8.) Die zweite Halbzeit beginnt

 

 

Engel Gottes, Heiliger beschütze mich, wende mein Leben in Andacht zu Christus Gott, bekräftige meinen Verstand im wahren Weg und zu höchster Liebe lenke meine Seele; wenn Du mich führst, erhalte ich von Christus Gott große Gnade. (Schutzengel-Troparion)

 

 

Dienstag, 20. Januar 2009

Heute habe ich mich um kurz vor elf mit zwei deutschen DAAD-Kommilitoninnen im Leningrader Bahnhof getroffen, wir wollten zusammen ein wenig die orthodoxe Kirche erkunden. So sind wir zunächst zu unserer Universität gefahren, wo ich den beiden die Fakultätskirche gezeigt habe und ganz kurz, soweit es möglich war, ein paar Räumlichkeiten auf dem Gelände. Anschließend sind wir essen gegangen, was zunächst alles sehr hektisch ablief, weil in dieser Woche eine große Konferenz tagt, an der heute sogar Metropolit Kyrill teilgenommen hat, einer der großen Anwärter für das Amt des Patriarchen. Leider habe ich davon nichts gewusst, nur dass meines Wissens ein anderer Bischof eingeplant war. Den haben wir noch kurz beim Essen gesehen.

Da die Küche erst später aufgemacht hat als geplant, hat meine Idee mit dem schnellen Essen nicht geklappt. Elena und Vitali, ein ganz lieber und netter Kommilitone, sind dann noch mit uns nach Sergijew Possad gefahren. So sind wir erst eine gute halbe Stunde später in Moskau losgefahren. In Sergijew Possad haben wir uns dann gemeinsam das Kloster angeschaut - und wie alle, die noch nicht dort gewesen sind, waren Claudia und Madeleine erstaunt über die Schönheit des Klosters, das sich auf dem Hügel erstreckt. Gegen Abend haben wir noch ein wenig in die beiden Gottesdienste hereingehört, die aber sehr dürftig waren. Da morgen kein Feiertag ist, gab es noch nicht einmal das Ölkreuz. Davon war ich ein wenig enttäuscht.

Elena und ich konnten den beiden aber eine gute Einführung in die Russisch-orthodoxe Kirche geben und viel darüber erzählen und versuchen, verständlich zu machen. So war ich heute dann das vierte Mal in Sergijew Possad - und war wieder einmal erstaunt über die Schönheit dort.

 

Mit Madeleine und Claudia in Sergijew Possad.

 

 

Mittwoch, 21. Januar 2009

Heute kam eigentlich mal wieder einiges anders, als ich erwartet hatte. Zunächst war ich heute Morgen auf der Suche nach einer Ikone, die einmal ein Geschenk werden soll. Diese Heilige gibt es zwar in der Russisch-orthodoxen Kirche, scheint aber sehr unbekannt zu sein. Daher habe ich bislang in den großen Geschäften keine gefunden - ich bin eher auf Verwunderung gestoßen. Aber es gibt noch eine Hoffnung - es gibt da noch ein Geschäft, das etwas außerhalb liegt, manchmal aber kleine Schätze beherbergt. Anschließend war ich nach mehr als fünf Tagen wieder im Internet und bin dann in der Uni essen gewesen. Dort hat mich Sergej angesprochen, ob ich heute auch zum Seminar kommen würde. Ich war sehr überrascht, dass es stattfand, denn gestern habe ich noch von einigen gehört, dass die Vorlesungen erst in der nächsten Woche beginnen. Nun gut - einige fallen wohl aus, einige finden statt. In dem Seminar bei Vater Alexej waren auch noch längst nicht alle aus den Ferien zurück - vor allem die nicht, die weite Wege haben. Anschließend war dann noch Chorstunde - ebenfalls bei Vater Alexej, der heute sogar den zweiten Tenor gelobt hat. Das Besondere daran war, dass wir nur zu dritt waren. Und ein Lob von Vater Alexej bedeutet ja recht viel. Gegen Abend habe ich mich wieder mit Wasser eingedeckt, das zu meinem auch teurer geworden ist - um einen Rubel. Vieles ist in den letzten Monaten teurer geworden - Metro, Elektritschka, Lebensmittel und noch vieles mehr. Was mir aber gefällt, dass der Währungskurs im Moment für mich so günstig steht. Im Gegensatz von vor zwei Monaten bezahle ich für 15.000 Rubel, derzeit um 80 Euro weniger. Ich werde jetzt versuchen, alles im Voraus zu bezahlen, was möglich ist, da sich dies doch sehr gut bemerkbar macht. Lag der Kurs vor ein paar Wochen noch bei etwa 34,22 Rubel für einen Euro, so rangiert der Kurs derzeit um 1:43. Das sind doch gewaltige Unterschiede. Am Anfang meines Studiums waren es immer so um die 1:37, aber mit der Krise hat sich alles sehr geändert. So glücklich ich auch mit dem derzeitigen Kurs bin, umso schlechter ist es für die Russen. Hier findet man in den Supermärkten sehr viele Importprodukte und vergleichbar wenige Eigenerzeugnisse. Dadurch, dass die Löhne nicht steigen, macht sich die Krise hier doch bemerkbar. Somit kann die Sorge der Russisch-orthodoxen Kirche durchaus begründet sein, wenn sie vor sozialen Unruhen warnt.

An für sich bin ich sehr froh, dass die Vorlesungen heute wieder begonnen haben. So habe ich jetzt wieder meine feste Tagesstruktur - soweit dies möglich ist - und bin gleich viel besser zufrieden. Nun freue ich mich auf die "zweite Halbzeit" meines Studiums hier in Moskau und bin mir sicher, dass es noch schöne Monate werden.

 

 

Donnerstag, 22. Januar 2009

Der Morgen begann zunächst mit dem Schreiben des Zwischenberichts für den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), den ich bis Ende Januar eingereicht haben muss. Bis vor ein paar Tagen hatte ich noch überhaupt keine Ahnung, was ich daraus machen soll. Nun hoffe ich, dass ich das geschrieben habe, was der DAAD von mir verlangt. Gegen elf Uhr bin ich in einen kirchlichen Laden gefahren in der Nähe der Station Zwjetnoj Boulevard, um dort Ikonen und Bücher zu kaufen. Anschließend habe ich in der Mensa gegessen und etwas mit Nina gequatscht, die ich dort getroffen habe. Wir haben vor allem ein wenig über Katjas Geburtstag gesprochen und überlegt, wie wir dort hinkommen. Nach dem Essen - Nina war schon weg - habe ich erfahren, dass die Vorlesung heute ausfällt. Im gleichen Moment fragte Nina mich, ob ich nicht noch etwas Zeit zum Deutsch sprechen hätte. Die hatte ich natürlich.

Anschließend bin ich nach Hause gefahren, um einige Briefe zu schreiben, was dann auch bis zum Abend gedauert hat. Nachdem ich so gut wie fertig war, haben wir, das heißt Oleg, Pjotr und Stephan, noch ein wenig Wein getrunken und zu Abend gegessen. So ist dann gegen Mitternacht ein Tag zu Ende gegangen, der viel mit Schreiben zu tun gehabt hat. Herrschte am Morgen noch allerschönstes Winterwetter, so endete der Tag mit Regen und trüben Tauwetter.

 

Die Troizkij-Kirche - im herrlichsten Winterwetter

 

 

Freitag, 23. Januar 2009

Das Tauwetter und der Regen des Vortages setzte sich auch heute fort und so waren die Straßen und Wege heute extrem glatt - Moskau sah etwas salopp gesagt aus wie eine riesige Pinguinhorde, die durch die Gegend schlittert. An manchen Stellen war mit Sand oder sogar mit Salz gestreut und an anderen Orten wurden von Straßenarbeitern mit allen möglichen Werkzeugen die Wege vom Eis frei gekratzt. Dennoch war es fast überall sehr gefährlich, zu laufen.

Die erste Vorlesung ist heute aufgrund der Konferenz ausgefallen, so dass ich die Zeit nutzen konnte, zur Post zu gehen, einzukaufen und mit meinem Communicator eine Postadresse aus dem Internet zu ziehen. Ich wollte eigentlich vor dem Seminar zum Neuen Testament noch meine vollständige Wohnheimmiete bis Ende Juni bezahlen, aber die Bank hatte geschlossen. In dem Seminar angekommen kam es zu einem etwas eigenartigen Vorfall: Vorne waren noch Plätze frei und mit dem Spruch "Jeder Meter zu Vater Alexej ist ein verlorener Meter" beorderte er einige Studenten nach vorne. Hinter mir saß, gut versteckt vor den Augen unseres Dozenten, Dmitri. Und ihn hat er immer auf dem "Kieker". Nach einer Weile, als er ihn entdeckt hatte, wurde er auch nach vorne beordert. Allerdings an das Klavier, das schon fast im Rücken von Vater Alexej stand. Dort sollte er dann der Vorlesung weiter lauschen, mit dem Gesicht zur Wand und mit den ganzen Materialien auf dem recht schmalen Klavierdeckel. Eine, wie ich meine, etwas übertriebene Aktion.

Nach dem Seminar habe ich dann wieder meinen üblichen Dienst in der Stalowaja aufgenommen - anschließend war die Chorstunde bei Vater Alexej - dieses Mal allerdings bei dem Diakon und Chorleiter. Dort war mehr oder minder die Generalprobe für die Göttliche Liturgie, die wir am Montag morgen um sieben Uhr singen werden. Auch wenn das wieder einmal frühes Aufstehen bedeutet, so freue ich mich doch darauf.

Anschließend habe ich das Wohnheim bezahlt, wobei Masha mich anrief. Sie wartete schon auf das Deutschtreffen. An einem anderen Tisch dort wartete und lernte Lena, die ich dann gleich zu Mashas Tisch mitgenommen habe. Nach einem recht lustigen Abend bin ich dann ins Wohnheim zurück gefahren und habe ein wenig aufgeräumt.

 

 

Samstag, 24. Januar 2009

Heute hatte ich irgendwie einen Tag, an dem ich deprimiert und traurig war. Alles verlief schleppend und langsam und mit viel Gefühlsduselei. Manchmal überlege ich vielleicht doch zu viel und schaue zu wenig in meinem Herzen nach und höre darauf, was es sagt. Und dann müssen Entscheidungen gefällt werden, in denen es um Abschied, Enttäuschung und Traurigkeit geht. Und das Schlimmste ist, dass ich da nicht allein von betroffen bin. Und ich mag doch keinen enttäuschen. Und so setze ich mich wieder selbst unter Druck, indem ich versuche allem gerecht zu werden und da wieder grandios dran scheitere. Andererseits ist es ganz gut, auch mal wieder an die eigenen Grenzen zu stoßen, so weh es dann auch wieder tut, vielleicht wachse ich ja daran...

Nun, mit dieser Sache, die diesen Tag heute besonders beherrscht hat, bin ich also kraftlos durch die Stadt gelaufen, war wieder beim internationalen Postamt und habe zwei Briefe weggebracht, war im Internet und habe Mails bekommen, die die Kraftlosigkeit bestärkt haben, und die Dogmatikvorlesung ist heute auch ausgefallen. Weil ich schon einige Mails direkt im Internet beantwortet habe, habe ich sogar die Vetschernaja sausen lassen, zu der ich eigentlich wollte. Das stört mich auch sehr an diesem Tag. Die Lichtblicke am Tag waren heute die drei Telefongespräche, die ich heute Abend geführt habe und die mich etwas beruhigt haben. 

Dann lässt sich noch berichten von einem Vorfall von heute Abend aus dem Zimmer, das meinem gegenüber liegt. Dort haben sich wohl ein paar Jungs aus dem ersten Kurs getroffen, die irgendwas gemacht haben, was die Administratorin nicht gerne gesehen hat. Zumindest lief heute Abend der Wachmann mit der Administratorin mehrmals durch den Flur in Richtung des Zimmers. Was aber richtig gewesen ist, weiß noch keiner genau.

 

 

Sonntag, 25. Januar 2009

Wie ich es am Vortag geplant hatte, bin ich zunächst in der katholischen Kirche gewesen. Kurz bevor ich dort angekommen bin, habe ich schon geahnt, dass heute wohl eine Bischofsmesse sein könnte, da unheimlich viele Leute in der Kirche waren. Und ich hatte recht. Die große Orgel hat gespielt, es hat ein Chor gesungen und auch der Gemeindegesang war schön. Ganz zum Schluss wurde das Lied "Der Geist des Herrn" gespielt, das ich dann einfach in deutscher Sprache gesungen habe. Nach der Messe war es später geworden als ich geplant hatte und so musste ich mich beeilen, denn ich wollte ja für Katjas Geburtstag noch einen Salat machen. So habe ich dann die Zutaten gekauft und hätte fast einen Schock bekommen, als ich den Preis an der Kasse gehört habe. Ich habe fast das Doppelte bezahlt als am katholischen Weihnachtsfest, wo ich den Salat das letzte Mal gemacht habe. An einer anderen Stelle habe ich dann noch zwei kleine Zucchini gekauft und habe dann den Salat in der Stalowaja zubereitet. Zunächst waren die erstaunt, wie schnell ich damit bin. Als ich gewürzt habe, haben es einige der Küchenhelfer mit der Angst bekommen, als sie aber probiert haben, fanden sie den Salat doch sehr lecker und wollten gleich das Rezept haben. Anschließend haben ich noch schnell gegessen und habe dann Masha abgeholt und wir sind dann zusammen zur Metro-Station Timirjasevskaja gefahren, wo wir Nina getroffen haben. Wir hatten dort direkt Anschluss an eine Elekritschka nach Vodniki, das ich am Tag zuvor verzweifelt in meinem russischen Eisenbahnatlas gesucht habe. Dort haben wir schnell die Wohnung gefunden, aber nicht ohne noch vorher etwas im Schnee zu balgen. Leider war der Schnee aber nicht schön für eine Schneeballschlacht, da die erste Schicht gefroren war und die Schneebälle zogen doch im Gesicht, was nicht angenehm war. Auf der Geburtstagsfeier von Katja und ihrer Mutter haben wir schön zusammen gegessen und uns über alles mögliche unterhalten. Schön war, dass noch ein paar andere Studenten mit dabei waren, zu denen ich sonst nicht so viel Kontakt habe und die ich so ein bisschen näher kennen lernen konnte.

Eigentlich wollten wir um 20:36 Uhr einen Zug nach Moskau nehmen, haben ihn aber leider verpasst und mussten so über eine halbe Stunde auf den nächsten warten. Die Zeit haben wir für einen kleinen Spaziergang durch den Ort genutzt, der bei Tageslicht bestimmt sehr schön ist. Dort gibt es Seen und eine Kirche, die auf einer Anhöhe steht. Es sieht dort recht idyllisch aus. Ich wollte in dem kleinen Lebensmittelladen an der Bahnstation eigentlich noch Brot kaufen, aber leider hatte das Geschäft wegen Inventur geschlossen.

Gegen 23 Uhr war ich dann im Wohnheim - ich hatte dort natürlich in den beiden Läden auch noch nach Brot geschaut: Das eine Geschäft war geschlossen und das Brot in dem anderen Laden war ausverkauft. So musste ich mich mit einer Tüte Keksen begnügen.

 

 

Montag, 26. Januar 2009 - Festtag des Heiligen Eleasar

Das Brot, das ich eigentlich am Vorabend gekauft haben wollte, wurde nun, wie gesagt ja durch Kekse ersetzt. So gab es heute Morgen um kurz nach sechs Uhr eine Tasse Ostfriesentee und eben diese Gebäckstücke, die leider auch noch recht geschmacklos und trocken sind. Es hat aber für das erste gereicht. So früh aufgestanden bin ich, weil ich heute Morgen um acht Uhr im Chor singen musste. Wie üblich haben wir uns schon eine halbe Stunde früher getroffen und geprobt. Die Göttliche Liturgie haben wir für meinen Geschmack dann ganz gut gesungen. Vielleicht lag es im Gegensatz zum letzten Mal daran, dass die einzelnen Stimmen nicht so durcheinander gestanden haben wie beim letzten Mal. Und der Chor war aufgeteilt, so dass einmal mein Teil des Chores gesungen hat und dann der andere. Bei einigen Liedern macht das dann einen sehr feierlichen Eindruck. Die Antiphone am Anfang sind extra für einen solchen Wechselgesang konzipiert und so klingt das dann ein wenig wie ein Echo - aber in jedem Fall wunderschön. So wie ich das mitbekommen habe, wurde heute das Fest zu Ehren des Heiligen Eleasar gefeiert, aber eigentümlicherweise ohne das "Wir verehren..." am Ende der Liturgie.

Nach der Liturgie war dann eine Feier für die Studenten der theologischen Fakultät in der Stalowaja, wo auch der Rektor der Uni, Vater Vladimir und Vater Nicolai teilnahmen. Es gab richtig gutes Essen: Salat, Kartoffelpüree, Fleisch dabei, Süßigkeiten, Obstteller, Tee, Saft, usw. Dabei wurden dann Fotos und Videos über die theologische Fakultät gezeigt. Da ich bislang noch nicht genau weiß, was da genau gefeiert wurde, muss ich mich da noch genau nach erkundigen. Auf jeden Fall war es ganz schön.

