiligen befindet sich auch eine bekannte Ikone in der Kirche, die Wunder bewirkt hat. Dann gibt es dort zwei Seitenaltäre und in der Mitte den Hauptaltar mit der großen Ikonostase davor, die mir auch noch erklärt wurde. Hier gibt es eine bestimmte Anordnung der Ikonen: Rechts neben den (mittleren) Königstüren befindet sich eine Christusikone und auf der linken Seite der Türen eine Marienikone. Über den Königstüren befindet sich dann eine Abendmahlsikone. Die beiden Diakontüren (die einzigen Möglichkeiten für die Messdiener, den Altarraum zu betreten) zeigen Erzengel, was zumeist der Fall in einer orthodoxen Kirche ist. Es wurde mir auch gezeigt, wo der Platz für die Kerzen ist, die für Verstorbene gedacht sind und das dies ein anderer Ort in einer orthodoxen Kirche sei: Es ist ein Tisch mit einem Kreuz, an dem die Pannychida (das Totengedenken) gefeiert wird. Dementsprechend sind auch die Gebets- und Gedenkzettel interessant, die man auf einem kleinen Tisch ausfüllen kann. Diese werden in der Liturgie verlesen, sind aber nicht unbedingt zu hören, da die meisten an einem der Seitenaltäre leise verlesen werden. Dies würde den Rahmen der Liturgie in einer Stadtgemeinde völlig sprengen. Hier gibt es drei Sorten dieser Zettel: Einmal die für die Toten, für die Lebenden und für sonstige Gebetsanliegen wie Dank, Fürbitte usw. Diese werden dann an dem Stand abgegeben, wo man auch Ikonen und die Kerzen für die Gebetsanliegen kaufen kann. Eine ähnliche Form des Gedenkens für die Toten gibt es auch in der katholischen Kirche in der Form der Messintentionen. Nun habe ich noch einmal nach meiner Ikone gefragt. Jetzt war sie tatsächlich vorhanden - endlich hat die Sucherei ein Ende!

Der Abend endete auch wieder in geselliger Runde: Zunächst habe ich Dimitri mit Rat und Tat zur Seite gestanden, der gerade einen philosophischen Text in deutscher Sprache übersetzt und an wenigen Stellen Hilfe benötigt.

Heute bin ich genau eine Woche in Moskau. In dieser Woche habe ich mich an für sich nur ein einziges Mal unsicher gefühlt - als ich alleine auf dem Flughafen stand. Die restliche Zeit wusste ich mich immer gut geborgen und beraten bei den Kommilitonen und Mitbewohnern, aber auch der Belegschaft der Fakultät. Alle sind überwältigend hilfsbereit, ein "Nein" gibt es nicht. Wenn ich frage, ob sie mir helfen können, dann kommt zunächst die Gegenfrage "Jetzt?". Das ist so bewundernswert und ich wünschte, ich könnte dies auch so. Diese Hingabe dieser Menschen ist für mich in der Tat manchmal zuviel, so dass ich gar nicht weiß, wie ich reagieren soll und damit umgehen kann. So viel Hilfsbereitschaft und Entgegenkommen war mir bislang nicht bekannt und kommt mir in manchen Situationen doch ungeheuer vor. Als wenn die das Wort "Nein" nicht kennen. Und will man ihnen mal zum Dank eine Kleinigkeit kaufen, dann finden sie doch wieder irgendeinen Weg, dies zu umgehen und drehen das wieder so, dass sie mir was ausgeben. Wenn ich dann selbst einmal "Nein" sagen muss, dann ist es mir schon fast peinlich. Das ist wirklich alles unglaublich. Manchmal habe ich in der Tat fast das Bedürfnis, dieser Hilfsbereitschaft aus dem Weg zu gehen, weil ich es doch gerne zurückgeben würde und es in dem Maße doch gar nicht kann.

 

 

Mittwoch, 03. September 2008

Nun wollte ich endlich einmal versuchen, mein Formular für die Monatskarte abzugeben. Aber an der Station, wo dies gehen sollte, war das nicht möglich. Also habe ich alles wieder in den Rucksack gesteckt und habe noch etwas die Gegend um die Metro-Station erkundet. Und endlich habe ich ein Geschäft gefunden, wo ich einen Locher kaufen konnte, den ich doch recht dringend für meine Unterlagen fürs Studium und die Buchführung benötige. Er kostete nur 40 Rubel und ist bislang nach mehrfachem Gebrauch noch nicht kaputt gegangen. Nun ja, warten wir's mal ab, was kommt. Nach dem Essen in der Stalowaja, also der Mensa der Uni habe ich Daniel getroffen, der mit mir einen Brief aufgeben wollte bei der Post. Nun wieder genau das, was mir langsam echt unheimlich wird: Er hatte im Internet eine Post gesucht, die in der Nähe der Uni ist. Dann sind wir dorthin gegangen, dort konnte man den Brief aber nicht aufgeben. Also hat er sich den Weg zur Hauptpost geben lassen, wo wir dann fast eine dreiviertel Stunde hingefahren sind. Dort mussten wir dann hier und dort warten, bis wir alles voreinander hatten. Und dann hat er mir noch geholfen mit dem Formular für die Metro-Monatskarte. Alles in allem habe ich seinen ganzen Nachmittag in Anspruch genommen und das einzige, was ich ihm zurückgeben konnte, war, dass ich mit ihm Deutsch gesprochen habe. Aber was ist das für eine Kleinigkeit für fast vier Stunden, die er mit mir unterwegs war?

Nachdem ich dann zu Hause war, hat mir Stephan einen anderen Supermarkt gezeigt, der nicht so weit weg ist, aber im Wesentlichen das Grundsortiment zum Überleben hat. Auch hier wieder die Frage: "Jetzt?" Und dann dauerte es keine zehn Minuten, wo er wieder abmarschbereit vor meiner Türe stand. Und dann wollte ich ihm eigentlich ein Eis ausgeben. Doch was macht er? Er sagt zunächst nein, um direkt nach dem Einkauf in einen kleineres Geschäft vor dem anderen Geschäft zu gehen und dort Eis für uns beide zu kaufen. Und die Frikadellen, die ich eigentlich für uns beide gedacht hatte, sind im Eisfach gelandet und wir haben in der zweiten Etage (man denke zurück - die erste in deutscher Sprache) mit einigen Leuten dort seine Frikadellen gegessen - ein anderer hat Suppe gekocht, wiederum ein anderer Pelmeni. Es ist manchmal sehr schwer, sich hier dankbar zu zeigen. Doch an diesem Abend wurde - trotz dass die meisten aus dem Deutschkurs da waren - russisch gesprochen! Zu meinem Vorteil, denn ich muss manchmal schon gut aufpassen, dass ich genug russisch spreche, denn dafür bin ich doch hier.

Juri Valerjewitsch hat meinen Stundenplan noch nicht fertig, obwohl das Semester und die Vorlesungen begonnen haben. Ich will doch auch endlich dorthin. Ich denke zwar, dass ich noch nicht viel verstehen werde, aber dennoch will ich mit Struktur dorthin und lernen, einen Plan haben. Nun - und meine Registrierung habe ich auch immer noch nicht. Freitag soll der nächste Termin sein. Es gibt aber auch eine Begründung seitens der Miliz dafür: Die Einladung war wohl nicht richtig. Das sei zwar nicht mein Problem, aber weiß dass auch der Polizist, der mich vielleicht anhält und kontrolliert? Nun, so laufe ich halt immer noch ohne Registrierung durch die Straßen Moskaus. Normalerweise soll dies jedoch nach drei Tagen geschehen sein. Nun ja - warten wir einfach mal ab, was kommt.

Vielleicht nun einfach mal ein paar Bilder zu der Universität, an der ich hoffentlich bald Vorlesungen hören werde:

Das ist der Blick auf die Fakultät von der Novokusnjetskaja Ulitza, mittig ist das Rektorat zu sehen und dahinter verbirgt sich die Fakultätskirche St. Nikolaus.

 

Dies ist der Haupteingang zur Fakultät. Viele der Studenten bekreuzigen sich direkt nach dem Eintritt durch das Tor und verneigen sich mit Blick zur Kirche.

 

Ein weiterer Blick auf das Uni-Gelände, dieses Mal mit dem Rücken zum Tor. Rechts von mir befindet sich der Eingang zur Kirche und links der zum Rektorat.

 

Hier bin ich also vor einem der Gebäude der Uni. Was sich in dem Haus befindet, habe ich noch nicht herausgefunden. Schön ist aber die Ikone, die sich im hinter mir befindet.

 

Vielleicht ist dies eines der wichtigsten Gebäude der Universität (für mich): Die Stalowaja - die Mensa! Hier kann man sehr günstig zu Mittag essen!

 

Ich werde bestimmt noch ein mehrere Fotos von der Uni machen, ich will dort im Moment aber noch nicht zu extrem auftreten...

 

 

Donnerstag, 04. September 2008

Was bleibt mir anderes übrig, als morgens etwas länger zu schlafen und anschließend Vokabeln zu lernen oder wie heute, eine Mail auf Russisch zu schreiben? Letzteres geht neuerdings übrigens fast doppelt so schnell wie sonst. Ich muss nicht mehr so viele Wörter nachschlagen und bin somit merklich schneller. Dann wollte ich in die Uni zum essen fahren, doch wieder einmal fuhr die Elektritschka nicht. So standen mir bei heute sommerlichem Wetter 25 Minuten Fußweg zur nächsten Metrostation bevor. Um ganz ehrlich zu sein - das wurmt mich, vor allem weil zu dieser Zeit sonst nichts fährt, auch nicht in die andere Richtung, von wo man auch wieder eine Metro nehmen könnte. Es scheint, als ob die um diese Zeit Mittagspause machen und der Betrieb erst einmal eingestellt ist.

Beim Essen habe ich dann wieder einige Leute getroffen - mittlerweile sieht man doch den ein oder anderen. Alleine am Tisch habe ich dort nur am ersten Tag gesessen. Dann habe ich mich auf den Weg zu einem Zugang ins Internet gemacht, doch unterwegs habe ich wieder die "Deutschgruppe" getroffen und mit der gemeinsam bin ich in ein größeres Einkaufszentrum mit Restaurants und Cafés gefahren, wo man lediglich eine Cola für etwa einen Euro kauft und dann so lange ins Internet kommt, wie man will. Das wurde dann auch von mehreren Studenten genutzt! Mittlerweile denke ich, dass ich wenigstens zwei bis drei Mal ins Internet komme, um meine Homepage zu aktualisieren und Mails abzufragen. Sobald ich den Stundenplan habe, lässt sich von dort auch bestimmt günstig übers Internet telefonieren, mein Headset werde ich zukünftig dabei haben.

Da das Wetter heute prima war, habe ich ein paar Fotos von der Innenstadt gemacht. Leider war der Rote Platz gesperrt, so dass ich nicht an die Stellen konnte, wo ich eigentlich hinwollte. Aber es macht nichts, ein paar tolle Fotos sind doch entstanden.

 

An der Pjatnitza Ulitza befindet sich eine recht große russisch-orthodoxe Kirche, die ein reiches Sortiment an Ikonen und theologischen Büchern hat. Die Kirche ist der Heiligen Dreifaltigkeit geweiht, das Geschäft nennt sich "Das orthodoxe Wort".

 

Nun noch einmal die Basiliuskathedrale im schönen Licht. Dahinter befindet sich das Kaufhaus GUM, in dem man in exklusiven kleinen Läden alles kaufen kann, was das Herz begehrt. Die einzige, aber besonders ernstzunehmende Grenze ist der Geldbeutel.

 

Und nun der Blick in das Kaufhaus, das mehrere Verbindungsgänge über kleine Brücken hat. Hier mal ein Blick durch die ganzen Hallen.

 

Ein weiterer Blick in die Halle von oben.

 

Das Kaufhaus hat drei Etagen nach russischer Zählung, hier einmal ein Blick durch das vom Sonnenlicht durchflutete Haus, in dem trotz sommerlichen Temperaturen eine angenehme Luft war.

 

In der Mitte des GUM befindet sich ein Springbrunnen. Mir gefällt an dem Kaufhaus besonders, dass dort nicht die Hektik herrscht, wie in allen anderen Teilen der Stadt. Dies ist tatsächlich eine Oase der Ruhe.

 

Der Diktator Stalin ließ in Moskau neben den prunkvollen U-Bahn-Stationen auch einige Hochhäuser bauen, die alle einen ähnlichen Baustil haben. Hier ist eines davon, dass gut sichtbar von der Brücke ist, die direkt auf die Basiliuskathedrale zuführt.

 

In direkter Nachbarschaft der Basiliuskathedrale stehen drei weitere Kirchen hintereinander. Eigentlich braucht man in der Innenstadt nicht sonderlich weit laufen, um eine Kirche zu finden.

 

Ebenso wie diese, die direkt gegenüber vom Eingang der Metro-Station "Platz der Revolution" steht.

 

Am Vormittag habe ich es auch endlich geschafft, meinen Herrgottswinkel einzurichten. Der Hausmeister des Wohnheims werkelte gerade in der Küche herum, so dass ich ihn angesprochen habe, ob wir nicht zusammen das Brett in eine Zimmerecke schrauben könnten. Es dauerte nicht lange und er kam mit Bohrmaschine, Bohrer und Schrauben bewaffnet in mein Zimmer. Nun kann ich meinen Kommilitonen voller Stolz meine Ecke zeigen. Am Nachmittag habe ich dann noch zwei Ikonen gekauft, eine mit der Gottesmutter Maria und eine des Hl. Apostels Andreas, meinem Namenspatron.

 

Mein Herrgottswinkel.

 

 Ich wurde in den ersten Tagen und danach immer wieder gefragt, wo denn meine Ikonenecke sei. Jedes Zimmer - auch in der Küche - findet sich ein solch kleiner Winkel, wie er jetzt auch bei mir ist. In der orthodoxen Kirche besteht der Glaube, dass der Heilige, der auf der Ikone abgebildet ist, durch das Bild anwesend ist - es ist ähnlich dem Kreuz in der katholischen Kirche. Vor und nach dem Essen ist es üblich, dass alleine oder gemeinsam ein Gebet gesprochen oder gesungen wird, es wird sich vor der Ikone bekreuzigt und verbeugt. Damit gehen die meisten Jugendlichen hier völlig normal um - damit ist der Glaube völlig in ihr Leben integriert und durch die Präsenz der Ikonen in den Räumen der Glaube ebenfalls.

In der Universität ist dies genauso: Kurz nachdem die Studenten durch das Tor auf das Unigelände treten, stoppen sie, bekreuzigen und verneigen sich in Blickrichtung des Kircheneingangs - halten inne - und gehen erst dann weiter. Ähnlich ist es in der Mensa - dort hängt eine große Marienikone an der Wand und nur die wenigsten Studenten dort verneigen sich nicht vor und nach der Mahlzeit in Blickrichtung der Ikone und sprechen ein kurzes Gebet. Auch in den Klassenräumen sind in irgendeiner Ecke gut sichtbar kleine Ikonen - wie meine - zu finden. Vor dem Eintritt in eine Kirche ist es üblich, sich zunächst einmal oder mehrfach am Kirchentor zu bekreuzigen, dann vor dem Eintritt in die Kirche im Eingang und in der Kirche selbst wird sich vor Ikonen verneigt. Die Ikonenverehrung nimmt in der Kirche selbst unterschiedliche Züge an: Die einen bekreuzigen sich einmal oder mehrfach mit Verneigungen. Eine tiefere Verehrung ist, dass die Ikone mit einem Kuss verehrt wird. Viele gehen extra zu der Ikone eines Heiligen mit ihrem Gebetsanliegen.

Am Abend wurde dann wieder in der zweiten Etage gemeinsam zu Abend gegessen und geklönt. Anschließend habe ich Dmitri noch geholfen, einen philosophischen Text von Hösle aus dem Deutschen in Russische zu übersetzen. Wozu er nach vier Jahren Deutschkurs in der Lage ist, zeigt der Text: Er ist nicht einfach verfasst und ebenso wenig einfach zu verstehen. Vor der Leistung, die die Studenten hier vollbringen, stehe ich mit großem Respekt. Deutsch ist an der Fakultät so oder so eine bevorzugte Sprache, weil es Verbindungen zur Humboldt-Universität in Berlin gibt. So waren einige Studenten - wie schon eher berichtet - für einige Zeit in Berlin und viele sprechen wirklich gut deutsch. Um etwa Mitternacht klopfte dann ein anderer Mitbewohner an der Türe und hat uns zu einem Bier auf seine Stube eingeladen. Die Verwaltung sieht es überhaupt nicht gerne, wenn im Wohnheim Alkohol getrunken oder geraucht wird. Deswegen ist dies nur hinter geschlossener Türe möglich. Und so habe ich mit den Jungs noch eine gute halbe Stunde zusammen gesessen und "Bier" getrunken. Hier sei aber gesagt, dass es gravierende Geschmacks- und Qualitätsunterschiede zu deutschem Bier gibt. Aber ich denke, hier war das gemütliche Beisammensein von größerer Bedeutung.

 

 

Freitag, 05. September 2008

Heute bin ich etwas frustriert aus dem Bett gefallen. Alle gehen zur Universität nur Andreas Brink hat immer noch keinen Stundenplan. Und alle fragen, zu welcher Vorlesung ich heute gehe. Das hat den Vormittag ziemlich getrübt. Ich will doch auch langsam mal dahin! Nun ja - so habe ich heute in Ruhe gefrühstückt, noch einen Brief geschrieben und wieder Vokabeln gelernt. Dann bin ich - dieses Mal eine Elektritschka früher - in die Stadt zu Tisch gefahren, aber nicht ohne noch ein paar Fotos von der Innenstadt zu machen, weil jetzt die Sonne etwas günstiger stand und das Wetter ähnlich wie gestern war: Sonne, blauer Himmel, etwas Wind und sommerliche (geschätzte) 27°C. Die größte Schwierigkeit beim fotografieren ist jedoch, nicht ständig irgendwelche Oberleitungen der Trolleybusse, Straßenbahnen oder was sonst noch Strom benötigt im Bild zu haben. Das gelingt mir bislang lange nicht immer...