Anschließend habe ich übers Internet mit meiner Mutter telefoniert und das Neueste erzählt und erfahren. Pünktlich zur Ethikvorlesung war ich dann in der Universität zurück und habe dann erfahren, dass ich gar nicht mehr Ethik mit der Studentinnen-Gruppe, sondern mit denjenigen, mit denen ich auch schon Kirchenrecht und Vergleichende Theologie habe. Aber wie schon üblich hat mich der Professor mit Handschlag begrüßt.

Nach der Vorlesung ist das Sprachtandem mit Olga ausgefallen und ich bin nach Hause gefahren und habe mich etwas aufs Ohr gelegt und dann eigentlich nicht mehr viel Zustande bekommen. Leider. Ich habe mich aber sehr über einen Brief von einem Freund aus der Nähe von Dresden gefreut, der mich heute erreicht hat und mit dem ich nicht gerechnet hatte!

Gerade habe ich mit Stephan das Troparion für den Heiligen Eleasar übersetzt. Die Grammatik und die fremden Wörter, die selbst meine Wörterbücher nicht kennen, machen es nicht einfach, daraus etwas Deutsches zu machen. Meist ist es so, dass Stephan Vorschläge gibt, wie die Grammatik ausdiskutieren und ich dann versuche, einen Satz daraus zu machen.

Nachdem ich Vitali bei seinen Deutsch-Hausaufgaben geholfen habe, habe ich beim Zähneputzen Ivan getroffen und ihn gefragt, warum das Fest heute in der Kirche so groß gefeiert wurde, aber die "Taufe-des-Herrn"-Ikone vor den Königtüren lag. Sonst liegt dort immer die des Tagesheiligen. Wir haben heute gemeinsam eine feierliche Göttliche Liturgie gefeiert, weil die meisten Weihnachten zu Hause gewesen sind. Es war also eine kleine Weihnachtsfeier, wie sie in Deutschland in der Adventszeit üblich sind, hier aber wegen der Fastenzeit in dem Rahmen nicht machbar sind.

 

Er lehnte ab das vergängliche Fleisch, strebte das Nichtvergängliche an, und ging von der Welt fort, zog auf die Meeresinsel ein, und arbeitete auf ihr mit Eifer viele Jahre für Gott, erhielt seine Freude und das Vermögen des Hellsehens und wurde reich an Wundern, hochwürdiger Vater Eleasar. Bete für uns bei Christus Gott, damit er uns gebe Frieden und große Gnade. (Troparion, 3. Ton)

 

 

Dienstag, 27. Januar 2009

Der Höhepunkt dieses Tages war zweifelsohne für mich und das ganze Wohnheim heute um kurz nach 23 Uhr: Kyrill von Smolensk und Kaliningrad ist das neue Oberhaupt der Russisch-orthodoxen Kirche - der neue Patriarch heißt also Patriarch Kyrill. Er ist laut den Nachrichten mit einer großen Stimmenmehrheit gewählt worden. Im Wohnheim haben wir uns so eben gegenseitig gratuliert. Heute ist ein besonderer Tag in Russland und in der Russisch-orthodoxen Kirche, an dem Geschichte geschrieben wird - am Sonntag soll die Einsetzung ins Amt stattfinden.

 

Patriarch Kyrill - hier noch als Metropolit (Quelle: www.novosti.ru).

 

Auf diese Nachricht bin ich aufmerksam geworden, weil ich heute ausnahmsweise Internet im Wohnheim habe. Ein Mitbewohner hat mir beim Installieren von einem Übersetzungsprogramm geholfen. Währenddessen habe ich Vitali wieder bei seinen Hausaufgaben geholfen und er war es dann auch , der die neue Nachricht wusste.

In dieser Woche muss ich wohl oder übel meinen Stundenplan völlig umbauen, da sich vieles geändert hat. So schaue ich jeden Tag auf dem Stundenplan nach, wann und in welchem Raum die Vorlesungen fortgesetzt werden. Gestern ist eine neue Veranstaltung für mich dazu gekommen, es ist eine Liturgik-Vorlesung, von der ich gestern sogar schon viel verstanden habe. Für morgen steht wieder eine neue Vorlesung an, es wird Pastoraltheologie werden. Die Möglichkeit dazu ist gegeben, weil Kirchenrecht jetzt auf einen Freitag fällt, was aber wiederum mit dem Seminar zum Neuen Testament kollidiert. Da muss ich noch eine Lösung finden. So wie es bislang aussieht, werde ich meinen Stundenplan ein wenig ausbauen.

Den Nachmittag habe ich mit dem Übersetzen meines philosophischen Textes verbracht. Zwischendurch kam Vitali herein und wollte mir ein wirklich tolles Übersetzungsprogramm geben, dass wir bis um zwei Uhr nachts aber nicht ans laufen bekommen und somit aufgegeben haben. Das hängt mit der kyrillischen Schrift zusammen, dass es nicht funktionieren will. Damit hätte ich sonst ganze Sätze übersetzen können. So werde ich nun in der gewohnten Art und Weise an meinen Texten arbeiten. Wenn es auch viel länger dauert, so bin ich nicht traurig darum, denn so bekomme ich mehr Sprachpraxis.

In der Stalowaja hatte ich heute ziemlich Glück: Es gab wenige Hähnchenbeine und ich habe eines davon erwischt! So war heute auf meinem Teller erstmals mehr Fleisch als Beilage, was mir sehr gut gefallen hat.

 

 

Mittwoch, 28. Januar 2009 - Habemus papam

"Habemus papam" - mit diesen Worten begrüßte mich heute Vater Valentin, den ich auf dem Unigelände getroffen habe. Die Wahl des Patriarchen war heute unbestritten das Thema Nr. 1 bei uns in der Universität. So wie ich es herausgehört habe, freut sich die Kirche über ihren neuen Patriarchen.

Heute habe ich das erste Mal eine Vorlesung in Pastoraltheologie auf Russisch gehört und muss sagen, dass ich leider kaum was verstanden habe, weil der Dozent sehr leise und für mich sehr unverständlich gesprochen hat. Und aus dem Nebenraum konnte man gut die Stimme Vater Alexejs vernehmen, was dann noch einmal ablenkte. Ich hoffe sehr, dass sich das mit dem Verstehen noch ändern wird. Zumindest werde ich mir das nächste Mal einen anderen Platz suchen.

Nach der Chorstunde bin ich zum Rigaer Bahnhof gefahren und habe mich dort erkundigt, wie man nach Neu-Jerusalim fahren kann. Ich habe mich mit einer DAAD-Kommilitonin verabredet, dorthin einen Ausflug zu machen. Dort gibt es auch ein Eisenbahnmuseum mit einigen Museumslokomotiven. Dort werde ich mich in absehbarer Zeit auch einmal umschauen, da dort doch so einige interessante Exponate stehen. Und ich habe dort einen Modelleisenbahnladen entdeckt, den ich auch mal besuchen möchte um zu schauen, wie in Russland eine Modellbahn aussehen kann.

Momentan taut es hier in Moskau noch, aber die größten Gefahren sind wohl vorbei: Die meisten Wege und Straßen sind eisfrei und auch von den Dächern fällt nur noch wenig Eis und Schnee herab. Derzeit haben wir Temperaturen um etwa 3°C, so dass es nicht sonderlich schnell taut. Bislang bin ich sehr froh, ohne gefallen zu sein durch den Winter zu kommen und hoffe sehr, dass das auch bis zum Frühling so bleibt.

Und letztlich will ich noch ein Foto präsentieren, dass heute in der Stalowaja entstanden ist. Es zeigt mich mit einer halben Palette Joghurt im Arm, der übrigens sehr lecker ist. Heute gab es die Sorte "Aloevera"...

 

Joghurt.

 

 

Donnerstag, 29. Januar 2009

Am heutigen Morgen habe ich zunächst mein Zimmer ein wenig umgebaut und mir so mehr Bewegungsfreiheit geschaffen. Der Schreibtisch steht jetzt noch näher in der Ecke und das Bett habe ich zwischen den Schrank und den Schreibtisch geschoben. So habe ich einen geraden Gang zum durchgehen. Ich habe sogar noch genügend Platz für meine Beine. Dann habe ich meine Ikone mit den vielen Heiligen, die ich dann und wann auch als Kalender verwende, am Schrank aufgehängt und das Nachtschränkchen neben das Kopfende des Bettes geschoben, so dass es mir jetzt einerseits als Nachttisch dient, aber auch als Ablagemöglichkeit, wenn ich am Schreibtisch am arbeiten bin. Mein Eindruck ist, dass ich jetzt wesentlich mehr Platz habe. Ich will mal schauen, wie es sich darin schlafen lässt.

 

Nach dem Umbau.

 

Nachdem ich den Rest des Morgens irgendwie unproduktiv verbracht habe, war ich im Internet und bin dann in die Vorlesung "Vergleichende Theologie" gefahren. Hier habe ich mich gut in die Vorlesung mit Fragen einbringen können - was mich sehr froh und glücklich stimmt, denn vor den Ferien war das noch nicht in dem Rahmen möglich. Anschließend habe ich mich noch mit Vater Valentin über die katholische Kirche und damit zusammenhängend über das Filioque, die Unfehlbarkeit des Papstes und das Zölibat unterhalten - alles Themen, die kontrovers zur orthodoxen Kirche stehen.

Anschließend bin ich wieder einmal in den orthodoxen Buchladen in der Nähe der Station Zvjetnoj Boulevard gefahren, um dort wieder ein paar Russisch-deutsche und Deutsch-russische Wörterbücher christlicher Lexik zu kaufen, da die bei uns an der Universität heiß begehrt sind - was aber nicht heißen soll, dass ich da Geschäfte mit mache. Zudem habe ich mir ein Wörter- und ein Lehrbuch Russisch-kirchenslawisch gekauft. Vielleicht kann ich mir die Sprache da ein wenig selbst mit aneignen und hin und wieder ein paar Texte übersetzen, ohne dass ich dann auf die Hilfe anderer angewiesen bin.

Den Abend habe ich dann wieder mit meinem philosophischen Text verbracht, aber nur sehr mühselig, weil mir ständig die Augen schwer geworden sind. So habe ich mich dann nach dem Abendessen um halb zehn hingesetzt und mit meinem Eisenbahnsimulator am Computer gespielt, Nüsse geknackt und das Marzipan gegessen, was meine Eltern in der Bäckerei Wallenstein in Oldersum gekauft hatten und mir geschickt haben. So kommt also Oldersumer Marzipan nach Moskau! Schade, dass es schon auf ist, denn es schmeckt wirklich lecker.

Leider hat einer unserer Mitbewohner sein Studium bis zum Sommer hin abgebrochen und ist deshalb ausgezogen. Als er sein Zimmer aufräumte, hat er drei große Einkaufstüten mit Lebensmitteln und eine große Einkaufstüte mit Knoblauch in die Küche gestellt - für die Allgemeinheit. Stephan hat das trefflich kommentiert mit den Worten, dass das wohl für fünf Jahre gewesen sei.

 

Oldersumer Marzipanmaus in Russland.

 

 

Freitag, 30. Januar 2009

Der heutige Tag begann wie üblich mit den Vorlesungen - Freitag ist einer der Tage, an denen sich nichts geändert hat bezüglich des alten Stundenplanes. Nach den Vorlesungen habe ich wieder in der Stalowaja beim Abwasch geholfen und so meinen freiwilligen und mittlerweile geliebten Dienst geleistet. Das ist für mich immer der Zeitpunkt, zum Treffen für Studenten einzuladen, die gerne mit mir Deutsch sprechen wollen - oder um ihnen abzusagen, wie heute. Ich hatte mich nämlich mit Masha verabredet, um zu einer Weihnachtsaufführung zu gehen, die eine der Fakultäten meiner Universität, die sich in der Nähe vom Siegespark befindet, aufführte. So haben wir uns in der dortigen Metro-Station getroffen und sind dann gemeinsam dorthin gegangen. Die Aufführung war wirklich toll - mit vielen kirchlichen Weihnachtsliedern und als kleines Puppenspiel gemacht. Aufgeführt wurde so die Weihnachtsgeschichte, die mit dem Tod König Herodes' endete. Ich habe nicht oft ein so kleines und so originell aufgeführtes Stück gesehen. Das ist in jedem Fall eine Sache, die sich auch im katholischen Rahmen machen lässt, wenn man eine andere und für uns sprachlich verständliche Liederauswahl nimmt. Einfach klasse! Anschließend hat Mashas Schwester Tanja uns noch die Fakultät gezeigt und dann haben wir gemeinsam Tee getrunken und Kuchen gegessen.

Anschließend war die Idee, nach Hause zu fahren. Wir haben uns aber nicht weiter als 50m vom Haus entfernt, weil wir dann eine ziemlich wilde Schnee(-ball-)schlacht gemacht haben, die quer über und durch Wiesen, einen Abhang und einen kleinen Wald ging. Anschließend haben wir Tanja wieder getroffen und sind dann zu den Eltern gefahren, wo es dann eine gute Stärkung gab. Der Abend endete wegen der abendlichen Frist im Wohnheim leider schon um kurz nach zehn Uhr.

Nun, da ich wieder im Wohnheim zurück bin und gerade den Computer ausstellen wollte, kommt Ivan herein und sagt mir, dass ich heute noch in der Küche Dienst hätte. Das finde ich gar nicht gut, zumal ich dachte, heute mal pünktlich im Bett zu liegen.

Für mich ist es schön, dass der Winter wieder zurück ist. Es ist den Tag über etwas kälter geworden und am Nachmittag fing es an, etwas zu schneien. So wird jetzt langsam wieder alles in ein zartes Winterkleid gehüllt.

 

Kirche beim Siegespark in Moskau.

 

 

Samstag, 31. Januar 2009

Am gestrigen Abend hatte ich meine Mütze bei Masha vergessen, die ich dort vor der Vorlesung abgeholt habe und sie auch dringend heute benötigt habe, denn die Temperaturen sind quasi über Nacht auf -10°C gefallen. So ist es nun wieder knackig kalt hier in Moskau. Nach der Dogmatikvorlesung hatte ich mich mit meiner DAAD-Kommilitonin Lena verabredet, die ich auf dem Treffen vor zwei Wochen kennen gelernt habe, und sie an der Metro-Station "Paveljezkaja" abgeholt. Ich habe ihr zuerst ein wenig die Universität gezeigt und ihr die Universität mit ihren verschiedenen Fakultäten vorgestellt. Nach unserem Rundgang durch die Uni haben wir in der Stalowaja gegessen - heute gab es sogar richtig viel Auswahl: Neben dem üblichen Essen sind von einer anderen Veranstaltung wohl noch ein paar Beilagen übrig geblieben. Ich hatte im Vorfeld schon versucht, mit genügend Zeit zu planen, aber irgendwie hat das Vorstellen der Uni dann doch viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als ich dachte uns so sind wir erst einen Zug später nach Neu-Jerusalim gefahren.

Vom dortigen Bahnhof sind wir dann zum Kloster gelaufen, den Weg kannte ich ja noch von dem Ausflug mit Elena. Es war einfach herrlich - die Sonne schien, es war knackig kalt, es lag Schnee, der so richtig schön unter den Füßen knirschte! Es ist für mich immer noch was ganz Besonderes, einen solchen Spaziergang zu machen. Und wenn beim Einatmen sich kleine Eiskristalle am Rande der Nasenlöcher bilden und ein eigenartiges Gefühl verursachen - das kenne ich gar nicht aus Ostfriesland. Irgendwann ging es dann ging der Weg dann abwärts und dort war der Weg eine kleine Eisbahn: Also haben wir uns hingesetzt und sind die auf dem Hosenboden dort hinuntergerutscht! Es hat recht lange gedauert, bis wir beim Kloster angekommen sind, da ich immer wieder Fotos von der tollen Winterlandschaft gemacht habe. Im Kloster haben wir alles erst von außen beobachtet, um das Kloster und die Kirche dort noch während dem Sonnenuntergang fotografieren zu können. Dann haben wir ein Hinweisschild zu einem Park entdeckt, dem wir dann sogleich gefolgt sind. Den hatte ich mit Elena noch gar nicht entdeckt. Und dort war es noch schöner: Dort war unheimlich viel Schnee und Schneeflächen, wo noch keiner vorher durchgegangen ist und so sah alles aus, wie in Watte gehüllt. Und dies alles im Lichte der untergehenden Sonne. In dem Park war auch eine Windmühle - ein bisschen Heimatgefühl für mich.

Als wir wieder im Kloster zurück waren, haben wir an einer tiefen Dachrinne des Klosters angehalten, Eiszapfen abgebrochen und die abgeknabbert - einfach toll. Auf den Gedanken bin ich auch schon gekommen, aber in Moskau traue ich mich das nicht. Wer weiß denn schon, welche Schadstoffe darin enthalten sind. Aber vor den Toren Moskaus ist es hoffentlich nicht so problematisch. Nun standen die kleinen Kirchen des Klosters auf dem Programm, die wir uns angeschaut haben und sind dann in der Auferstehungskirche geblieben, da dort grad die Vetschernaja war. Wir sind genau richtig zum Ölkreuz gekommen. Ich war nur sehr überrascht, dass nur ein Priester gedient hat - es war kein Diakon dabei. Das war das erste Mal in meiner ganzen Zeit hier, dass ich einen Gottesdienst, zu dem eigentlich ein Diakon gehört, ohne einen solchen gesehen habe.

In den einzelnen Kirchen gibt es, wie üblich, einen kleinen Laden, wo man Kerzen, Ikonen, kleine Gebetbücher usw. kaufen kann. Dort habe ich eine kleine Ikone gekauft. Die Dame an der Kasse legte die Ikone auf den Ladentresen - mit dem Bild nach oben, die zwanzig Rubel Wechselgeld daneben. Ich habe daraufhin zunächst das Wechselgeld genommen, es auf die Ikone gelegt um dann beides greifen und in der Tasche verstauen zu können. In dem Moment zieht mir mir die Verkäuferin die Geldscheine zwischen Finger und Ikone weg, schaut mich an und sagt leicht entrüstet, aber freundlich: "Das ist eine Ikone!" So habe ich völlig unbewusst etwas getan, was gegen die Ehre einer Ikone spricht. Ich habe mich also immer noch nicht ganz an die Handhabung mit Ikonen gewöhnt.

 

 

Winter in Russland.

 

Auf dem Weg zum Kloster.

 

Das Kloster.

 

Windmühle im Park beim Kloster.

 

Winterlandschaft.

 

Die Klosterkirche im Abendlicht.

 

Der Glockenturm.

 

Der Mond ist aufgegangen.

 

Eiszapfen.

 

Die Klosterkirche.

 

Nacht in Neu-Jerusalim.

 

Auf dem Rückweg sind wir noch einmal an der Rutschbahn stehen geblieben und sind mehrmals dort den Weg herunter gerutscht - dieses Mal auf einer Plastiktüte sitzend, da man da schneller mit ist. Und wir haben Schneeengel in den Schnee gezeichnet: Einfach auf den Boden legen und den Hampelmann machen. So habe ich heute noch einmal kennengelernt, was man im Winter außer einer Schneeballschlacht, Schlittenfahren und Eislaufen alles machen kann. Von mir aus kann der Winter noch lange andauern, wenn er weiter so spannend bleibt. Mir wurde just heute von zwei Leuten unabhängig gesagt, dass es im Februar noch -30°C in Moskau werden sollen. Da bin ich ja mal gespannt. Ich finde -15°C ja schon recht frisch.

Bevor Lena und ich dann mit dem Zug wieder nach Hause gefahren sind, haben wir in Neu-Jerusalim noch in der "Welt der Produkte" eingekauft. Was nun nach einem großen Supermarkt klingt, war ein recht kleiner Lebensmittelladen. Dort haben wir uns Sachen ausgesucht und wurden vom Personal mehr als freundlich bedient. Sie haben nicht geschimpft, als ich mit der Wurst überlegt habe, welche ich nehmen soll und mich noch einmal anders entschieden habe. Ich habe auch Brot eingekauft, was eine Verkäuferin dann durch Frisches ausgetauscht hat und letztlich haben die beiden uns noch beim Kuchenkauf geholfen. Und nachdem sie wussten, woher wir kommen, haben sie uns gebeten, noch einmal nach Neu-Jerusalim zu kommen.

Mit Lena habe ich heute einen richtig guten Nachmittag verbracht: Ich konnte ihr ein wenig von der orthodoxen Kirche erzählen und wir haben uns ein wenig austauschen können über unsere Zeit in Moskau. Und sie hat mir gezeigt, was man mit Schnee und Winter noch alles anstellen kann: Schneeengel machen, mit der Plastiktüte auf dem Boden rutschen...

Den restlichen Abend habe ich mit Oleg und Pjotr verbracht - wir haben gemeinsam Nüsse geknackt und ein wenig geredet. Dabei haben die beiden mir auch ihr Weihnachts- und "Taufe des Herrn"-Geschenk gegeben: Ein Dogmatikbuch mit dem Hauptthema Pneumatologie. Es wird bestimmt nicht einfach sein, es zu lesen, aber ich will mich da irgendwann mal durchkämpfen.

 

 

Sonntag, 01. Februar 2009

Heute wurde zum ersten Mal in der Russisch-orthodoxen Kirche für den Patriarchen Kyrill gebetet, dessen Inthronisation heute war. Deswegen bin ich heute Morgen extra zuerst zur Christus-Erlöser-Kathedrale gefahren, um dann keine Möglichkeit zu finden, überhaupt in die Nähe der Kirche zu kommen. Dort stand ein riesiges Aufgebot von Miliz, das die Kirche gut bewachte. Man konnte zu der Inthronisation nur mit einer Eintrittskarte kommen, die überwiegend an geladene Gäste gegeben wurde. Da es heute Morgen sehr kalt war - das Thermometer im Wohnheim zeigte -15°C an, es könnten aber auch um die -20°C gewesen sein - und ich keine Ahnung hatte, wie man daran teilhaben könnte, bin ich in die Fakultätskirche in die Göttliche Liturgie gefahren, die schon sehr weit fortgeschritten war - weiter als sonst. So habe ich von der Patriarchenwahl und der Inthronisation leider überhaupt nichts mitbekommen und jeder in der Heimat wird in den Nachrichten mehr gesehen haben als ich. Schade - nun bin ich in einer so spannenden Zeit hier und es kommt so wenig dabei herum. Und dazu gibt es im Wohnheim noch nicht einmal die Möglichkeit, fernzusehen. Nun hoffe ich, dass ich den Patriarchen noch einmal "live" erleben darf - ich habe ihn ja noch vor ein paar Tagen als Metropolit bei uns durch die Stalowaja gehen sehen.

Ich habe in den letzten Tagen mit vielen Leuten über den neuen Patriarchen gesprochen und es sind sehr verschiedene Meinungen, die ich gehört habe. Einige wünschen sich einen starken und politischen Patriarchen, wie es Kyrill zugetraut wird. Viele sind mit seiner Wahl aber auch weniger einverstanden, weil sie in ihm eher einen Politiker und kein Kirchenoberhaupt sehen. Viele bringen ihn auch mit der Universität in Verbindung, wobei hier die Aussagen alle darum gehen, ob er die Universität mag oder nicht. Ihm wird auch nicht die Spiritualität zugetraut, wie sie Alexej II. zueigen war. Dennoch sind viele von seinen letzten Reden begeistert gewesen. Die Tendenz an der Universität und unter denen, die ich gefragt habe, geht wohl mehr in die Richtung des schon recht betagten Metropoliten Filaret, der seine Kandidatur am Wahltag aber zurückgezogen hat. Klemens von Kaluga wurde nur einmal gewünscht. Ich selbst freue mich über den Patriarchen Kyrill, da jetzt eine durchaus interessante ökumenische Zeit anbrechen wird. Er war unter Alexej II. derjenige, der die größten Verbindungen zur Katholischen Kirche hatte und sie wohl sehr gut kennen wird. Ich habe die Hoffnung, dass sich das Verhältnis beider Kirchen weiter verbessern wird. Vielleicht wird ja sogar der innige Wunsch der Katholiken in Erfüllung gehen, dass der Papst nach Russland kommen kann. Andererseits halte ich es für durchaus sinnvoll, dass mit Kyrill ein starker politischer Patriarch an der Spitze der Russisch-orthodoxen Kirche steht. Wenn er mit viel Feingefühl vorgeht, wird sich die Kirche in zukünftiger Zeit vielleicht noch mehr in der Gesellschaft etablieren können, vielleicht werden noch ausstehende Kirchengebäude zurückgegeben und vielleicht bekommt die Kirche mehrere staatliche Hilfen. Und da gibt es bestimmt noch viel mehr Hoffnungen, die auf Kyrill, dem Patriarchen von Moskau und der ganz Russland, ruhen.

Nach der Göttlichen Liturgie, bei der es keine Besonderheiten zum neuen Patriarchen gab außer einem speziellen Segen und dem Segenswunsch "Auf viele Jahre", bin ich zunächst einkaufen gefahren und habe dann in der Stalowaja gegessen. Da ich nun noch Zeit bis zur Akafist in Elenas Gemeinde um 16 Uhr hatte und eigentlich den Text übersetzen wollte, der im Wohnheim liegengeblieben ist, habe ich mich kurzfristig entschieden, einem meiner Hobbys nachzugehen und nach Leninskaja herauszufahren. Leninskaja ist ein kleiner Ort zwischen Moskau und Domodedovo, der ein interessantes Stationsgebäude im sozialistischen Baustil hat. Dies wollte ich als Hintergrund nehmen, was aber gar nicht so einfach war. Und leider hat zumeist die Kamera wegen der Kälte gestreikt, so dass da nur wenig Produktives bei herumgekommen ist. In der Gegenrichtung und mit der Sonne im Rücken hatte ich überhaupt keine Probleme. Auch wenn es nicht so geklappt hat, wie ich mir es vorgestellt habe, bin ich ganz zufrieden. (Ergebnis siehe hier).

 

Platforma Leninskaja.

 

Anschließend bin ich zurück nach Moskau gefahren - in einer völlig unbeheizten Elektritschka, wo es zudem durch die Fensterritzen zog. Ich glaube nicht, dass mir schon einmal beim Zug fahren so eisig kalt war. Nach der Akafist kam Sasha auf mich zu, die Mitarbeiterin der Auslandsabteilung unserer Fakultät. Sie war das erste Mal dort in der Kirche und war sehr überrascht, dass ich dort im Chor singe. Nachdem ich mich in der Gemeinde verabschiedet habe, sind wir zusammen zur Metrostation gelaufen und haben über dies und das geredet.

Auf dem Heimweg habe ich ein Geschäft gefunden, dass mir bislang noch gar nicht aufgefallen ist. Es ist ein 35-Rubel-Laden - ein Geschäft, das vergleichbar mit den 1-Euro-Ramschläden in Deutschland ist. Dort habe ich so einige Sachen günstig gekauft, von denen ich nun hoffe, dass sie wenigstens bis zum Ende meiner Zeit hier halten werden. Darunter ein Küchenmesser aus China, Schnürsenkel, ein kleines Geschenk, Tomatenmark, usw. Letzteres habe ich im Wohnheim gleich getestet und mir und Stephan Nudeln mit Tomatensoße gemacht. Den Abend habe ich mit Tagebuchschreiben und dem Telefonieren mit meinen Eltern verbracht. Wie gestern Abend auch, bin ich heute ganz schön müde von der Kälte und freue mich auf mein Bett.

 

 

Montag, 02. Februar 2009

Der Tag heute verlief eigentlich relativ normal: Zunächst war ich im Internet, habe dann in der Stalowaja gegessen und dann ist die Ethik-Vorlesung ausgefallen. Die freie Zeit bis zum Treffen mit Olga zum Sprachtandem habe ich mit dem Übersetzen meines philosophischen Textes verbracht. Während dem Treffen habe ich gemerkt, dass meine Sprachkenntnisse doch langsam besser werden. Das Treffen ging heute recht lange und war sehr interessant, zumal ich mich heute danach erkundigt habe, wie mich die Universität sieht, vor allem die Priester im Dekanat. Da scheint es keine weiteren Probleme oder Ärgernisse zu geben. Die ganze Fakultät rätselt offenbar darüber, wann ich heiraten werde und den orthodoxen Glauben annehme. Kopfzerbrechen herrscht jedoch insbesondere darüber, wen ich letztendlich heiraten werde. Da scheint es viel zu viele Kandidatinnen zu geben, als dass zuverlässige Prognosen gemacht werden könnten. Ich bin sehr zweigeteilt, ob ich diesen Gerüchten Einhalt gebieten sollte oder ob ich sie einfach weiter laufen lasse. Solange die Gerüchte keinem schaden, habe ich da keine weiteren Probleme mit. In jedem Fall funktioniert die Kommunikation in dieser Beziehung hier wesentlich besser als in der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität in Münster. Und wie es bei Gerüchten oft der Fall ist, stimmt da nichts von. Für weiteren Nährstoff sorgte die Tatsache, alleine mit Elena nach Sankt Petersburg zu fahren. Mir wurde dann erst im Nachhinein bewusst gemacht, dass dies insbesondere in der orthodoxen Kirche damit in Verbindung gebracht wird, dass man dann als ein Paar gilt. Aber auch hier gehe ich, wie eigentlich so oft, meinen eigenen Weg trotz dem das es ungewöhnlich ist und für Gesprächsstoff sorgen könnte.

Auf dem Rückweg von der Universität habe mir eine Umsonst-Zeitung mit dem Bild des neuen Patriarchen genommen und mir diese auf dem Nachhauseweg ein wenig angeschaut. Dabei ist mir neben dem geringen Informationsgehalt der Zeitung aufgefallen, dass Blondinen in Russland den gleichen Status wie in Deutschland haben: Die Witzecke strotzt nur so von Witzen dieser Art.

 

 

Dienstag, 03. Februar 2009

In der Liturgievorlesung habe ich heute wieder überdurchschnittlich viel verstanden und so konnte ich wieder viel mitschreiben. Es hat doch Vorteile, wenn der Dozent langsam und deutlich spricht. Die Vorlesung ist zudem sehr interessant, da es momentan um das Eucharistieverständnis geht. Anschließend war ich in der Vorlesung "Einleitung in die liturgische Überlieferung", die ebenso interessant war. Dort gibt der Dozent uns Studenten immer sehr viel Raum, Fragen zu stellen, die er dann geduldig beantwortet. Heute ging es im Großen und Ganzen um das Eucharistieverständnis bei Katholiken und Orthodoxen.

Den ganzen Tag haben Masha und ich schon eine Gelegenheit gesucht, irgendwie in Moskau das gute Wetter zu nutzen - heute herrschte wieder Sonnenschein, blauer Himmel und die Temperaturen lagen so um -5°C, wobei es in der Sonne leicht taute. Meine Ideen waren, entweder zum Fernsehturm zu fahren und Moskau von oben zu erleben oder in das Eisenbahnmuseum zu gehen. Sie hat einen Mäusezirkus vorgeschlagen. Letztendlich ist uns aufgefallen, dass wir zu solchen Zeiten Vorlesungen haben, dass wir uns kaum treffen können. So wollen wir jetzt am Sonntag ins Eisenbahnmuseum gehen, dort eine Ausstellung besuchen, dann eine Führung mitmachen, um dann in ein Depot der Russischen Eisenbahn zu fahren und es dort gezeigt zu bekommen. Das klingt sehr spannend, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass wir ein normales Elektritschka-Depot besuchen. Auch wenn aus unseren ganzen Ideen nichts geworden ist, habe ich die freie Zeit sinnvoll verbracht: Wieder mit dem Übersetzen meines Solovjov-Textes. Ich merke, dass ich langsam doch schneller werde. Dennoch ist es noch immer so, dass manchmal mehr als eine Viertelstunde vergeht, bis ein einzelner Satz übersetzt ist, der sich dann allerdings oft über etwa eine halbe Buchseite erstreckt und völlig verschachtelt ist. Und ist er übersetzt, dann muss ich ihn daraus noch einen "richtigen" deutschen Satz machen, auch das nimmt manchmal viel Zeit in Anspruch. Bis ich erst einmal mit dem Übersetzen anfange - andere Sachen sind dann oft wichtiger - vergeht oft Zeit, dann macht es aber doch recht viel Spaß, zumal ich meine eigenen Fortschritte betrachten kann. Nunmehr liegen nur noch acht Seiten vor mir. Vielleicht schaffe ich sie bis Freitag oder Samstag.

Im Dezember hatte ich ja einen Artikel für die Zeitschrift "K-Teen" der Katholischen Jugend Ostfriesland geschrieben. Er ist schon längst veröffentlicht und liegt in Form des Heftes - Ausgabe 2/2008 - seit Dezember aus. Das Heft ist im Regelfall in allen katholischen Kirchengemeinden in Ostfriesland zu finden, über das Dekanatsjugendbüro in Aurich zu beziehen oder im Internet unter www.katholische-jugend-ostfriesland.de zum downloaden.

 

Mein Artikel im K-Teen Ausgabe 2/2008. 

 

 

Mittwoch, 04. Februar 2009

Der heutige Morgen begann eine dreiviertel Stunde später als geplant. Ich war gestern Abend fest in dem Glauben, den Wecker gestellt zu haben. Das es dann anders war, habe ich am heutigen Morgen gemerkt. Es war nicht weiter schlimm, dennoch hätte ich gerne vor den Vorlesungen den Text weiter übersetzt. Da ist dann von zwei Sätzen abgesehen nichts draus geworden. Das wollte ich dann auf heute Abend verschieben - aber es wieder einmal vieles anders geworden - nämlich besser.

Zunächst bin ich so zeitig zur in die Stadt gefahren, dass ich noch Brot kaufen konnte, was wieder einmal nicht da war, so dass ich es in einem anderen Geschäft gekauft habe. Die Fahrt mit der Elektritschka und sogar mit der Metro war heute mal wieder besonders aufregend: Der Maschinist - so heißen die Triebfahrzeugführer in Russland - hat wohl an der Station Pererwa das Bremsen vergessen und ist um etwa zwei Wagenlängen an der Station vorbeigerauscht, so dass er wieder zurücksetzen musste, was ich mit einem breiten Grinsen quittiert habe. Die Fahrt war aber sonst in Ordnung, so dass es keinen Anlass zur Sorge gab. In der Metro war es dann an der Station "Platz der Revolution" ähnlich. Erst ist der Zug aus der Station "Kurskaja" nicht losgefahren, um dann mit einem hohen Tempo in die Station "Platz der Revolution" einzufahren, mit quietschenden Rädern dort anzuhalten - dies auch noch viel zu weit vorne, so dass der Maschinist noch ein paar Meter vorfahren musste. Die Moskauer Metro riecht ja nicht oder nur kaum nach heißen Bremsen, obwohl hier doch oft stark abgebremst wird, aber dieses Mal stank es am Zug entsetzlich nach dem Bremsvorgang. Und in der Metro war es dieses Mal sehr schwierig, sich festhalten zu können. Ich möchte nur zu gerne mal wissen, auf welche Art und Weise die Züge der Metro und der "richtigen" Eisenbahn mit einem Sicherheitssystem ausgerüstet sind - oder ob überhaupt. Magnete oder ähnliches habe ich bislang kaum in den Gleisen gesehen.