 

Die kleine Kirche in der Ecke des Roten Platzes zwischen GUM und Nationalmuseum.

 

Der Eingang zum Kreml und das Nationalmuseum.

 

Der Rote Platz: Rechts das Kaufhaus GUM, in der Mitte das Nationalmuseum, der Eingang zum Kreml und vorne ein Turm der Kremlmauer mit Turmuhr und Glockenspiel.

 

Der Rote Platz mit Basiliuskirche, GUM und Kremlmauer.

 

Blick in den Kreml.

 

Verkehrsstau in Moskau.

 

Die Christus-Erlöser-Kirche bei gutem Wetter.

 

Das Mittagessen war heute wieder einmal gut: Es gab Kartoffelbrei mit einer Pilz-Knoblauch-Soße, Kompott, Salat und eine Erbsensuppe, die gerade anfängt, sich bemerkbar zu machen. Alles in allem ist das Essen dort gut, wenn auch im allgemeinen nicht sehr abwechslungsreich. Ich will hier aber in keinstem Fall klagen. Nach dem Essen habe ich mich auf den Weg zu Juri Valerjewitsch gemacht, der meine Registrierung endlich hatte. Nun bewege ich mich endlich vollkommen legal in Russland und Moskau herum. Bei der Einladung war ein Fehler aufgetreten: Die Nummer meiner Einladung war hier in Moskau bei der Miliz anders vermerkt worden, so dass es Unstimmigkeiten gab. Aber jetzt bin ich endlich vollständig! Und dann - endlich ist es soweit - ist auch mein Stundenplan so gut wie fertig. Demnach höre ich jetzt Vorlesungen in Ethik, Kirchenrecht und Dogmatik, übers Alte und Neue Testament, die Apokalypse und vergleichende Theologie - also eine Vorlesung über die katholische und protestantische Kirche. Nun fehlt nur noch Liturgie - das muss wohl noch ergänzt werden. Nun kann ich morgen aber endlich in die erste Vorlesung gehen. Es wird Dogmatik sein.

Oft werde ich ja auf den Konflikt Russland-Georgien angesprochen und soll dazu Stellung nehmen. Es ist aber schwierig klarzumachen, dass ich alle politischen Konflikte nur von neutraler Seite betrachte und mich nicht an der Meinung eines Landes orientiere. Eine schöne Lösung - gefunden im Nachrichtendienst Östliche Kirchen vom 04.09.2008 - lautet:

"The Russian Church hopes a cultural wall won’t divide Russia and Europe
Moscow, September 2, Interfax – Professor of the Moscow Theological Academy Deacon Andrey Kurayev has pointed out the Orthodox Russia and classical Europe share the system of values.

The Gazeta daily on Tuesday quotes Fr. Andrey “Europe for me is not a Europe of the European Parliament and I don’t want cultural walls to be erected between Russia and my Europe of Dickens and Hugo,” as saying.

He believes that “Europe is our home, and Europe doesn’t mean NATO.”

“System of values shared by a Russian Orthodox Christian is also shared by a representative of the classical Europe,” the famous theologian said.

He thinks today this classical Europe “sinks and dies,” as a wave of “nihilist consumer kitsch” overflows it as well as Russia.

“Thus we have the same springs and the same swamps,” Fr. Andrey believes."

Mit der Loslösung vom politischen  und der Zuwendung zu den gemeinsamen Wurzeln ist hier ein guter Schritt getan, zumal ich immer mehr glaube, dass in einem Konflikt oft bei weitem keine 100% der Bevölkerung zustimmen würden (sofern sie frei sind), sondern eine friedliche Lösung herbeisehnen. Einen solchen versuche ich bei den Fragen zum Thema selbst auch zu vertreten: Sobald ein Land - sei es in diesem Konflikt Russland oder Georgien - einen unschuldigen Menschen umbringt oder schädigt, hat es schwere Schuld auf sich geladen und Grenzen überschritten. Und so etwas kann gegebenenfalls auch durch Sanktionen durch Dritte geschehen. Alles in allem ein schwieriges Thema, über dass hier heute schon heiß diskutiert wurde.

 

 

Samstag, 06. September 2008

Was gestern an Frust da war, ist heute umgeschlagen in große Spannung, was mich denn jetzt wohl in der ersten Vorlesung erwartet. Was wird anders sein? Was ist gleich? Wie viel werde ich verstehen? Wird ein bekanntes Gesicht dabei sein? Das waren so die Fragen, die mich auf der Fahrt vom Wohnheim zur Uni beschäftigt haben.

Dort angekommen, war auch ein Bekannter da, der noch einen Platz neben sich frei hatte. Doch zunächst mussten wir erst noch warten, bevor wir in den Raum herein konnten. Der Hörsaal war in diesem Fall der Konferenzsaal der Universität, der gut möbliert ausgestattet ist und steht einem münsterschen Hörsaal eigentlich in nichts nach. Während die meisten so saßen - ich darunter - fing auf einmal ein riesiger Rummel und Krach in dem Raum an! Der ganze Hörsaal stand auf, als der Professor und in diesem Fall Priester herein kam. Vor der Vorlesung wurde dann gemeinsam mit dem Priester, der mit dem Rücken zu uns und einer Ikone zugewandt stand, ein Gebet gesungen. Danach begann die Vorlesung - Dogmatik. Einige Dinge habe ich sogar verstanden - zugegebenermaßen aber nicht sonderlich viel. Dennoch bin ich voller Hoffnung, dass es noch werden wird. Nach der Vorlesung, die sehr früh beendet wurde - der Professor schaute ständig auf seine Uhr im Handy - wurde wieder kurzes ein Gebet gesungen. Als der Priester den Hörsaal verließ, baten viele der Studenten ihn um den Segen: Ein kurzer Handkuss und dann das Kreuzzeichen des Priesters. Was ist das Fazit der ersten Vorlesung? Unweigerlich wurde ich während der Vorlesung an ein Ereignis aus meiner Abiturzeit erinnert, das sich im Kolleg-Kurs ergeben hat: Der Lehrer bat mich, einen Mitschüler zu wecken, was ich damals liebend gerne mit einem kräftigen Schlag mit der flachen Hand auf die Tischplatte erledigt habe. Die Reaktion des Schlafenden war ein gewaltiger Satz nach hinten, der ihn fast vom Stuhl gehauen hat. Das hätte ich heute auch mehrmals bringen können - schätzungsweise fünf von vierzig Köpfen lagen selig ruhend auf dem Tisch. Ein großer anderer Teil war mit ihren Handys beschäftigt, die zwischendurch auch mal klingelten. Im Gegensatz zu Vorlesungen in Münster ist alles gleich - bis auf dass die weibliche Fraktion gesittet zugehört hat und gebetet wurde.

Nach dem Essen wollte ich mich eigentlich mit Alexej treffen, der aber momentan etwas kränkelt und deshalb abgesagt hat. So habe ich dann noch ein paar Blicke ins Internet geworfen und bin anschließend bei Aschan einkaufen gegangen. Dies ging heute mal alles recht zügig, weil heute eine Art Feiertag in Moskau war - der Tag der Stadt Moskau - und wenig Menschen unterwegs waren. Ebenso war auch das Geschäft nicht ganz so überlaufen wie sonst immer. Nur an der Kasse war warten angesagt - obwohl lange nicht so lange wie sonst. Es waren nur zwei Leute vor mir und so hat es nur zehn Minuten gedauert. Dennoch: Die Angestellten an der Kasse treiben mich jedes Mal wieder neu in den Wahnsinn! Vergleicht man die mit Aldi in Deutschland, dann kann denen getrost beim arbeiten - wenn vorhanden - die Arthrose in der Hand operieren. Ich habe dort schon einmal über vierzig Minuten angestanden, obwohl höchstens sieben oder acht Einkaufswagen vor mir waren. Und dann noch der 20-Minuten-Fußmarsch dorthin...

Abends habe ich Hawaii-Toasts gemacht, die einigen anderen aber ebenso geschmeckt haben, wie mir selbst auch. Nur kennen tat die keiner hier! Anschließend habe ich noch kurz mit Oleg und Dmitri zusammen gesessen und gequatscht. Dabei haben die beiden mir aus dem Internet herausgesucht, wo die katholische Kirche ist, zu der ich am Sonntag gehen wollte. Und dann war ich noch mit Roman eingeteilt, die Küche sauberzumachen, was aber recht schnell erledigt war, da es heute nicht ganz so dramatisch aussah.

 

 

Sonntag, 07. September 2008

Heute bin ich schon zeitig um 6:30 Uhr aufgestanden, wenn ich mich auch ganz schön gequält habe - aber ich hatte mir vorgenommen zur Heiligen Messe in die katholische Kirche zu fahren. Da ich nicht wusste, wann die Messe dort losgeht, bin ich einfach mal zu etwa halb neun dorthin gefahren. In der Kirche habe ich mich dann erst einmal informiert, wann Kirche ist, die Sonntagszeiten aber nicht gefunden. So habe ich mich in die Kirche gesetzt, wo noch andere saßen und um punkt halb neun ging es dann los - allerdings verstand ich überhaupt nichts. Das lag nicht daran, dass mein russisch nicht ausreicht, sondern dass die Messe in polnischer Sprache gehalten wurde.

 

Die katholische (Kathedral-)Kirche "Unbefleckte Empfängnis Mariens" in Moskau.

Die in russischer Sprache hätte um 10 Uhr begonnen, aber so lange wollte ich auch nicht warten, da ich mich ganz schön schlapp fühlte. Dann bin ich mit der Metro in die Nähe des großen Kaufhauses Aschan gefahren, aber nicht ohne mir zwischendurch Halstabletten zu besorgen, da mir der heute Probleme bereitete. Auf der Fahrt dorthin bekam ich dann noch Kopfschmerzen und mir wurde wechselweise warm und kalt. Das Einkaufen fiel mir immer schwerer, so dass ich mich dann mehr nach Hause schleppte als lief. Auch das Eis, dass ich mir kurz vorm Wohnheim gerne mal für neun Rubel (etwa 0,26€) kaufe, wollte mir nicht so schmecken, war aber gut für den Hals. Dann habe ich mich erst einmal länger hingelegt und anschließend einige Mails geschrieben, was mir aber auch nur schwer gelingen wollte, ebenso wie das Vokabeln lernen.

Abends ging es mir dann etwas besser und ich habe ein Blech Pizza gemacht, was mir trotz des Vollkornmehls, was ich versehentlich gekauft habe, gut gelungen ist. Leider hatte ich nur Schwierigkeiten, die Pizza vom Blech zu bekommen, so dass das, was auf dem Teller lag, nicht mehr unbedingt nach Pizza aussah, aber so schmeckte. Zum Tagesabschluss gab es dann noch mit Oleg und Stephan einen Wodka hinter verschlossenen Türen auf die Gesundheit.

 

 

Montag, 08. September 2008

Der Wodka scheint sein Ziel erreicht zu haben: Die Wegätzung derjenigen Bakterien, die nichts in meinem Körper zu suchen haben. Zumindest hat sich meine Erkältung wesentlich gebessert, so dass ich heute nicht mehr so schlapp bin wie am gestrigen Tag. Auch die Hals- und Kopfschmerzen sind weg! Es kann auch an den Tabletten gelegen haben: Wenn sie so wirken wie sie ekelig schmecken, dann waren sie es, die geholfen haben. Was will ich also mehr?

Um 14 Uhr musste ich in der Uni sein und da die Elektritschka in der Mittagszeit nicht sonderlich häufig unterwegs ist, habe ich die genommen, die bislang noch nicht ausgefallen ist. Auch heute ist sie gefahren. Dennoch: Sie war wesentlich voller als sonst. Dies könnte an dem gestrigen Feiertag gelegen haben, den die Russen ungefähr so begehen, wie Oleg es beschrieben hat: Lange schlafen, feiern und am nächsten morgen den Rausch ausschlafen und zu spät oder erst gar nicht zur Arbeit gehen. Auch in der Metro hatten mehrere Leute eine Fahne - das ist mir bislang nur ab dem frühen Abend aufgefallen, etwa nach Arbeitsende. Wobei ich mittlerweile den Eindruck habe, dass die Russen einen wesentlich höheren pro-Kopf-Verbrauch an Bier haben als Deutsche. Viele scheinen abends ein Feierabendbierchen aus der Flasche zu trinken. Beliebt sind hier etwa die deutsche Sorte Löwenbräu, Becks, Tuborg und dann diverse russische Biere. Zumindest sind das die meisten Flaschen und Dosen, die so in der Gegend herumliegen - und das sind reichlich viele! Auch die Müllkörbe sind um diese Zeit reichlich mit Bierflaschen gefüllt. Nun ist auf den Flaschen und Dosen kein Pfand, so dass sie wirklich dort liegen- und stehenbleiben, wo sie geleert worden sind. An für sich müsste da mal ein schlauer Kopf beigehen und durchrechnen, inwiefern sich das Sammeln der Flaschen und Dosen als Rohstoff zwecks Weiterverarbeitung rechnen könnte. Das ist ja kein größerer Unterschied zu anderen Rohstoffen wie Papier und Metall. Für beides werden ja mittlerweile horrende Preise bezahlt und dieser "Müllmarkt" ist stark umworben. Warum also auch nicht für Glas? Die Dosen bestehen ja in der Tat schon aus wertvollem Aluminium. Vor ein paar Tagen habe ich sogar eine Babuschka gesehen, die mit einer Einkaufstüte voll leerer Dosen durch den Zug lief. Was ich damit eigentlich nur gesagt haben wollte: Die Russen mögen Bier ebenso wie wir Deutschen auch. Mein Eindruck ist nur der, dass Bier hier vielmehr ähnlich wie Cola oder Wasser getrunken wird und dies in nicht unerheblichen Mengen - übrigens auch von vielen Frauen. Dass die Menschen hier in Moskau in rauen Mengen Wodka trinken, scheint mir nicht so zu sein, denn ich habe zu den Zeiten, in denen ich unterwegs bin, nicht so viele Betrunkene gesehen wie vor vier Jahren in Irkutsk. Auch müssten ja viel mehr Wodkaflaschen in der Gegend herumliegen. Hier im Wohnheim dagegen ist rauchen und trinken strikt verboten. Und wenn man sich dann einmal zu einem Bierchen oder Wodka trifft, dann nur hinter verschlossener Türe in einer vertrauten Gruppe. Und dann wird auch nur ganz wenig getrunken, so dass nichts auffällt. Wer raucht und trinkt, der wird aus dem Wohnheim rausgeworfen - und dies offenbar recht zügig. In diesem Wohnheim habe ich bislang noch keine Alkoholfahne gerochen. Das hat insbesondere für die Jungs hier bestimmt große Vorteile.

Nun, dann bin ich, bevor ich zur Uni gefahren bin - es ging für mich erst um 14 Uhr los - zunächst zur Post gefahren, um einen größeren Brief aufzugeben, was auch sehr gut geklappt hat. Ich bin erst etwas orientierungslos vor der Metrostation herumgeirrt, aber dann habe ich die Straße wiedererkannt, die ich zur Post gehen musste. Anschließend stand die Stalowaja auf dem Plan, wobei ich dann aber nicht mehr viel Zeit zum Essen dort hatte, weil die Metro und die Stationen einfach völlig überfüllt waren - wie gesagt zu einer unüblichen Zeit. Und dann kam die zweite Vorlesung für mich: Ethik. Als ich den Hörsaal betrat, saßen vorne zwei junge Frauen und der Professor war am erzählen. So habe ich mich erst entschuldigt, dass ich zu spät bin, obwohl es kurz vor zwei war. Und dann wurde der Professor aufgeklärt, dass ich Deutscher wäre. Seine Antwort: "Die Vorlesung ist aber auf russisch...?!" Das war mir schon recht klar. Dann fragte er eine der beiden, ob sie deutsch oder englisch könnten. Es meldete sich eine und er sagte mir  dann, dass ich mich bei Problemen an sie wenden könne. Es kamen dann noch zwei weitere Damen und dann ging die Vorlesung los: Alle standen auf, der Professor, der auch Priester ist, drehte sich zu den Ikonen, die auf dem Regal stehen, und dann wurde erst ein Gebet gesungen. Und dann ging die Vorlesung los. Zunächst klingelte das Telefon einer der Kommilitoninnen, die dann zum Telefonieren herausging. Spätestens da habe ich kurz kontrolliert, ob mein Handy aus ist. Dann klingelte das vom Professor und dieser nahm das Gespräch dann auch an. So ging das einen Großteil der Stunde: Das Handy von ihm klingelte insgesamt drei Mal, aber auch die Damenschaft hatte eine gute Quote, bei der sie anderswo längst herausgeflogen oder zumindest eine böse Bemerkung geerntet hätten. Nur mich hat keiner angerufen... Nun - während der Vorlesung fragte der Professor jeden, das war in dem Rahmen ja auch ohne weiteres möglich, wie er zum Glauben gekommen ist. Dies war in dieser kleinen Runde zum Großteil die Mutter, die ihn an die Kinder weitergegeben hat. Auch diese Vorlesung endete wieder mit einem Gebet!