Nach den Vorlesungen und der Chorstunde habe ich mich mit Masha getroffen und wir sind in den Botanischen Garten gefahren, um uns dort eine Eis-Skulpturen-Ausstellung anzuschauen. Die Ausstellung ist dort wirklich interessant - es gibt viele Exponate - allesamt aus Eis. So gibt es dort einen chinesischen Kalender, Nachbauten von berühmten Gebäuden wie zum Beispiel der Eifelturm, die Freiheitsstatue oder den schiefen Turm von Pisa - oder einfach Eiskunst. Höhepunkt der Ausstellung sind aber die drei Rutschbahnen im Park, auf denen man auf dem Hosenboden ein paar Meter rutschen kann, was auch viel Spaß gemacht und für einen nassen Hintern gesorgt hat, trotz das Masha Plastiksitzunterlagen im Gepäck hatte.

Anschließend sind wir nach Hause gefahren, wo ich zunächst eine trockene Hose angezogen habe und dann dort ein wenig zu Abend gegessen haben - was wie immer sehr lecker war. Vorher haben wir ein paar Museumsbesuche geplant. Gegen zehn Uhr musste ich dann leider schon wieder aufbrechen, wegen der Öffnungszeiten des Wohnheims. Im Kursker Bahnhof habe ich dann eine Bekannte - den Namen habe ich wie üblich vergessen - und ihre Freundin Ola getroffen habe. Wir haben ein wenig auf der Fahrt miteinander gequatscht und schon an der Bahnstation Pererwa eine kleine Schneeballschlacht angefangen, unter der mit Sicherheit auch andere Fahrgäste des Zuges zu leiden hatten. Aber die Moskauer sind ja recht leidensfähig, so dass sich keiner beschwert hat. Den Schnee, der seit etwa 15 Uhr gefallen war - bis jetzt etwa fünf Zentimeter - forderte geradezu zu einer solchen Spielerei heraus, der sich dann noch drei weitere Mädchen angeschlossen haben. Vor dem Wohnheim ging es dann noch kurz weiter. Den Versuch, ein paar Jungs ins Boot zu holen, ist fehlgeschlagen. Sie sind für so etwas vielleicht ein wenig zu langweilig.

Der Euro-Kurs ist für mich in den vergangenen Tagen wieder günstiger geworden - mittlerweile rangiert er bei 1:45 und mehr und es wird, so wie ich das höre, nun nicht mehr so oft von der Krise gesprochen, sondern es fällt immer öfter das Wort Inflation. Wenn das so weitergeht - steigende Arbeitslosigkeit, steigende Preise, sinkende Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl und so weiter, dann hoffe ich (für die Menschen hier), dass die Regierung geeignete Mittel findet, um in die Misere wirkungsvoll eingreifen zu können, wenn es dazu nicht mittlerweile schon zu spät ist. 

 

Der Eifelturm - aus Eis.

 

Eingefrorene Propaganda.

 

Die Bremer Stadtmusikanten.

 

 

Donnerstag, 05. Februar 2009

Vom heutigen Tage gibt es eigentlich nur sehr wenig zu berichten: Nach dem Gang ins Internet, in die Universität und damit verbunden natürlich in die Mensa bin ich nach Moskvoretschje gefahren, um dort ein paar Fotos zu machen, was aber wegen dem ungünstigen Sonnenstand nur sehr bedingt gelang. Als ich zu Hause war, wollte ich eigentlich weiter übersetzen, was aber nur sehr mäßig gelungen ist. Mein Kopf will heute schon den ganzen Tag kein Russisch verstehen, so dass ich mich sehr schwer getan habe und recht oft bei Oleg nachgefragt habe. Dennoch ist der Text bald übersetzt - es sind nunmehr nur noch knapp sechs Buchseiten. Dann geht es an einen anderen - dann nicht mehr philosophischen Text, den ich hoffentlich einfacher und schneller übersetzt bekomme.

Vom Wetter gibt es zu berichten, dass es heute wunderschön draußen war - nicht zu kalt, etwa -5°C, blauer Himmel und Sonnenschein. Somit ist die Schneelandschaft - wenn man in Moskau überhaupt von einer solchen sprechen kann - noch einmal doppelt so schön!

 

 

Freitag, 06. Februar 2009

Vor der ersten Vorlesung kam mir an diesem Morgen Vater Nicolai entgegen und fragte mich ohne ein Hallo oder Guten Morgen und ohne dass ich seinen Gesichtsausdruck sehen konnte, warum ich nicht im Gottesdienst für die Studenten um sieben Uhr gewesen sei. Ich wusste da irgendwie keine Antwort drauf als "Das kommt noch...", habe mich anstatt dessen von ihm segnen lassen und dann ist er auch schon an mir vorbei hinausgestürmt. Und ich habe mir daraufhin den ganzen Tag Gedanken gemacht, wie diese Frage denn nun zu werten sei. Ich möchte hier ja nun auch nicht negativ auffallen - also quasi in Ungnade fallen. Ich habe den ein oder anderen Studenten gefragt, wie das zu werten sei, die wussten aber alle keine richtige Antwort. Beim Abwasch in der Stalowaja lief Nina durch den "Spülraum" und sie meinte auf meine Frage, dass das ein Kompliment gewesen sein könne, da ich für einen Studenten überdurchschnittlich oft in der Liturgie oder im Gottesdienst sei. Nach der Vetschernaja dann wieder das gleiche Spiel: Vater Nicolai hat mir was gesagt, mich dann gesegnet und war dann eigentlich auch schon wieder verschwunden zur Beichte. Das einzige, was ich im Gewühle der Kirche verstanden habe, war "prava sloj", das habe ich dann als "wirklich böse" aufgefasst. Masha meinte auf meine Frage in dieser Beziehung, dass er bestimmt was anderes gemeint hätte. Und auch sie meinte, dass wegen der Frage vom Morgen eher ein Kompliment versteckt sei. Später sagte sie mir dann, dass er mir in der Kirche nur gesagt hätte, dass ich zum Schluss in dem Männerchor, der kurz gesungen hat, hätte mitsingen können. Das hat mich zwar etwas beruhigt, wollte aber dennoch kurz mit ihm sprechen diesbezüglich und habe dann bis zehn Uhr auf ihn gewartet, habe dann aber nicht mehr länger warten können, weil die für mich letztmögliche Elektritschka eine halbe Stunde später fuhr. So habe ich das auf etwas später verschoben. Das Warten auf ihn wurde immer wieder unterbrochen durch mein Helfen in der Kirche, die sich auf den Bischofsbesuch am morgigen Tag vorbereitete. Es mussten Teppiche ausgelegt, das Podest für den Bischof aufgestellt, Kerzenständer verrückt und alles auf Hochglanz gebracht werden. 

Am Nachmittag habe ich mich noch einmal mit Gisela getroffen, die am kommenden Tag wieder nach Deutschland abreisen wird. Das war mir so wichtig, dass ich die Chorstunde habe ausfallen lassen, denn sie hat noch einmal eine ganz andere Sicht auf die Universität als Deutsche und kennt sie sehr gut. Und so kann ich mit ihr auch mal ein paar Sachen ausklüngeln, die ich nicht mit jedem besprechen kann oder kann mir einfach von ihr einige Ratschläge abholen und in Vertrautheit über solche Dinge reden, ohne dass im Moment drauf die ganze Universität Bescheid weiß. So sind wir beide der Meinung, dass ich einen äußerst glücklichen Zeitpunkt für mein Studium in Russland erwischt habe, weil viele Dinge im Umbruch scheinen, ohne dass der Ausgang bekannt wäre. Da sind der Tod des Patriarchen und die damit verbundene Neuwahl Kyrills und die Weltwirtschaftskrise die wohl wichtigsten Beispiele, die in diese Richtung weisen. Alles weist darauf hin, dass mir noch eine sehr spannende Zeit bevorsteht. In jedem Fall kann man besonders an der Universität merken, dass im Moment in einem besonderen Maße Geschichte geschrieben wird.

 

 

Samstag, 07. Februar 2009 - Fest der Marien-Ikone "Stille meine Traurigkeiten"

Um kurz vor neun Uhr war ich in unserer Fakultätskirche und kurz darauf kam, wie schon angekündigt, Bischof Savva. Er wurde von den Priestern und Diakonen der Gemeinde begrüßt und kurz darauf begann die Göttliche Liturgie, die in Anwesenheit eines Bischofs noch viel feierlicher ist. Das Bekleiden des Bischofs mit den liturgischen Gewändern habe ich ja schon einmal beschrieben; heute ist mir aber insbesondere aufgefallen, dass ihm das große Omophorion (ähnlich dem Pallium in der katholischen Kirche) häufig abgenommen wird für liturgische Zwecke - so geht nimmt er beispielsweise nach der Gabenprozession den Kelch vom Diakon und geht unter dem Omophorion durch, dass von zwei Altardienern hochgehalten zwischen Altar und Königstüren. Wenn ich mich richtig erinnere, dann wird es ihm zeitweise auch zu den Schriftlesungen abgenommen. Hier will ich noch einmal genauer nachlesen, welche Bedeutung dies alles hat.

Nach der Liturgie habe ich gegessen und bin dann nach Hause gefahren, wo ich eigentlich weiter übersetzen wollte. Da bin ich erst gar nicht bei angefangen. Ich habe zunächst geschlafen und dann den Text vom Vortag ins Tagebuch geschrieben. Und am Abend bin ich dann in die katholische Kirche gefahren - mit Masha. Später kam dann noch ihre Schwester mit dazu.

Irgendwie sind mir während der Göttlichen Liturgie zwei Erlebnisse in den Kopf geschossen, die mich den ganzen Tag nicht wieder losgelassen haben: Einerseits hatte wurde ich einmal gefragt, ob es für mich nicht schade sei, in der Göttlichen Liturgie nicht kommunizieren zu können. Meine genaue Antwort weiß ich nicht mehr - jedenfalls werde ich nicht von "schade" oder "traurig" gesprochen haben. Denn die Göttliche Liturgie und auch die Vetschernaja sind für mich nach wie vor noch etwas Besonderes, jedes Mal ein wunderschönes Erlebnis, von dem ich immer wieder neu begeistert bin. Und daher ist es die Dankbarkeit und Freude, so etwas erleben zu dürfen und so gut aufgenommen zu sein, die eine aufkommende Traurigkeit, nicht kommunizieren zu können, völlig ins Abseits drängt. Das ist der erste Gedanke. Der zweite ist sehr ähnlich und den habe ich vor etwa eineinhalb Wochen erlebt. In der Vorlesung "Vergleichende Theologie" ging es um Eucharistie und Kommuniongemeinschaft, speziell im Rahmen der katholischen und russisch-orthodoxen Kirche. Das Resultat war mir bekannt und lautete natürlich, dass ich nicht kommunizieren könne. Vater Valentin "kommentierte" dies mit "Sorry, Brat" ("Entschuldige, Bruder"). Im ersten Moment war ich vielleicht wegen der klaren Worte ein wenig enttäuscht, auch wenn ich nichts anderes erwartet hatte, aber es dauerte nicht lange, dass das "Sorry" gar nicht das wichtigste Wort gewesen ist. Viel wichtiger ist die Bezeichnung "Bruder". Dies drückt doch eigentlich aus, dass wir aus ein und derselben Familie stammen. 

Nun habe ich gerade versucht, den Namen der Ikone, утоли моя печали, zu übersetzen und komme da auf zwei völlig verschiedene Varianten. Die erste ,im elektronischen Wörterbuch stehende lautet: "Christus am Kreuz". Die zweite, wörtliche Übersetzung dagegen lautet völlig anders: "Still meine Traurigkeiten". Die Ikone zeigt aber die Gottesmutter Maria, mit dem Jesuskind im Arm, so dass ich die zweite Übersetzung für passender halte. Ich vermute, dass das Übersetzungsprogramm in diesem Fall nicht zuverlässig arbeitet, obwohl es den Begriff als Ganzen kennt.

 

Bischof Savva, Bischof von Krassnogorskij und Vikar des Moskauer Bistums.

 

Fotografie von einem Heft mit dem Bild der Ikone, mit deren Namensübersetzung ich noch Probleme habe.

 

 

Sonntag, 08. Februar 2009 - Fest der Neuen Märtyrer

Zunächst hat sich am heutigen Morgen herausgestellt, dass meine Übersetzung des Ikonennamens richtig war - das Computerprogramm irrt sich da gewaltig. Gestern Abend hatte Masha mir gesagt, dass am heutigen Tag das Fest der Neuen Märtyrer ist. Die Rede ist also von den Christen der Russisch-orthodoxen Kirche, die während der Sowjetzeit für ihren Glauben gestorben sind - was eine große Menge sein dürfte. Für die Heiligsprechung hat sich vor Jahren meine Fakultät wohl sehr eingesetzt und daher ist den Märtyrern in der Dreifaltigkeitskirche der Fakultät der linke Seitenaltar gewidmet und der Tag wurde als ein Fest gefeiert. Ich hatte den ganzen Morgen - also vom Aufstehen an - schon den Eindruck, dass ich Masha besser vor die Wahl stelle, ob wir wie geplant ins Eisenbahnmuseum gehen oder in die Göttliche Liturgie. So sind wir dann in die Troizkij-Kirche gegangen. Dort wurde mir während der Kommunion die Aufgabe zuteil, ein warmes Getränk - Wasser mit etwas Wein und Zucker - an diejenigen zu verteilen, die kommuniziert haben. Ich bin vorher gefragt worden, ob ich die Aufgabe übernehmen könne, da sie nur Frauen machen.

 Bevor ich zur Masha gegangen bin, habe ich noch einen ganz kurzen Abstecher in die Russisch-orthodoxe Kirche des alten Ritus gemacht. Sie werden auch als altorthodoxe Christen bezeichnet und leben seit den Liturgiereformen des Patriarchen Nikon im 17. Jahrhundert getrennt von ihrer Mutterkirche, der Russisch-orthodoxen Kirche. Sie feiern nach dem alten Ritus, der in dieser Kirche erhalten geblieben ist. Da in der Straße, in der sich die Universität befindet, eine solche Kirche ist - möglicherweise die Patriarchalkirche - möchte ich in absehbarer Zeit dort hin und wieder vorbeischauen und auch diese Liturgie studieren. Von den Erzählungen meiner Mitstudenten weiß ich, dass ich diese Kirche sehr streng ist und durchaus die Gefahr eines Herauswurfs aus der Kirche drohen könnte. Daher werde ich noch etwas damit warten und erst bei einigen, von denen ich denke, dass sie die Lage einschätzen können, nachfragen, ob ich dort bedenkenlos und ohne Konflikte zu verursachen hingehen kann. Der Blick durch die Kirchentüre war aber recht vielversprechend - wenn ich auch nur drei bis vier Minuten das Ende der Liturgie gesehen habe. Allein der Gesang und die Segnung der Gläubigen durch die Priester war schon anders. Und in der Kirche selbst habe ich ein dreistufiges Podest gesehen - ein solches Podest kenne ich aus der "normalen" Russisch-orthodoxen Kirche - es ist für den Bischof. Ein dreistufiges könnte auf das Kirchenoberhaupt hinweisen. Zurück im "Vorraum" zur Kirche habe ich kurz mit einer Frau gesprochen, die sich gleich für mich interessierte, als ich vorsichtig nachgefragt habe. Sie wollte wissen, woher ich komme und was ich hier mache. Und als ich ihr alles erzählt hatte, sagte sie mir, dass ich wiederkommen könne. Da hat sie mir auch kurz von deren Patriarchen Alexander erzählt. Interessant fand ich auch, wie die Frauen dort gekleidet waren - sie hatten einen sehr traditionelle oder altertümlichen Kleidungsstil - in etwa so, wie man ihn manchmal in Theaterstücken über das einfache Volk sieht oder aus dem Museum kennt. Die Männer dagegen waren an für sich normal gekleidet. Nun war ich also etwa fünf Minuten dort und habe schon einige interessante Entdeckungen gemacht.

Am Nachmittag bin ich zur Akafist in Elenas Gemeinde gefahren. Dort fand heute eine besondere und längere Akafist statt, nämlich zu Ehren einer dortigen bedeutenden Marienikone. Es fand noch ein anderer Gottesdienst statt, in den die Akafist gebettet war. Es hat auch der Diakon der Gemeinde, Vater Igor, gedient und zum Schluss wurde das Ölkreuz gespendet. Anschließend habe ich mich noch mit Lena unterhalten und mit ihr in der Kirche Tee getrunken.

Als ich heute Morgen die Wurst für mein Frühstück draußen von der Fensterbank geholt habe, wusste ich, dass Tauwetter eingesetzt hat, denn die Wurst war nicht mehr gefroren. Und auch Käse und Joghurt haben wieder zu ihrem gewohnten Zustand gefunden. Durch diesen Wetterwechsel war ich heute sehr müde. Wenn das Wetter sich hier ändert, dann hat das gleich mit Temperaturschwankungen zu tun, die oft um 10°C liegen. Meistens bin ich an solchen Tagen recht unproduktiv und bekomme nicht das geschafft, was ich gerne möchte. 

Soeben habe ich mit meinen Eltern telefoniert, die eine sehr schlechte Nachricht für mich hatten: Vielleicht kann ich meine geliebte Wohnung in Münster nicht halten, weil mein Nachmieter seinen Studienplatz früher als geplant wechseln wird. Von Moskau aus wird es auch wohl schlecht sein, einen Nachmieter bis spätestens Ende September zu finden. Nun hoffe ich, dass sich in den nächsten Tagen alles zum Guten wenden wird. Mir liegt die Wohnung nur sehr am Herzen, weil ich dort ruhig gewohnt habe, gute Nachbarn und ein mehr als gutes Mietverhältnis gehabt habe. Dort konnte ich schön im Garten lernen unter dem Kirschbaum bzw. am Fischteich und mit dem Fahrrad war ich schnell in der Natur. Das mag ich gerade nach meiner Zeit in Moskau im Wohnheim und so weit fernab von der Ruhe der Natur nicht mehr missen. Das ist das, was ich hier immer mehr vermisse: Einfach mal aus Fahrrad setzen, um drei Ecken fahren und dann nach ein paar Minuten in den Feldern alleine mit meinem Fahrrad zu sein und die Ruhe zu genießen und den eigenen Gedanken etwas nachhängen. 

Zu guter letzt möchte ich noch einen Nachtrag zum Samstag liefern: In der Vetschernaja muss das erste Fastenlied gesungen worden sein; ich war ja selbst nicht mit dabei und mir ist es nur erzählt worden. So beginnt langsam die Vorbereitung auf die große Fastenzeit, die am 22. Februar mit der fleischlosen Woche eingeleitet wird. In dieser Zeit gibt es kein Fleisch mehr. In den darauf folgenden sechs Wochen ist dann die große Fastenzeit, wo es außer Fisch überhaupt keine tierischen Produkte zu essen gibt. Diese endet am 18. April mit den Osterfeierlichkeiten. Und während der Fastenzeit soll es sehr interessante Liturgien geben, so dass mir noch eine sehr interessante Zeit bevorstehen dürfte, auf die ich sehr gespannt bin. 

 

 

Montag, 09. Februar 2009

In der letzten Nacht habe ich nicht gut schlafen können, weil ich immer an meine Wohnung in Münster denken musste, in die ich doch gerne wieder einziehen will am Ende meines Studiums in Moskau. Diese Gedanken haben sich den ganzen Tag durchgezogen, so dass ich mich auch nicht viel konzentrieren konnte. Im Laufe des Tages habe ich mich immer mehr entschlossen, noch etwas sparsamer zu leben und im Notfall eine verminderte Miete zu bezahlen für die Zeit, in der ich noch zurück bin oder wenn ich zurück in Münster bin, auf das ein oder andere zu verzichten. Je länger ich hier in Moskau bin, umso mehr weiß ich dieses kleine Paradies zu schätzen und will es nicht missen. Das hat mir heute so quer im Magen gelegen, dass ich direkt meine Vermieterin angerufen habe und mich mit ihr gesprochen habe. Das Resultat ist, dass wir noch so lange abwarten wollen, bis mein Nachmieter eine neue Wohnung an seinem neuen Studienort vermelden kann. Ich denke, ich werde auch bei meinen ehemaligen Arbeitgebern nachfragen, wie es ab August mit Arbeit aussieht. Und ich vermute fast, dass die Wohnung auf Dauer günstiger ist trotz einer verminderten Miete für einen Teil der Zeit, in der sie leer steht, weil die Mietpreise in Münster wahrscheinlich für eine Wohnung in der Art viel höher sind. Aber für mein ehemaliges "Ostfriesisches Generalkonsulat" werde ich notfalls bis aufs Messer kämpfen!

 An der Fakultät für Kirchenmusik werden offenbar einige Lieder gesungen, die aus Deutschland kommen. Ich habe für eine Studentin ja schon einen Text übersetzt und aufs Diktaphon gesprochen und heute habe ich einer anderen den gleichen Gefallen getan. Es ist gar nicht so leicht, Musiktexte aus Mozarts Zeit ins Russische zu übersetzen, weil ich hin und wieder über den Sinn alter oder in Vergessenheit geratener Wörter nachdenken und improvisieren muss.

Zudem habe ich mich nach der Ethik-Vorlesung mit Olga getroffen und wir haben unser Tandem heute auf Deutsch gehabt. Wir haben uns insbesondere über die Unterschiede zwischen orthodoxer und katholischer Kirche unterhalten. Das Resultat war eigentlich, dass ich aus orthodoxer Sicht eine viel laxere Sicht der Dinge habe. Das orthodoxe Verständnis tendiert, das habe ich auch schon in anderen Gesprächen in die Richtung, dass die Gläubigen zu hundert Prozent hinter ihrer Kirche stehen. Diskussionen wie derzeit in der katholischen Kirche über die Rehabilitierung des britischen Bischofs Williamson und der vier Bischöfe der "Priesterbruderschaft St. Pius X", scheinen kaum möglich. Auch wird dann und wann mit Verwunderung reagiert, wenn wir über das Zölibat oder die Unfehlbarkeit des Papstes diskutieren oder dies gar in Frage stellen. So auch heute in ähnlicher Form mit Olga. Diese Gespräche finde ich sehr wichtig, weil sie mir das Denken in der orthodoxen Kirche zeigen und das Grundverständnis für ökumenische Beziehungen bilden. 

Manchmal mache ich Sorgen zu einer anderen Sache und denke über mein Verhältnis gegenüber Studentinnen nach. Ich fühle mich da momentan etwas unsicher. Ich habe Sorge, dass ich mit meinem offenen Charakter bei einigen falsche Hoffnungen wecken könnte. Viele russische Männer bzw. Studenten scheinen das "Kind im Manne" nicht so auszuleben wie ich es gerne mache und es auch mein Charakter ist: Im Schnee toben, im guten Sinne Quatsch machen, mich ungezwungen zu unterhalten und so weiter. Bei den Russen scheint es eher umgekehrt der Fall zu sein: Männlich sein und stark zu wirken, in keinem Fall das "Kind im Mann" und Schwäche zeigen. Vielleicht reicht es doch nicht aus, alles nur auf mich zukommen zu lassen und ich sollte möglicherweise noch mehr auf Distanz zu gehen, um nachher keine traurig machen zu müssen. Dies sind also die Schattenseiten des "Superstar"-Daseins. 

 

 

Dienstag, 10. Februar 2009

Der Tag heute begann völlig normal mit den üblichen Vorlesungen in der Universität und endete in einem völligen Chaos. Ich bin abends mit drei Freunden in einem Theater gewesen, das so etwas den Charakter einer Dorfbühne hatte, aber mit professionellen Schauspielern "ausgestattet" war. Gespielt wurde die Komödie "Nicht Liebe, aber Schicksal". Es spielte in den 70er Jahren der Sowjetunion und handelte davon, dass die Frau eines arbeitslosen Journalisten gerne in den Westen "rübermachen" wollte, er aber lieber in der Heimat bleiben wollte. Es war ein sehr heiteres Stück, von dem ich aber längst nicht alles verstanden habe, weil viel in Umgangssprache gesprochen wurde. Aber das Theater hatte visuell genügend zu bieten, vor allem auch parallel zu den Hauptakteuren, wurde einiges Beiwerk geliefert, so dass es in jeder Ecke was zu beobachten gab. Schön war, dass es nur eine kleine Bühne war, wo die Stühle in loser Reihenfolge drum herum gestellt waren.

Ich hatte zwar von Masha das Angebot erhalten, bei ihr zu Hause zu schlafen, habe mich aber dagegen entschieden, was im Nachhinein für einige Aufregung gesorgt hat. Auf dem Rückweg hatte ich die Idee, von der Elektritschka-Station Zarizino im Süden der Stadt zum Wohnheim zu fahren. Nun muss man dazu wissen, dass einige Metros abends einen anderen Weg ins Depot nehmen - so auch meine. Das hatte ich alles mitbekommen und bin daher frühzeitig ausgestiegen. Dementsprechend habe ich mich auf die Seite der Station gestellt, die nach Zarizino ausgeschildert war und bin dann nach einigen Minuten Warten in die Metro eingestiegen. Als die Türen zugingen, wurde gesagt, dass die Metro in die Richtung wie die andere, in der ich schon drin saß fährt. Sie fuhr tatsächlich vom verkehrten Bahnsteig ab. Meine Elektritschka von Zarizino konnte ich vergessen und bin daher zur Station Textilschschiki gefahren, was allerdings zeitlich sehr, sehr knapp war. Zum Glück musste ich jeweils nicht lange warten beim umsteigen. So stand ich dann um 23:46 Uhr auf einem leeren Bahnsteig, von dem gerade der Zug zum Wohnheim abfuhr - zwei Minuten zu früh. Aus lauter Verzweiflung habe ich mir dann ein Taxi genommen, das auch nicht grad umsonst war und war dann um kurz vor Mitternacht im Wohnheim. Meine Verspätung war im Wohnheim kein Problem, weil ich vorher um eine Ausnahme gebeten habe.

Nun fühle ich mich ziemlich gestresst und auch irgendwie krank. Die Glieder sind schwer und jede Bewegung macht Last. Ich habe Sorge, dass ich krank werde.  

 

 

Mittwoch, 11. Februar 2009

Was ich gestern Abend befürchtet habe, ist eingetreten. Die ganze Nacht hatte ich Gliederschmerzen und konnte nicht richtig schlafen. Auch heute Morgen hatte ich starke Probleme, aus dem Bett zu kommen und obwohl der Wecker erst um neun Uhr geklingelt hat, habe ich mich um zehn Uhr aus dem Bett herausgequält. Ich wollte wenigstens ausprobieren, ob ich die Vorlesungen hören kann. Doch spätestens als ich in der Universität war, wusste ich, dass ich bald wieder ins Wohnheim ins Bett fahre. Zunächst habe ich mich bei allen Veranstaltungen abgemeldet und wollte dann auf Elena warten, damit sie mir erklären kann, welche Medikamente für mich nützlich sein könnten, die sie mir irgendwann im Herbst gegeben hat. Leider war sie ein wenig spät und ihre Vorlesung hatte schon angefangen, so dass ich sie nicht mehr aufhalten mochte. Nur auf Verdacht habe ich dort geschaut, wo Olga, Nina und auch Ludmilla Simonovna zu finden sind. Und gerade Letztere konnte mir dann einige Tipps geben, was an Medikamenten nötig sei und hat auch meine Hausapotheke gesichtet. Mit dem Ratschlag, mich möglichst schnell ins Bett zu legen habe ich mich von ihr verabschiedet. Ich bin dann noch Essen gegangen, wo ich dann eine "Gesundungsportion" bekommen habe: Trotz des Fastentages hatte ich etwas Fleisch auf meinem Teller liegen.

Anschließend war ich in der Apotheke und bin dann zum Kursker Bahnhof gefahren, wo ich zunächst in dem Laden dort Hühnersuppe und einen Sechs-Liter-Kanister Wasser gekauft habe und habe mich dann auf den Bahnsteig gestellt, von dem meine Elektritschka abfahren sollte. Zum Glück ist mir aufgefallen, dass sämtliche Gleise belegt waren, von dem normalerweise die Elektritschkas abfahren. Ich habe zunächst abgewartet und genauer beobachtet, bis ich dann gesehen habe, dass auf einem anderen Gleis ein Zug einfuhr, vom dem ich vermutet habe, dass es meiner sein könnte. Und es war tatsächlich meiner: Es gab keine Durchsagen im Bahnhof über die Gleisänderung und so bin ich trotz schwerer Beine recht schnell zum Bahnsteig gekommen, wo ich dann im Zug Platz genommen habe. Hätte ich den nicht mitbekommen, dann hätte ich über eine Stunde warten müssen. Ich hätte gewaltig auf dem Kriegsfuß mit der Russischen Eisenbahn gestanden, wenn ich den Zug verpasst hätte, vor allem im Blick auf das Erlebnis vom gestrigen Abend.

Im Wohnheim angekommen habe ich mir Tee gemacht und habe im Computer die Göttliche Liturgie, die Weihnachts- und Osterliturgie im Computer in deutscher Sprache angemacht und bin dann ins Bett gegangen. Nach drei Stunden, die ich die meiste Zeit geschlafen habe, taten mir zumindest die Beine nicht mehr so weh, so dass ich wieder halbwegs normal über den Flur gegangen bin. Nach einer weiteren heißen Tasse Tee habe ich mich dann für weitere zwei Stunden ins Bett gelegt. Anschließend bin ich duschen gegangen und habe was gegessen. Eigentlich wollte ich dann recht zügig wieder ins Bett, doch Vitali, der gestern Geburtstag hatte, klopfte an meiner Türe mit zwei Stückchen Torte in der Hand. Da konnte und wollte ich nicht nein sagen, und so habe ich mit ihm noch fast eine Stunde zusammengesessen und geredet.

Wenn ich meinen Zustand heute Abend anschaue, dann könnte es durchaus möglich sein, dass ich morgen schon wieder zur Uni gehen kann - mal schauen. Eigentlich singt mein Chor morgen die Göttliche Liturgie - es ist ja das Fest der Heiligen Basilius der Große, Johannes Chrysostomus und Gregori. Da wollte ich morgen eigentlich hin und habe mich da schon sehr darauf gefreut, aber ich werde morgen noch einmal ausschlafen, damit ich möglichst schnell wieder fit bin. 

 

 

Donnerstag, 12. Februar 2009 - Festtag der Heiligen Basilius der Große, Johannes Chrysostomus und Gregori

Heute Morgen habe ich mich schon wesentlich besser gefühlt als gestern und den ganzen gestrigen Tag. Ich bin nicht zur Göttlichen Liturgie gefahren, habe aber mit meinen Eltern im Internet gesprochen und bin anschließend zur Vorlesung "Vergleichende Theologie" bei Vater Valentin gefahren. Und so nach und nach ist mein Gesundheitszustand dann offensichtlich wieder schlechter geworden, zurück im Wohnheim habe ich mich recht schnell wieder ins Bett gelegt. Bevor ich mich für die Nacht fertig gemacht habe, habe ich noch Fieber gemessen und war ganz erstaunt, dass die Skala 39,1 zeigte. Ich hätte allenfalls mit erhöhter Temperatur gerechnet. Nun wissend, dass ich morgen in keinem Fall zur Universität gehen würde, habe ich mich ins Bett gelegt.

Nun hoffe ich, dass ich bis Sonntag wenigstens so weit wieder gesund bin, dass ich in die Göttliche Liturgie gehen kann, weil dann eine sehr interessante Liturgie anstehen soll. Und die will ich in keinem Fall verpassen.

 

 

Freitag, 13. Februar 2009

Der Blick auf das Fieberthermometer am Morgen nach dem Aufstehen zeigte mir 37,7 an - also ist es über Nacht wenigstens schon besser geworden. Und wegen der erhöhten Temperatur habe ich den Tag im Bett verbracht und habe gelesen und geschlafen. In einer der Phasen, in der ich geschlafen habe, rief Juri Valerjewitsch bei mir an und hat mich für den Samstag in einer Woche eingeladen. Nun bin ich mir dessen aber nicht mehr so sicher, weil ich mich danach in der Gewissheit, es später auch noch zu wissen, wieder schlafen gelegt habe und dabei entsetzlich wirres Zeug geträumt habe, so dass ich erst gar nicht mehr wusste, ob er wirklich angerufen hat. Ich werde am Montag wohl noch einmal bei ihm anrufen müssen und genau nachfragen.