Nach der Vorlesung musste ich noch eine Sache erledigen, die mir etwas unangenehm war: Ich habe bei einer Bank in der Nähe der Fakultät einen 1000-Rubel-Schein gezogen (ca. 27€), den aber kein Geschäft hier annehmen wollte, weil er unter dem Schwarzlicht nicht leuchtete, sonst aber in Ordnung war. Zunächst wollten die mir in der Bank verdeutlichen, dass mit dem Schein alles in Ordnung ist, haben ihn dann aber doch anstandslos umgetauscht. Nachdem ich mit meinem Laptop im Internet war, ging es dann nach Hause ins Wohnheim, wo ich dann eigentlich noch etwas Russisch lernen wollte. Das wurde aber vor allem wegen der Hitze unmöglich - an dem Tag war es so richtig unangenehm warm.

Am Abend habe ich zunächst allein in der Küche zum Essen gesessen, dann aber zusammen mit anderen Studenten. Zwei hatten sich eine Pfanne mit einem selbst zusammen gepanschten Nudelgericht gemacht. Sie löffelten es gemeinsam aus einer Pfanne und fragten mich, ob ich nicht auch möchte. So haben wir zu dritt aus einer Pfanne gegessen. Das war irgendwie so richtig schön! Nach dem Essen habe ich zwei anderen Studenten bei Ihren Deutsch-Sprachübungen geholfen - fast noch zwei Stunden lang. Sie hatten die Aufgabe, einzelne deutsche Wörter aussprechen zu lernen. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Russen Probleme haben, das "L", "Ä", "Ö", und "Ü" auszusprechen, aber auch das "E" kann Probleme bereiten. Und vor allem stand immer die Frage im Raum, welcher Vokal im Wort richtig betont wird. Somit haben wir Deutsche beim Russisch lernen die gleichen Probleme wie umgekehrt.

Mein Gesundheitszustand hat sich auch im Laufe des Tages weiter gebessert, so dass ich mich am Abend wieder recht fit fühle. Die Erkältung scheint auf dem Rückmarsch und die Durchfälle, die ich seit Tagen hatte, habe ich schon fast vergessen. Es scheint, als hätte sich der Körper so langsam an Russland gewöhnt...

 

 

Dienstag, 09. September 2008

Letzte Nacht war es unnatürlich warm und eine eigenartige Luft draußen, bis es dann am frühen morgen um etwa sechs Uhr vernünftig gewittert hat. War es in der Nacht bzw. letzten Abend noch möglich, leicht bekleidet draußen zu sein so ist es jetzt, heute Abend um kurz nach 22 Uhr richtig kalt geworden - die Temperaturen mögen wohl um fast 15°C gefallen sein. Wenn ich meine Mitbewohner richtig verstanden habe, dann sollen es morgen früh nur 6-8°C sein. Nun verstehe ich auch meine Müdigkeit heute - dieser Wetterumschwung ist einfach zu viel. Zudem hat es den ganzen Vormittag ordentlich geregnet - auch als ich zur Uni musste - meine Jacke hat ihren ersten Härtetest mit Bravour bestanden. Nun gibt es ja ein Lied, das sich "Moskau bei Regen" oder so ähnlich nennt. Nur ist mein Lied "Moskau im Regen" keineswegs so romantisch wie es im Radio gespielt wird: Bei ordentlichem Regenwetter wie heute ist Moskau eine einzige Katastrophe!!! Gut beraten ist, wer Gummistiefel hat, mit denen er im Notfall weit springen kann. An einigen Stellen sind die Gehwege nur mit einem großen Schritt oder Sprung passierbar, weil an jeder Häuserecke ein Regenrohr vom Dach sein Wasser über den Gehweg spült. Und das Wasser sammelt sich dann im Rinnstein, der das Wasser wiederum nicht schlucken kann, so dass die Pfütze bis weit auf die Straße reicht. Und wer nun meint, die Autofahrer hier bremsen vor einer Pfütze ab, der irrt gewaltig! Ich habe es zum Glück zeitig gesehen, dass ein Auto mit recht hoher Geschwindigkeit durch eine solche Riesenpfütze gefahren ist, die Autos zu beiden Seiten mit dem braunen Wasser völlig übergossen hat und die Fußgänger zur linken gleich mit! Die hätten ihren Regenschirm an dem Tage gar nicht gebraucht, die waren nicht nur klatschnass, sondern auch ebenso dreckig. Und so musste ich dann nicht nur auf das Wasser auf dem Gehweg achten, sondern auch auf das Wasser und die Autos auf der Straße. Es kann aber auch mal sein, dass man durch eine Pfütze muss, der Grund dann aber tiefer ist als erwartet, weil sich Wasser in einem Schlagloch gesammelt hat. Ich habe fast den Eindruck, dass die Straßen an einem solchen Regentag besser mit dem Schiff oder mit Wasserskiern zu bewältigen ist als zu Fuß. Nun bin ich ja richtig gespannt, was der erste Schnee und vor allem das Tauwetter in Moskau für Ungewohntheiten mit sich bringt.

Nun - ich habe es jeweils nicht mehr so rechtzeitig in die Stalowaja geschafft, dass ich noch hätte essen können, denn die Schlange vor der Kasse war immens lang. So habe ich mir dann einen Löffel geschnappt und eine Palette Joghurt, die mir dann über den ersten Hunger helfen sollte. Hier soll noch dazugesagt werden, dass es hin und wieder vorkommt, dass in der Mensa mit einem Mal ein riesiger Stapel - in der Tat eine halbe 7,5-Tonner-Ladung - mit Joghurt oder anderem Nachtisch in der Ecke steht, von dem wir soviel mitnehmen können, wie wir wollen oder besser tragen können. Das ist nun lange nicht jeden Tag der Fall, aber in den ersten beiden Wochen kam es mit heute drei Mal vor. Dann bin ich zur Vorlesung gegangen - ein Liturgieseminar. Auch diese Stunde begann ähnlich wie die anderen - nämlich zuerst mit dem Gebet und dann wurde bald die Diskussion über die Frage eröffnet, welche Sprache in der Liturgie sinnvoll sei (für die orthodoxe Kirche eine spannende Frage, denn alles liturgische wird ja in kirchenslawisch gehalten). Das wurde schnell eine spannende Diskussion, in die ich mich hätte ohne weiteres einbringen können, wenn ich nicht so lange meine Sätze hätte im Geiste zusammenschustern müssen und etwas mehr Mut gehabt hätte. Aber immerhin - ich habe gewusst, worum es geht. Anschließend habe ich mir noch einige Bücher in dem nahe gelegenen Geschäft "Orthodoxes Wort" gekauft, das ein sehr umfangreiches Sortiment an theologischen Büchern hat. Vor allem die Buchpreise sind ein echter Traum: Drei der vier Bücher haben 156 Rubel, also etwa 4,25 € gekostet, sind mit Pappdeckel und fest gebunden, also keinesfalls ein "billiges" Taschenbuch! So habe ich alles in allem für vier Fachbücher keine 18 € ausgegeben. Für das Geld bekomme ich allerhöchstens ein Buch in Deutschland. So macht der Buchkauf richtig Spaß! Ich muss immer nur im Bewusstsein haben, dass die alle irgendwann eine wiederum teure Reise nach Ostfriesland bzw. Münster antreten müssen.

Anschließend bin ich dann noch in der Innenstadt einkaufen gewesen - ich habe in der Ladenpassage ein Geschäft entdeckt, dass ich gerne mal ausprobieren wollte. Mein Eindruck ist, dass der Laden nicht unbedingt wesentlich teurer ist als die Geschäfte, die in der Nähe des Wohnheims sind. Also kann man dann Uni und Internet mal mit einem Einkauf verbinden. Anschließend bin ich kurz vor dem Feierabendverkehr mit der Elektritschka nach Hause gefahren, wo ich am Kursker Bahnhof noch einen Kommilitonen und Mitbewohner getroffen habe, so dass wir dann uns schön unterhaltend gemeinsam nach Hause gefahren sind.

Im Wohnheim habe ich mir dann erst was vernünftiges zu Essen gemacht, weil der Magen ganz schön Krach gemacht hat, schließlich musste er ohne Mittagessen auskommen. Zum Nachtisch gab es dann Joghurt - das wird die nächsten Tage auch wohl noch so sein. Dann habe ich noch ein wenig Russisch gelernt - bis Stephan (gesprochen Stepán) bei mir hereinkam. Er ist sehr bestrebt, deutsche Lieder zu lernen: "Laurentia, liebe Laurentia mein" kennt er nun schon sehr gut, nur mit der Kondition hapert es noch ein wenig, zumal er die Kniebeugen auslässt. Nun wollte er heute ein neues Lied lernen, dass ich ihm dann vorgesungen habe, beim zweiten Mal hat er es mitgesungen (man beachte: Melodie und fremde Sprache) und nun übt er es wahrscheinlich alleine. Gemeinsam haben wir beide dann noch die Reste von meinem späten Mittagessen gegessen - zum Nachtisch gab's Joghurt - und dann das Gebet aus kirchenslawischer Sprache ins Deutsche übersetzt, das immer vor den Vorlesungen gesungen wird.

Nun dauert es nunmehr knapp eine Stunde, als ich vor zwei Wochen das erste Mal das Wohnheim betreten habe und so ist es Zeit, eine Summe der zwei Wochen zu bilden. Zu Hause und während der Reise mit meinen Eltern zum Flughafen habe ich sehr oft gesagt: "Wenn die ersten drei bis vier Wochen einmal vorbei sind, dann bin ich über den Berg, dann ist das Schlimmste erst einmal vorbei." Ich denke, ich kann voller Freude sagen, dass alles Organisatorische viel besser gelaufen ist, als ich gedacht hatte. Das liegt durchaus daran, dass ich hier eine nach wie vor bewundernswerte Unterstützung meiner Mitbewohner und Kommilitonen vorfinde, die mich auch nach zwei Wochen im Notfall an die Hand nehmen und mir sehr behilflich sind, obwohl ich nur noch in Extremfällen Hilfe benötige. Äußere ich einen Wunsch oder deute ihn auch nur an, dann versuchen sie ihn zu erfüllen. Dies gilt in besonderer Weise auch für Juri Valerjewitsch, der heute noch angerufen und indirekt gefragt hat, ob bei mir alles in Ordnung sei. Jetzt - nach zwei Wochen - kann ich langsam sagen, dass das Chaos überwunden ist und sich die ersten Strukturen und Gewohnheiten bilden, die mir Sicherheit bieten. Das ist damit gute ein bis zwei Wochen eher eingetreten, als ich erwartet habe. Doch so optimistisch das auch alles klingen mag, so denke ich doch, dass ich noch mehr Zeit in die Sprache investieren muss. Wenn ich heute auch für meine Verhältnisse sehr viel in dem Seminar verstanden habe, so fehlt mir immer noch der Wortschatz, den ich mir unbedingt noch aneignen muss. Ich lerne zwar jeden Tag neue Vokabeln hinzu, aber es reicht noch lange nicht, so dass ich zufrieden wäre. Ich glaube, dass ich hier noch vor einem langwierigen Prozess stehe, der zu bewältigen bestimmt nicht einfach ist. Das wird mit großer Sicherheit die Baustelle der nächsten Monate werden. So groß dieser Berg auch ist, vor dem ich hier stehe: Aufgeben gibt es nicht. Nach zwei Wochen bin ich jetzt wenigstens schon so weit, dass ich das Wichtigste mit viel Konzentration verstehen kann. Ich muss aber auch zugeben, dass wenn andere Geräusche im Hintergrund sind, es schon wieder viel schwieriger wird. Wenn Juri Valerjewitsch beispielsweise auf der Straße per Handy mit mir telefoniert, dann muss ich ihn zumeist bitten englisch zu sprechen, weil ich sonst die Sprachfeinheiten schwer verstehe. Ich muss mich auch an jeden einzelnen hier gewöhnen, weil jeder so seine eigenen Spracheigenschaften hat, die nicht nur regional bedingt sein müssen: So spricht der eine hier eine jugendliche Sprache, der andere spricht schnell, ein anderer wiederum undeutlich. Was mich aber selbst beruhigt und mir auch zeigt, dass ich (kleine) Fortschritte mache, ist, dass ich es alleine und ohne größere Probleme geschafft habe, den "falschen" Tausender umzutauschen und auf der Post einen Brief (mit Zollformalitäten usw.) aufzugeben oder heute mehr in dem Seminar verstanden habe, als ich gedacht hätte. 

In der ersten und Anfang der zweiten Woche hatte ich große Probleme, mit dem U-Bahnnetz klarzukommen. Heute bin ich zumeist ohne dem Netzplan der Uni unterwegs, so dass ich die geläufigen Umsteigestationen im Kopf habe und nicht mehr alles nachschlagen muss. Ich schaue lediglich immer noch auf die wegweisenden Schilder in der U-Bahn und achte darauf, auf welcher Seite des U-Bahnsteigs ich einsteigen muss. So habe ich mich bis dato - glaube ich - nicht einmal verfahren. Auch kann ich mir mittlerweile merken, wo beispielsweise das eine oder andere Geschäft ist. Ich selbst habe in jedem Fall das Gefühl, dass mein Lieblingsspruch neben "Я не знаю." (wörtl.: "Ich weiß nicht.") der Satz "Всё будет хорошо!" (wörtl.: "Alles wird gut!") geworden ist.

Nun zum Abschluss des Tages und der ersten zwei Wochen das Lied oder das Gebet, das wir vor den Vorlesungen immer singen. Ich habe es mit Stephan krampfhaft (und daher sehr frei) aus dem Kirchenslawischen übersetzt:

König im Himmel, Tröster,

Himmlischer König,

Tröster; Du Geist der Wahrheit,

Allgegenwärtiger und alles Erfüllender,

Schatz der Güte und Leben Spendender,

komme und kehre in uns ein,

und reinige uns von aller Sünde;

und errette, Gütiger, unsere Seelen.

 

 

Mittwoch, 10. September 2008

Es ist feucht und nass draußen und wenn man vorgestern noch in kurzer Hose und T-Shirt unterwegs sein konnte, braucht man heute Winterkleidung. So bin ich dann heute um viertel vor zehn Uhr mit der Elektritschka in die Stadt gefahren - leider eine gute Stunde zu früh. So habe ich zunächst etwas eingekauft und bin dann in die Passage gegangen, wo ich dann noch in aller Ruhe Vokabeln gelernt habe. Die erste Vorlesung sollte eigentlich kanonisches Recht (zu deutsch Kirchenrecht) sein, wurde aber innerhalb des Kurses durchgetauscht, so dass es Patriologie (die Lehre von den Kirchenvätern) geworden ist. Nach dem Essen - die Schlange vor der Kasse war mal wieder sehr lang, aber ein Kommilitone hat mir eine Essensmarke gekauft - hatte ich dann noch "Neues Testament", was eine Art Einführung und Exegese zugleich ist. Nach der Vorlesung ging es dann zügig nach Hause, denn diese enorme Temperaturumschwung hat mich ziemlich aus den Socken gehauen. Ich wollte mich eigentlich gut eine Stunde hinlegen, da ist dann aber wesentlich mehr daraus geworden. Anschließend habe ich bis zum Abendessen weiter russisch gelernt. Zum Abendessen habe ich wieder meine Hawaii-Toasts gemacht, die offenbar immer beliebter werden, so dass ein Blech schon fast gar nicht mehr ausreicht... Kurz bevor ich ins Bett gehen wollte, gab es noch neue Bettwäsche und die Dame der Administration hat meine Registrierung kopiert. Dann kam noch ein Student zu mir herein, der zwei Sätze übersetzt haben wollte. Dabei stellte sich heraus, dass er Mathe studiert. Auf dem Rechner habe ich noch eine Formel vom Gymnasium, mit der man den Alkoholabbau in der Stunde nach einem beliebigen alkoholischen Getränk messen kann. Die hat ihn sehr interessiert und so haben wir uns noch ein wenig darüber unterhalten. Da die Türe aufstand, kam noch ein zweiter Student herein, der dann noch gerne Bilder von meiner Heimat sehen wollte, so dass es wieder einmal recht spät geworden ist.

 

 

Donnerstag, 11. September 2008

Am heutigen Tag stand vergleichende Theologie auf dem Programm - eine Vorlesung eines Professors, der in New York (orthodoxe Theologie) studiert hat und Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen orthodoxer, katholischer und protestantischer Kirche aufzeigt. Wobei hier die letztgenannten Kirchen oft mit "im Westen" gleichgesetzt wurden. Die Vorlesung findet in einem recht verlotterten Kellerraum statt, der aber sein eigenes Flair entwickelt, weil die Treppe von außen nach unten und der Raum an sich etwas häusliches haben - er ist ein bisschen wie der Kellereingang bei uns zu Hause in Oldersum. Das ganze sieht auch nicht so offiziell aus wie andere Teile der Universität oder der in Münster, sondern einfach wie der Kellereingang eines Einfamilienhauses, so dass nicht unbedingt der Eindruck herrscht, man sei in der Uni. Als Daniel und ich dort nach der Mittagspause hinkamen, saßen unten drei Mädchen, die sich scheinbar verirrt hatten. Zwei packten recht schnell ihre Sachen und verschwanden. Die letzte, Ria, bekam mit, dass ich aus Deutschland bin und klinkte sich gleich in das Gespräch ein und plapperte munter drauf los. Ich war irritiert. Das lag wohl daran, dass sie einen so anderen Eindruck macht als die anderen Studentinnen hier: ein kleines Piercing (zumindest so'n glänzender Silberpunkt im Gesicht), sie schaut einen direkt an beim sprechen und redet wesentlich lauter und fordernder. Nun wird sich bei dem ein oder anderen sicherlich ein großes Fragezeichen über dem Kopf bilden bzw. ein "oho" durch die Gedanken rutschen. Die anderen Begegnungen mit der weiblichen Fraktion an der Fakultät verläufen im Normalfall anders: Zunächst einmal: Hier herrscht noch eine relativ hohe Geschlechtertrennung und meistens sind Männlein und Weiblein in verschiedenen Kursen, so dass sie nur in wenigen Vorlesungen zusammensitzen. Auch in der Stalowaja ist es eher so, dass jedes Geschlecht für sich in der Gruppe an einem Tisch sitzt (vielleicht aus dem Grund, dass die Mädchen durch die oftmals schlechten Tischmanieren der Jungs verschreckt werden). Nun kann es aber sein, dass nicht mehr viele freie Plätze da sind und dass ich mir (oder andere Jungs sich) einen anderen Platz suchen. Wenn ich denen dann einen guten Appetit wünsche, kann es gut und gerne vorkommen, dass die - so mein Eindruck - verschüchtert den Blick senken und ein leises "Dankeschön" piepsen. Ähnliche Szenen ergeben sich, wenn ich eine Frage habe oder mein Geschirr beim Spüldienst abgebe. Auf mich macht der Großteil der Studentinnen an der Fakultät einfach einen unselbstbewussten, manchmal schon fast ängstlichen und zurückhaltenden Eindruck. Ganz anders dagegen Ria, die zu meiner Überraschung völlig anders auftritt.