Gelesen habe ich heute in aller Ruhe die Apostelgeschichte und einige Paulinische Briefe, die ich schon lange nicht mehr gelesen habe und dieses Mal aus dem Blickwinkel des Wissens aus der Universität kennengelernt habe. Das war noch einmal ein ganz anderes Lesen und Verstehen, was mich noch einmal mehr beeindruckt hat. Und dann habe ich das Buch "Moskauer Tagebuch" des Walter Benjamin weiter gelesen, dass mir meine DAAD-Kommilitonin Lena geschenkt hat. Es ist ein wirklich interessantes Buch und man kann so viele Parallelen entdecken, auch wenn zwischen dem Moskau, das Walter Benjamin erlebt hat und dem, das ich heute erlebe, mehr als 80 Jahre liegen. So schreibt er beispielsweise von Frauen, die wenigen Waren anbieten - so, dass sie schnell vor der Miliz flüchten können, weil sie keine Konzession haben. Dies sehe ich jeden Tag auf meinem Weg zur Universität: Da ist auf der Eisenbahnfußgängerbrücke zur Elektritschka-Station Pererwa immer die Frau - bei den kalten Temperaturen genauso eingemümmelt wie Benjamin es beschreibt, die Handschuhe, Strümpfe, Socken, manchmal Apfelsinen und immer Sonnenblumenkerne verkauft. Und vor dem Kursker Bahnhof ist diese Situation noch einmal ganz verschärft - vor allem die Handy-Verkäufer, die manchmal recht aufdringlich werden können. Und in der Nähe der Metro-Station sehe ich fast jeden Tag die Babuschka, die ein paar eingelegte Tomaten, Kapusta, oder anderes weiterverarbeitetes Gemüse verkauft und dabei auf einem kleinen Hocker sitzt, vor sich die Waren ausgebreitet. Er formuliert passend auf diese Jahreszeit: "Alles, Schuhcreme, Bilderbücher, Schreibzeug, Kuchen und Brote, selbst Handtücher werden auf offener Straße verkauft, als herrsche nicht Moskauer Winter mit 25° Grad Frost sondern ein neapolitanischer Sommer." (Seite 54) Er schreibt auch von den vielen Bettlern auf der Straße, die ich immer vor Kirchen, in der U-Bahn und Elektritschka und oft genug auch an anderen Plätzen sehe. Mir fällt da insbesondere in diesem Moment die Babuschka ein, die ich eine Zeit lang oft auf dem Nachhauseweg gesehen habe: Sie kniet bei jedem Wetter und bei jeder Kälte tief gebeugt stundenlang auf der Straße, vor ihr eine Ikone stehend, sich unablässig bekreuzigend. Und ich denke auch an die vielen Kriegsversehrten mit abgetrennten Gliedmaßen, die rund um die Metro-Station Paveljezkaja in den Zügen um eine Spende bitten. Auch sie benützen oft religiöse Zeichen oder Motive, um Geld zu erhalten. Walter Benjamin schreibt 1927 nicht von religiösen Motiven in dieser Richtung, was mit großer Sicherheit mit der sowjetischen Zeit zu tun hatte, wohl berichtet er aber darüber, dass er einen Stand entdeckt hat, wo man Ikonen kaufen kann, gibt aber zu verstehen, dass er selbst sehr überrascht darüber ist. Vieles von dem, was er bezüglich dieser Menschen schreibt, lässt sich auch heute noch entdecken. In dem Moment, in dem Benjamin von seinem Besuch in der Basiliuskathedrale schreibt, habe ich gedacht, dass sich bis heute wohl nichts in der Kirche haben muss - vielleicht von der Wiedereinrichtung einiger Altäre abgesehen. Er hatte den gleichen Eindruck wie ich: ein trostloses Gebäude - im wahrsten Sinne des Wortes von Gott verlassen. Die kleine Kirche "Kasaner Muttergottes", die zwischen GUM und dem Historischen Museum liegt, scheint 1927 noch "in Betrieb" gewesen zu sein, da er das Leben in der Kirche beschreibt - mit Ikonenverehrung und so weiter.

"Man hat bemerkt, daß die Leute auf der Straße hier 'Serpentinen' gehen. Das ist ganz einfach die Folge der Überbevölkerung der engen Bürgersteige, so eng, wie man nur hier und da in Neapel sie findet. Die Trottoirs geben Moskau etwas Landstädtisches oder vielmehr den Charakter einer improvisierten Großstadt, der ihre Stellung über Nacht zuviel" (Seite 46). Auch hier sehe ich Moskau sehr ähnlich. Ich denke da vor allem an einige Ecken in der Straße, in der sich meine Fakultät befindet: An einigen Stellen ist der Bürgersteig sehr eng, so dass man den "Gegenverkehr" abwarten muss, an anderer Stelle ist er breiter, kann aber nicht richtig genutzt werden, weil die Dachrinne eines Hauses während der Schneeschmelze fürchterlich tropft. Sooft ich da auch drüber fluche, wenn ich wieder einen solchen Wasserfall übersehen habe, im Nachhinein ist es meistens doch recht lustig. Und auch zu seiner Zeit scheinen die öffentlichen Verkehrsmittel schon überbevölkert zu sein - er schreibt dies über die Elektrische, mit er wohl die Straßenbahn meint. Und er schreibt in dem Zusammenhang auch, dass das Aussteigen oft "vom Glück und von der rücksichtslosen Ausnützung der Körperkräfte ab[hängt]" (Seite 45).

Und letztlich hat Benjamin die gleichen Probleme wie ich anfangs auch: Sprach- und Orientierungsschwierigkeiten. Gerade letzte sind für Moskau wohl üblich, weil die Stadt damals wie heute sehr groß ist. Mittlerweile ist es bei mir so, dass ich das, was ich suche, auch irgendwie finde, manchmal aber doch mehr Zeit benötige, als ich mir ausgerechnet habe. Je mehr ich diese Tagebuchaufzeichnungen lese, umso mehr merke ich, dass sich Moskau einerseits sehr verändert hat und natürlich mit der Zeit geht, wie jede pulsierende Großstadt, aber auch viel von ihrem "alten" Charakter bewahrt hat. Das Alte hat sich an für sich nicht groß verändert, sondern vielfach verlagert. So wäre es früher undenkbar gewesen, Handys oder Antennen auf offener Straße zu verkaufen - weil es sie eben noch nicht gab. Aber die vielen Frauen mit ihren selbstgemachten Sachen - seien es Lebensmittel oder Kleidung usw. - finden sich noch an vielen Ecken in Moskau. Vielleicht komme ich irgendwann noch einmal auf das Buch zurück - ich werde es in jedem Fall zu Ende lesen, weil Benjamin mehr oder minder das in anderen, manchmal sehr kritischen Worten beschreibt, was ich hier erlebe. Vielleicht sollte ich auch noch was Positives über die Stadt erwähnen, was meine Beobachtungen mit Walter Benjamins gemeinsam haben: Dass viele Geschäfte der Stadt sehr lange geöffnet haben. Und dann gehört in jedem Fall dazu, dass er die Eiskristalle als genauso herrlich empfindet, wie ich auch. Wenn bei entsprechender Kälte nur einzelne Eiskristalle vom Himmel schweben und sich diese in Haaren verfangen, dann sehen sie wie Engelshaare aus, zumal die Kristalle auch noch blinken und blitzen. Das ist einfach etwas so Schönes, wie man es kaum beschreiben kann und selbst erlebt haben muss.

Es gibt aber auch ein paar Dinge, die ich aus Benjamins Erzählungen nicht kenne: So beschreibt er Moskau als die ruhigste Großstadt, die er kenne. So erlebe ich Moskau bei weitem nicht - für mich ist Moskau eine bei Tag und Nacht sehr lebendige und quirlige Stadt, in der das Leben stark pulsiert. Von ruhig kann hier in keinem Falle gesprochen werden. Und dann berichtet er von großen Grundstücken, die durch ein nie verschlossenes Tor immer zugänglich sind und auf denen sich selbst ein kleines Dorf befindet - mit Holzhäusern, Bäumen, spielenden Kindern und so weiter. So etwas habe ich bewusst noch nicht in Moskaus Innenstadt gesehen - wohl nicht ganz ohne Grund, denn finanzkräftige Menschen werden wohl alles aufgekauft und dann anderweitig verwertet haben. So finden sich zu meiner Zeit in Moskau an jeder Ecke und Kante Baustellen, wo wirklich große Gebäude - oder um sie nicht sogar Monumente zu nennen - errichtet werden. 

Gestern auf dem Nachhauseweg habe ich mir eine Konserve mit einer Hühnerbouillon gekauft - sie sah sehr klein aus und ich habe mich gewundert, warum da "2 Portionen" draufstand. Auch im Topf sah sie sehr wenig aus und ich habe gehofft, dass ich davon satt werde, trotz das ich wegen meiner Grippe in dieser Beziehung leicht leistungsvermindert bin. Im Nachhinein habe ich verstanden, warum das zwei Portionen sind: Nach kurzer Zeit ist mir der Appetit an der Suppe vergangen, so dass da noch ein Zweiter hätte ohne Weiteres von satt werden können. Ich weiß nicht, was die Hersteller sich da zusammengerührt haben, es war in keinem Fall auch nur annähernd lecker und noch weniger die 66 Rubel wert. Ich habe die Suppe aufgegessen und hoffe, dass sie wenigstens den gleichen Zweck wie eine deutsche Hühnersuppe bei Grippe erfüllt. Vor dem Abendessen hatte ich noch einmal Fieber gemessen und das Thermometer zeigte jetzt 37,9° an. Ich fühle mich auch schon viel gesünder als gestern und habe immer mehr Hoffnung, dass ich am Sonntag in die Göttliche Liturgie gehen kann - eine der Vorbereitenden auf die große Fastenzeit.

Kurz vorm Schlafengehen zeigt das Fieberthermometer - für mich wiederum sehr überraschend - nur noch 37,4°C an - morgen werde ich noch einen Ruhetag einlegen, um dann am Sonntag wieder meinen gewohnten Tagesablauf in Angriff nehmen zu können!

 

 

Samstag, 14. Februar 2009

Als erstes habe ich mir an diesem Morgen das Fieberthermometer unter den Arm gesteckt und war über das Ergebnis doch ernüchtert - es zeigte immer noch 36,9°C an. Ich habe zwar sehr gut geschlafen und so hatte ich Hoffnung, dass auch das Fieber zurückgegangen wäre. Den ganzen Morgen - vom Aufstehen bis zum späten Nachmittag hat es eigentlich durchweg geschneit, so dass nachher etwa 15cm Neuschnee lagen. Wie es aber üblich zu sein scheint in Moskau nach so viel Schneefall, steigen die Temperaturen dann sehr schnell an, so dass die ganze Herrlichkeit dann schnell wieder weg ist.

Den Tag über war ich eigentlich auf - habe mal gelesen, dann meinen Philosophen zu Ende übersetzt (ja, ich habe es endlich geschafft), habe eingekauft, gekocht und auch etwa eine Stunde gegen Abend geschlafen. Bei Vitali habe ich mich erkundigt, inwiefern es Forschungsmodelle zur Entstehung der Evangelien in der orthodoxen Kirche geben könnte und bin über mehr als Mutmaßungen nicht herausgekommen. Interessant ist in jedem Fall, dass Matthäus in der orthodoxen Kirche sowohl Apostel als auch Evangelist ist. Das steigert die Spannung für meine Hausarbeit natürlich noch einmal mehr und macht die Sache interessanter.

Und eigentlich war das auch schon der Tag, der mit 37,1°C endet. Morgen will ich in jedem Fall in die Göttliche Liturgie gehen - und verschwinde daher heute sehr zeitig im Bett.

 

 

Sonntag, 15. Februar 2009 - Mariä Lichtmess

Dachte ich gestern Abend noch, dass ich morgen soweit wieder fit bin, so hat sich sofort nach dem Schlafengehen allergrößte Ernüchterung breit gemacht. Ich bekam heftige Kopfschmerzen und konnte sie bis jetzt nicht richtig loswerden. Auch die Schmerztabletten haben nur wenig geholfen. Ich bekomme zwar wesentlich besser Luft - diese Wege sind frei - dafür sind die ganzen Nasennebenhöhlen und was damit verbunden ist bis in die Stirn entweder verklebt oder völlig verstopft mit dem, was bei Schnupfen eigentlich durch die Nase entweichen sollte, sich aber nicht irgendwo ansammeln und Schmerzen verursachen soll. Dementsprechend habe ich heute wieder viel im Bett gelegen, kaum gelesen und meine Stimmung ist ziemlich getrübt. Ich war zwischendurch draußen spazieren - nachdem es aufgehört hatte zu schneien, habe dort aber sowohl Freud als auch Leid erfahren müssen: Es ist etwas besser geworden mit meinem Kopf und ich habe auch ein paar tolle Fotos machen können, bin dafür aber auch von einem Auto nass gespritzt worden, dass mit hoher Geschwindigkeit durch die vielen Pfützen gerast ist. Solche Leute sollte man selbst an den Straßenrand stellen und einen großen Autobus dran vorbeifahren lassen! Inwiefern meine Jacke nun dreckig aussieht, muss ich noch nachschauen. Hoffentlich muss ich sie nicht waschen. Mein Spaziergang ging nicht sonderlich weit, weil einfach viel zu viel Schneematsch herumlag. So bin ich unter der Eisenbahnbrücke durch gegangen und an dem großen Kreisel rechts auf die Straße hinter der Elektritschka-Werkstatt gebogen. Ganz so weit bin ich da nicht gekommen - eben weil ich nass gemacht worden bin. Dort ist ein kleiner Industriegleisanschluss, der just in dem Moment bedient wurde, wo ich da war. So konnte ich davon ein paar Fotos machen - wenn die Lichtverhältnisse auch nicht die besten waren. Es ist nur verwunderlich, dass sich direkt hinter dem kleinen Bahnübergang keine Werkstatt befindet, die die Autos wieder zusammensetzt - so uneben und schlecht gebaut ist er!

Nach meiner Exkursion habe ich mich kurz darauf wieder hingelegt, weil sich der Kopf wieder bemerkbar machte. Irgendwann habe ich dann einen Film von Masha gesehen über ein Kloster, dass in den Fluten eines Stausees versunken ist. Und dabei ging auf einmal ein Pfeifen und Knacken durch meinen Kopf und die Kopfschmerzen wurden mit einem Schlag viel weniger! Vielleicht zeigt das viele Trinken von gestern und heute endlich seine Wirkung.

Von dem Kirchenfest habe ich heute überhaupt nichts mitbekommen, weil ich nicht zur Kirche gewesen bin. Ich hatte mir das ja eigentlich vorgenommen, aber der Gesundheitszustand hat es leider nicht zugelassen.

 

Schneefall - Blick aus dem Küchenfenster.

 

Winterattrappe (weil: Tauwetter)

 

Koffer im Schnee mit Bierdose.

 

 

Montag, 16. Februar 2009

Am heutigen Morgen hatte ich zumindest kaum noch Kopfschmerzen - die sich dann bis zum Abend ganz verflüchtigt haben. Auch habe ich derzeit freie Atemwege. Gestern Abend im Bett war die Nase noch verstopft - aber nur solange, bis ich sie mit Salzwasser "gewaltsam" freigespült habe. Das Fieberthermometer zeigte heute Morgen 36,8°C, jetzt sind es 36,9°C. Meine Befürchtung, dass sich eine Stirnhöhlenvereiterung bei mir anbahnen könnte, hat sich mit der Besserung so weit verschlagen. Wollen wir mal schauen, was morgen ist.

Heute Morgen bin ich erst einkaufen gewesen und habe prompt mein Geld liegen lassen, so dass ich durch den Schneematsch samt der vielen Pfützen wieder zum Wohnheim zurücklaufen musste, um es das Portemonnaie zu holen. Heute habe ich auch das "Moskauer Tagebuch" zu Ende gelesen und habe nichts mehr gefunden, was noch bemerkenswert wäre, außer der Tatsache, dass es vor 80 Jahren auch schon einen Gasstreit gegeben haben muss - inwiefern schreibt Walter Benjamin aber nicht. Es ist gerade für einen Moskaureisenden ein sehr interessantes Buch.

Im Kühlschrank lagern noch vier kleine Würstchen von mir - aus zwei von denen habe ich Currywürste gemacht. Sie sind sogar recht gut gelungen - wenn auch sehr fettig. So gehe ich davon aus, dass sie beim nächsten Mal noch etwas schmackhafter sind.

Gegen Abend war Vitali noch bei mir - wir haben gemeinsam seine Deutschhausaufgaben gemacht. Dabei konnte ich ganz faul auf dem Bett liegen - den Rücken an den Schrank gelehnt, schön unter der Decke eingemummelt.

Dann war ich heute Morgen noch bei der Hausverwaltung und habe angefragt, ob mein Bruder hier im Mai nicht schlafen könnte. Ich habe aber eine klare Absage bekommen - mehr oder minder wie erwartet; denn: wenn jeder Fragen würde...

 

 

Dienstag, 17. Februar 2009

Den Morgen habe ich in aller Ruhe begangen - also nur Wäsche gewaschen, nochmals lange geschlafen und etwas gelesen, um mich von der Grippe noch ein wenig zu erholen. Zu 15 Uhr bin ich dann in die Universität gefahren und habe dort gegessen, habe dann im Internet Mails abgefragt und bin dann zum Goethe-Abend gegangen. Dieser war für mich die Generalprobe, ob ich wieder gesund bin. Ohne das Fieberthermometer unter den Achseln geklemmt zu haben habe ich den Eindruck, dass es sich nicht negativ ausgewirkt hat, so dass ich morgen meinen Uni-Alltag wieder wie gewohnt aufnehmen möchte - wenn die Temperatur nachher wider Erwarten nicht etwas anderes empfiehlt. Auf dem Goethe-Abend habe ich ein Teil aus dem Faust vorgetragen, mit meiner noch erkälteten Stimme konnte ich dem Abschnitt aber nicht den richtigen Ausdruck verleihen. Zum Abschluss gab es von Ludmilla Simonovna für mich und Andrej noch das Goethe-Büchlein "Goethe und Russland" geschenkt. Für was genau habe ich nicht ganz begriffen - aber gefreut habe ich mich trotzdem. Nach der Pause bei der Veranstaltung machte Ludmilla Simononvna Werbung für die Veranstaltung mit "meinem" Professor aus Münster. Nach ihrer sehr empfehlenden und sehr warmherzigen Vorstellung sollte ich aufstehen und sofort brandete Applaus auf - obwohl die eigentlich alle wissen, dass ich es nicht bin. Nun, wenn die Begeisterung anhält, ist der Saal am Dienstag hoffentlich gut gefüllt!

Auf dem Nachhauseweg gab es dann eine Begegnung, die ich ebenfalls nicht so schnell vergessen werde. Direkt bei der Uni ist eine Polizeistation und dort wurden wir von einem Mann angehalten und gefragt, ob wir nicht den Weg zu irgendeinem Punkt in Moskau wüssten. Wir verneinten. Während dem kurzen Gespräch war es dann so, dass mir auffiel, dass er ziemlich eigenartig guckte und auch stark nach Alkohol roch. Als er dann zu seinem alten Lada ging, lag ich mit der Vermutung vollkommen richtig - der Mann war mehr als sternhagelvoll. Er konnte sich kaum auf den Füßen halten, fand aber den Weg zum Auto zurück und fuhr dann zügig davon. So betrunken habe ich bislang noch keinen Autofahrer gesehen.

Zu Abend habe ich mit Oleg gemeinsam gegessen - er hat Pelmeni mit vielen Zwiebeln zusammengekocht und ich habe Brote, Saft, Bananen und Wasser dazugesteuert.

 

 

Mittwoch, 18. Februar 2009

Heute Morgen habe ich zunächst noch einmal etwas länger geschlafen und mich dann in aller Ruhe auf die Fahrt zur Uni vorbereitet. Ich musste erst noch zur Administratorin, um dort einen Brief ausdrucken zu lassen, der dann gleich heute in die Post gegangen ist. Da meine Uhr sich bei mir wohl angesteckt hat - zumindest lief sie seit einigen Tagen nicht mehr - habe ich bei der Metro-Station Paveljezkaja nach einem Reparaturdienst gesucht. Auch nach einigen Tipps, wonach sich direkt am Paveljezker Bahnhof einer befinden soll, bin ich nicht fündig geworden. So bin ich dann zunächst zur Universität gegangen zu meinen gewöhnlichen Vorlesungen.

Nach der Chorstunde fragte mich Vater Alexej, ob bei mir alles klar wäre und ob ich mit den Melodien klarkommen würde. Das war nun der Fall. Ich habe mich wiederum auf die Suche gemacht nach einem "Uhrendoktor" und bin nach längerer Suche fündig geworden genau dort, von wo mich alle weggeschickt haben - der Tunnel unter dem Paveljezker Platz. Der Mann dort hat die Uhr geöffnet, die Batterie durchgemessen und meinte dann, dass es nicht an der Batterie liege. Nun sah ich mich schon eine neue Uhr kaufen, habe aber nicht mit den Fähigkeiten des Mannes gerechnet. Er pustete die Uhr mit etwas Luft durch, setzte die Batterie wieder herein und schon funktionierte sie wieder. Eine geisterhafte Reparatur zum Nulltarif. Nun hatte ich noch Zeit, zum Frisör zu gehen, nur war mir noch nicht ganz klar, wie ich dem Menschen dort das klarmachen solle. Ich hatte wieder mal viel Glück - der Mann, der vor mir auf dem Stuhl saß, hatte die gleiche Frisur wie ich und so brauchte ich nur auf ihn zu verweisen. Außerdem konnte der Frisör sich noch an mich erinnern. Und wieder war er nach guten 15 Minuten fertig. Auf dem Nachhauseweg habe ich einer älteren Frau wieder auf die Beine geholfen, die sich vergeblich bemühte auf dem spiegelglatten Gehweg, ans Stehen zu kommen. Wie wenig zuvorkommend doch viele Moskauer sind - ich habe unheimlich viele Menschen an ihr vorbeigehen sehen, die sie einfach ignoriert haben. Sollte ich selbst also einmal hinfallen und nicht mehr alleine hochkönnen, so müsste ich damit rechnen, dass ich dort durchaus ein paar Minuten knie oder liege. Gegen Abend ist es aber auch wirklich wieder sehr glatt geworden: War es bis zum Nachmittag noch am Tauen und das ganze Wasser sammelte sich auf dem Gehweg, so ist dieser jetzt richtig schön glatt und gefährlich. Man muss auf jede Unebenheit achten, dass man nicht ins Rutschen kommt.

 

 

Donnerstag, 19. Februar 2009

Auf dem Weg zu meinem Internetplatz habe ich heute ganz großes Glück gehabt: Ich habe im Schnee zunächst nur "grünes" Geld gesehen, dass ich dann eingesteckt habe. Beim Einstecken habe ich gemerkt, dass wenigstens noch ein zweiter Schein dabei ist. Als ich dann in sicherer Entfernung auf der Rolltreppe zum Supermarkt war, habe ich das Geld durchgezählt: Es waren vier 1000-Rubel-Scheine, die da in meiner Hand lagen! Zum aktuellen Tageskurs umgerechnet kommen da etwa 87 Euro bei herum! Ich dachte vor einigen Wochen, dass der 500-Rubel-Schein schon die Spitze war, dass es aber nun soviel werden sollte - ich kann mein Glück bis jetzt immer noch nicht richtig fassen! Das kommt mir ganz gelegen, vor allem, wenn ich in Richtung meiner Münsteraner Wohnung blicke, die mir doch einige Sorgen bereitet.

Ansonsten war heute schönes Wetter, es fror und die Sonne schien! Die Stimmung war gut und so habe ich heute einen Tag erlebt, mit dem ich zufrieden sein will, wenn es auch sonst keine Höhepunkte gegeben hat. Ich habe noch ein paar schöne Fotos machen können, war noch an anderen Stellen einkaufen und habe dann den Abend mit Vokabeln- und Grammatiklernen verbracht.

Dann war ich heute bei der Russisch-altorthodoxen Kirche, die in der gleichen Straße wie die Fakultät ist. Dort habe ich zunächst ein Buch gekauft, um mir vor meinem geplanten Liturgiebesuch am Sonntag um sieben Uhr schon einmal die Liturgie anzuschauen. Es ist die Johannes-Chrysostomus-Liturgie, die in dem Buch aber völlig anders aussieht. Da möchte ich mich in jedem Fall noch näher mit beschäftigen. Ich kann offenbar ohne Weiteres dort zur Liturgie gehen. Ich habe zudem erfahren, dass diese Kirche die Patriarchalkirche ist. So kann das noch sehr spannend werden.

Als ich heute Abend meine Wurst aus dem Fenster-"Kühlschrank" genommen habe, habe ich einen sonderlich gebogenen Eiszapfen gesehen, der in der Nähe meines Fensters an dem Kabel hängt. Er geht zuerst recht gerade herunter, um dann einen eigenartigen Knick zu machen und gerade weiterzubestehen. Ganz unten macht er wieder einen kleinen Bogen, der Schwerkraft folgend...

 

Das Kloster Pererwa - etwas herangezoomt.

 

Sonderlicher Eiszapfen.

 

 

Freitag, 20. Februar 2009

Der Tag heute war eigentlich ein normaler Tag hier in Moskau - es herrschte völlig Routine. So weiß ich von heute eigentlich nichts zu berichten. Zunächst war ich in der Universität in der Vorlesung zum Alten Testament und dann in dem Seminar zum Neuen Testament, dann habe ich in der Stalowaja geholfen, wo auch nicht sonderlich viel Arbeit anstand, weil genug Hilfe vorhanden war. Nach der Chorstunde habe ich noch eine ganze Zeit gewartet auf diejenigen, die gerne Deutsch sprechen möchten, es hat aber keiner vor der Kirche gestanden. So bin ich zunächst zur Post und dann in Richtung der Metro-Station gegangen. Kaum war ich vor Mashas Haustüre, rief sie auch schon an und fragte, ob das Treffen stattfinden würde - sie wartete schon in Arkadia. Als ich dann bei Arkadia war, haben wir beschlossen, zu ihr nach Hause zu fahren. Dort durfte ich ein wenig "hausmeistern" und dann haben wir ein paar Filme geschaut, die aus der Sowjetzeit stammen. Besonders die Kinderfilme haben es mir angetan.

Als ich um 23 Uhr wieder daheim war, habe ich gefragt, wann ich Küchendienst habe. Es war tatsächlich heute und so habe ich ohne Grummeln und Murren meinen Dienst gemacht, denn dieses Mal wusste ich ja früh genug Bescheid. Und als mir ein Kommilitone dann noch sagte, dass Dogmatik morgen ausfällt, war ich total glücklich. So will ich morgen zu Tisch in die Uni fahren, dann im Internet surfen und anschließend ist das Treffen mit meinem Professor und Juri Valerjewitsch, an dem ich bislang noch nicht so den Gefallen finden kann. Aber vielleicht wird es ja auch ganz anders, als ich es mir momentan ausmale.

Heute habe ich erfahren, dass die Bettler auf Moskaus Straßen teilweise organisiert sind - es ist wie eine Form der Mafia. So sind die ganzen Invaliden in der Metro in einer Organisation, der sie einen Teil ihres Geldes abdrücken müssen. Und auch die kniende Babuschka soll wohl professionell sein - so der Ausdruck hier. Ich habe schon vermutet, dass da ein System dahintersteckt.

 

 

Samstag, 21. Februar 2009

Der Morgen begann sehr turbulent und aus einer etwaigen Planlosigkeit wurde ein volles und höchstinteressantes Programm. Zunächst bin ich gegen neun Uhr aufgestanden, weil mir am Vorabend jemand gesagt hat, dass die Dogmatikvorlesung ausfällt. Bei dem zweiten Blick aus dem Fenster habe ich gedacht, dass heute ein guter Tag für das Eisenbahnmuseum wäre, was ich mit Masha ja in Angriff nehmen wollte, sobald meine Dogmatikvorlesung ausfällt und schönes Wetter ist. So habe ich ihr beim Frühstück eine SMS geschrieben und nach einer halben Stunde stellte sich heraus, dass wir das Gleiche gedacht haben - zumindest kam von ihr die Zusage und haben wir uns dann um elf Uhr am Rigaer Bahnhof getroffen. Für mich wurde es ein wenig stressig, weil ich ja etwas weiter außerhalb wohne und auf die Elektritschkas angewiesen bin. Um 11:05 Uhr gibt es sogar eine, die durchfährt bis zu meinem Ziel. Und so war ich eine gute Viertelstunde zu früh dort und konnte ein paar Fotos von einer Eisenbahnbrücke dort machen.

Dann hat Masha die Karten gekauft - nicht ohne Grund, denn Ausländer bezahlen dort erheblich mehr. So haben wir uns erste eine Modelleisenbahnausstellung angeschaut, die im Bahnhofsgebäude dort untergebracht ist. Die Anlage war sehr gut gemacht - vor allem mit vielen russischen Lokomotiven - aber noch lange nicht vergleichbar mit einer Anlage, wie sie in Hamburg steht. So viel detailtreue war dann doch nicht vorhanden. Dort steht in einer Ecke auch ein Lokomotivsimulator, an dem theoretisch auch Lokführer geschult werden könnten. Ein Mitarbeiter des Museums hat uns das Gerät vorgeführt und ich habe ihn mit Fragen zur Signaltechnik, Streckensicherung und Sicherungseinrichtungen bombardiert. Das System ist bis auf die Wachsamkeitstaste etwas vom Deutschen abweichend: So bekommt der Lokführer erst eine Zwangsbremsung, wenn er das rote Signal schon überfahren hat. Dafür kann der Lokführer in der Lokomotive selbst und auch an den Streckensignalen viel früher sehen, welche Signalstellung folgt. Auch wenn das russische System gut klingt, so habe ich das Gefühl, dass das Deutsche ein wenig komplexer und ausgereifter ist.

Anschließend gab es eine Führung durch das Außengelände des Museums und uns wurden die einzelnen Dampflokomotiven erklärt - für die anderen Fahrzeuge blieb nachher leider keine Zeit mehr übrig. So steht auf dem Außengelände auch eine deutsche Dampflok - ein Exemplar der Kriegsbaureihe 52 - die aber im Betrieb hin und wieder Probleme bereitet haben soll. Ferner stand dort eine Baldwin aus Philadelphia und auch von Skoda (ehemalige Tschochoslowakei) stand ein Exemplar dort herum. So hatten die Russen Dampfloks aus aller Welt laufen. Interessant ist auch, dass die Typenbezeichnung der Lokomotiven in einigen Fällen auf die Personen zurück geht. Es gibt eine Reihe von Elektrolokomotiven, die die Bezeichnung "ВЛ" (also "VL") tragen. VL sind in diesem Fall nichts anderes wie die Initialien von Vladimir Lenin. Und so trägt eine der Loks dort mit der Bezeichnung "L" den Anfangsbuchstaben ihres Konstrukteurs, dessen Namen ich leider vergessen habe. (Fotos vom Eisenbahnmuseum hier).

Anschließend ging es mit einem dampflokbespannten Sonderzug in ein Eisenbahndepot bei der Station "Krassnije Baltijez". Die Fahrt dauerte nicht besonders lange, war aber sehr angenehm, da der Waggon, in dem wir saßen, sehr schön und sehr ordentlich renoviert und aufgearbeitet war - allerdings wohl nicht ganz stilecht. Und: Leider ließ sich das Fenster nicht öffnen, so dass man hätte kurz die Nase in den Wind halten können. Im Depot angekommen, wurde uns hier und dort noch etwas gezeigt und erzählt. So stehen dort teilweise schöne Gebäude, weil die früher privaten Eisenbahngesellschaften die jeweils Besten sein wollten und sich damit präsentiert haben. Diese Gebäude sind teils erhalten geblieben und geben dem Gelände so ein interessantes Aussehen. Wegen der Krise standen dort auch jede Menge Rangierloks herum, die sonst eigentlich in Betrieb sind, momentan wegen des geringen Frachtaufkommens aber nicht benötigt werden. Nach ein paar Metern Fußweg kamen wir an einer Drehscheibe an und kurz darauf rollte auch schon die Dampflok darauf, die dann einmal in der Runde gedreht wurde und dann wieder zum Wasserfassen abrückte. Dort gab es noch genügend Gelegenheit, die Lokomotive zu fotografieren, was ich auch genutzt habe. Kurz bevor wir losgehen wollte, standen wir noch unter dem Führerhaus und der Helfer fragte uns, ob wir nicht mitfahren wollten. Wir sagten sofort zu, dann hieß es aber, dass die noch Pause machen. Zunächst hatten wir uns auf einen Preis von 200 Rubel geeinigt. Da es uns zu kalt war, habe ich gefragt, ob wir morgen nicht vom Rigaer Bahnhof mitfahren könnten und der Helfer hat zugesagt - für 500 Rubel, also umgerechnet 10 Euro. Da habe ihm sofort meine Hand hingehalten und er hat mir daraufhin seine ölige Pranke gereicht - der Pakt war besiegelt!

Im Anschluss daran haben wir eine Elektritschka genommen und sind zwei Stationen gefahren, um dann in die Metro umzusteigen. In der Nähe der Station Kitai Gorod ("China-Town") haben wir dann zu Mittag eine Art Fettgebäck gegessen, dass man an für sich überall im Straßenverkauf bekommen kann. Hier wurde es aber frisch zubereitet und schmeckte daher noch einmal doppelt so gut - und war vor allem heiß.

Anschließend stand für mich das Treffen zwischen meinem Professor und Juri Valerjewitsch an, zu dem ich mit der Metro gefahren bin. Ich war etwa eine Viertelstunde zu früh da - nach ein paar Minuten kam Juri Valerjewitsch auch schon, ums abzuholen. Wir mussten noch kurz warten und waren dann komplett. Das Treffen war wesentlich weniger verkrampft und wissenschaftlicher als ich erwartet habe, so dass meine Zweifel schnell beseitigt waren und ich mich ganz wohl gefühlt habe. Nur als sofort zu Anfang schon Schnäpschen auf den Tisch kamen, habe ich gehofft, dass es kein "Gelage" wird, was es dann auch nicht geworden ist. So war es alles in allem ein sehr schöner Abend, den dort verbringen konnte. Um kurz nach Neun sind wir dann wieder aufgebrochen - vor allem aus dem Grund, weil ich ja meine Elektritschka zum Wohnheim bekommen musste.

An der Station Komßomolskaja angekommen, bin ich zur  dortigen Elektritschka-Station gelaufen. Am Schalter saß keine Person, so dass ich keine Fahrkarte kaufen konnte, die ich aber für das Drehkreuz benötigt hätte. Als ich daraufhin einen Wachmann ansprach, sagte er nur, dass ich dort an die Scheibe klopfen solle. Ein anderer schlich mir hinterher und sagte mir draußen, dass er für etwa 50 Rubel durchlassen würde. Als er nach mehrmaligem Verneinen immer noch nicht begriffen hatte, dass ich auch ein Ticket für den Zug benötige, bin ich zurück zum Schalter gegangen, dort feste geklopft und irgendwann kam die Fahrkartenverkäuferin und ich konnte ein Ticket kaufen. So bin ich dann mit dem Ticket durch einen anderen Eingang auf den Bahnsteig gelangt.

Ich habe noch kurz den morgigen Tag vorbereitet, das Frühstück so weit es geht gemacht, meine Kleidung hingelegt, mich schon rasiert, um möglichst schnell morgen Früh fertig zu sein. Der Wecker soll nämlich schon um 6:45 Uhr klingeln, weil ich ja morgen in die Russisch-Altorthodoxe Kirche möchte, die sich in der gleichen Straße wie die Fakultät befindet. Und da die Göttliche Liturgie schon um sieben Uhr anfängt, muss ich früh heraus.

 

Die Großdiesellokomotive ТЭ3-5151 (TE-5151).

 

Eine nach dem Krieg restaurierte Baureihe 52 - die ТЭ 5415 (TE 5415).

 

Die letztgebaute sowjetische bzw. russische Dampflok: die П36 0001 (P36 0001).

 

Die Elektrolokomotive ЧС3-45  (ZS3-45).

 

Die Эр 774 38 (Er 774 38) mit ihrem Zug kurz vor der Abfahrt im Rigaer Bahnhof in Moskau.

 

Die Эр 774 38 (Er 774 38) auf der Drehscheibe im Depot.