Nach der Vorlesung wollte ich meinen Stundenplan für den kommenden Tag vervollständigen und auf dem großen Stundenplan schauen, in welchem Raum die Vorlesungen stattfinden. Dort habe ich dann einen der Studenten und Mitbewohner getroffen, mit denen ich vor etwa einer Woche abends zusammen gesungen habe. Er schaute auf meinen Stundenplan und fragte mich dann, ob ich nicht mit im Chor seines Kurses singen wolle. Er war überzeugt davon, dass ich das wohl können würde. Nun hatte ich zunächst die Einwendung, dass ich ja überhaupt kein kirchenslawisch kann. Er meinte dagegen, dass ich gut singen könne und dass das kein Problem wäre. Innerlich hatte ich in der Vorbereitungsphase in Münster schon mit dem Gedanken gespielt, in Russland in einem Chor singen zu wollen. Nachdem ich den Gedanken verworfen habe, dass das auch wohl eine Nummer zu groß für mich sein könnte, habe ich dann zugesagt. Nun bin ich mal gespannt auf den kommenden Mittwoch.

In den letzten Tagen habe ich immer mehr gemerkt, dass meine Wörterbücher hier nicht mehr ausreichen, so dass ich in einem nahegelegenen Buchladen ein neues großes Wörterbuch gekauft habe, dass in Deutschland bestimmt das dreifache gekostet hätte. Bücher sind hier - wie schon einmal erwähnt - total günstig. Anschließend bin ich durch den Dauerregen, der nun schon seit zwei Tagen anhält, zur Metrostation gelaufen und an der Station Kurskaja wieder von der Erde ausgespuckt worden. Im Kursker Bahnhof hatte sich die RZD (russische Eisenbahngesellschaft) etwas ausgedacht, was den Tag trotz Regens erhellte: Im ganzen Bahnhofsbereich erklangen aus Lautsprechern Puccinis Opern! Das macht dann doch schon einen triumphalen Eindruck und erleichterte zudem das Warten am Fahrkartenschalter. Und auch hier scheint es eine Regel zu geben: Müssen recht wenige Fahrgäste eine Fahrkarte für die Elektritschka kaufen, sind zwei oder sogar drei Schalter geöffnet. Ist aber Feierabendverkehr, dann hat nur ein Schalter geöffnet und es steht eine lange Schlange an. So war es auch heute. Vom Ende kann man übrigens gut auf die Abfahranzeiger schauen und sehen, welchen Zug man vielleicht nicht mehr erreicht. In der Regel arbeiten die Damen hinter der Glasscheibe aber sehr schnell. Hält man dann seine Fahrkarte in der Hand, lohnt sich noch ein Blick auf die Abfahrtafel der Züge, denn meistens haben sie so etwa fünf Minuten Verspätung. Meistens fahren die Züge von Gleis drei oder vier in Richtung Pererwa. Ist man dann die Treppe hochgeklettert, dann benutzt man die Fahrkarte für die meistens durch zwei Wachleute beaufsichtigten kleinen Klapptüren, die den Weg zum Bahnsteig freigeben. Steht man auf dem Bahnsteig, muss man meist noch ein wenig warten, bis der nächste Zug eintrifft. Nachdem dieser langsam in den Bahnhof eingefahren ist, öffnen sich die Schiebetüren und die Menge strömt in den Zug. Oft ist es im Feierabendverkehr so, dass man stehen muss, obwohl jeweils 1320 Menschen im Zehn-Waggon-Zug Platz finden, zusätzlich sind noch viele Stehplätze möglich. Wenn man etwas Pech hat, dann erwischt man sogar noch einen Zug mit Holzsitzen, die anderen sind etwas durch das Leder abgepolstert. Nachdem die Türen zugeklappt sind - und hier kann man schön sehen, dass sie recht locker eingebaut sind, geht die Fahrt mit lautem Poltern der Schaltstufen los, die sich im Ein- und Ausstiegsbereich finden. Das klingt manchmal ein wenig so, als würden die Träger des Zuges an einigen Stellen brechen oder ein größeres Teil vom Zug abfallen.

 

Die Elektritschka in Moskau.

 

Kurz nach der Abfahrt gehen meistens Leute durch den Zug, bei denen man so einiges kaufen kann - heute war es z. B. ein Mann mit Eis, aber auch Zeitungs- und Zeitschriftenverkäufer und Buchverkäufer kommen durch den Zug. Hierbei wechseln Verkäufer und Sortiment jedoch ständig: Es ist auch möglich, Maßbänder, Regenschirme, Haushaltsgeräte usw. zu kaufen. Vorgestern waren z. B. nur Zeitschriftenverkäufer im Zug - und davon gleich fünf. Auch Kontrolleure kommen dann und wann durch den Zug, die zwar schnell, dafür aber nicht sorgfältig kontrollieren. So wollten die zum Beispiel meinen Studentenausweis gar nicht sehen. Blickt man aus dem Fenster, sieht man einerseits einige Moskauer Vororte, aber auch viele Menschen, die die Abkürzung durchs Gleisbett wählen. Aus dem Grund geben die Lokführer vor der Einfahrt in den Bahnhof immer ein Warnsignal ab, weil die Moskauer auch gerne einfach mal den Bahnsteig wechseln und dabei die hohe Bahnsteigkante herunter springen und an der anderen Seite irgendwie wieder hoch krabbeln. Dabei ist recht egal, ob sie mit vielen Tüten und Reisetaschen bepackt sind, die dann erst auf den Bahnsteig gewuchtet werden. Noch interessanter wird es, wenn jemandem geholfen werden muss, die Bahnsteigkante zu erklimmen. In Deutschland würde "wegen Personen im Gleis" kein Zug mehr fahren... Irgendwann geht aber in Ruck durch den Zug, er wird langsamer, kommt am Bahnsteig zum stehen und die Türen rumpeln auf - Ankunft in Pererwa.

Am Abend habe ich dann noch jemanden (mein Namensgedächtnis lässt zu wünschen übrig) geholfen, der gerade anfängt, die deutsche Sprache zu lernen. So kann ich wenigstens etwas von dem zurückgeben, was die russischen Studenten mir gegeben und geholfen haben.

 

 

Freitag, 12. September 2008

Nun ist heute schon der dritte Regentag in Folge, ohne dass ich wüsste, dass es einmal aufgehört hätte. Das bedeutet ebenso, dass ich seit drei Tagen bemüht bin, trockenen Fußes - also zwischen Pfützen Slalom zu laufen - von A nach B zu gelangen. Und dabei regnet es in einem fort. Am liebsten möchte man morgens im Bett liegen bleiben. Selbst die vielen Hunde in Moskau suchen sich ein trockenes Plätzchen und dösen träge vor sich hin. Heute standen das Neue und Alte Testament auf dem Plan und anschließend habe ich mit einigen Mitstudenten zu Mittag gegessen. Anschließend haben wir noch zusammen gesessen und geplauscht, bis die anderen Kurse zu Tisch kamen und die Mensa überfüllten. Am Abend habe ich dann wieder einem Mitbewohner bei seinen ersten Deutschversuchen geholfen. Nicht, dass mir das Tempo fremd wäre - aber in der dritten Stunde wurden sämtliche Tageszeiten und zugehörige Redewendungen wie "Guten Morgen" durchgenommen, die Fälle aller Artikel mit den Fachbezeichnungen gelernt usw. Das hat dann doch wieder Eindruck gemacht.

 

 

Samstag, 13. September 2008

Nachdem mir am Vorabend ein Student gesagt hatte, dass die Dogmatikvorlesung am heutigen Tag ausfällt weil der Professor auf einer Exkursion sei, konnte ich etwas länger schlafen. Zu Mittag bin ich dann wieder in die Stadt gefahren, um in der Mensa zu Mittag zu essen. Ich musste mich ein wenig beeilen, denn ich wollte mich um 13 Uhr mit Stephan in der Metro-Station Arbatskaja treffen, wo ich dann auch pünktlich ankam. Wir hatten uns am Vorabend verabredet, ins Puschkin-Museum zu gehen. Das Wetter heute war etwas wärmer und vor allem schien bis dato die Sonne! Auf dem Weg dorthin habe ich immer wieder mal etwas fotografiert, so dass wir nicht allzu zügig vorangekommen sind.

 

Vor dem Dostojewski-Denkmal in der Nähe der Metro-Station Arbatskaja.

 

Blick in den bunten Kreml.

 

In das Puschkin-Museum, dass sehr nobel aufeingerichtet ist, ist Stephan ohne weiteres zum Studententarif für 50 Rubel eingelassen worden. Bei mir hat das trotz russischem Studentenausweis leider nicht funktioniert. Die Kassendame fragte, ob ich Ausländer sei, was ich ja leider bejahen musste, so dass ich unter Protesten 100 Rubel mehr bezahlt habe. Dennoch - das Museum hat sich in jedem Fall gelohnt, wenn ich auch nicht so der an Kunst interessierte Mensch bin. Dort befinden sich viele Bilder - insbesondere von holländischen Malern und zur Zeit eine Ausstellung, die das Thema "Expressionismus" zum Inhalt hat. Dies sind dann ausnahmslos deutsche Künstler. Aber auch kirchliche - vor allem katholische - Gegenstände sind dort ausgestellt, wie Taufbecken, Chorgestühl, Bilder, Ikonen, usw. Des weiteren gibt es dort eine recht umfangreiche Ausstellung von antiken Gegenständen von der ägyptischen bis zur römischen Zeit. Alles in allem haben wir uns dort mehr als drei Stunden aufgehalten.

 

Ein antiker Nackedei.

 

Anschließend sind wir dann in die Christus-Erlöser-Kathedrale gegangen. Auf dem Weg dorthin wurden wir schon mit tiefem Glockenschlag begrüßt. Bevor wir in die Kirche herein durften, wurden unsere Rucksäcke untersucht und wir mussten durch eine elektronische Schleuse gehen. Und dann zeigte sich uns die ganze Pracht der Kirche: Viel Gold, überall Ikonen und Gemälde. Die Ikonostase geht rund um den ganzen Altar und hat ein Spitzdach - ähnlich einem Baldachin. Diese Kirche ist von innen sehr hell und mehr als prächtig. Es ist dort, als könnte man sich nicht satt sehen an dieser Pracht. Sie ist unbeschreiblich schön. Während wir in der Kirche herumgingen, begann die Liturgie. Es war, als würde die ganze Kathedrale von dem Gesang erfüllt, ebenso die Stimme des Diakons und Priesters (natürlich halfen Lautsprecher dabei). Die Kirche scheint also eine ausgezeichnete Akustik zu haben. Doch leider hatten wir nicht mehr ganz so viel Zeit, weil ich noch zu 19 Uhr in die Heilige Messe in die katholische Kirche wollte. Draußen auf dem Kirchplatz wurden dann zu Abend mit dem Glockenspiel geläutet - per Hand, was ich mir auch noch unbedingt anhören wollte. Dann sind wir über die Moskau ans andere Ufer gegangen, um vor dort aus zur Kreml-Mauer zu gehen.

 

Die Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau.

 

Dort angekommen, hatte ich einen kleinen Eisstand entdeckt, wo wir uns als kleine Erholung von der ganzen Kultur ein Eis gegönnt haben. Auf dem Weg zur U-Bahn-Station kamen wir dann am "Ewigen Licht" vorbei - das ist eine immer brennende Gasflamme zum Gedenken an die im Krieg Gefallenen. Dort stehen immer zwei Soldaten, die Wache halten. Kurz nachdem wir dort ankamen, kam ein dritter Soldat, der in einer etwas abgelegenen Ecke stand, erst zu einem Soldaten, dann zum anderen. Jeweils dort angekommen, ging er die letzten Schritte in zackigem Stechschritt zu ihm, grüßte ihn militärisch (was dieser aber nicht erwiderte) und richtete seine Kleidung. Dabei sprachen die beiden unauffällig miteinander. Dann ging er ebenso wieder weg und stellte sich wieder in seine Ecke. 

 

 

Das "Ewige Licht" an der Kreml-Mauer in Moskau.

 

Es steht der eine, es geht der andere.

 

Dieses Mal hatte ich in der katholischen Kirche eine Messe in russischer Sprache erwischt, so dass ich dieses Mal wenigstens etwas verstanden habe. Ich habe ja immer noch die Hoffnung, dass ich vielleicht ein bekanntes Gesicht aus Irkutsk wiedersehe, wo ich ja vor vier Jahren auf dem gesamtrussischen katholischen Jugendtreffen war. Aber bis jetzt habe ich noch keinen entdeckt.

Nach der Kirche bin ich noch schnell in dem Stadtviertel einkaufen gegangen und habe dann die U-Bahn zur Haltestelle Textilschchiki genommen, von wo aus ich dann nach Pererwa weitergefahren bin. Als der Zug eingefahren ist, bin ich eingestiegen und war etwas verwundert darüber, dass wenig Leute im Zug sitzen, habe dann aber ein Buch gelesen. Etwa einen Kilometer vor der Bahnstation Pererwa - wo ich ja aussteigen wollte - hielt der Zug. Ich hatte inzwischen das Buch in den Rucksack gesteckt. Dann fuhr der Zug wieder langsam an und mit einem mal ging ein Ruck durch den Waggon, in dem ich mittlerweile alleine saß. Der Zug fuhr ruckartig nach rechts durch eine Weiche. Dann wieder durch eine Weiche. So langsam dämmerte es mir: Der Zug hatte eine Station vor meiner geendet und ich war jetzt gerade auf der Fahrt ins Ausbesserungswerk in dem Zug. Und richtig - auf der rechten Seite die Hallenwand und auf der linken Seite konnte man den Bahnsteig erkennen. Was also tun? Ich habe mir schnell den Rucksack geschnappt und bin eilends nach vorne gelaufen, wo der Triebfahrzeugführer sitzt. Zuvor habe ich aber noch ein paar andere Arbeiter getroffen, die im ersten Waggon des Zuges saßen und die ich dann über mein kleines Missgeschick aufgeklärt habe. Die blieben aber freundlich, haben die Türe zu zweit aufgestemmt und mich dann in die Freiheit entlassen - mir vorher aber noch den Weg zur Brücke gezeigt, so dass ich sicheren Weges - wenn auch etwas ungewöhnlich - mein Ziel erreicht habe.

Der Abend war dann aber auch noch wieder schön: Ich hatte drei Bierflaschen gekauft, um sie gemeinsam mit Oleg und Dmitri zu trinken. Da ist dann aber wieder mehr draus geworden: Wir hatten alle noch nicht zu Abend gegessen und so haben wir dies gemeinsam gemacht: Ich habe Frikadellen gebraten, Dmitri Nudeln und Oleg hat Tomaten, Gurken, Brot und Spiegeleier dazugegeben, so dass wir dann zu dritt auf Olegs Zimmer gegessen und einen Trickfilm geschaut haben. Dieses Mal habe ich ein Vater Unser als Tischgebet vorgebetet. Alles in allem war es ein gelungener und sehr spannender Tag, so dass ich dann todmüde ins Bett gefallen bin, dass ich morgens noch krampfhaft mit neuer Bettwäsche des Wohnheims bezogen habe. Krampfhaft deshalb, weil ich allein einige Minuten gebraucht habe, um das Loch zu finden, wo die Bettdecke hereingehört. Das befand sich dann nicht an der schmalen Seite, sondern tatsächlich an der Längsseite. Und das Loch war so klein, dass es recht lange gedauert hat, bis ich damit fertig war. Normalerweise habe ich mit dem Bettbeziehen keine Probleme, aber mit dieser eigenartigen Technik hat es dann doch etwas länger gedauert. Zumindest habe ich gut darin geschlafen.