 

 

Sonntag, 22. Februar 2009

An diesem Morgen lief alles wie ich es am Vorabend geplant hatte, nur dass die Elektritschka nicht fuhr - ich hatte übersehen, dass sie nur an Werktagen fährt. So war ich dann etwa zehn Minuten später dort - hätte aber getrost auch noch eineinhalb Stunden weiterschlafen können, da vorher noch einige kleinere Gottesdienste waren, in den überwiegend Psalme gelesen wurden, so dass es recht langweilig war. So konnte ich aber schon ein wenig das Leben dort studieren: Wenn die Gläubigen dort in die Kirche kommen, dann knien sie auf den Boden, bekreuzigen sich sehr schnell in dem sie den Daumen zum Ringfinger und kleinen Finger führen und sich dann, wie alle Orthodoxen Christen die ich kenne, von rechts nach links bekreuzigen. Wenn sie knien, dann beugen sie sich ganz mit dem Gesicht zum Boden und legen die Kopf ganz kurz nur auf ein extra mitgebrachtes flaches quadratisches Kissen. Kommen sie zur Kirche herein, bekreuzigen sie sich auf diese Art und Weise zuerst und verbeugen sich dann in alle vier Himmelsrichtungen zu den anderen Gemeindemitgliedern. Die Altorthodoxen bekreuzigen sich offenbar nicht so häufig wie die Christen der Russisch-orthodoxen Kirche. Mir sind zwei oder drei Stellen bekannt, wann sie sich bekreuzigen. Bei dem "Heiliger Gott, Heiliger Starker, Heiliger Unsterblicher" bin ich mir sicher, an den anderen Stellen nicht. Am linken Unterarm tragen sie ein Symbol, von dem ich noch nicht weiß, was es ist: Es ist wie an einer langen Kette, die aus parallel aneinanderliegenden Röhrchen besteht und sind an für sich zwei Dreiecke, wobei das eine Dreieck - das Obere - mit der Spitze bis in die Mitte des zweiten Dreiecks zeigt. Ich bin mir nicht sicher - vielleicht soll es die Trinität und die Zwei-Naturen-Lehre darstellen. Da will ich aber noch irgendjemanden nachfragen - notfalls frage ich dort in dem Geschäft nach. Sehr befremdlich und sogar etwas unangenehm empfand ich die Haltung den Priester gegenüber: Sie fallen vor ihm auf die Knie, verbeugen sich bis auf den Boden, stehen auf, bitten um den Segen - welcher dann wiederum ähnlich wie in der Russisch-orthodoxen Kirche gespendet wird, nur nicht wie so oft mit hektischen und flapsigen Bewegungen, küssen dann seine Hand und fallen wieder vor ihm in die Knie. Ich bin immer zurückgetreten, wenn ein Priester in meine Nähe kam, weil mir das doch ein wenig unangenehm - oder vielleicht fremd - war.

Als die Göttliche Liturgie nach Johannes Chrysostomus losging, wurden die Königstüren geöffnet und der Erzdiakon ging durch die Königstüren zu seinem Platz vor den Königstüren. Ich kenne dies anders - nämlich dass er aus der linken Diakontüre heraustritt. So oder so machte der Diakon vieles anders als ich es üblicherweise kenne. Bei dem zweiten Einzug nach dem Cherubimskaja war es so, dass die Priester dreimal das Gleiche, nur in verschiedene Richtungen stehend, sangen. Anschließend bin ich gegangen, weil ich noch gerne in die Fakultätskirche wollte. Der Chor in der Russisch-altorthodoxen Kirche singt völlig anders - es sind viel mehr nasale Laute, die den Klang ausmachen - sie erinnerten mich einerseits an die griechisch-orthodoxe Kirchenmusik, aber auch ein wenig an Musik, die aus dem heutigen Islam kommt. Alles in allem war ich von dem Chor alles andere als begeistert - er sang zwar bestimmt sehr gut, aber es war überhaupt nicht mein Geschmack. Auch wenn mir vieles dort sehr fremd und teils auch unangenehm ist, so will ich dort doch hin und wieder noch einmal hereinschauen, um die Liturgie der Kirche näher kennen zu lernen und um vielleicht auch ein wenig Kontakt zur Gemeinde zu erhalten. Gedanken wegen einem Bart muss ich mir keine machen - dort waren einige Männer ohne Bart anwesend. Vielleicht ist es noch erwähnenswert, dass sehr viele alte Menschen dort waren, aber auch einige Jüngere - so etwa mein Alter und noch jünger. Dafür fehlt der Mittelbau, der zwischen 35 und 55 Jahre alt ist, völlig. Und was noch interessant war: Als ich aus der Kirche herausging, stand wohl schon längere Zeit vor der verschlossenen Türe zur eigentlichen Kirche ein Mann mit seinen zwei Kindern. Vielleicht gibt es dort tatsächlich noch das alte urchristliche Katechumenenverständnis, bei dem nur Getaufte an der Liturgie teilnehmen dürfen. Vielleicht sehe ich dort irgendwann auch einmal den Patriarchen Alexander - die Kirche dort soll angeblich die Patriarchalkirche sein. Diese Kirche scheint auch einen anderen Kalender zu haben - zumindest gratulierte sich die Gemeinde zu einem Fest - welches weiß ich leider nicht - und in der Fakultätskirche war heute kein Fest. Auffällig war auch, dass die Altorthodoxen goldene Gewänder trugen und die Geistlichen in der Fakultätskirche violett.

Nach der Göttlichen Liturgie in der Universitätskirche St. Nicolai war ich noch schnell einkaufen, habe in der Stalowaja etwas gegessen und bin dann mit der Metro zum Rigaer Bahnhof gefahren. Dort stand die Dampflok schon bereit und es rauchte und qualmte schon ganz anständig. Bei Minustemperaturen, heute waren es den Tag über so etwa -10°C, ist die Dampfentwicklung noch einmal doppelt so gut! Nach kurzem Warten kamen auch schon Masha und ihre Schwester Tanja, wir haben kurz mit dem Helfer gesprochen und sind dann noch etwas spazieren gegangen. Ganz kurz vor der Abfahrt hat er uns dann auf die Lokomotive gelassen und wir waren noch nicht richtig drin, da ging die Fahrt auch schon los. Er stellte sich uns als Wassilij vor und erklärte mir bereitwillig das, was ich alles wissen wollte. Und das war recht viel - so habe ich eine schöne Einleitung in die Funktion einer Dampflokomotive bekommen. Und es gab trotz vieler technischer Fragen kaum Verständnisprobleme. Nachdem die Fahrgäste des Zuges an der Station "Krassnije Baltijez" ausgestiegen waren, ging die Fahrt ein Stückchen bis unter eine Brücke weiter - anschließend haben wir ein wenig rangiert. Als wir unsere Waggons abgekuppelte hatten, bat der Maschinist mich an seinen Platz, mir wurde  die Maschine erklärt und dann durfte ich selbst Hand anlegen. Dabei hat sich gezeigt, dass von mir wohl kaum eine Gefahr eines Lokomotivdiebstahls ausgeht, da der Regler nur sehr schwer zu bedienen ist. Es war aber sehr spannend, mal selbst 150t Stahl und Eisen hin- und her zu rangieren und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich großen Respekt vor den Dingern habe, weil man "einfach" mit ein paar Handgriffen, sofern die Lokomotive vorbereitet ist, damit hin und herfahren kann. Was mir nur sehr unheimlich vorkam, war, dass man nicht die Streckensicht hat wie von einer moderneren Elektrolokomotive. Auf die Drehscheibe ist der Meister dann aber selbst gefahren. Auch hier ist es doch verwunderlich, dass man mit teils so schwergängigen Hebeln die Lokomotive zentimetergenau auf die Drehscheibe stellen kann. Ich denke, dass ich weit über die Drehscheibe hinausgedonnert oder Zentimeter für Zentimeter dort draufgekrochen wäre. Nach dem wir einmal um 360° gedreht worden sind, sind wir zum Wasserfassen gefahren - das gleiche Programm also wie gestern auch. Dort haben wir uns dann von dem Team verabschiedet und haben die Einladung erhalten, wieder mitfahren zu dürfen. Und ich denke, dass ich das dann und wann auch noch mal in Anspruch nehmen werde, weil es einfach irre viel Spaß macht und die Jungs auf der Lok wirklich nett und freundlich sind. 

Nach ein paar Fotos sind wir drei dann zur Elektritschka-Station gelaufen und ich bin dann zu Elenas Gemeinde der "Hl. Märtyrerinnen Vera, Nadjeschda, Ljuba und Mutter Sofia" gefahren, wo ich mit Matuschka und ihrer Tochter die Akafist gesungen habe. Lena war leider nicht da, weil sie krank im Bett lag. Während wir sangen, erklang hinter uns ein leises "Miau" - Kater Barßik war aus dem Keller hinaufgekommen und strich nun um die Bein der Gemeindemitglieder. Einige streichelten den Kater, was dem sichtlich gefiel. Irgendwann schnappte Matuschka sich Barßik und bugsierte ihn vor die Türe, wo er es aber nicht lange aushielt und wieder zurückkam - und das gleiche Spiel begann von vorne. Als ich ging, saß er im Vorraum auf dem Heizkörper.

 

 

Kurz vor der Abfahrt im Rigaer Bahnhof - einen Tag später.

 

Auf der Heizerseite.

 

Regler, Bremse, Wasserpumpe... Wie funktioniert das?

 

Mit Lehrmeister Wassilij am Regler.

 

(K)Ein Kraftprotz am Regler...

 

"Ah! Kiek an! Nu löppt dat Waark - fut geit los!"

 

Im Rangierbahnhof.

 

Feuerbüchse, Regler, Bremse und vieles mehr: auf dem Führerstand.

 

Die Эр 774 38 (Er 774 38) beim Wasserfassen im Depot.

 

Das Depot mit den alten Gebäuden.

 

Morgen fängt mit der Fastenzeit eine neue Zeit an, so dass ich nach dem Monatsresümee das Kapitel beenden möchte. Im Gesamten kann ich bestimmt wieder von einer glücklichen Zeit sprechen, die seit dem 20. Januar wieder einmal wie im Fluge vergangen ist. In den letzten Tagen ist mir wieder einmal aufgefallen, dass der März in schon sehr greifbarer Nähe ist, es sind nur noch wenige Tage - dies noch einmal mehr aus der Sicht, dass ich diese Zeilen am 25. Februar "nachträglich" schreibe. Auch wenn ich gerade von glücklich geschrieben habe, so will ich doch mit den traurigen oder mir Sorgen bereitenden Dingen anfangen. Da ist zunächst meine Wohnung in Münster, die eher frei wird, als mir lieb ist und ein Zwischenmieter bislang noch nicht in Sichtweite ist. Da die Zimmer die Einnahmequelle meiner Vermieterin sind, ist es völlig verständlich, dass sie ein zum Glück verminderte Miete haben möchte. Und damit hängt meine Abreise von hier zusammen: Sollte sich kein Nachmieter finden, dann werde ich gegen Ende Juni schon heimreisen müssen, um ab Anfang Juli wieder bei der Müllabfuhr in Münster zu arbeiten, um mein Zimmer zu finanzieren. Dementsprechend würde auch die Fahrt nach Walaam für mich ausfallen, wo ich die beiden ersten zwei Juli-Wochen teilnehmen wollte. Das ist momentan meine allergrößte Sorge. Und dann waren bzw. sind da die Frauen, die mir in dieser vergangenen Zeit doch einige Sorgen bereitet haben. Es ist unendlich schwer für mich, in dieser Beziehung keine zu verletzen oder ihnen falsche Hoffnungen zu geben. Leider ist mir das nicht immer gelungen, was mich selbst sehr traurig gemacht hat. Ich wünsche mir sehr, dass ich in dieser Beziehung ein besseres Einfühlungsvermögen erhalte und schneller erkenne, was Sache ist und ein liebevolleres Händchen bekomme. Es ist einfach nur doof, jemanden zu verletzen oder traurig zu machen.

Zu Anfang dieser zweiten Halbzeit hatte ich das erste Mal den Eindruck, dass das Studium jetzt richtig losgeht. Nach den Ferien hatte ich noch einmal mehr den Eindruck, dass mehr in den Vorlesungen verstehe und hin und wieder auch mal Fragen stellen und formulieren kann. Das mag nun ein wenig eigenartig klingen, es ist für mich in der Tat aber recht schwierig gewesen, die passenden Wörter parat zu haben und dann auch noch einsetzen zu können. Dies scheint sich jetzt geändert zu haben. Das ist der eine Punkt, es gibt aber noch einen weiteren: Ich habe mehr oder minder mit der Hausarbeit begonnen und den ersten Text übersetzt. Das hat anfangs sehr viel Zeit in Anspruch genommen, mittlerweile geht es aber etwas schneller. Der Text des Philosophen Vladimir Solovjov hatte für mich mehrere Schwierigkeitsgrade: Zum einen, dass es ein philosophischer Text mit ellenlangen Sätzen ist, dann dass er in Sprache und Schrift des Jahres 1911 verfasst ist. So werden heute einige Wörter anders geschrieben oder sind gar nicht mehr in Gebrauch, so dass meine Nachschlagewerke sie nicht kennen. Und dann sind da noch Wörter, die Solovjov mehr oder minder selbst geschaffen hat, die es dann zu verstehen galt. Aber letztendlich habe ich es geschafft. Nun muss ich mir nur noch die westliche Literatur besorgen, zwei oder drei andere russische Texte übersetzen und dann kann ich mit der Hausarbeit beginnen. Ich hoffe, dass ich bis zu meinem Geburtstag mit diesem Werk ganz fertig bin - bis dahin sind noch etwa zwei Monate inklusive drei Ferienwochen. Das Übersetzen hat sich in jedem Fall positiv auf meine Sprachkenntnisse ausgewirkt. Mein Wortschatz ist in dieser Zeit größer geworden und auch grammatikalisch habe ich kleine Fortschritte gemacht.

Mit dem März wird langsam auch der Frühling in immer größere Nähe rücken. Im Januar war es bis auf einige Tage mit Tauwetter immer frostig kalt. An die Kälte habe ich mich gut gewöhnen können und war sogar ein wenig traurig, als mir vor ein paar Tagen ein Kommilitone gesagt hat, dass bald der Schnee tauen wird und der Frühling kommt. Eigentlich stört mich die Kälte bislang nicht sonderlich und auch der Schnee ist noch wunderschön anzusehen. Ich bin bislang nur sehr froh, dass ich auf dem Eis noch nicht hingefallen bin und hoffe, dass es auch so bleibt. Lästig bei dem Tauwetter ist nur das viele Wasser, dass dann überall draußen auf Straßen, Wegen und Plätzen liegt und wegen der "Schneemassen" nicht vernünftig abfließen kann. Zwar werden die Straßen immer geräumt und der Schnee mit Lastwagen abgefahren, dennoch ist es, sobald Tauwetter in der Stadt einsetzt, sehr matschig, rutschig und vor allem unheimlich dreckig, so dass die Hosenbeine schon nach sehr kurzer Zeit ein Fall für die Waschmaschine sind.

Als ich krank gewesen bin, da hatte ich das Gefühl, dass ich hier gut aufgehoben bin: Ich habe von meinen Kommilitonen sehr, sehr viele Tipps bekommen, wie ich wieder gesund werden kann. Besonders häufig kam vor, vorbeugend Medikamente einzunehmen, Tee mit Honig zu trinken, Medikamente zu nehmen, im Bett zu bleiben und von dem ein oder anderen kam auch der Tipp, einen Wodka zu trinken, weil der wie der ostfriesische Kruiden alle Leiden heilt. Besonders dankbar bin ich für die Hilfe der Deutschprofessorin Ludmilla Simonovna, die mit mir meine Hausapotheke durchgegangen ist und mir noch einige Medikamente genannt hat, mit denen sie gute Erfahrungen gemacht hat.

Seit Mitte Januar ist Inga, eine liebe ostfriesische Freundin, die ich von meiner Gymnasialzeit her kenne, in London und es ist für mich sehr spannend zu sehen, welche Erfahrungen sie macht - sie sind doch sehr gleich: Sprachprobleme, das erste Orientieren und alles, was dazu gehört. In vielen Dingen, die sie mir schreibt, finde ich mich selbst wieder. Nur leider kann ich ihr nur wenige Ratschläge geben, weil London und Moskau zwar beides Großstädte sind, in ihren Dimensionen jedoch völlig unterschiedlich.

Wenn ich alles zusammenfassen sollte, dann bin ich nach wie vor sehr froh, dass ich hier sind darf und hier eine wunderschöne Zeit verbringe. Allerdings bin ich auch immer ein wenig traurig, wenn ich bedenke, wie schnell die Zeit bis Ende Juni vergehen wird. Bislang habe ich noch keinen großen Drang oder viel Heimweh, so dass ich nach Hause möchte. Mir ist in dieser Zeit bis jetzt aber immer mehr bewusst geworden, wie wichtig mir ein kleiner Ort ist. Eine Großstadt, wie Moskau es ist, wäre auf Dauer überhaupt nichts für mich. Für eine gewisse Zeit hier zu leben, ist völlig in Ordnung. Aber wenn ich den Ausflug nach Neu-Jerusalem mit Lena aus Deutschland zurückdenke, wo wir durch den Schnee gelaufen sind, Natur gesehen und frische Luft geatmet haben, dann weiß ich wo mein Platz ist. Daher ist mir die döpkersche Wohnung in Münster auch noch einmal sehr wichtig geworden. Nun hoffe ich letztlich, dass die restliche Zeit hier noch sehr schön und erfahrungsreich wird - so wie die ersten Monate.

 

 

 

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