 

 

Sonntag, 14. September 2008

An für sich ist heute kein besonderer Tag - zunächst war ich in der Fakultätskirche in der orthodoxen Liturgie, und anschließend im Internet. Doch leider ist es heute wieder kalt draußen und langsam wird es auch in meinem Zimmer immer kälter, denn die Fernwärmeheizung ist noch nicht angeschaltet, so dass hier noch keiner heizen kann. Es ist also recht frisch hier und ich hoffe, dass in den nächsten Tagen die Sonne mal wieder aus der Wolkendecke herausschaut. Nun habe ich gerade mit meiner Mutter telefoniert und ich habe ihr noch erzählt, dass die Dusche warm sei. Nein - sie ist es leider nicht. Dreht man den warmen Wasserhahn auf, kommt noch nicht einmal lauwarmes Wasser aus der Leitung, dreht man ihn in die andere Richtung, wird es richtig kalt. Ich überlege mir jetzt, ob ich nicht doch morgen nach Aschan gehe und einen Heizlüfter kaufe. Vielleicht erinnert sich ja noch jemand an eine gewisse Wegzehrung... Zumindest habe ich keine Lust, hier im Kalten zu sitzen und erkältet zu sein.

Heute Abend habe ich wieder mit Oleg und Dmitri zu Tisch gesessen. Ich hatte gerade angefangen zu kochen, als die beiden in die Küche kamen, bewaffnet mit Nudeln und einem Topf. Nun, ich habe bei mir einfach noch ein paar Nudeln dazugetan und weiter gebrutzelt. In der Pfanne brutzelte und schmorte ein selbstgemachtes Tomatenzeugs ohne Name - weil neu - vor sich hin, das aber noch nicht gewürzt war. Dmitri rührte in der Pampe gedankenverloren herum. So nahm ich Salz, dass ich aus der Packung da einfach hereingeschüttet habe. Mit dem Pfeffer habe ich genauso verfahren. Das war der Zeitpunkt, als Dmitri es mit der Angst zu tun bekam. Mit Paprika und Curry wollte ich genauso verfahren, aber er hat mich dann ausgebremst. Dann ist er aber zur Toilette gegangen... Letztendlich hat es aber allen gut geschmeckt, auch Stephan, der später dazu kam. Dmitri und Oleg haben dann noch Würstchen, Tomaten, Gurken, Knoblauch, Brot und Allerlei anderes hervorgezaubert. Zum Abschluss gab es dann noch Tee und russische Kekse. Ich liebe solche Abende!

 

 

Montag, 15. September 2008

Am heutigen Morgen war es trocken, aber immer noch kalt und windig. Den Vormittag habe ich genutzt, um die ein oder andere Mail auf russisch zu schreiben. Zu Mittag bin ich wieder in die Fakultät gefahren - zuvor war ich aber noch kurz im Internet und habe die Mails verschickt. In der Stalowaja haben sich zunächst zwei Studenten dazugesetzt, die auch auf meiner Etage wohnen. Beide hatten sich etwas edler angezogen. Die Art und Weise, wie die beiden aßen, ist kaum zu beschreiben: Den linken Arm auf den Oberschenkeln abgestützt (und den Kopf wegen der gebeugten Haltung entsprechend nahe am Tellerrand) begann eine wahre "Schnellschaufelei" der beiden. Bei meinem Nachbarn zur linken rotierte der Löffel tatsächlich kreisartig; er wurde zunächst am oberen Tellerrand eingetaucht, dann zum unteren Rand gezogen, um dann die knapp 15cm zum Mund zu finden und anschließend wurde er an der Ausgangsposition wieder angesetzt. Das Skurrile daran ist, dass die beiden in Anzug und Krawatte am Tisch "saßen". Der erste war nach knapp fünf Minuten mit dem Essen - also einem Teller Suppe, einem kleinen Salat und Kartoffelpüree mit Lebergeschnetzelten - fertig. Ich weiß, dass meine Manieren zu Tisch sicherlich auch nicht bis ins Letzte perfekt sind und mir auch gerne mal eine Kartoffel in die Bratensoße hüpft um die Tischnachbarn zu bespritzen, aber dieser Gegensatz von Kleidung und (fr)essen konnte und sollte nicht unkommentiert bleiben. Vielleicht sollte man dazu sagen, dass interessanterweise gerade die Anzugträger gerne solche Manieren aufweisen. Während den dreißig Minuten, die ich mir zum Essen gegönnt habe, setzten sich nach den beiden Jungs zwei Mädchen, Aljona und Lena, zu mir, die aus Odessa kommen. Mit denen habe ich mich noch ein wenig unterhalten, so dass ich schon fast die Zeit verbummelt hätte und zu spät in die Ethik-Vorlesung gekommen wäre.

Nach der Vorlesung, die nach knapp einer Stunde schon endete (üblich sind sind etwa 80 Minuten), weil der Professor nichts mehr zum Thema zu erzählen wusste, bin ich ins Kaufhaus Aschan gefahren mit dem festen Vorhaben, einen Heizlüfter zu kaufen. Der Verkäufer vertröstete mich auf morgen - sie waren ausverkauft. Und ich hatte mich so auf ein kuschelig warmes Zimmer gefreut! Nun, morgen früh sollen angeblich neue da sein. Ich bin mal gespannt. So muss ich mich heute noch einmal warm anziehen. Zumindest die Duschen sind heute warm, so dass es nicht mehr ganz so arg ist wie am gestrigen Tag. Nun hoffe ich, dass ich morgen bei Aschan ein solches Gerät kaufen kann.

 

 

Dienstag, 16. September 2008

Ich habe endlich eine Art Heizung in meinem Zimmer stehen! Denn wie schon gesagt: "...der Mensch lebt nicht vom Brot allein". Dass es jetzt allerdings ein Elektrokamin werden würde, hätte ich nicht gedacht! Nun - ich bin heute morgen wieder nach Aschan gelaufen, die allerdings keinen Heizlüfter hatten, die Verkäuferin aber wusste, welcher Laden in dem Einkaufszentrum so etwas hat. Der Elektroladen hatte zwar noch geschlossen, aber im Hinblick auf ein warmes Zimmer habe ich gerne ein wenig gewartet. Doch nun kam die nächste Enttäuschung für mich: Die hatten keinen Heizlüfter - zumindest nur einen zum an die Wand hängen, der aber für mein Zimmer unpassend ist. Daher ist es nun ein Elektrokamin geworden, der jetzt schön im Hintergrund summt und das Zimmer herrlich erwärmt. Endlich Wärme! Dafür habe ich gerne die 3999 Rubel ausgegeben, auch wenn es ganz schön weh tat und ich vorher zuhause angerufen und mich beraten lassen habe. Ich habe hier jetzt zwar ein Ausstellungsstück stehen und ich wollte noch mit dem Verkäufer verhandeln, der hat sich aber nicht darauf eingelassen.

Das Essen heute in der Stalowaja hat mir nicht ganz so gut gefallen, ich habe aber dennoch tapfer die Suppe mit Fisch gegessen: Es war eine normale Gemüsesuppe, wo die Köchinnen Hähnchenfleisch und Fisch hereingeschnitten haben. Aus meiner Sicht hätte der teure Fisch gar nicht in die Suppe gemusst, das Budget muss doch nicht unnütz strapaziert werden - oder? Dazu gab es ein Hackfleisch-Nudel-Zwiebelgericht mit gekochtem Rote-Beete-Salat. Irgendwann in der letzten Woche hat sich die Küche eine neue Variante von Möhrensalat ausgedacht: Von Irkutsk her kannte ich ja schon Möhrensalat mit Curry, hier war er mit Zimt gewürzt. Nun schreibe ich aber schon wieder schlecht über eine Küche, die gar nicht so schlecht ist. Normalerweise ist das Essen nämlich ganz schmackhaft - wenn auch nicht unbedingt abwechslungsreich. Grund zur Beschwerde gibt es sicherlich nur beim Möhrensalat, beim Fisch liegt es ja eindeutig an mir. Hin und wieder spreche ich der Küchenchefin auch mal ein kleines Lob aus, woraufhin sie sich immer sehr freut!

Nach der Vorlesung zum Thema Sakramente hatte ich noch ein Treffen mit einer mir aus Münster bekannten Dozentin, was noch einmal sehr interessant gewesen ist und über eine Stunde gedauert hat. Sie scheint mir jemand zu sein, mit der ich auch mal was unter zwei Augen ausklüngeln kann - zumal ich im Moment ein paar Ideen im Hinterkopf habe, die ich gerne irgendwann innerhalb der zehn Monate umsetzen möchte, die hier aber noch nicht weiter ausformuliert werden sollen.

Nach meiner Heimfahrt in einer überfüllten Elektritschka habe ich zunächst die Mails beantwortet, die ich am heutigen Tag bekommen habe und meine Buchführung gemacht, zumal mir Matthias meine Kontoauszüge und Gehaltsbescheinigungen der letzten Arbeitswochen in Deutschland geschickt hat. Nun kann ich auch sagen, was mir das Leben hier in etwa so kostet: Derzeit habe ich hier einen Umrechnungskurs von 1€ = 35,1029 Rubel. Daraus ergeben sich in etwa folgende Preise in Moskau für mich:

Hier kann man schön erkennen, dass es durchaus Dinge in Moskau gibt, die wesentlich teurer sind als in Deutschland. Ein Beispiel ist Wasser: In deutschen Supermärkten kostet es mittlerweile nur noch 0,13 €, während es in Moskau dreimal so teuer ist. Das Gegenteil ist beim Brot der Fall - es ist hier sehr günstig zu bekommen, ebenso sind Fahrkarten für Metro und Elektritschka vom Preis her nahezu unschlagbar. An meinem ersten Tag in Moskau habe ich auf der Straße eine Kopeke gefunden und habe sie mitgenommen. In den letzten Wochen ist mir erst bewusst geworden, wie viele dieser kleinen Kopeken ich finden müsste, um einen Euro-Cent zusammen zu bekommen: es sind 36 Stück! So ist es kein Wunder, dass das Kleingeld zuhauf hier auf der Straße zu finden ist und keiner das Kleingeld haben will. Selbst an der Kasse im Geschäft kann es vorkommen, dass die Kassiererin das Kleingeld ablehnt und einen Rubel verlangt, dann aber Kleingeld als Wechsel herausgibt oder sogar den Betrag zu meinen Gunsten rundet. Auch am Fahrkartenschalter kann es durchaus sein, dass wenn ich dort 10,50 Rubel hinlege, das Kleingeld auf der Fensterbank liegenbleibt und ich anschließend noch mehr Kleingeld in den Händen halte. Mit dem größeren Geld verhält es sich fast wie beim Monopoly-Spiel: Ist das Portemonnaie gefüllt mit vielen Scheinen und man fühlt sich so, als hätte man viel Geld und es würde noch lange reichen, so ist es beim nächsten Einkauf nahezu weg. Für mich ist das sehr ungewöhnlich und auch nach der dritten Woche fehlt mir noch das Gefühl, wie viel Geld ich ausgegeben habe.

Heute Abend war ich mit dem Abwasch der Küche dran - eigentlich alleine, weil ich ja ein Einzelzimmer habe. Auch wenn ich die Hilfe von Stephan, Oleg und Pjotr abgelehnt habe, so haben alle schnell mit Hand angelegt und wir waren fix gemeinsam fertig.

 

Nun bin ich also drei Wochen hier in Moskau und ich möchte dies noch einmal als Gelegenheit nutzen und versuchen, einen Punkt zu suchen, an dem ich mich jetzt nach 21 Tagen Russland verorten kann. Zunächst möchte ich den Blick auf die Sprache lenken. Es steht immer noch viel Arbeit und Mühe ins Haus, ich muss noch viele Wörter lernen. Hier gibt es keine großen Veränderungen. Dennoch glaube ich, dass es Fortschritte gibt: Gerade in dem Gespräch heute mit der Dozentin hatte ich selbst den Eindruck, dass ich lange nicht mehr soviel nachfragen musste, wie noch vor einer Woche in den Gesprächen mit den anderen Studenten oder auch Juri Valerjewitsch. Auch in den anderen Gesprächen muss ich nicht mehr so häufig nachfragen. Insbesondere in praktischen Dingen wie beim Einkaufen, in der U-Bahn, beim Essen usw. merke ich mir immer leichter einzelne Wörter der Alltagssprache. Dennoch heißt es jeden Tag für mich Vokabeln zu lernen und zu wiederholen, aber auch ein Kapitel in der Bibel lesen und übersetzen. Das Lernen der Sprache ist zwar mühselig, aber durchaus mit Vorteilen verbunden. Auch wenn ich manchmal (und insbesondere in den Vorlesungen) verzweifelt bin, weil ich wenig verstehe, so denke ich doch nach wie vor, dass es wird.

Gerade in dieser Woche beginnen sich langsam Strukturen und Gewohnheiten zu bilden: Ich muss dann und dann zur Uni, nehme die und die Elektritschka, gehe zu einem Zeitpunkt ins Internet, ins Bett, ins Geschäft, in die Kirche, usw. So langsam werden Tage gewöhnlicher und es bildet sich ein planbarer Tagesablauf, der für mich wichtig ist. Auch die Müdigkeit ist lange nicht mehr so schlimm wie in der ersten und zweiten Woche. Körper und Geist gewöhnen sich scheinbar. 

Mittlerweile benötige ich auch nicht mehr viele Hilfe der anderen Studenten, sondern komme mit den meisten Sachen sehr gut selbst klar und schaffe es, mich durchzuwurschteln. Und wenn es doch noch einmal hapert, dann weiß ich, dass ich mich nach wie vor auf die Hilfe der Mitbewohner verlassen kann. Das gibt etwas das Gefühl von Geborgenheit und Integration. Die meisten geben sich nach wie vor Mühe, mich zu verstehen und sprechen langsam und deutlich, damit ich verstehe. Im Moment hocke ich sehr viel mit Dmitri und Oleg zusammen, aber auch zu vielen anderen der Etage und des Wohnheims habe ich einen guten Draht. Dmitri und Oleg sprechen beide recht gut deutsch - Oleg ist der wesentlich bessere von beiden. Oft kommt es vor, dass wenn wir zusammen sprechen, dass ich unbewusst zwischen deutscher und russischer Sprache wechsle - vielleicht sogar langsam anfange, russisch zu denken. Das ist an für sich auch ein gutes Zeichen. Nun zurück zu den beiden: Wir drei - oft ist Stephan noch mit dabei - haben gemeinsam viel Spaß, sitzen zusammen auf unseren Zimmern, essen und kochen gemeinsam und füreinander. Und vor und nach jeder Mahlzeit beten wir gemeinsam mit Blick in die Ikonenecke, auch ich spreche hin und wieder ein Gebet. Das gemeinsame Gebet ist für mich selbst ein ganz wichtiges Zeichen: Gehören wir auch verschiedenen Kirchen an, so sind wir dennoch in Christus miteinander verbunden. Stephan ist auch noch einmal jemand Besonderes: Wir waren ja gemeinsam im Museum und in der Christus-Erlöser-Kirche. Gerne sitzen wir zusammen und singen gemeinsam auf dem Zimmer irgendwelche Lieder - besondere Laurentia hat es ihm angetan. Die Kniebeugen lässt er allerdings mit Vorliebe aus. Besonders schön für mich war der Moment als er mit seiner Mutter telefonierte und sie ihn wohl fragte, was er gerade mache. "Ich singe deutsche Lieder mit einem deutschen Freund", war in etwa seine Antwort.  

Letztlich gesagt bin ich dankbar für jede neue Erfahrung; jeden neuen Menschen, den ich kennen lerne und dankbar für jeden neuen Tag, den ich hier im Kreise der Mitbewohner und Kommilitonen erleben darf. Ebenso freue ich mich auf jeden neuen Tag, Menschen und jede neue Erfahrung.

 

So passt auch die letzte Strophe des Lieds/Gedichts "Von guten Mächten" auf die beschriebene Situation gut, in der mich gerade befinde. Diejenigen, die bislang meine Tage in so toller Weise mitprägen, finden ebenso wie meine Freude auf jeden neuen Tag Anklang, wenn die bekannte Melodie auch etwas traurig klingt:

 

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

(Dietrich Bonhoeffer)

 

 

Mittwoch, 17. September 2008

Nachdem heute die erste Vorlesung gleich ausgefallen ist, hatte ich noch genug Zeit um Essen zu gehen. Danach stand ein Seminar zum Zweiten Testament auf dem Programm. Und dann begann meine erste Chorstunde! Ich konnte leider nur noch nicht viel mitmachen - aber anhören konnte ich mir das wenigstens. Mir hat es gut gefallen, so dass ich anschließend den Chorleiter angesprochen habe, der mich nach einer kleinen Sangesprobe in den Chor aufgenommen hat. Nach dem "Test" bin ich also der zweite Tenor. Nun bin ich mal gespannt, wie ich mich künftig in dem Chor einfinden kann. Auf dem Rückweg von der Uni habe ich noch einen kleinen Abstecher in das andere Geschäft gemacht, dass dem Wohnheim näher liegt und dort gleich Evgenij (zu deutsch Eugen), Oleg und noch einen weiteren Studenten getroffen. Ich habe mir eine Pizza gekauft, die anderen dann noch eine große Melone. Als wir im Wohnheim angekommen waren, kam wieder alles anders: Die Pizza wurde durch vier geteilt, Oleg hat Nudeln gemacht, ich spontan aus zusammen gesammelten Zutaten eine Gemüsesauce, irgendwoher kam noch Fisch und Brot und schon war die Mahlzeit perfekt! Dmitri war zwischenzeitlich auch dazugestoßen, der andere Student ist dafür auf sein Zimmer gegangen. Anschließend haben wir uns auf mein Zimmer verkrümelt und zu viert die Melone verdrückt, die - wie wir ausgerechnet haben - mehr als acht Kilogramm wog. Und so sind wir als die Melone auf war gemeinsam aus meinem Zimmer hinausgekugelt. So hat dieser lustige Abend mit einem strammen Bauch geendet.

 

 

Donnerstag, 18. September 2008

Ich habe ja nicht damit gerechnet, dass meine Monatskarte tatsächlich pünktlich fertig ist! Ich habe heute morgen extra eine andere Elektritschka genommen, bin weiter in den Süden der Stadt gefahren und von dort aus mit jeder Menge verschiedener U-Bahnen zur Station "Nagornaja" zu kommen, wo meine Karte lagerte! Das ging dann auch alles ohne große Probleme dort und so habe ich meine Monatskarte nun endlich! Sie kostet im Monat nur 180 Rubel, eine 10er-Karte würde 155 Rubel kosten. Die brauche ich ja jetzt nicht mehr, denn jetzt fahre ich ja günstiger zum Studententarif! Vor dem Essen und der Vorlesung habe ich dann recht lange mit Matthias übers Internet gequatscht und so das Neueste aus der Heimat erfahren. Leider war die Verbindung hin und wieder mal unterbrochen, wenn ich mich aber ab- und dann wieder angemeldet habe, lief es wieder. Beim anschließenden Mittagessen habe ich mit einer Dozentin gequatscht - den Namen weiß ich natürlich wieder nicht - und so einiges Interessantes von ihr erfahren. Nach dem Essen musste ich noch einmal ins Internet und noch einmal mit meinem Bruder telefonieren, weil wieder einer eines meiner Bücher gekauft hat. So ist das halt - die Geschäfte müssen laufen!

Auf dem Heimweg ist mir dann wieder was Sonderbares passiert! Als ich am Fahrkartenschalter am Kursker Bahnhof meine Fahrkarte für 9,50p. gekauft habe, habe ich mit einem 10-Rubel-Schein bezahlt. Und dann legt mir die Dame am Schalter nur meinen Fahrschein dahin - wortlos. Ich habe sie dann freundlich um die 50 Kopeken gebeten und sie sagte daraufhin, dass sie kein Wechselgeld hätte. Nun wusste ich von gestern und vorgestern, dass das auch schon so war - auch an den anderen Schaltern. Und vor mir die Frau hatte mit reichlich viel Kleingeld bezahlt. Da mir das Problem von den Tagen zuvor schon bekannt war, hatte ich aber abgepasst 50 Kopeken in der Hand, die ich der Schalterdame dann gegeben habe. Daraufhin hat sie dann mein Wechselgeld herausgerückt. 50 Kopeken sind sicherlich nicht viel, aber mir dann kommentarlos das Geld vorenthalten, fand ich schon ein beachtliches Stück. Und vor allem vor dem Hintergrund, dass das Wechselgeldproblem schon zwei Tage lang besteht. Ich habe da eine Vermutung, die natürlich auch unwahr sein kann: Vielleicht merken die Damen dort, dass das Geld zum Monatsende knapp werden könnte und daher zufällig kein Wechselgeld haben. Oder die Russische Eisenbahngesellschaft zahlt die Gehälter nicht pünktlich - wer weiß das schon? Ich will das die nächsten Tage aber mal weiter beobachten und in jedem Fall Kleingeld bereit halten! Die Moskauer haben da wohl weniger ein Problem mit, aber am Ostfriesen werden die sich noch die Zähne ausbeißen! Normalerweise würde ich wegen dem bisschen ja nicht viel sagen, aber diese Art und Weise...

Gerade eben war Stephan im Zimmer und fragte, ob wir am Samstag nicht nach Sergijew Possad ins alte Kloster fahren wollen. Da konnte ich gar nicht absagen! Wenn also alles gut läuft, steht mir ein hoffentlich schöner Ausflug bevor! 

 

 

Freitag, 19. September 2008

Hurra! Heute habe ich sehr viel in der Vorlesung zum Alten Testament verstanden! Gut - das Thema war mir nicht ganz unbekannt, aber immerhin! Doch die Vorlesung danach hat mir gezeigt, dass ich dennoch viel zu tun habe! Aber mal etwas Erfolg zu haben, tut einfach gut und motiviert zum Weiterlernen. Der Dozent hat mich anschließend noch angesprochen und wollte wissen, ob er nicht meine Lernunterlagen von meinem Studium in Münster haben könnte. Vielleicht - das wäre ja mal ein Ziel für mich - kann ich bei ihm ja eine Exegese-Hausarbeit schreiben. Mal schauen!

Nach den Vorlesungen war es schon fast Mittag, so dass ich in die Stalowaja gegangen bin. Gestern habe ich das erste Mal die Garderobe gefunden, so dass ich auch heute meine Sachen dort abgelegt habe, zumal sie von einer alten Frau bewacht werden. Und genau über die alte Frau lohnt es sich, ein paar Worte zu verlieren: Als ich in den Raum hereinkam und meine Sachen aufgehängt habe, sprach sie mich an - sie heißt Nina Maximova - nur habe ich davon überhaupt nichts verstanden. Auch nach mehrmaligem nachfragen und bitten, sie möge doch langsamer sprechen, hatte ich keinen Erfolg. Sie freute sich aber ungemein, dass ein Deutscher an der Fakultät studiert und störte sich gar nicht daran, dass ich ihr gar nicht antworten konnte. Dabei strahlte sie übers ganze vom Alter zerfurchte Gesicht, zeigte dabei ihre zwei letzten vergoldeten Zähne im Mund und ihre Augen blitzten vor lauter Freude. So eine warmherzige Babuschka muss man doch einfach richtig lieb haben, auch wann man sie gar nicht versteht. Beim Essen habe ich Oleg, Daniel und zwei weitere Studenten getroffen und wir haben zusammen gegessen - wenn wir vor lauter Erzählen und Lachen überhaupt dazu gekommen sind. Ich glaube, die anderen Studenten dort haben nicht nur einmal zu uns geschaut. Nach dem Essen musste ich ja zwangsläufig wieder bei Nina vorbeikommen, die mich gleich mit allen möglichen Wünschen überschüttete. Das stellte sich aber nachher erst heraus, als ich Daniel gefragt habe.

Am Nachmittag war noch Chor, der auch eine ganz schöne Herausforderung ist. Auch wenn der zweite Tenor heute überwiegend den gleichen (aber hohen) Ton singen musste, so ist das doch gar nicht so leicht, wenn hinter mir ein erster Tenor sitzt, der den ganzen Chor so übertönt, dass ich selbst mich und meinen Nachbarn nicht mehr höre. Aber der ganze zweite Tenor ist keine Stimme, die mit Können und Pracht geschmückt ist... Nun denn - die Zeit ist dennoch wie im Fluge verflogen. 

 

 

Samstag, 20. September 2008

Was sich am Freitag schon leise angekündigt hat, wurde an diesem Tage besser! Die Rede ist vom Wetter. Als ich an diesem Morgen die Vorhänge an die Seite gezogen habe, lächelte die Sonne direkt in mein Gesicht! Also nichts wie zur Uni - zur einzigen Vorlesung an diesem Tage. Nachdem die vorbei war - es konnte mir heute nicht schnell genug gehen - habe ich schnell noch wie jeden Tag in der Stalovaja gegessen. Und dann konnte der Hauptteil des Tages beginnen: Ich war zu 13 Uhr mit Stephan in der U-Bahn-Station Komßomolskaja verabredet; wir hatten geplant, nach Sergijew Possad in das weltberühmte Kloster zu fahren. Da ich schon sehr pünktlich dort war, konnte ich mich noch ein wenig in der U-Bahn-Station umsehen und habe sie ein wenig portraitiert. Doch dazu mehr am morgigen Tag. Stephan und ich haben uns dann Fahrkarten gekauft, einen Zug knapp verpasst, dann aber den nächsten 20 Minuten später genommen. So konnte mein erster Ausflug ca. 70km vor die Tore Moskaus beginnen. Die Fahrt dorthin dauerte etwa 90 Minuten. Einerseits war die Fahrt die reinste Verkaufsveranstaltung - einer Kaffeefahrt für ältere Menschen ähnlich. Es vergingen die ganze Fahrt durchweg keine fünf Minuten, in denen nicht irgendeiner seine Waren feilgeboten hat. Auch dieses Mal konnte man Malsets, Eis, Magazine und noch vieles mehr kaufen. Die Krönung war jedoch ein Mann mit seinem Akkordeon und seiner Tochter, die ein Musikstück zum Besten gaben. Einige Leute haben den beiden schon bevor sie durch den Zug gegangen sind, etwas Geld oder sogar zu Essen gegeben, wohl damit sie schneller aufhören, denn Musik und Gesang waren wirklich nicht von Qualität. Die Fahrt verging sehr schnell mit russisch und deutsch sprechen (üben) und aus dem Fenster schauen. Die Landschaft, die vorbeizog, war für mich schon die reinste Erholung, da ich endlich wieder ein paar Wiesen, Wälder und sachte Hügel sehen konnte! Keine Großstadt mit Lärm, Gestank und Krach!

In Sergijew Possad angekommen sind wir aus dem Zug gestiegen und was ich dann gesehen habe, war schon fast Wahnsinn: Da läuft die Menschenmasse zum Ende des Bahnsteigs, dort die Treppe herunter und direkt über das Gegengleis - auch dann noch, als ein langer Fernreisezug mit wenigstens 100km/h um die Kurve fuhr und ganz klar sichtbar war. Die Leute blieben erst stehen, als der Zug laut pfiff und sich etwa 150 Meter vor dem Überweg befand. Wie das z. B. auf der Emslandstrecke funktioniert, wo es ähnlich betriebliche Situationen gibt, ist ja bekannt: Steht ein RegionalExpress in einem kleinen Bahnhof, in dem Leute über das Gleis müssen, dann bleibt der normalerweise durchfahrende Zug stehen.

Dann haben wir uns auf den Weg zum Kloster in Sergijew Possad gemacht, dass nur zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof der Kleinstadt entfernt ist. Da es dort ein wenig hügelig ist, konnte man schon einen schönen Ausblick auf das Kloster genießen, bevor man durch das kleine Tal zum Kloster kam.

 

Das Kloster Sergijew Possad.

 

Das Kloster Sergijew Possad ist ein sehr altes Kloster und wurde 1340 vom Hl. Sergij von Radonesch gegründet und zählt heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. Es ist ein bedeutendes religiöses Zentrum der Russisch-orthodoxen Kirche. Bis zum 18. Jahrhundert wurde es immer wieder ausgebaut und vielfach erweitert, so dass es heute eine große Klosteranlage mit dem Palast des Metropoliten, der Theologischen Akademie im ehemaligen Zarenpalais, der Schatzkammer, der Quelle des Heiligen Wassers und den Mönchsklausen ist. Es gibt zudem acht Wehrtürme und eine Mauer, da sich das Kloster im Laufe der Jahrhunderte verteidigen musste. Da das Kloster sich immer erfolgreich wehren konnte, ist es von Zerstörungen verschont geblieben. Nach der Verstaatlichung durch das kommunistische Regime 1917 war erst 1943 religiöses Leben wieder möglich. Viele Leute pilgern heute zu dem Kloster, um von dem Heiligen Wasser zu trinken oder am Dreifaltigkeitsfest zur Heiligen Ölung.

 

Das Eingangstor des Klosters. Über dem Tor links ist der Hl. Sergij von Radonesch abgebildet.

 

Die älteste Kirche im Kloster ist die Dreifaltigkeitskathedrale, die schon 1420 über dem Grabmal des Heiligen errichtet wurde. Dort ist der Heilige in einem Sarkophag aufgebahrt und wird von sehr vielen Gläubigen verehrt, die dafür lange in einer Warteschlange stehen, die schon vor der Kirche beginnt. Bei dem Sarkophag steht immer jemand, der oder die die Glasscheibe des Sarkophags hin und wieder abputzt, da viele Gläubige diese Scheibe demutsvoll küssen.  

 

Die Dreifaltigkeitskathedrale.

 

Zunächst hat Stephan mir die Klosteranlage gezeigt, die auf mich großen Eindruck gemacht hat! Die vielen Kirchen, die gepflegten Anlagen und das ganze Leben und Treiben dort. Es gibt verschiedene kleine Geschäfte, wo man religiöse Literatur - auch fürs Studium geeignete - kaufen kann; in einem sogar liturgische Gegenstände wie Weihrauchfässer, liturgische Gewänder, Stoffe, Bibeln, Kerzenständer für Ikonen, Kerzen oder sogar einen riesigen Kronleuchter: Eben alles, was das orthodoxe Herz so begehrt.

 

Vor der Kathedrale Mariä Himmelfahrt im Klosterhof befinden sich zwei Brunnen: Einer in der rosa-weißen Kirche und der andere draußen unter dem "Baldachin".

 

Der Glockenturm.

 

Viele Gebäude im Kloster sind prachtvoll verziert.

 

Fünf der Kirchen im Kloster.

 

Mit Stephan am Brunnen.

 

Stillleben im Kloster.

 

Die Kathedrale Mariä Himmelfahrt.

 

Da meine Batterie im Fotoapparat langsam den Geist aufgeben wollte, sind wir kurz in die Stadt gegangen, um neue zu kaufen und um gleichzeitig Eis zu essen, dass es ja Gott sei Dank in Russland günstig gibt. Anschließend sind wir in die Vesper gegangen in einer der großen Kirchen, die aber sehr voll war. Danach waren wir noch beim Ende der Göttlichen Liturgie, bei dem Erzbischof Evgenij Werejskij, der Rektor des dortigen Seminars, Hauptzelebrant war. Leider haben wir davon nicht mehr viel mitbekommen, eigentlich nur noch den Schluss und den Segen.

Anschließend sind wir dann wieder nach Moskau gefahren und der kleine Ausflug war zu Ende. Zum Glück haben wir einen Express-Zug erwischt, so dass wir etwas eher, aber dennoch müde, daheim waren.

Das Kloster ist in jedem Fall einen Ausflug wert, zumal es wirklich sehr schön dort ist. Es ist hervorragend gepflegt und in einem sehr guten Zustand. Viel interessanter für mich als Student ist es aber, dort die Menschen zu beobachten, ihre Frömmigkeit zu sehen, die sich doch so von der katholischen (im Westen) unterscheidet. Sie scheint viel inniger und tiefer zu sein und kennt ganz andere Formen. Sie küssen die Ikonen, verneigen sich vor ihnen und halten betend inne. Sie nehmen wie in Lourdes auch von dem Heiligen Wasser mit nach Hause, erfrischen sich und trinken davon. Im Gegensatz zu Lourdes läuft das Leben hier nur überhaupt nicht so jahrmarktmäßig ab - es gibt zwar kleine fliegende Händler, die alles mögliche verkaufen, auch findet man hier keine blinkenden und blitzenden Christusstatuen. Vielmehr sind es Ikonen (wie es sie hier in jeder Kirche gibt), religiöse Bücher und Schriften, kleine Rosenkränze und Halsketten, aber alles zum ganz großen Teil ohne Kitsch und viel bescheidener. Dass sich das Kloster von dem in Lourdes herrschenden Kommerz freihalten konnte, finde ich durchaus sympathisch und macht diese Pilgerstätte durchaus würdig.

 

 

Sonntag, 21. September 2008

Am heutigen Sonntag bin ich wieder in der katholischen Kirche gewesen. An dieser Stelle sei gesagt, dass ich mir vorgenommen habe, alle 14 Tage am Sonntag in die katholische Kirche zur Heiligen Messe zu gehen, an den anderen Sonntagen in die orthodoxe Kirche zu Göttlichen Liturgie. Und wenn am Sonntag die Göttliche Liturgie dran ist, dann möchte ich gerne in die Vorabendmesse gehen. Mal schauen, ob sich das so "durchhalten" lässt. Heute war eine Reliquie des Heiligen Antonius in Moskau, die heute im Mittelpunkt der Messe gestanden hat. Anschließend wurde noch eine Prozession mit der goldenen (?) Statue um die Kirche gemacht. Anschließend wurde dem "Heiligen" seine Reliquie durch einen Priester entnommen und das Volk damit gesegnet.

 

Keine schöne, aber dafür bearbeitete Aufnahme, die ein wenig das Gemeindeleben zeigt.

 

Nach der Segnung wurde der Heilige Antonius in einen weißen "Ganz-Klein-Transporter" (einem Bullig ähnlich) gepackt, dabei blieb die Klappe des Autos geöffnet, so dass die Gemeinde ihn verehren konnte. Anschließend wurde er anderswohin gefahren. Und das muss ein ziemlich lustiger Anblick für die anderen Autofahrer gewesen sein: Wann schaut schon ein goldener Heiliger hinten aus dem Auto hinaus zu den anderen Autofahrern und hält in der linken Hand seine Reliquie?

In dem Kiosk, den ich anschließend besucht habe, lassen sich so einige interessante Bücher finden, die man sicherlich nicht überall in Moskau bekommt - zum Beispiel eine "Gute-Nachricht-Bibel". Aber es lassen sich auch jede Menge Bücher über Glauben, Bibel und mit Gebeten finden, dazu gibt es ein gewisses Grundsortiment von Kruzifixen, Marienstatuen, Rosenkränzen, Ikonen und anderen Dingen, die der Katholik so benötigt. Für mich war es heute ein Gesangbuch und wird beim nächsten Mal ein Buch mit den Texten der Heiligen Messe und anderen Wortgottesdiensten sein, damit ich wenigstens in der Heiligen Messe antworten kann.

Am Nachmittag habe ich noch etwas meine Wäsche gewaschen, weil das Wetter einfach blendend ist: Die Sonne scheint und es ist zwar wegen dem Wind nicht sonderlich warm, aber dennoch feines Wetter! Und gerade eben habe ich noch einmal an der Wäsche gefühlt - bis auf ein Handtuch ist alles trocken! Was die Rödelriemen an den Haken vor dem Fenster draußen doch so alles bringen! Zum Glück habe sie aus Oldersum mitgenommen.

 

Metro-Station "Komßomolskaja" (Teil I)

Wie ich gestern ja schon angekündigt habe, möchte ich hier mal eine der vielen Metrostationen ohne viele Worte portraitieren, da sie - wie bereits mehrfach gesagt - viele kleine Museen des Sozialismus sind. Diese Station ist Lenin gewidmet und ist daher beinahe ein Verehrungstempel für den Diktator.

 

Wie ein Tempel: Säulen, Kuppel, Stern und viele Verzierungen: Die Station Komßomolskaja in der Nähe des Leningrader, Kasaner und Jaroslawler Bahnhof in Moskau.

 

Lenin-Büste mit Hammer und Sichel.

 

Deckenmosaike in der Station Komßomolskaja.

 

Sozialistische Relikte vergangener Tage: Komßomolskaja.

 

Eine Metro fährt ein.

 

Kronleuchter und jeweils dazwischen die Mosaike.

 

Комсомольская.

 

Kronleuchter, Fresken, Mosaike, Marmor: Sozialismustempel Komßomolskaja.

 

Roter Stern.

 

Polizist und Frau.

 

Fliesengemälde.

 

Vorstellungen des Kommunismus.

 

 

Montag, 22. September 2008

Der Morgen fing schon schlecht an: Als ich meine Wurst aus dem Kühlschrank geholt habe, habe ich gesehen, dass mir jemand über die Hälfte davon geklaut hat! So etwas kann ich überhaupt nicht leiden und macht mich sehr wütend! Sollte ich jemanden erwischen, der von meinen Sachen isst, dann wird es wohl ein böses Gespräch unter vier Augen geben. Als ich abends wieder im Wohnheim war, habe ich das noch einigen Mitbewohnern in der Küche erzählt - allerdings mit ungeahnten Folgen: Es dauerte nicht lange, da kam ein Student in mein Zimmer und wollte mir 100 Rubel in die Hand drücken, damit ich mir eine neue Wurst kaufen solle. Er ist gekommen, damit ich nicht denke, dass die Russen schlecht seien. Auf die Idee bin ich doch gar nicht gekommen, zumal ich ja selbst weiß, dass es überall schwarze Schafe gibt. Und an für sich lohnt es sich auch nicht einen Aufstand wegen einer halben Wurst zu machen (den ich selbst als solchen auch nicht verstanden habe). Mir geht es nur darum, dass nicht gestohlen wird. Jeder kann fragen, ob er was davon haben kann und der kehrt mir in der Regel auch nicht mit leeren Händen den Rücken zu. Vielleicht mache ich demnächst einen Zettel an meine Sachen im Kühlschrank mit meiner Handy- und Zimmernummer...

Dieses Mal habe ich extra für die Ethik-Vorlesung Vokabeln gelernt und mich auf das Thema buddhistische Ethik vorbereitet, doch eigenartigerweise habe ich keines von meinen Wörtern benutzen können. Der Dozent hat - ich habe im Anschluss eine Kommilitonin gefragt - zwar zum Thema Buddhismus gelesen, aber fernab von Ethik. Doch ich will deshalb nicht traurig sein, nun weiß ich das, was im Internet steht. Dazu gibt es aber noch eine interessante Beobachtung zu machen: Da sitzt eine Studentin und fragt dem Professor mit einem recht trotzigen Eindruck Löcher in den Bauch - über eine halbe Stunde lang - und der Dozent überzieht extra für sie. Dann klingelt ihr Telefon und sie geht tatsächlich kurz dran - und ist auch die erste, die den Lesesaal verlässt. Ich habe in Münster ja schon viel erlebt, aber situationsbedingt (weil das nur ein sehr kleiner Kurs ist) war das schon mit das Schärfste, was sich jemand geleistet hat.

Am Nachmittag hatte ich auch noch ein interessantes Gespräch mit der Deutschprofessorin der Fakultät. Zum einen ging es darum, dass ich einen Vortrag für einige ihrer Kurse auf deutsch halte - das Thema wird in etwa lauten: "Ein Tag im Leben des Studenten Andreas Brink", also über das Studentenleben in Münster. Am Dienstag kommender Woche wird es einen Rilke-Abend geben für einen bekannten Professor der Fakultät und der Uni Moskau, der im Juli plötzlich verstorben ist. Wir haben abgemacht, dass ich einige Gedichte von Rilke an diesem Abend lesen werde - in deutsch natürlich. Dazu habe ich am Abend einige herausgesucht. Im Verlaufe des Gesprächs gab es aber auch noch weitere sehr interessante Dinge, über die wir gesprochen haben, die ich aber noch nicht verraten will. Bei Teilen des Gesprächs war auch einige Vertreter der Dekanatsleitung (für die Nicht-Eingeweihten: es geht hier nicht um ein kirchliches Dekanat, sondern um die "Chefetage" einer Universität) dabei, denen ich kurz meinen Dank ausdrücken konnte, dass ich hier studieren darf. In der Zwischenzeit, in der ich warten musste, habe ich mit zwei ihrer Kolleginnen nett unterhalten können, die dort am arbeiten waren - auf Deutsch. Dabei stellte sich heraus, dass die eine auch in Deutschland zusammen mit Oleg vier Monate an der Humboldt-Universität studiert hat und sehr gut Deutsch spricht. Ich habe so das Gefühl, dass in dieser Uni ein unwahrscheinliches Potential sitzt...

Im Fahrkartenschalter saß heute wieder die "50-Rubel-Bekannte", die heute ohne weiteres wechseln konnte. Aber freundlich war sie zu mir überhaupt nicht. Da sie offenbar nicht verstanden hatte, wo ich hin will, hat sie sehr forsch nachgefragt, ein böses Gesicht gemacht und wütend auf den Knöpfen ihrer Fahrkartenmaschine gehämmert. Ich bin mir sicher, dass ich sie noch öfter sehen werde...

Eigentlich wollte ich am heutigen Abend noch so viel erledigt haben, aber da der Tag überraschenderweise mit soviel anderen Dingen ausgefüllt war, ist nicht mehr viel daraus geworden.

In den letzten drei Wochen habe ich immer eine Analyse der vergangenen sieben Tage geschrieben. Die soll von nun an immer an einem jedem 26. des Monats, also meinem Ankunftstag, erfolgen. Daher warte ich damit bis Freitag. Da ich immer wieder mitbekomme, dass wohl doch recht viele in meinem Tagebuch lesen, sei hier einfach mal ein kleiner Gruß in die Heimat an alle Freunde, Bekannten, Verwandten, Mitstudenten und alle anderen, die noch hier lesen geschrieben. Bitte grüßt/grüßen Sie alle von mir, die mich nicht per Internet erreichen können ganz herzlich von mir!

Ihr und Euer Andreas

 

Nun zum Schluss des Tages noch eines meiner kleinen Missgeschicke, die so am Tage passieren: Ich hatte Wäsche gewaschen und sie an meine Rödelriemen ins Fenster zum Trocknen gehängt und mit Heftklammern befestigt. Das Duschhandtuch hat sich dann leider losgerissen und ist auf das Dach von der Türe des Notausgang gefallen. Der Bewohner des Zimmers unter mir war nicht da - von dort wäre ich ohne weiteres an das Handtuch gekommen. Was blieb mir also anderes übrig, als am Blitzableiter und Starkstromkabel hoch auf das Fensterbrett krabbeln und dann das Handtuch vom Dach holen...

 

 

Dienstag, 23. September 2008

Der heutige Tag war eigentlich kein besonderer, bis auf die Begebenheit, dass ich einen Studenten in der Stalowaja kennen gelernt habe, der ein sehr interessantes Thema in seiner Masterarbeit haben wird: den BDKJ! Er hat mich darauf angesprochen, ob ich da Ahnung von hätte und ob ich ihm eventuell dabei helfen könnte. Natürlich könnte ich, aber bestimmt nicht so gut wie diejenigen, die voll in der Materie drin sind. Der Hintergrund für dieses Thema ist ein ganz einfacher: Die orthodoxe Kirche ist auf der Suche nach Möglichkeiten, wie sie Jugendarbeit organisieren kann. Und dementsprechend scheint sie momentan Spezialisten auf dem Gebiet auszubilden. Nun möge man bitte nicht denken, dass die Kirche in dieser Beziehung "rückständig" sei - hier sei darauf hingewiesen, dass die Kirche(n) in der über 70-jährigen Phase des Kommunismus teilweise stark unterdrückt bzw. fast eliminiert worden ist (sind). Im Gegensatz zur katholischen Kirche, die sehr gute Strukturen hat (weil aus anderen Ländern abgeschaut und auf Russland übertragen), muss die orthodoxe Kirche hier erst solche entwickeln. Bezüglich dieser Thematik kommt mir ganz still und leise ein Text von dem orthodoxen Bischof Hilarion Alfejev (Wien) in den Kopf, in dem er von einer strategischen Partnerschaft spricht (zu finden unter www.kirchen-in-osteuropa.de).

Und auch dieser Abend endete wieder in Gesellschaft mit einem Studenten - wenn ich doch bloß die Namen alle wüsste - und wir haben noch lange, lange Bilder geschaut...

 

 

Mittwoch, 24. September 2008

Glanzparade!! Heute habe ich das erste Mal richtig viel in der Vorlesung zum orthodoxen Kirchenrecht verstanden und sogar mehr als eine Seite mitschreiben können. Damit habe ich mehrere Russen geschlagen! Da bin ich richtig stolz drauf und habe es vielen hier gleich voll Freude erzählen müssen! Ich hatte zwar einen Nachbarn an der Seite, der mir selten mal zur Hand gegangen ist, aber heute habe ich außer dem Oberthema auch viel vom Inhalt verstanden!

 

Seite 1 des ersten vernünftigen Protokolls.

 

In der Stalowaja hat es mich dafür nach der Vorlesung fast umgehauen: Erst war sie noch verschlossen und dann braucht die gute Frau an der Kasse zum Abfertigen von 40 Studenten mehr als 20 Minuten - dabei braucht sie doch nur kurz die Summe eintippen und auf "Print" drücken. Und meine Pause ging doch nur eine halbe Stunde. Ich bewundere da die Russen: Während ich grantelnd in der Reihe stehe und zutiefst hoffe, dass ich noch zum Essen komme, stehen die da mit einer Engelsgeduld. Wie machen die das bloß?

Nach der letzten Vorlesung war dann noch Chor - auch hier komme ich langsam besser klar - und dann habe ich, bevor ich den Heimweg angetreten habe, noch ein kleines Rilke-Büchlein bei einer Mitarbeiterin der Deutsch-Professorin abgegeben, aus dem ich mir Gedichte für den angekündigten Rilke-Abend ausgesucht habe. Auf dem Heimweg begegnen mir ja oft arbeitende Menschen - aber heute habe ich (bestimmt nur aus westlicher Sicht) die vorläufige Spitze gesehen: Da malten drei Arbeiter die Rinnsteine vom Bürgersteig schwarz-weiß mit einer bestialisch stinkenden Farbe an.

An der Elektritschka-Station Pererwa, an der ich immer aussteige, wenn ich aus der Stadt komme, habe ich noch einen weiteren (ich denke obdachlosen) Menschen gesehen, den zu fotografieren aber unsittlich und sehr unhöflich gewesen wäre: Er war wohl etwa 55 Jahre alt, und war auf dem Bahnsteig selig am schlafen, den Kopf auf der ersten Treppenstufe der Brücke abgelegt. Die Hose war so weit herabgelassen, dass man etwas zu viel sehen konnte, als gut ist. Ging man an ihm vorbei, so hatte er im Schlaf ein recht glückliches Gesicht, was jenseits seines Schlafes aber bestimmt ungemein schwerer ist und keiner mit ihm tauschen möchte. Ein nahezu kindlichen Eindruck machte er aber - und eigentlich darum geht er mir den Abend nicht aus dem Kopf heraus - dass er den Daumen seiner linken Hand zwischen Bart und Lippen in den Mund gesteckt hatte. So armselig, traurig und bemitleidenswert der Mann da auch auf dem Bahnsteig lag, einen ebenso friedlichen und seligen Eindruck machte er. Von was mag er wohl geträumt haben?

Am Abend klopfte es und Evgenij, Dmitri und Oleg kamen in mein Zimmer - sie wollten das kleine Rilke-Büchlein haben, dass ich doch heute schon abgegeben habe. So wie es wohl aussieht, werde ich wohl die Gedichte in deutscher Sprache lesen und die drei dann die Übersetzung (die in dem Buch steht) dazu liefern.

 

 

Donnerstag, 25. September 2008

Nun hatte ich extra aus dem Internet drei Gedichte herausgesucht für den Rilke-Abend, aber leider keine Übersetzung dazu. Gestern hatte ich sie ja auf den Tisch gelegt, damit die Deutsch-Professorin sie sich anschauen kann. Was ist jetzt dabei herumgekommen? Sie fand die Gedichte ganz gut und hat drei davon ausgesucht. Dann ist sie mir mir nach draußen gegangen, wo Oleg, Evgenij und zwei Andrejs standen. Denen hat sie dann die Gedichte zum Übersetzen aufgedrückt - und da ließ sie sich auch gar nicht mehr von abbringen. Nun habe ich wenigstens ein Gedicht auf russisch im Internet gefunden und die anderen beiden sind auch nicht ganz so schwer zu übersetzen. Aber dennoch... Und bevor wir zu den Vieren gegangen sind, meinte sie noch, dass die Studenten dass gerne tun würden. Als sie dann die Frage gestellt hat, wer welches Gedicht übersetzen möchte, habe ich die Reaktionen nicht als Begeisterung deuten können. Ich weiß doch, wie ich selbst bin!

Auf dem Weg zur Stalowaja musste ich an einem der Gärtner vorbeigehen. Der sprach mich dann als ich schon fast vorbei war auf deutsch an. Wir haben uns kurz unterhalten und es stellte sich heraus, dass er eine Zeit lang in Berlin, Neumarkt und Regensburg gewohnt hat, jetzt aber wieder in Moskau wohnt. Und so fand er es ganz toll, dass nun ein Deutscher an der Fakultät studiert, mit dem er hin und wieder ein deutsches Wörtchen sprechen kann. Bei der Verabschiedung hat er sich dann als Alexander vorgestellt.

In der Garderobe habe ich meine Sachen abgegeben, aber leider saß dieses Mal nicht Nina Maximowa dort, sondern eine andere ältere Dame, die aber gar nicht so freundlich ist. Sie hat sich darüber beschwert, dass ich pfeifend in die Garderobe gegangen bin und mit meinen Kommilitonen gesprochen habe. Leider habe ich davon ebenfalls nicht viel verstanden und war auch ziemlich verdattert, als mich die beiden Andrejs dann darüber aufgeklärt haben: Sie soll angeblich irgendwelche Vorurteile von Studenten haben, denen sie nun den Kampf angesagt hat und über sie schimpft und flucht. Sie scheint nicht sonderlich viele Freu(n)de dort zu haben. Nach dem Essen, musste ich ja wieder zwangsläufig an ihr vorbei und dieses Mal fragte sie mich, woher ich denn kommen würde. Als ich ihr erzählte, dass ich aus Deutschland käme, da kramte sie - wie so viele hier - ihre letzten Bruchstücke deutsche Sprache hervor. So haben wir uns noch ein paar Minuten ganz nett unterhalten, während die Kommilitonen in sicherer Entfernung gewartet haben. Das ist irgendwie typisch (Gastfreundschaft) hier in Russland: Sobald sie merken, dass man nicht aus Russland ist, dann können selbst die ganz übel gelaunten Menschen aus sich herauskommen und freundlich werden (oder tun)?

Nun war noch Zeit, kurz ins Internet zu gehen und anschließend habe ich noch ein Buch auf der Straße gekauft - ich habe es versucht herunterzuhandeln, was mir auch ganz gut gelungen ist. In der anschließenden Stunde - Vergleichende Theologie - bei Vater Valentin ging es heute teilweise über Atheismus im Westen. Gerade in dem Moment, wo ich viel verstanden habe, sagte er in etwa: "Vielleicht kann unserer Bruder aus Deutschland ja etwas dazu sagen?" Nun habe ich blitzschnell versucht, einen passenden Satz zusammenzuschustern, was mir im ersten Teil auch ganz gut gelungen ist, dann wurde es aber kompliziert. Aber eigentlich war für mich nicht die Frage das Ereignis, sondern, dass ich als Bruder bezeichnet wurde. Für mich ist das ein Zeichen der Anerkenntnis und Annahme an dieser Fakultät, was für mich eine ganz, ganz große Freude ist. Und gerade so fühle ich mich auch geborgen an dieser Fakultät.

Auf dem Heimweg - der im Verlaufe der Straße Nowokusnjetskaja Ulitza überall schwarz-weiße Fußstapfen wegen der Malarbeiten von gestern trägt - bin ich zuerst alleine gelaufen. Dann kamen zwei weitere dazu, die ich eingeholt habe, in der Elektritschka haben wir dann letztendlich mit bestimmt 14-15 Leuten in einem Waggon gesessen und uns prächtig unterhalten.

 

 

Freitag, 26. September 2008

Der heutige Tag hat eigentlich ganz harmlos begonnen und total spannend geendet. Wie üblich war ich in den Vorlesungen und habe dann nach dem Einkaufen in der Nähe zu Mittag gegessen. Beim Mittagessen fragte mich dann ein Kommilitone, ob ich heute Abend nicht mit in die Kirche in ein Kloster kommen wolle. Da habe ich einfach mal nichts besonderes ahnend zugesagt. Nach der Chorstunde sind wir dann erst in ein günstiges Restaurant zum Essen gegangen und dann in die orthodoxe "Vesper". Die "Vesper" ging direkt in eine andere Andacht bzw. Gottesdienst über, von der/dem ich bislang noch nicht so genau weiß, was es gewesen ist. Da muss ich noch dem ein oder anderen Löcher in den Bauch fragen und mich genau informieren. Zumindest war das was ganz Neues für mich, das ich bislang noch nicht gesehen hatte. Im Ganzen waren wir so etwa drei Stunden in der Kirche. Sobald ich weiß, was für ein Fest ist, werde ich das nachreichen!

Gestern Abend gab es noch eine unliebsame Begegnung mit einem Mitbewohner dieser Etage, der an meiner Zimmertür vorbeimarschierte und den Hitlergruß zeigte, während ich mich mit einem anderen am unterhalten war. Jetzt gerade nach dem Abendessen habe ich ihm sachlich, aber sehr bestimmt und deutlich erklärt, dass er sich damit bei mir und bei anderen Deutschen nicht beliebt macht und das es Deutschen durchaus nicht angenehm ist, in dieser offenen Art und Weise auf dieses dunkle Kapitel der Vergangenheit angesprochen zu werden. Ich glaube, dass er das verstanden hat, zumal er einen sehr betroffenen Eindruck gemacht hat.

 

In diesen Stunden bin ich jetzt schon einen Monat in Moskau. Nun will ich versuchen, zu resümieren. Was hat sich verändert? Was gefällt mir? Wie geht es mir? Was habe ich gelernt? Was vermisse ich? Wo stehe ich?

Ich möchte mit einer Frage beginnen: Wenn mich jemand fragen würde, was das Stichwort des ersten Monats für mich sei, dann ist es "Gastfreundschaft". In diesen ersten 31 Tagen habe ich in dem Umfeld der Universität und des Wohnheims ganz viele neue Menschen kennen gelernt - von vielen weiß ich leider immer noch nicht den Namen. Alle sind durchweg bemüht - und jeder anders - mir meinen Aufenthalt und meine Zeit hier so angenehm wie möglich zu gestalten. Wenn ich Fragen habe, dann ist es ganz selbstverständlich, dass mein Anliegen nicht abgelehnt wird. Jeder zeigt auch eine Engelsgeduld, wenn ich meine Sätze zusammenstelle, zwischendurch frage, ob ich richtig spreche oder sonst etwas auf dem Herzen habe. Wenn ich mich an die ersten Tage in Moskau zurückerinnere, dann hat sich die Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und das Zuvorkommende ganz fest in die Erinnerung eingebrannt. Auch jetzt nach 31 Tagen bieten sich immer noch wieder neue Menschen an, mir zu helfen, wenn ich Probleme oder Fragen habe. Durch diese Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft fühle ich mich auch gut aufgehoben hier und in das Leben hier integriert - manchmal wünsche ich mir allerdings ein paar Minuten mehr Zeit für mich. Andererseits will ich denjenigen, die mir gezeigt haben was Gastfreundschaft bedeuten kann, auch keinen Wunsch ausschlagen und ihnen versuchen, dass zurückzugeben, was sie mir Gutes getan haben. Und aus diesen vielen Studenten haben sich so ein paar herausgefiltert, mit denen ich recht viel zu tun habe: Das sind Oleg, Dmitri - auch Dima genannt, Stephan, Pjotr (Olegs Zimmer-Mitbewohner), Daniel und Evgenij. Aber auch mit den vielen anderen sitze ich oft zusammen und quatsche. An das Leben im Wohnheim habe ich mich auch sehr schnell gewöhnt - es ist in ja ein wenig anders als in der "Arche Döpker", wie Philipp und ich unsere Bleibe in Münster manchmal liebevoll genannt haben. Hier ist halt immer jemand da und in der Küche sitzt man meist nicht lange alleine - ebenso in den Waschräumen. Und meist - bis auf morgens - ergibt sich ein kleines Gespräch.

In der Fakultät scheine ich auch von den Dozenten gut aufgenommen worden zu sein. Für viele ist es eine Freude, dass jemand "aus dem Westen" Interesse an der Universität, orthodoxen Kirche, Russland und den Lehrveranstaltungen zeigt. Und so versuche ich den Veranstaltungen zu folgen und zu verstehen. In den Fächern "Kanonisches Recht" und "Einführung in das Alte Testament" gelingt mir das recht gut - in den anderen Veranstaltungen ist dies recht wechselhaft. Da liegt es dann oft daran, wie schnell und laut der Dozent spricht, ob er deutlich spricht und letztendlich ist auch das Verhalten der Mitstudenten ausschlaggebend. Im Gegensatz zu den ersten Veranstaltungen am Anfang der Studienzeit denke ich, dass ich langsam anfange zu verstehen - wenn das auch sehr viel Konzentration erfordert. Auf dem Tisch liegt immer ein Wörterbuch, in dem ich im Verlauf der Vorlesung oder Diskussion immer wieder Wörter nachschlage, die ich aufgreife. Auch wenn dies hier alles sehr zuversichtlich klingt, so weiß ich, dass ich noch einen ganz schön langen und steinigen Weg vor mir habe, bis ich behaupten kann, dass ich die russische Sprache halbwegs beherrsche. Auch hier gilt für mich: Lernen, lernen und noch einmal lernen und dann die Wörter in den normalen Sprachgebrauch einfügen. Nun soll man vielleicht meinen, dass ich wegen der Sprachschwierigkeiten noch nicht viel gelernt hätte. Ich glaube, dass dem nicht so ist - wenn ich auch noch viel auf einer anderen Basis lerne: Die des Beobachtens. Wenn ich etwas auffällt, wo eine Regelmäßigkeit hinter steckt, dann frage ich immer nach, was es damit auf sich hat. Ein anderes Beispiel dafür ist für mich die Göttliche Liturgie: War mir zunächst der Ablauf recht fremd, so kann ich mir immer mehr erschließen, was da vorne gerade passiert oder gesungen wird. Ich kann dem Ablauf mittlerweile recht gut folgen und habe Ahnung, was im nächsten Moment passiert. Ebenso habe ich mir die Ikonostase in den Kirchen erklären lassen und kenne jetzt rudimentär (aus meiner Sicht) die Anordnung der Ikonen. Und so gibt es noch jede Menge anderer kleiner Beispiele, die wie kleine Puzzleteile sind, die sich hoffentlich am Schluss zu einem großen Bild zusammenfügen.

In und mit der Stadt Moskau komme ich mittlerweile auch gut zurecht - zumeist ist der Stadtplan ungenutzt im Rucksack. Dennoch muss ich sagen, dass die Stadt für mich immer viel Stress bedeutet. Es gibt so viele Leute, die hektisch und schnell durch die Straßen und U-Bahnen eilen und dann wieder viele, die sich dem Tempo nicht anpassen (können). An fast jedem Fleck der Stadt muss ich auf meinen Rucksack und die anderen Taschen aufpassen, dass keiner etwas stiehlt. Hier ist einfach alles sehr unruhig und manchmal unübersichtlich und beengt. Für mich ist es dann immer wieder eine große Herausforderung, ruhig und gelassen zu bleiben und die Dinge so zu nehmen, wie sie eben sind. Ich glaube, dass dies ähnlich wie die Sprache noch ein Lernprozess für mich sein wird, mich in Gelassenheit zu üben und auch innerlich ruhig zu bleiben. So eigenartig es auch klingt, aber auf dem Gelände der Fakultät fühle ich mich bei weitem am wohlsten. Es ist das Eintauchen aus der großen hektischen Welt in eine kleine beschauliche, freundliche und liebevolle Welt. Dazu will ich irgendwann auch noch einmal etwas mehr schreiben.

Ich weiß nicht, ob ich mich in diesem ersten von neun Monaten groß verändert habe. Ich habe nur selbst den Eindruck, dass diese Zeit auch eine Festigung im Glauben werden könnte. Hier sind so viele Dinge selbstverständlich, die in Münster oder bei Freunden und Organisationen nicht mehr so üblich sind. Mein Eindruck ist immer, dass das Dach der Uni und des Wohnheims immer noch das "C" - also das Christliche ist. Für orthodoxe Gläubige ist es selbstverständlich, sich bei dem Betreten des Kirchengeländes und der Kirche zu bekreuzigen und zu verneigen. Wenn ich einen Blick in die Stalowaja werfe, dann ist es dort normal, dass man sich vor dem Essen der dort hängenden Marienikone zuwendet, leise ein Gebet murmelt und sich bekreuzigt und verneigt - und herrscht auch noch so viel Zeitnot. Und nach dem Essen hält man hier noch einmal inne. Vor und nach den Vorlesungen ist es auch üblich, dass ein Gebet gesprochen oder gesungen wird. Dies finde ich nicht nur wegen dem Bezug zum Glauben gut: Es ist zunächst Verbundenheit der gesamten Gruppe - also auch mit dem Lehrkörper - in Gebet und Glauben, aber auch ein gemeinsamer Punkt, an dem eine Vorlesung oder Seminarsitzung beginnt und endet. Und da ich hier ja an einer theologischen Fakultät studiere, wo sich nicht wie an einer allgemeinbildenden Schule vielleicht jemand stören daran könnte, ist das durchaus angemessen. So hat hier jeder noch so kleine Lehrraum in der Fakultät seinen kleinen Herrgottswinkel - und seien es nur kleine Papierbildchen, die mit Tesafilm an die Wand geklebt worden sind.

Ähnlich ist es im Wohnheim: Auch hier ist es üblich, dass man einen Segen über die Mahlzeit spricht, die man alleine oder zusammen isst. Bin ich mit Dima, Oleg, Eugen und Stephan zusammen und wir essen gemeinsam, dann ist es völlig normal, dass einer den Segen spricht. Auch hier hat jedes Zimmer hier seine eigene Ikonostase. Vor ein paar Tagen ist übrigens ein Student in mein Zimmer gekommen und hat die Ikonen auf dem Regal gesehen. Er hat sich erst vor den Ikonen bekreuzigt und verneigt und erst dann hat er mir die Hand gegeben. Und von diesem ganz natürlichen religiösen Verhalten kann ich bestimmt nach den zehn Monaten viel mit nach Hause nehmen - sicherlich aber auch einiges vermissen. Ein weiterer Punkt ist noch die Göttliche Liturgie, die ich einfach toll finde. Dazu möchte ich aber in Zukunft etwas mehr schreiben und nicht das Resümee dazu nützen.

Wenn ich mich jetzt verorten sollte, wo ich mich selbst befinde: Nach wie vor am Anfang, was Sprache und Verstehen angeht. Mittendrin, was die Gemeinschaft und das Leben in der Fakultät angeht. Wenn ich einkaufen gehe oder andere Dinge in Angriff nehme, die noch nicht zur Gewohnheit geworden sind, so kann es manchmal interessant-schwierig werden, ich kann mich aber gut durchwurschteln, so dass nachher bislang alles gut geklappt hat. Wenn etwas Neues auf dem Plan steht, so gehe ich da ohne Angst an die Sache. Dazu passt auch recht gut der Satz, der mich eigentlich schon mein ganzes Leben tröstet: "Alles wird gut!"

Während dem Schreiben des Resümees überlege ich zwischendurch immer schon einmal, was ich hier eigentlich vermisse oder was mir hier fehlt, was ich gerne hätte. Es sind kleine Dinge, die das Leben nicht groß einschränken, die mir fehlen - sie sind eher materieller Natur und man kann sie leicht durch andere ersetzen - wie ich gestern morgen beispielsweise Wäscheklammern durch Büroklammern ersetzt habe und die Wäscheleine im Fenster aus Rödelriemen besteht. Eigentlich fehlt es mir an nichts. (Was natürlich nicht heißt, dass ich alle Menschen, die mir in Deutschland und anderswo wichtig sind, aus den Gedanken verloren habe. Nein - ich denke sehr oft an Euch/Sie. Ich freue mich übrigens über jede Mail - auch wenn ich mal etwas später antworte.) Ich glaube, ich kann gut von mir behaupten, dass es mir gut geht und dass ich glücklich bin. Ich bin unendlich dankbar, dass bisher alles so gut läuft, dass es hier so nette Menschen gibt, die mir das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Halt geben, die mich in mir so ungekanntem Maße in der Universität aufgenommen haben. Eigentlich bin ich sogar ein wenig traurig, wo ich diese Zeilen jetzt schreibe, dass der erste Monat jetzt schon vergangen ist - ich möchte schon fast sagen, es sind nur noch neun.

 

 

Samstag, 27. September 2008 - Fest der Kreuzerhöhung

Nun will ich zunächst den Nachtrag liefern, von dem ich am gestrigen Tage noch nicht viel wusste: Das Fest, dass am heutigen Tag in der orthodoxen Kirche begangen wird, ist das Fest der Kreuzerhöhung. Es ist eines der zwölf großen Feste in der orthodoxen Kirche - dementsprechend fiel heute auch der Unterricht an der Universität aus. Am gestrigen Abend war zunächst die Vesper, dann ging diese in eine Kreuzverehrung und Kreuzerhöhung über. Diese wurde in Form einer Prozession veranstaltet: Die linke Diakontüre der Ikonostase öffnete sich und in (ungefähr dieser Reihenfolge) traten Geistliche und Altardiener (russische Übersetzung für "Altarnik" - also Messdiener) heraus: Zunächst die Altardiener mit den Kerzen und dann die Diakone. Zwei der Diakone liefen rückwärts und beweihräucherten immerzu den das Kreuz tragenden Priester, dessen Gesicht und Kopf unter einem Tuch verborgen war und das Kreuz auf seinem Kopf abgelegt hatte mit beiden Händen festhaltend. Dabei ging er in gebeugter Haltung. Es folgten dann die restlichen Priester. Währenddessen sang der Chor - wenn ich mich richtig erinnere - die ganze Zeit "Gott, Du bist gnädig, lehre uns Dein Recht./ Wir verehren Deine Kreuzigung, unser Gott, und rühmen Deine Auferstehung. (Troparion)" Vor dem Ein- und Ausgang und somit vor den Königstüren der Kirche war zwischenzeitlich ein Podest aufgebaut worden, auf dem der Priester dann stand und das Kreuz hochhielt. Immer wenn der Priester es hochhielt, sang der Chor die hundertfache Ektenie, also hundertmal "Gospodu pomiluij" ("Herr, erbarme Dich"). Dabei wurde er von zwei Diakonen an den Armen unterstützt. Dann wurde das Kreuz langsam über einen Behälter abgesenkt, in dem, wenn ich es richtig gesehen habe, Rosenblütenblätter und eine milchig-gelbliche Flüssigkeit, ich denke Öl war. Dazu sang der Chor: "Gott, errette Dein Volk, gib den Segen für Dein Volk." Über das Kreuz und in den Behälter wurde dann Öl geschüttet und anschließend das Kreuz wieder erhöht. Dies geschah in alle vier Himmelsrichtungen. Anschließend wurde das Kreuz auf ein mit Blumen geschmücktes Podest zur Verehrung durch die Priester, Diakone und Gemeinde gelegt. Prozession und Erhöhung dauerten etwas mehr als eine Stunde. Die ganze Kirche roch trotz des massiven Einsatzes von Weihrauch sehr nach dem Rosenöl, mit dem die Gläubigen nach dem Gottesdienst vom Priester ein Kreuz auf die Stirn "gepinselt" bekamen. Dies ist also ein Segen, bei dem der Priester einen kleinen Pinsel ins Rosenöl taucht und damit ein Kreuz auf die Stirn zeichnet.

Das Fest geht auf die Legende der Auffindung des Kreuzes durch die Kaiserin Helena hervor, die es dann nach Konstantinopel und Rom gebracht hat. Kaiser Konstantin ließ an der Fundstelle eine große Kirche bauen und stellte die Reliquie dort zur Verehrung aus. Nachdem das Kreuz Anfang des 7. Jahrhunderts von den Persern erobert und "verschleppt" wurde, hat Kaiser Heraklaios es zurückerobert und feierlich in die Kirche zurückgebracht. In beiden Ereignissen liegt der Ursprung dieses Festes. (An dieser Stelle sei allen ein großes Danke gesagt, die ich mit meinen Fragen bombardiert habe!)

Heute fielen alle Vorlesungen und Seminare an der Universität aus, wegen des Festes am heutigen Tage. So bin ich wieder mit Anton in die Göttliche Liturgie in die Fakultätskirche gegangen. Im Anschluss bestand wieder die Möglichkeit, das Kreuz wie am Vorabend zu verehren - anstelle des priesterlichen Segens zum Schluss. Anschließend haben wir gemeinsam in der Stalowaja gegessen. Dann war wieder meine "Internetstunde", anschließend habe ich eingekauft. Allerdings hatte ich keine große Lust, viel herumzulaufen, da das Wetter heute regnerisch war und die Straßen dementsprechend voll mit Wasser standen. Nachdem ich kurz im Wohnheim war, bin ich noch zur katholischen Kirche in die Heilige Messe gefahren.

 

 

Die katholische Kirche am Abend.

 

Das Abendessen an dem Tag fiel für mich sehr zünftig aus - es gab fünf Spiegeleier als Brotbelag! Das war dann die verdiente Stärkung für soviel Liturgie und Gottesdienst der beiden vergangenen Tage. Alt bin ich an dem Abend nicht mehr geworden, denn am nächsten Morgen hatte ich mich schon wieder zu sieben Uhr verabredet und ich war ganz schön kaputt. Ich habe mich nur noch für den nächsten Morgen gerichtet und die Sachen zusammengepackt. 

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²Wäre der Name meines Vaters russisch, würde aus Clemens Kliment werden, dann würde der Name Brink, Andrej Klimentowitsch lauten.

 

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